Verstehe nicht, warum die Metapher des Selbstgesprächs verwendet wird. Passt hier eigentlich nicht, offenbart aber möglicherweise eine Haltung. Wenn ich mit der anderen Seite spreche (in Russland und einigen anderen Staaten deutlich stärker gefiltert als in anderen Teilen der Welt), sie aber nicht von meiner Sicht überzeugen kann, dann ist das kein Selbstgespräch - außer vielleicht ich höre nicht zu.
Ich fand die Metapher eigentlich ganz gut.
Wenn ich mir angucke, wie das deutsche Qualitätsfernsehen, unsere Werteleitmedien, und der von ihnen "informierte" twitter-mob über den Krieg "diskutieren", dann sieht das für mich nach einer astreinen, geradezu mustergültigen Echokammer aus, in der sich lauter gefühlt Gleichgesinnte gegenseitig versichern, dass sie einander gleich gesinnt sind und das an ihrem Konsens darüber festmachen, dass man mit den anderen - den nicht-Gleichgesinnten - nicht diskutieren oder gar verhandeln könne, und das auch tunlichst gar nicht erst versuchen sollte, weil sie alle dem Russenhitler huldigen - und der lügt ja bekanntlich wenn er nur den Mund aufmacht.
Da wird also - jedenfalls im öffentlich wahrnehmbaren "Diskurs", vom Alltagsgespräch über den Gartenzaun bis zu den Verlautbarungen der höchsten Regierungsebene - zwar sehr viel miteinander und mit der eigenen Bevölkerung über den Barbarenführer Putin und sein kulturloses, unzivilisiertes Volk geredet (und dabei auch noch wüst spekuliert), aber so gut wie gar nicht mit ihm, oder seinen UntertanInnen (es sei denn sie hätten rechtzeitig proaktiv und öffentlich dem Russentum und dem Putinismus abgeschworen und sich in ausreichender Selbstgeißelung für ihre zweifelhafte ethnische Herkunft geübt.)
"Selbstgespräch" der bürgerlich-westlichen Bubble mit sich selbst, innerhalb der eigenen, mit intellektuellem NATO-Draht gegen blasenfremde Unterwanderung befestigten, geistigen Umzäunung erscheint mir daher durchaus ein passender Ausdruck zu sein - unbenommen der Tatsache, dass Gaub natürlich selbst mit hinter dem Zaun sitzt, wenn auch vielleicht auf einem der ideologischen Wachtürme, von wo aus man etwas weiter über den Horizont gucken kann..
Immer wenn sie sowas sagt wie "wir verstehen Russlands Geschichte nicht", frage ich mich, ob sie über die Öffentlichkeit spricht oder ob sie sich da selbst mit einschließt.
Selbsverständlich ist dieses "Wir" das selbe "Wir" das auch PolitikerInnen verwenden, wenn sie "uns" klar machen, dass sie - genau wie Putin in seinen Propagandareden an das russische Volk - am allerbesten wissen, was für "uns" das Beste ist (jedenfalls so lange keine Wahl bevorsteht und die Umfragewerte nicht abschmieren).
Sie ist schliesslich staatstragende Politikwissenschaftlerin an einem von der EU - also staatlich - finanzierten Institut, deren Aufgabe es ist, den Staatsbürger*innen zu erklären innerhalb welches noch akzeptablen Meinungsspektrums sie sich zu positionieren haben, und keine Populistin
, die dem Pöbel nach dem Maul redet, um sich mit seinen niederen Beweggründen (z.B. Heizung, bezahlbare Lebenshaltungskosten) gemein zu machen.
Ich fand es nur interessant, dass sie die (für jeden, der sich ein bisschen außerhalb der üblichen Konsensmanufaktur zu dem Thema belesen hat) eigentlich banale Erkenntnis hier - in der in dieser Frage leider nahezu komplett auf Tarngrün lackierten taz - so relativ offen ausspricht, dass der kollektive globale Westen sich einen Dreck um russische Geschichte schert, weil russische Geschichte im allgemeinen, wertewestlichen mainstream-"Narrativ" spätestens seit 2014 im Prinzip nur noch aus Stalin und Putin besteht (jetzt auch identisch mit Hilter).
Wahrscheinlich lag's daran, dass Welzer das Interview geführt hat - der gilt ja auch schon fast als gefährlicher Dissident mit seiner doch eher handzahmen, systemkonformen Kritik an den Waffenlieferungen.
Der Gewalt, die europäische Länder neben Russland außerhalb Europas ausüben, scheint sie sich ganz allgemein nicht bewusst zu sein, wenn sie das in den Gegensatz hineinnimmt. Ich meine, was ist mit zwei Dekaden Afghanistan-Krieg?
Ja aber das war doch kein Krieg, sondern eine Friedensmission. Der Obrist Klein wurde ja nicht umsonst mittlerweile in den Generalsrang befördert, weil er damals den Frieden sicherte, indem er mithilfe amerikanischer Luftunterstützung verhinderte, dass gefährliche Teroristen einen Lastwagen stehlen. Genau wie die Bundeswehr in Mali keinen Krieg führt, sondern den malischen Behörden bei der Terrorbekämpfung zur Seite steht, oder Barack Obama und Hillary Clinton in Libyen nur deshalb Brücken nicht bombardieren ließen, weil die Luftangriffe lediglich dazu dienten, der freiheitlich gesinnten libyschen Bevölkerung beim Sturz ihres Gewaltherrschers behilflich zu sein.
Wie gesagt, ich wollte Florence Gaub ganz sicher nicht als radikale Kritikerin des westlichen Imperialismus darstellen. Aber es scheint sich zumindest anzudeuten, dass die Grenzen des Gartenzaunes zumindest im akademischen Diskurs gerade ein bisschen ausgeweitet werden.
(Wahrscheinlich habe ich das Interview aber auch deshalb gepostet, weil ich damals selbst so empört auf ihre Einlassungen zur russischen Todes-Kultur reagiert und das als völkischen Rassismus im ZDF gebrandmarkt habe, und sie das jetzt aus meiner Sicht tatsächlich ganz gut relativiert hat.)