[...] Als Straftatbestand war "Volksverrat durch Lügenhetze" von den Nazis eingeführt worden. Die Junge Union und andere, die sich zum demokratischen Spektrum zählen, nutzen das Wort "Volksverräter" jetzt für AfD-Politiker – mal mit, mal ohne Fragezeichen auf der Plattform X, wo von der AfD auch als "Alternative für Russland und China" die Rede ist und ihr Kürzel in kyrillischen Buchstaben auftaucht.
"Für wen arbeitet die AfD?", fragt dort die Junge Union Deutschland, ihr Bundesvorsitzender Johannes Winkel nutzt in diesem Kontext den Hashtag #Volksverräter – und der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe äußerte bereits den Verdacht, "dass die Vaterlandsverräter von der AfD direkt vom Kreml bezahlt werden". Hintergrund sind die Korruptions- und Spionagevorwürfe der letzten Tage und Wochen.
Im Fokus stehen der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah und sein bisheriger Mitarbeiter Jian G., der einen familiären Bezug zu China hat und verdächtigt wird, als Spion für die Volksrepublik gearbeitet zu haben. [...]
Der Spiegel nutzte für die Verdächtigen in einem Leitartikel den Terminus "vaterlandslose Gesellen", der aus dem deutschen Kaiserreich stammt. Die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung beschreibt ihn als damals genutztes "Schimpfwort hauptsächlich für Angehörige der sozialistischen Arbeiterbewegung".
Tatsächlich waren es immer Linke, die betont haben, dass die Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen "oben und unten" verlaufen. Abgesehen von dieser Klassenspaltung ist in Deutschland "das Volk" auch in anderer Hinsicht gespalten wie selten zuvor.
Die einen haben Angst vor dem Rechtsruck, der Klimakatastrophe und dem Kollaps der Ökosysteme, die anderen vor Migration und Gendersternchen. Diese beiden Lager sind noch einmal kreuz und quer gespalten, wenn es um Themen wie Aufrüstung gegen Russland oder den Israel-Palästina-Konflikt geht.
Andere waren und sind mit ihrem alltäglichen Existenzkampf ausgelastet, fühlen sich von keiner organisierten politischen Kraft vertreten und gehen nicht wählen, falls sie überhaupt dürfen.
Insofern kann "das Volk" gar nicht in Gänze "verraten" werden. Die AfD verrät sicher nicht das Deutschland ihrer Träume, sondern sucht temporäre Verbündete gegen ein Deutschland, das ihr zu "linksgrünversifft" erscheint. Egal, wie weit ihr die aktuelle Bundesregierung durch Asylrechtsverschärfungen und verwässerte Klimaziele entgegenkommt.
Was die AfD aus Deutschland machen will, ist aber nicht wegen ihrer mutmaßlichen Verbindungen zu Russland und China ein Problem – und es wäre ohne solche Verbindungen nicht humaner. Schließlich sind die Wunschvorstellungen und Pläne der AfD nicht weniger autoritär als Putins Russland; und das Autoritäre musste Deutschen nie von außen eingeflüstert werden.
Zwei Weltkriege, die von Deutschland ausgingen, wären ohne autoritäre, nationalistische, militaristische Traditionen nicht möglich gewesen – und nur wenige Worte stehen so sehr für diese Traditionen wie "vaterlandslose Gesellen" und "Volksverräter".
Die Ideologie der AfD ist tief in Deutschland verwurzelt – und einen Mangel an nationalem Egoismus kann ihr niemand nachsagen. Im Gegenteil, das ist sie sehr berechnend.
Sie meint nur, dass "deutsche Interessen" momentan auf anderen Wegen besser zur Geltung kommen würden als auf der transatlantischen Schiene.
So zu tun, als sei die AfD "fremdgesteuert", wie es der RTL-Journalist Nikolaus Blome nennt, läuft auf eine Idealisierung des Deutschen hinaus, die zutiefst nationalistisch ist: Alles, was böse, unappetitlich und niederträchtig ist, muss demnach von außen kommen. Mit "Kampf gegen Rechts" hat das nichts mehr zu tun, denn genau das können die völkischen Rechten besser. [...]