Noch so ein reaktionärer Artikel vom rechtsradikalen Jacobin-Magazin:
Rufe nach einem AfD-Verbot sind ein Zeichen politischer Hilflosigkeit
Die Forderung nach einem AfD-Verbot ist gut gemeint. Es ist jedoch keinesfalls sicher, dass ein Verfahren glücken würde – und bannen lässt sich die Rechtsentwicklung juristisch sowieso nicht. Man muss die AfD politisch schlagen.
Alles anzeigen[...] Viele der Demonstrierenden forderten gegenüber den Abgeordneten der demokratischen Parteien, ein Verbot der AfD auf den Weg zu bringen.
Im Raum steht diese Forderung schon eine Weile. Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung, sucht seit geraumer Zeit Unterstützung für einen parteiübergreifenden Verbotsantrag. Ein Campact-Aufruf, einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 des Grundgesetzes gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke einzureichen, erreichte am Tag der Demonstrationen bereits über eine Million Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Ein weiterer Aufruf, die laut Verfassungsschutzämtern als gesichert rechtsextrem geltenden AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zu verbieten, sammelte am selben Tag immerhin schon über 350.000 Unterschriften.[...]
Darüber hinaus ist es der AfD aber bereits gelungen, gesellschaftspolitisch zur Sperrminorität zu werden, die aus ihrer gesamtgesellschaftlichen Minderheitsposition heraus die Politik vor sich hertreibt. Wie aus Umfragen hervorgeht, ist laut Spiegel »der Anteil derer gesunken, die der Meinung sind, dass es zu viele Rechtsextreme in der AfD gebe. Im Herbst 2017 fanden das noch 85 Prozent der Befragten, im Sommer 2023 waren es lediglich 69 Prozent. Ebenso ist die Zahl an Menschen gesunken, die angeben, die Partei niemals wählen zu wollen. Waren es vor zwei Jahren knapp 70 Prozent, sind es nun 56 Prozent. Deutschland hat sich an seine AfD offenbar gewöhnt«.
Die innere Radikalisierung der AfD geht einher mit ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Normalisierung. [...]
Damit ein Verbot der AfD überhaupt die gewünschte Wirkung entfalten könnte, müsste es sich auf alle Nachfolgeorganisationen erstrecken, mit denen zu rechnen ist. Eine Repression, wie es sie nach dem Verbot der KPD im Jahr 1956 gab, einschließlich Aberkennung von Mandaten, Beschlagnahmungen, Verhaftungen und Verdacht auf Mitgliedschaft als Kündigungsgrund wäre heute nicht mehr denkbar. Die ins Verbotsverfahren gesetzten Hoffnungen stehen und fallen letztlich damit, dass die bisherige Wählerschaft der AfD den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts nicht nur akzeptiert, sondern auch ihm auch zustimmt. Nur in diesem Fall hätte die wie ein »Spuk« betrachtete Erfolgsserie der AfD in Folge des Urteils wirklich ein Ende.
Die Reaktion auf die Abwahl Donald Trumps, die bis heute weite Teile republikanischer Wählerschaft für illegitim halten, zeigt aber, dass damit keinesfalls fest zu rechnen ist. Vielmehr ist mit der ehemaligen Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolf zu befürchten, »dass im Hinblick auf die AfD ein Verbot auch nur einzelner Landesverbände mit einem hohen Risiko belastet wäre, das schwindende Demokratievertrauen großer Teile der Bevölkerung nur noch weiter zu erschüttern, insbesondere bei dem großen Teil der AfD-Wähler, die dieser Partei nicht aufgrund einer extremistischen Haltung zuneigen, sondern weil sie Anliegen, die man haben kann, ohne mit der freiheitlichen Demokratie auf Kriegsfuß zu stehen, derzeit bei keiner anderen Partei ausreichend vertreten finden«.[...]
Ein AfD-Verbotsverfahren würde sich ohnehin über mehrere Jahre hinziehen. Die befürchteten wahlpolitischen Erfolge im Frühjahr und Herbst 2024 ließen sich dadurch sowieso nicht mehr verhindern. Im Gegenteil besteht sogar die reale Gefahr, dass Menschen, die zwar die herrschende Politik ablehnen, bisher aber noch nicht die AfD gewählt haben, die Partei unter Eindruck eines Verbotsverfahrens erst recht ankreuzen. Übersehen wird nämlich zu oft, dass bei aller Aufrichtigkeit der Sorge über die Verfassung mit einem Verbot immer auch eine politische Konkurrenz unterbunden wird. Je weniger man der etablierten Politik ihre Aufrichtigkeit abkauft, desto mehr erscheint ein Verbot als Einschränkung der Demokratie aus Eigeninteresse der herrschenden Kräfte.
Das Potenzial an Nationalismus, Ressentiments und Menschenfeindlichkeit, das die AfD kanalisiert hat, würde nicht von einem Moment auf den anderen verschwinden, wenn die Partei verboten würde. Womöglich fände es mit der angekündigten Partei des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen womöglich direkt eine neue wahlpolitische Option, die, weil keine Nachfolgeorganisation der AfD, auch nicht unter deren Verbot fiele.
Nicht auszuschließen ist auch eine weitere, dann schwieriger zu beobachtende Radikalisierung der vormaligen Wählerinnen, Unterstützer und Mitglieder der AfD, die ihre politische Neutralisierung innerhalb der repräsentativen Demokratie wohl kaum ohne Widerspruch hinnehmen werden. Selbst nach einem erfolgreichen Verbotsverfahren gegen Teile der AfD oder die Partei als Ganze griffe Bertolt Brechts Warnung, dass »keiner uns zu früh da triumphiert – Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«.[...]
[*] "Alban Werner ist Politikwissenschaftler. Er war von 1999 bis 2004 Mitglied bei der SPD. Seit 2005 ist er bei der Linkspartei aktiv. Seine Texte erschienen unter anderem in »Sozialismus« und »Das Argument«."