Die Letzte Generation

  • Diesen Teufelskreis könnte man nur beenden, wenn man damit aufhören würde, für den Profit zu produzieren. Und das ginge nur, wenn man entweder eine Ökodiktatur errichtete, oder wenn man das Privateigentum an den Produktionsmitteln abschaffte, und somit auch den Druck, sie zu rentablen Kapitalanlagen zu machen.


    Aber so lange Oma Erna und Otto Normal das nicht kapieren, weil niemand der es eigentlich kapiert haben müsste es ihnen erklärt, weil er Angst hat, öffentlich für einen linken Extremisten gehalten zu werden, wenn er den Kapitalismus bei Markus Lanz beim Namen nennt, und dem bräsigen Schwätzer einfach seine schmierige neoliberale Butter vom Brot nimmt, werden Erna und Otto auch weiterhin Zeitung lesen und Lanz gucken und denken, dass man auf die ExpertInnen hören muss, damit nicht alles noch viel schlimmer wird, als es sowieso schon ist.

    Brudi, Amen zu allem was du sagst, wie nun mal immer. Und immer noch weiß ich nicht, ob wir aneinander vorbeireden oder du schlichtweg 'ne andere Position hast. Überzeugen kannst du mich in der Hinsicht auch einfach nicht, weil mein Verständnis von dem Punkt, über den wir sprechen, ein völlig spekulativer ist. Keiner von uns beiden kann wissen, welche Kommunikationsstrategie die richtige ist, die gefahren werden muss.


    Nochmal: Ich glaube, die sehen das bei der Letzten Generation/FfF doch in Teilen nicht anders wie wir. Deiner Auffassung nach wird das Problem allerdings nur dadurch behoben, indem man es klar beim Namen benennt und es offensichtlich macht "Grünes Wachstum ist de facto eine Lüge --> Klima wird schlechter. Kapitalismus funktioniert nicht ohne die Logik des Wachstums --> Klima wird ergo schlechter". Meine Vermutung ist allerdings, dass sie mit dieser Art der Kommunikation noch schlechter durchkämen, als das jetzt bereits jetzt der Fall ist. Mir ging es doch auch nicht darum


    Zitat von Utan

    Darum geht's doch gar nicht. Ich will denen doch nicht vorschreiben, wie sie zu protestieren haben.


    wie sie protestieren, sondern wie die Agenda aussieht, mit der sie vorgehen. Ich hab keinen Plan, ob es da intern eine langfristige Strategie gibt (nicht, dass wir die Zeit hätten). Aber Mitsch hat da ja ggf. mehr Erkenntnisse zu. Selbst die Frau bei Lanz hat doch eingefordert, dass erstmal Tempolimit 100 eingeführt wird, und sie dann sogar aufhören zu protestieren.Empfindest du das nicht als Indiz dafür, dass die eben genau diese Strategie des "Verzichtzündelns" betreiben wollen? Als wäre es ihnen nicht völlig klar, dass diese Schritte viiiiiel zu wenig sind. Sie sind aber politisch schnell und einfach umsetzbar und dienen als (dämliches, aber vielleicht sogar effektives) Symbol. Ich hab den Schwachsinn nicht studiert und natürlich kommt immer alles anders, aber in meiner Logik klingt das so, dass erstmal auch nur ansatzweise kleine Erfolge verbucht werden sollen durch die Protestbewegung. Diese gewinnen dadurch dann eine völlig andere Eigendynamik und Legitimität bei Oma Erna und Opa Enno - die Nichtvereinbarkeit von grünen Wachstum im Kapitalismus versus Klimawandel kann dann auch zum späteren Zeitpunkt auf den Tisch gelegt werden und wird dann gnadenlos abgefrühstückt. Keine Ahnung ob's für einen angeklebten Lanz am Marterpfahl reicht, aber man wird ja noch träumen dürfen.


    Jetzt könntest du einfach sagen: "Quatsch, so wird das niemals funktionieren!" oder "Hmmja, mag sein, keine Ahnung" oder "Scheiße, wo ist mein Haustürschlüssel". In der Sache "Bekämpfung des Klimawandels ist unvereinbar mit Kapitalismus" sind wir uns einig.

  • Selbst die Frau bei Lanz hat doch eingefordert, dass erstmal Tempolimit 100 eingeführt wird, und sie dann sogar aufhören zu protestieren.Empfindest du das nicht als Indiz dafür, dass die eben genau diese Strategie des "Verzichtzündelns" betreiben wollen?

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was Du mit "Verzichtzündeln" meinst, aber das Stichwort "Verzicht" ist natürlich ganz maßgebend für diese Debatte, weil nicht nur Erna und Otto, sondern auch die meisten anderen von uns besorgten BürgerInnen in der freien Welt letztendlich die Angst davor umtreibt, auf alle möglichen Waren, und damit auf einen Teil unseres (im Vergleich zum rest der Welt!) mehr oder weniger hohen Lebensstandards verzichten zu müssen, wenn die kapitalistische Verwertungsmaschine ins Stocken gerät, oder wenn sie gar - wie Frau Herrmann oder die Degrowther es fordern - schrumpfen muss.


    "Verzicht" ist deshalb auch schon immer das große Druckmittel sämtlicher GegnerInnen antikapitalistischer Umtriebe, um die breite Masse gegen linke "Extremisten" in Stellung zu bringen. Dass kann man derzeit gerade live an der von oben initiierten Neiddebatte um das "Bürgergeld" oder um die Erbschaftssteuer beobachten, und es ist den VerteidigerInnen von Arbeitsmarkt und Privateigentum kein Argument zu abgedroschen und zu schäbig, um die Verlustangst der bürgerlcihen Mitte für die Interessen des Kapitals zu vereinnahmen. (Das Buch und die Vorträge von Ulrike Herrman über den Selbstbetrug der Mitteslchicht sind da wirklich aufschlussreich - auch wenn sie sich selbst gar nicht als Kapitalismuskritikerin sieht.)


    Das Problem ist, dass solche Forderungen wie das Tempolimit auf der Autobahn nur funktionieren, wenn der Staat sie per Staatsgewalt nicht nur gegen den Willen des Herrn Diess von VW und des deutschen Autokartells, sondern auch gegen den eines großen Teils der Bevölkerung durchsetzt, und letztere also zum "Verzicht" auf das liebgewonnene bürgerliche "Recht" zwingt, mit 250 PS und 220 km/h durch die deutsche Landschaft zu brettern.

    Die Letzte Generation, FFF oder Maja Göpel und ihre Scientists for Future setzen auf die politische Staatsführung, um ihren eigenen Willen zu mehr Klimaschutz und "Generationengerechtigkeit" durchzusetzen. Das haben sie mit Angela Merkel, Peter Altmayer und dem Scheuer Andi schon genauso erfolgslos versucht, wie sie es jetzt mit CumEX-Olaf, Fracking-Robert und Herrn Wissing vom "liberalen" politischen Arm der deutschen Autoindustrie tun.


    Der ganze Widerstand gegen staatliche Bevormundung, der sich in der Pandemie dann bei den Querdenkern entladen hat, und nicht nur vom rechten Rand, sondern auch von "liberalen" und konseravtiven PolitikerInnen und Medien geschürt wurde, ist wiederum der Angstmotor, der die politische Führung davon abhält, solche "Zumutungen" durchzusetzen. Selbst die Berufung auf höhere Gewalt, wie Corona oder der Endkampf gegen das Böse im Osten, eignet sich nur bedingt dazu, der Bevölkerung unbeliebte Maßnahmen aufzuzwingen, die deren Selbstverständnis als freie BürgerInnen in einer liberalen Demokratie in Frage stellen, weil damit natürlich auch das Selbstverständnis der politischen Führung als Bewahrerin derselben in Frage gestellt wird.


    Die gewählten politischen RepräsentantInnen des Volkswillens müssen also immerzu eine Gratwanderung zwischen mächtigen Kapitalinteressen auf der einen, und den Erwartungen des Wahlvolkes an die Aufrechterhaltung seiner Konsumfreiheit - also seiner Kaufkraft - auf der anderen Seite vollführen, und der einzige gemeinsame Nenner, der diese Interessen in der kapitalistischen Volkswirtschaft unter einen Hut bringen kann, ist die Vereinigung des Saatsvolkes mit dem Kapital hinter das Ziel, die nationale Volkswirtschaft international Wettbewerbsfähig zu halten und ihr Wachtsum voran zu treiben, damit der Kuchen insgesamt größer wird, und somit trotz steigender Kosten die kleinen Krümelchen nicht kleiner werden, mit denen sich die arbeitende Bevökerug ernähren und ihren eigenen bescheidenen Wohlstand finanzieren kann.


    Der Klimawandel ist aber - nach allen heutigen Erkenntnissen - eine höhere Gewalt, die genau aufgrund dieses Wachstums immer gewaltiger wird. Die politischen RepräsentantInnen sind in einer zwickmühle gefangen: Sie müssten zwar eigentlich das Wachstum ankurbeln, um den Wohlstand für alle zu sichern und das Kapital davon abzuhalten, sich in andere Volkswirtschaften zu investieren, aber wenn sie das tun, wird die immer akuter werdende Klimakatastrophe immer schneller immer mehr Kosten verursachen, die sich nicht mehr durch weiteres Wachstum kompensieren lassen.


    Der einzge Weg, diesen Widerspruch aufzulösen ist es, den Wachstumszwang zu eliminieren. Und dabei kann man sich nicht auf den Staat verlassen, weil der Staat kein anderes Mittel als staatlich gefördertes Wachstum kennt, um irgendwas zu bewegen, ohne dabei massiv in die bürgerlichen Freiheiten der Staatsbevölkerung einzugreifen, und weil keine politische Führung, die sich auf die Fahnen schreibt, eine liberale Deomkatie zu führen, solche Eingriffe vornehmen kann, ohne sich dabei in den Augen ihrer auf diesen Freiheitsgedanken abgerichteten WählerInnen in ein totalitäres Regime zu verwandeln.


    Auch das Kapital will natürlich kein totalitäres Regime haben, das ihm in sein Geschäft hinein pfuscht, aber Es wird sich im Fall der Fälle immer auf die Seite politischer FührerInnen stellen, denen das nationale Wachstum und der ungehinderte Fortgang der Kapitalakkumulation wichtiger ist, als der Wohlstand, die individuellen Freiheiten und die Menschenrechte der arbeitenden Bevölkerung. Das kann man in den USA sehr gut beobachten.


    Deshalb muss eine linke Bewegung, die noch in irgendeiner Form daran interessiert ist, die Errichtung eines tatsächlichen totalitären Regimes zu verhindern die breite Masse immer wieder und unablässig über diese dem Kapitalismus von Anfang an eingeschriebenen Widersprüche aufklären. Daran führt kein Weg vorbei. So lange in den Köpfen der StaatsbürgerInnen das Wachstum der nationalen Wirtschaft mit dem Erhalt des eigenen privaten Wohlstandes und der uneingeschränkte Warenkonsum mit der eigenen individuellen Freiheit verknüpft ist, werden sie sich im Zweifel auf die Seite des Kapitals und jener politischen Führer schlagen, die ihnen versprechen, genau diese Freiheit gegen alle Widerstände zu verteidigen - Kilmawandel hin oder her.

    Ich denke mit dem Kapieren des Problems gibt es eher weniger Schwierigkeiten.

    Aber solange es nicht mal einen Grob skizzierten einigermaßen gerechten Plan gibt wie man aus dem System Kapitalismus aussteigen will werden die Massen nicht aussteigen. Ist wie bei der Verkehrswende,

    Die Frage ist, wer macht diesen Plan? Machen das die PolitikerInnen, oder die Chefvolkswirte der Konzerne? Die Gewerkschaften, die sich - wie gerade erst die IG-Metall - für das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit lieber auf Reallohnkürzungen einlassen, als wenigstens einen Inflationsausgleich zu fordern? Wo kommt der Wille zum Ausstieg aus dem System her? Soll der von oben kommen und dann als fertiges Konzept über eine Bevölkerung gebracht werden, die sich mit dem tatsächlichen "kapieren des Problems" jenseits von "die da Oben verarschen uns und tun nichts für den kleinen Mann" noch nie wirklich auseinander gesetzt hat?


    Es steht den Aktivistinnn natürlich völlig frei, auch noch die nächsten fünfzig Jahre und mit der nächsten "letzten Generation" weiter gegen Windmüheln anzureiten und vom kapitalistischen Staat zu verlangen, dass er die systemischen Widersprüche des Kapitalismus für sie auflöst.

    Aber Linke (und damit meine ich nicht diese dem Untergang geweihte links-sozialdemokratische Partei) müsen der Arbeiterklasse Klasse der Lohnabhängig Beschäftigten klar machen, dass diese viel beschworene #Freiheit gar keine ist, sondern nur ein Hashtag, den die herrschende Ideologie auf ihre Knechtschaft unter einen Warenfetisch geklebt hat, der ihre eigene Arbeitskraft zur Ware und sie selbst, samt der von ihnen gewählten politischen Fürhung, vollkommen von der Klasse der KapitaleigentümerInnen und deren systemischem Zwang zur Kapitalakkumulation abhängig macht.


    Erst wenn man das begreift, dann begreift man auch, dass der "Verzicht" auf Waren und auf das Recht zu schrankenlosem Warenkonusm nicht den Verzicht auf tatsächliche Freiheit bedeutet, und dass gesellschaftlicher Wohlstand nicht in Konzernzentralen, nicht auf Parteitagen und nicht in Kabinettssitzungen geschaffen, und dann großmütig nach unten umverteilt, sondern dass er von den arbeitenden Menschen selbst gemacht wird, und dass eine tatsächliche Demokratie, in der "die da Oben" den kleinen Mann und die kleine Frau nicht mehr verarschen können, nur dann stattfinden kann wenn man "denen da oben" die Mittel zur Wohlstandsproduktion weg nimmt und es den eigentlichen ProduzentInnen ermöglicht, tatsächlich demokratisch darüber zu entscheiden, was mit ihnen produziert wird.

  • Es ist nunmal keine Option eine fertige Lösung vorzulegen. Das würde die Bewegung schwächen.


    Das einzige was man machen kann und was Klimaaktivisten tun ist das Thema in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Dazu gehören auch die bitteren Wahrheiten, wie z.B. dass das Mass der Verschwendung in unserer Gesellschaft sicher nicht aufrechtzuerhalten ist. Weiter so wie bisher ist eben keine Option. Das wird irgendwann allen klar werden, die Frage ist nur wann.


    Der Kaiser ist Nackt!


    Aber wer das sagt ist natürlich "Dumm". Das ist die Strategie der "listigen Schneider" ("Ökonomen") . Jeder der meint der Kaiser ist Nackt ist eben zu dumm die Kleider zu sehen. (Siehe Ralf Fücks "Flat Earther" Vorwurf, und ja der regt mich immernoch so richtig auf).


    Das ändert nichts daran dass der Kaiser Nackt ist und dass es gut ist das immer wieder mit allen Mitteln allen aufzuzeigen.


    Übrigens: Als das Kind ruft, der "Kaiser ist Nackt", fangen Kaiser und Hofstaat im Märchen ja nicht hektisch an Kleider zu organisieren, sondern tun so als wäre nichts passiert.


    In dieser Phase sind wir jetzt. Das Kind hat laut gerufen "Der Kaiser ist Nackt" aber der "Hofstaat" tut so als wäre nichts geschehen und macht weiter wie bisher.


    Wahrscheinlich muss der Hofstaat weg damit sich was ändert?

    Möglicherweise aber sollte man damit anfangen die listigen Schneider vom Hof zu jagen. Zeit wärs.


    Zitat


    "Aber er hat ja gar nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muß ich aushalten.' Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

  • Wahrscheinlich muss der Hofstaat weg damit sich was ändert?

    Möglicherweise aber sollte man damit anfangen die listigen Schneider vom Hof zu jagen. Zeit wärs.

    Hat man bei Anne Will gestern wieder schön vorgeführt bekommen. Wenn diese widerlichen häßlichen nackten Menschen nicht bald zum Teufel gejagt werden, sehe ich nicht, wie es ohne massive weitere Radikalisierung auch nur eine Chance geben kann.

  • Zitat von Ingo Schulze (Schluss)

    Wir sind der Souverän, im Märchen also der Kaiser, der so naiv, leichtgläubig und eitel war, dass er Geld und Gold und Seide den Betrügern schenkte und einen Orden dazu, der aber in seinen neuen Kleidern nicht glücklich werden kann.

    Der Schock der Selbsterkenntnis könnte dazu führen, dass der Souverän zukünftig bei der Wahl seiner Garderobe kritischer wird, dass er darauf achtet, was ihn wirklich kleidet. Und vielleicht sitzt der Schreck so tief, dass er sich fortan auch um seine Soldaten und das Theater kümmert und in den Rat geht. Viel liegt ihm daran, zum Patenonkel des kleinen Kindes zu werden und dessen Vater beruft er zu seinem Berater. Die beiden Betrüger werden gefangengenommen und in die Stadt zurückgebracht, wo ihnen ein triumphaler Empfang zu Teil wird. Der Kaiser, der sich ein letztes Mal in Unterwäsche zeigt, und die Kammerherren, die sich ein letztes Mal nach der nicht vorhandenen Schleppe bücken, beglückwünschen die Betrüger zu ihrem Bubenstück.

    Als Lohn wird ihnen die Intendanz des Theaters angetragen – doch für diese Entscheidung

    erbitten sie sich Bedenkzeit.

  • Bzgl. der ganzen Bewusstseinskritiker hier:


    Bewusstseinskritik statt Gesellschaftskritik?


    Der Bewusstseinskritiker bildet sich ... ein, dass seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewusstsein zu verändern, dies veränderte Bewusstsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderte Menschen, die nun auch natürlich ein anderes Bewusstsein haben, nichts anderes, als ein verändertes Bewusstsein. ... Diese ganze Trennung des Bewusstseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen ... ist nur eine alte Philosophenmarotte. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 232f.


    Die Forderung das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d. h. es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 20.


    Es ist die alte Illusion, dass es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern ... Die Veränderung des Bewusstseins, abgetrennt von den Verhältnissen, wie sie von den Philosophen als Beruf, d. h. als Geschäft, betrieben wird, ist selbst ein Produkt der bestehenden Verhältnisse und gehört mit zu ihnen. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 363.


    Theoretisch betrachtet reichte die Auflösung einer bestimmten Bewusstseinsform hin, um eine ganze Epoche zu töten. Tatsächlichentspricht diese Schranke des Bewusstseins einem bestimmten Grad der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte und daher des Reichtums. K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 439.


    Die wirkliche, praktische Auflösung dieser Phrasen, die Beseitigung dieser falschen Vorstellungen aus dem Bewusstsein der Menschen wird, wie schon gesagt, durch veränderte Umstände, nicht durch theoretische Deduktionen bewerkstelligt.

    K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 40.



    Dass ist das, was ich die ganze Zeit sage. Es reicht nicht einfach nur das Bewusstsein der Leute ändern zu wollen (Kapitalismus böse), man muss die Verhältnisse in denen Menschen leben kritisieren und an ihren Lebensrealitäten ansetzen, d. h. das System in dem die Menschen leben kritisieren. Verengung auf das Individuum und Aussagen wie "die Menschen wollen ja den Kapitalismus weil xy" bringen uns nicht weiter, wenn das Bewusstsein ein Resultat des Systems ist (ökonomie, politisches system, system der medien ect.). Es ist ja gerade eine nur bürgerliche und einseitige Form von Kritik das Denken der Menschen isoliert von ihren Verhältnissen in denen sie leben zu betrachten.

  • Ich stelle bei mir selbst, aber auch anderen Bekannten in den letzten Tagen fest, dass die Sympathien sich etwas zugunsten der letzten Generation verschieben. Die Aktionen find ich immernoch kacke, aber CDU und vor allem CSU mit ihrer völlig maßlosen und überzogenen Kritik (Klima-RAF) und Präventivhaft, die schaffen es dass man trotz Ablehnung der Aktionen doch Partei für die Letze Generation ergreift. Irgendwie ein Treppenwitz.

  • Dass ist das, was ich die ganze Zeit sage. Es reicht nicht einfach nur das Bewusstsein der Leute ändern zu wollen (Kapitalismus böse), man muss die Verhältnisse in denen Menschen leben kritisieren und an ihren Lebensrealitäten ansetzen, d. h. das System in dem die Menschen leben kritisieren.

    Ja genau, Captain Obvious. Die ganzen Zitate hast Du schön aus dem Marx Forum abgeschrieben.


    Genau das muss man machen, damit die Leute verstehen, dass ihre Lebensrealitäten von diesem System geprägt sind und nicht von Naturgesetzen.


    Wer hat hier etwas anderes behauptet?


    Was überhaupt nichts bringt, ist den Leuten einfach zu sagen, hier guckt mal, so müsst ihr die materiellen Verhältnisse verändern. Ob ihr versteht warum ist erst mal egal, das neue Bewusstsein kommt dann schon von ganz alleine.


    Wer setzt das durch? Warum sollen die Arbeiter darauf hören, wenn sie doch von kindesbeinen an eingebläut bekommen haben, dass es zu den herrschenden Verhältnissen keine Alternative geben kann, außer einem totalitären Staat, der ihnen das "richtige " Bewusstein aufzwingt und sie ins Gulag wirft oder erschiesst, wenn ihnen das nicht passt?


    Was glaubst Du, Herr Geschichtsprofessor, warum Marx diese dicken Bücher geschrieben und mit Engels zusammen ein Manifest für die kommunistische Partei verfasst hat?

  • A propos Marx:


    [...] Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen "bürgerliche Gesellschaft" zusammenfaßt, daß aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei.


    Die Erforschung der letztern [...] kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.


    Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten.


    Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten.


    Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. [...]

    _______________________________________________

    Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie - Vorwort, 1858-59


    Marx hat sein ganzes Lebenswerk der Erklärung jener Widersprüche gewidmet. Er hat 40 Jahre lang nichts anderes getan, als sie zu erklären und anderen, nicht minder gebildeten und belesenen Sozialisten zu widersprechen, die sie seiner Ansicht nach falsch erklärten oder nicht richtig verstanden hatten.


    Wären er und Friedrich Engels der Ansicht gewesen, dass die Arbeiterklasse Klasse der lohnabhängig Beschäftigten sich dieser Widersprüche bereits in einem ausreichenden Maße bewusst gewesen seien, um die herrschenden kapitalistsichen Produktionsverhältnisse umzuwerfen, und die von ihm und Engels im kommunistsichen Manifest zehn Jahre zuvor noch als "historische Notwendigkeit" postulierte "Diktatur des Proletariats" zu errichten, dann hätte er sich diese ganze mühevolle Arbeit auch sparen können.


    Einer von Marx größten Fehlern war es, diese "historische Notwendigkeit" wie einen Selbstläufer zu behandeln, der sich aus der "Entwicklung der Produktivkräfte" - also aus der Ausbildung einer hoch arbeitsteiligen, maschinellen, und durch massenhaften Einsatz von Arbeitskräften quasi bereits vergesellschafteten Produktionsweise - ergeben müsse, sobald diese Widersprüche für das ausgebeutete Proletariat so offen zu Tage träten, dass es von sich aus die Macht über die gesellschaftlichen Produktionsmittel ergreifen, und schliessich die Klassengesellschaft selbst abschaffen werde.

    180 Jahre später ist das allerdings immer noch nicht passiert. Dort wo die Revolution stattfand und nicht umgehend von außen brutal niedergeschlagen wurde, schlug sie meist umgehend in die Diktaur kommunistischer Parteien um, die dem Proletariat fortan diktierten, wie die Produktivkräfte zu entwickeln seien und welches Bewusstsein zu herrschen habe.


    In heutigen spätkapitalistischen Gesellschaften des freien Westens ist die Klasse der Lohnabhängigen dem Klassenbewusstsein vollkommen fern. Das tatsächlich nicht nur ökonomisch sondern auch moralisch "ausgebeutete" Prekariat ist politisch völlig unbedeutend und hat sich entsprechend vom politischen Diskurs abgewendet. Dominiert wird der gesellschaftliche Diskursraum von einer bürgerlichen Mitte, die dem was Marx als "Kleinbürgertum" bezeichnete weitaus ähnlicher ist, als einer tatsächlichen "Arbeiterklasse".


    [...] Es sind die Repräsentanten des Kleinbürgertums, die sich anmelden, voll Angst, das Proletariat, durch seine revolutionäre Lage gedrängt, möge zu weit gehen. Statt entschiedener politischer Opposition allgemeine Vermittlung; statt des Kampfs gegen Regierung und Bourgeoisie der Versuch sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstands gegen Misshandlungen von oben demütige Unterwerfung und das Zugeständnis, man habe die Strafe verdient. Alle historisch notwendigen Konflikte werden umgedeutet in Missverständnisse und alle Diskussion beendigt mit der Beteuerung: in der Hauptsache sind wir ja alle einig ...; der Sturz der kapitalistischen Ordnung (liegt) in unerreichbarer Ferne, hat also absolut keine Bedeutung für die politische Praxis der Gegenwart [...]

    _______________________________________

    K. Marx/F. Engels, Rundschreiben an die SPD-Führung, MEW 19, 163. (zitiert nach Marx Forum)


    Damals waren damit vor allem kleine Selbständige, Handwerker und Bauern gemeint. Heute ist der "Kleinbürger" aber auch ein Arbeiter oder Angestellter, der sich selbst nicht als Teil der Arbeiterklasse sieht, und sein eigenes bescheidenes Eigentum, z.B. seine kapitalgedeckte Altersvorsorge, sein Eigenheim, seine vermietete Eigentumswohnung, oder einfach nur sein teures Kraftfahrzeug, das er auf Kredit gekauft hat, gegen gefährliche "Linksextremisten" verteidigt, vor deren Enteignungswut und Freiheitsfeindlichkeit man ihm schon in der Schule eine fürchterliche Angst eingejagt hat. Damit macht er sich unweigerlich, und durchaus unfreiwillig, zum Komplizen des Großbürgertums, der "Bourgeoisie", der kapitalistischen Klasse, und verteidigt sie und ihr Recht auf Eigentum eisern gegen linke Kritik, obwohl deren Interessen als Kapitalisten seinem eigenen Interesse als Arbeitnehmer eigentlich widersprechen.


    Die herrschende Ideologie - also das, was oben im Zitat als "politischer und juristischer Überbau" der materiellen, ökonomische Basis der kapitalistischen Produktionsweise bezeichnet wird, und die "ideologische[n] Formen" prägt, womit sich die heutige bürgerliche Gesellschaft über ihre inneren Widersprüche auseinandersetzt, hat im neoliberalen Spätkapitalismus des 21. Jahrhunderts eine geistige Verbürgerlichung zur Folge, die genau diesen Widerspruch verschleiert und verwischt.


    Wenn der Bundeskanzler von einer "konzertierten Aktion" spricht, um die Krise zu meistern, und die Gewerkschaften sich ihm anschliessen, oder wenn der Bundespräsdident die Bevölkerung zu der gemeinsamen Anstrengung aufruft, in schweren Zeiten zusammenzustehen und das Wohl des ganzen Staatsvolkes vor die eigenen kleinlichen Interessen und Bedürfnisse zu stellen und "links"liberale BürgerInnen ihm Beifall spenden, dann ist das ein Ausdruck dieser herrschenden Ideologie.

    Dann wird einfach behauptet, es gäbe gar keinen Widerspruch zwischen den Interessen des Kapitals und jenen der von ihm abhängigen LohnarbeiterInnen. Dann werden Kapital und Arbeit zur gemeinsamen Aufgabe vereinnahmt, das Staatswohl zu sichern und den Staat als dessen übergeordneter Garant zu stützen, auf dass es allen wohlergehe. Dann wird verschleiert, dass der Staat ein Instrument zur Sicherung der herrschenden Verhältnisse ist, und dass die Herrschaft über die materiellen, ökonomischen Grundlagen derselben, über die Mittel zur Produktion des nationalen Wohlstandes und zur großvolumigen Emmission von Treibhausgasen nicht in der Hand von demokratischen Repräsentantinnen liegt, sondern dass sie sich im Privateigentum von KapitalanlegerInnen befindet.


    Und wenn KlimaktivistInnen auf der Autobahnauffahrt und kritische WissenschaftlerInnen im Fernsehstudio an den guten Willen einer politischen Staatsführung appelieren, die genau diese scheinbare(!) Auflösung des Klassenwiderspruches zu ihrem politischen Geschäft macht, dann betreiben sie unweigerlich die Verteidigung einer Staatsideologie, die das ökonomische Geschäft des Kapitals für Alternativlos hält und gegen jeden Widerstand verteidigt.


    Und diesen Widerspruch kann man nicht einfach ignorieren und hoffen, dass er sich - quasi als "historische Notwendigkeit" - schon irgendwie von alleine auflösen wird. Man muss ihn benennen und seine Ursache erklären.

  • https://verfassungsblog.de/feindbild-klimaaktivismus/

    Zitat

    Der reflexartige Ruf nach (härteren) Strafe(n) ist symptomatisch für einen Politikbetrieb, in dem gesellschaftliche Konflikte an den eigentlichen, inhaltlichen Problemen vorbei verhandelt werden. [...]

    Indem die Strafbarkeit von Klima-Aktivist*innen und die Einführung neuer Strafvorschriften für diese Personengruppe gefordert wird, wird ein Feindbild konstruiert – dasjenige der bösen Straftäter*innen. Die mit dem Protest adressierten inhaltlichen Fragen zum Klimaschutz, die zwischen Staat, Öffentlichkeit und anderen gesellschaftlichen Institutionen ausgehandelt werden müssten, treten nun erst einmal in den Hintergrund: Wer Straftäter*in ist, hat seine Teilnahme am Diskurs verwirkt. Aus der Perspektive des Strafrechts sind derartige Formen zivilen Ungehorsams, die naturgemäß mit Regelbrüchen einhergehen, dann „kein Spaß mehr“, wie Söder es ausdrückt. Anstatt einer konstruktiven, gemeinsamen Lösung den Weg zu ebnen, bewirkt das Strafrecht damit eine Spaltung zwischen den Klima-Delinquenten und den anderen, uns, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Die Definitionsmacht über die Legitimationsgrenzen solcher Protestformen wird damit der stark vereinfachenden, binären Logik „strafbar/straflos“ unterworfen. Der inhaltlichen Auseinandersetzung wird eine Kategorie vorgeschaltet, die eine Tabuisierung weiterer Auseinandersetzung mit den Fernzielen der delinquenten Klima-Aktivist*innen bewirkt. [...]

    Zitat

    Tatsächlich geht es den Klima-Aktivist*innen nicht um den Regelbruch als solchem, der in einer Sitzblockade – Nötigung gem. § 240 StGB – oder in dem Bewerfen von Kunstwerken mit Kartoffelbrei – gemeinschädliche Sachbeschädigung gem. § 304 StGB – liegt. Der Regelbruch ist nur Mittel zum Zweck, er hat eine symbolische Bedeutung und verweist auf Anliegen des Klimaschutzes oder, worauf Samira Akbarian im Verfassungsblog scharfsinnig hingewiesen hat, spielt mit der in einer Demokratie „ebenso machtvolle[n] wie auch knappe[n] Ressource“ der Aufmerksamkeit. Wenn man sich diese Zielsetzung vergegenwärtigt, dann sind Strafverschärfungen aber nicht nur sinnlos, sondern stellen sich auch als gefährliches Kräftemessen zwischen Staat und Aktivist*innen dar. Denn Strafverschärfungen würden die Symbolkraft des Regelbruchs nur noch weiter stärken. [...]



    https://verfassungsblog.de/nicht-in-ordnung/

    Zitat

    [...]

    Im evangelisch-heidnischen Berlin gibt es keinen Karneval, da muss jede*r selber zusehen, wie er mit seiner Vereinzelung zurecht kommt, und ich stehe stumm und unverkleidet vor meinem Bücherregal und halte ein Büchlein in den Händen, dessen Existenz ich schon ganz vergessen hatte: „Protest!“ steht drauf, und: „Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt.“ Geschrieben hat es Srdja Popovic, der serbische Aktivist und Mitgründer von OTPOR, der gewaltlosen Widerstandsgruppe, die mit humorvollen und spielerischen Methoden den Diktator und Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic stürzte und damit für die Demokratiebewegungen von Kairo bis Kiew zum Vorbild wurde. Provoziert die Machthaber, sich lächerlich zu machen, sich zu exponieren als die Wenigen, Dummen, Brutalen, so das Rezept, im Kontrast zu den Vielen, Coolen, Lustigen, also: euch! Das halten die nicht lange aus. „Mit Lachen zum Sieg“ lautet eine Kapitelüberschrift. Das Buch ist von 2015, ein Dokument einer versunkenen Epoche. Heute herrscht in Belgrad wie in Kairo wieder bleiernster Autoritarismus-Aschermittwoch, von Aleppo ganz zu schweigen, in Hongkong macht niemand mehr einen Mucks, Teheran bereitet zur Stunde Massenhinrichtungen vor, und Kiew ist im Krieg. [...]

    Zitat

    Der Spaß hat längst aufgehört, darin sind sich die Protestierenden und Markus Söder ausnahmsweise völlig einig. Einzelne sind es, die sich mit grimmiger Miene an Autobahnen und Gemälderahmen festkleben, während die Vielen, Coolen, Lustigen im Stau stehen und sich fragen, was das soll. Der Widerspruch derer, die da kleben, lässt sich nicht in Rausch und Gelächter auflösen, sondern steht da, mitten in unseren Städten, todernst und unversöhnlich. Er steht im Widerspruch zur Rechtsordnung, das ist der ganze Punkt, daraus bezieht ihr Protest ja seine Kraft. Er macht sich strafbar, bewusst und gezielt, lässt sich verhaften, in Gewahrsam nehmen, verurteilen. Das wissen die Protestierenden, das bestreiten sie gar nicht, das nehmen sie in Kauf. Das ist es, womit die Rechtsordnung ganz fundamental nicht zurecht kommt. [...]

    Zitat

    Schwerere Strafen müssen her, „Strafen, die wirksam sind“ (Söder), i.e. den Widerspruch so teuer machen, dass er verschwindet. Ob und zu welchem Preis eine solche Eskalation überhaupt erfolgreich sein kann, kann aber keiner sagen.

    So bleibt er also stehen, der Widerspruch, und treibt die Bewahrer der Ordnung schier in den Wahnsinn. Wo kommen wir denn da hin? Ist das nicht irgendwie verfassungsfeindlich? CSU-Landesgruppenchef Dobrindt wähnt in den Protestierenden eine entstehende „Klima-RAF“ zu erkennen. In Spanien und UK werden berichtende Journalist*innen am Ort des Protests gleich mitverhaftet, als sei ihr Beitrag, dem Protest zu öffentlicher Sichtbarkeit zu verhelfen, schon gefährlich. Den Verdacht, es sei nicht nur rechtlich, sondern auch demokratisch anrüchig, was die Protestierenden da treiben, findet man auch in der deutschen konservativen Presse. [...]


    !!!

    Zitat

    Wenn euch der Klimaschutz nicht schnell genug geht, dann versucht halt eine Mehrheit davon zu überzeugen, die Regeln entsprechend zu ändern. Dafür sind wir doch eine Demokratie.

    Was aber, wenn es tatsächlich ein Demokratieproblem ist, auf das dieser Widerspruch zeigt? Jede Stimme zählt gleich in einer Demokratie. Aber der Klimawandel betrifft nicht alle gleich. Um ihn abzuwenden, muss zu einem Zeitpunkt gehandelt werden, wo die Mehrheit noch aus ganz anderen Menschen besteht als zu dem Zeitpunkt seines Eintretens. [...]



    https://verfassungsblog.de/kli…echtfertigender-notstand/

    Zitat

    Mit dem Freispruch eines Klimaaktivisten vor dem Amtsgericht Flensburg hat die Diskussion um die Strafbarkeit bestimmter Formen des Klimaaktivismus einen neuen Höhepunkt erreicht. Erstmals wurde angenommen, dass ein sog. rechtfertigender Notstand vorliegt und der Hausfriedensbruch eines Baumbesetzers damit gerechtfertigt war. Die Bejahung des § 34 StGB, der bislang zur Rechtfertigung zivilen Ungehorsams teils vehement abgelehnt wurde, eröffnet eine neue strafrechtliche Perspektive auf den Klimaaktivismus – und erfordert dabei, auch neue, ungewohnte Blickwinkel zuzulassen.

    [...]

    Abschließend bleibt zu sagen: Das Urteil ist bisher ein juristisches Einhorn und die Entscheidung der nächsten Instanz kann mit Spannung erwartet werden. Zu hoffen ist in jedem Fall auf eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Klimawandel als Notstandslage, der Interessenabwägung und der Reichweite des staatlichen Gewaltenmonopols im Rahmen des so dringenden Klimaschutzes. Das Echo in Politik und Rechtswissenschaft wird in jedem Fall erheblich sein.


    Zitat

    Individuelles Handeln muss grundsätzlich hinter dem staatlichen Gewaltmonopol subsidiär zurücktreten.10) Doch greift dieser Grundsatz immer? [...]

    Kann also der Vorrang staatlichen Handelns auch dann gelten, wenn nur irgendein staatliches Handeln im Raum steht, aber kein ausreichendes? An dieser Stelle sei auf ein Urteil des OLG Naumburg aus dem Jahr 201812) verwiesen, in welchem der Vorrang staatlichen Handelns vor individuellem Einschreiten in einem Tierschutzfall (die Angeklagten drangen in eine Schweinezuchtanlage ein, um die tierschutzgesetzwidrigen Zustände zu dokumentieren) abgelehnt wurde, weil ein systematisches Behördenversagen vorlag. Staatliche Institutionen einzuschalten sei „von vornherein aussichtslos“ und damit keine vorzuziehende Alternative gewesen. Auch im Bereich des Klimaschutzes lassen sich ähnliche Erwägungen jedenfalls diskutieren, denn staatliche Klimaschutzmaßnahmen sind nicht nur evident unzureichend; sie sind dies auch schon über einen so langen Zeitraum hinweg, dass mit dem OLG Naumburg von einem systemischen Problem ausgegangen werden könnte.

    Zitat

    Kein milderes Mittel kann zudem ein Aktivismus ohne Ungehorsam darstellen. Der Rechtsbruch fungiert gerade als Katalysator für Aufmerksamkeit und Provokation: Ohne Gesetzesverletzung wäre der Klimaaktivismus als geeignetes Mittel zur Gefahrabwendung konterkariert.

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    Angemerkt sei an dieser Stelle aber noch die grundsätzliche Legalität der (meisten) klimaschädlichen Handlungen. [...]

    Grundsätzlich trifft der Klimaaktivismus also auf demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidungen (etwa Straßenbau oder die grundsätzliche Zulässigkeit von Autofahren) und muss sich zunächst den Vorwurf gefallen lassen, er versuche demokratische Prinzipien wie das Mehrheitsprinzip15) auszuhebeln. Allerdings leistet hier ein Perspektivenwechsel Abhilfe: Der Prozess einer demokratischen Mehrheitsentscheidung wird mehr anerkannt als negiert, wenn mittels zivilen Ungehorsams Aufmerksamkeit erregt und die Mehrheit der Bevölkerung und Politiker:innen beeinflusst werden soll.16) Ziviler Ungehorsam zielt gerade darauf ab, sich demokratische Prozesse zu eigen zu machen und einen neuen Mehrheitskonsens zu finden bzw. auf die Umsetzung bestehender Mehrheitsentscheidungen zu drängen.

  • https://verfassungsblog.de/gew…tasien-und-gewaltmonopol/

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    Auf Welt.de ist vor kurzem ein Stück Service-Journalismus der besonderen Art erschienen. Der Redakteur Constantin van Lijnden hat die „Rechte der ausgebremsten Bürger“ zusammengetragen. Was kann man tun gegen die Störenfriede der Letzten Generation, die sich fortwährend auf Straßen festkleben, um auf ihre Forderungen („Tempolimit von 100km/h auf Autobahnen und die Einführung eines 9-Euro-Tickets“) aufmerksam zu machen? Der Staat, jedenfalls in Berlin, leider nur wenig, so der Tenor. Dabei wird der Evergreen tendenziös-inkompetenter Kriminalberichterstattung gleich im ersten Satz des Berichts untergebracht: Die Angabe der absoluten Höhe der Geldstrafe anstatt der Berechnungsfaktoren Anzahl der Tagessätze und Tagessatzhöhe. Der Leser erfährt „die bislang verhängten meist dreistelligen Geldstrafen reichen offensichtlich nicht aus, um die Aktivisten von weiteren Aktionen abzuhalten“. Was der Leser nicht erfährt, ist dass sich die Angabe der absoluten Höhe von Geldstrafen zwar für das Schüren von Stimmungen eignet, nicht aber für seriösen Journalismus; ein solcher gibt jedenfalls die Anzahl der Tagessätze gemäß § 40 StGB an, denn nur anhand dieser lässt sich die Schwere des Schuldvorwurfs erkennen.

    Zitat

    Während im gelobten Lande Bayern die Störer kurzerhand bis zu 30 Tage (verlängerbar um weitere 30 Tage) in Präventivhaft gesteckt werden können (und auch werden), um weitere Klebe-Proteste zu verhindern, ist die Lage in Berlin anders: Maximal 48 Stunden Präventivhaft erlaubt das Berliner Polizeigesetz und nicht einmal die werden ausgenutzt.

    Dies dürfte dazu beitragen, dass Berlin „sich zum Epizentrum entsprechender Aktionen entwickelt hat“, resümiert der Artikel – und präsentiert unmittelbar im Anschluss das schneidige deutsche Notwehrrecht als Ausgang des im Stau stehenden Menschen aus seiner unverschuldeten Unbeweglichkeit, denn: „Die im Stau festsitzenden Bürger können sich allerdings auch selber helfen“.


    Zitat

    Jedenfalls mit Bezug auf die körperlichen Angriffe ist statt „weil“ aber eher „falls“ gemeint, denn der Artikel liefert sodann folgende Handreichung zur Notwehr gegen Straßenblockaden:


    „Die Aktivisten von der Fahrbahn loszureißen und wegzutragen ist hingegen eindeutig zulässig, auch wenn das wegen des Klebers zu erheblichen Handverletzungen führen sollte“, sagt Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig. Dabei komme es auch nicht auf die Dauer der Blockade oder die Bedeutung der Termine an, die die im Stau Gefangenen andernfalls verpassen könnten. „Es gilt die klare Regel, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht – egal, ob man auf dem Weg zu einem wichtigen Geschäftstermin ist oder einfach nur die ‚Sportschau‘ nicht verpassen möchte.“
    Das ist ein recht forscher Rechtsrat. Wer ihn beherzigt, läuft Gefahr, sich strafbar zu machen. Denn anders als behauptet ist hier so gut wie gar nichts „eindeutig“, [...]



    https://verfassungsblog.de/klima-raf-herbeireden/

    Zitat

    [...]

    4 Degrees oder „This song is not a rebel song“1)

    [...]

    Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates, und dies auch und erst recht, wenn es sich als Polizeirecht verkleidet, Stichwort „Präventivgewahrsam“ in Bayern. Meine These lautet, dass selbst im Falle einer Strafbarkeit ein Labeling als Öko-Terrorismus beziehungsweise Schwerkriminalität nicht nur falsch, sondern sogar schädlich ist. [...]

    Zitat

    um so jünger man ist, desto intensiver wird man den Folgen des Klimawandels ausgesetzt sein, einfach weil ältere Menschen nur noch eine kürzere Lebensdauer haben werden (dazu auch hier). [...]

    Gewohnheitstiere mögen keine kognitive Dissonanz oder „When You Gonna Learn“12)

    Ein bekannter Befund aus der Psychologie ist es, dass wir Umstände negativer Art, die mit unserem aktuellen Lebensstil konfligieren, ausblenden, und zwar, um kognitive Dissonanz zu vermeiden. Der Zustand kognitiver Dissonanz ist schlicht unangenehm; noch leichter ist das Ausblenden des Unerwünschten, Unpassenden, wenn der „unpassende Umstand“ „weit weg“ und „schwer greifbar“ ist – es wird klar, dass dies gerade bei einem Phänomen wie dem Klimawandel scheinbar besonders leicht erscheint und vielen Menschen gelingt. Hinzukommt der weitere Umstand, dass der Mensch Halt und Struktur im Gewohnten findet, eine völlig neue Sicht auf die Dinge zuzulassen, fällt schwer, und dies erst recht, wenn damit einhergeht, unter Umständen die komplette Struktur des (Wirtschafts-)Lebens anpassen zu müssen.

    Zitat

    Beobachtet man die Maßnahmen der Regierungen, so muss man derzeit feststellen, dass diese – im zur Verfügung stehenden Zeitfenster – nicht ausreichen werden, um die Krise zu bewältigen. Wir können insofern für den status quo ein Bild aus der Anomietheorie (Merton/Durkheim) entlehnen: Man möchte gute Lebensumstände erreichen (und dazu gehört freilich ein Leben auf einem nicht kollabierten Planeten) und die zur Umsetzung nötigen Mittel stehen nicht zur Verfügung, weil diese – jedenfalls ganz zentral auch – auf der Meta-Ebene (Staat, große Unternehmen) getroffen werden müssen. Die Anomietheorie sieht nun bekanntermaßen fünf mögliche Reaktionsweisen vor: Konformität, Innovation, Ritualismus, Eskapismus (Rückzug)14) und Rebellion15). Während nun Großteile der zentralen Handlungsfiguren im Wirtschaftsleben in Ritualismus und Konformität verharren, finden wir eben auch Verhaltensweisen an der Grenze von Rebellion und Innovation. Diese beiden Reaktionsweisen werden üblicherweise dadurch voneinander abgegrenzt, dass bei Innovation die gesellschaftlich anerkannten Ziele noch weiterhin verfolgt werden (nur durch neue Mittel), während bei der Rebellion auch die Ziele ausgetauscht werden. Und genau an dieser Stelle zeigt sich ein ganz grundsätzlicher Punkt des derzeitigen Konfliktes: der gesellschaftliche Konsens bezüglich der Ziele verändert sich gegenwärtig;



    Hier fällt das Wort Kapitalismus! ;)

    Zitat

    während ein Teil der Menschen noch das Aufhalten des Klimawandels unter die Bedingung des Funktionierens der freien Marktwirtschaft beziehungsweise des Kapitalismus stellt, sieht der andere Teil der Menschen das Ziel „Aufhalten des Klimawandels“ absolut, und zwar weil die Alternativlosigkeit erkannt und nicht länger ausgeblendet wurde. [...]

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    Hinzu kommt unter Umständen auch, dass wir gerade alle, aber die jüngeren Generationen besonders eindrücklich, erlebt haben, dass doch alles plötzlich radikal anders gemacht werden kann, wenn es nur gewollt ist, Stichwort „Lockdown“, und vieles in besonderen politischen Lagen finanziert werden kann, Stichwort „Sondervermögen Bundeswehr“. Daher scheint es wohl gerade für jüngere Menschen besonders unbegreiflich, wenn die Dringlichkeit des Klimawandels nicht verstanden wird. Die Politik verliert derzeit aus dem Blick, dass sich unter jungen Menschen, die im Grundsatz doch sehr verantwortungsbewusst sind (sie wollen den Planeten retten!), zunehmend die Frage breit macht, ob der Staat der Aufgabe gewachsen ist, ihre und unser aller Lebensgrundlage zu sichern. [...]

    Zitat

    Die Situation kann nun durch eine fehlgeleitete Kriminalpolitik verschärft werden: Wenn die Kriminalpolitik die Protestformen dem Terrorismus gleichstellt17) und noch schärfere Strafen einführen würde, dann kann dies dazu führen, dass sich die rebellierenden Menschen noch stärker ausgegrenzt fühlen, ohnmächtiger, was dann wiederum auch dazu führen kann, dass die Rebellion sich in ihren Mitteln verschärft, in einer Art Fatalismus.

    Aber das wäre freilich ein absolutes Versagen des Staates. [...]

    Zitat

    Die Reaktion muss also sein, diese Stimmen zu hören, anstatt sie zu Sündenböcken (Mitscherlich 1963; Ostermeyer 1972) zu machen, sich auf die strafende Gesellschaft zurückzuziehen, die ihre eigene Ohnmacht (über die Komplexität der Aufgabe, den Klimawandel abzumildern) dadurch kaschiert, dass sie die Protestierenden abstraft.

    Zitat

    Labeling

    Die Rufe Dobrindts und Söders, Titulierungen wie „Klima-RAF“ sind keine bloßen Polemiken, sondern gefährliche Zuschreibungen, die zu einer Vertiefung der empfundenen Exklusion, zu einer weiteren Entfremdung führen können– und zeitgleich tief blicken lassen auf Hysterie und Straflust in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung. Der anlässlich eines dringlichen Ziels (Klimawandel anhalten) strafende Staat, der Gewaltformen durch diese Bezeichnung gleichstellt, die phänomenologisch stark differieren, ist nicht integrativ, schafft kein Vertrauen in die eigene Stärke, die Klimakrise zu meistern, sondern wirkt seinerseits ohnmächtig. Das Regeln der Staus ist doch nicht die zentrale Herausforderung, sondern das Regeln der Klimawandelfolgen. [...]

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    Die Hoffnung auf Abschreckung durch höhere Strafdrohungen wird nicht erfüllt werden; es ist ein bekannter Befund der Generalpräventionsforschung, dass nicht die Höhe der drohenden Strafen den Abschreckungscharakter der Strafe stärken, sondern wenn, dann nur ein erhöhtes Entdeckungs- und Verurteilungsrisiko, und das auch nur in geringem Maß. Es liegt wohl hoffentlich für die in Frage stehenden Fälle auf der Hand, dass sich das Risiko der Entdeckung der „Täter*innen“ nicht mehr steigern lässt.

    Im konkreten Feld könnte es zudem sogar in das Gegenteil umschlagen: Das (aktive) Erzeugen von Strafverfahren (durch die Aktionen) im Kontext der Rebellion kann ein Mittel ihrer selbst werden.20) Daneben führt das (harte) Verurteilen von Sachverhalten, die von der Rechtsordnung bislang als weniger „verwerflich“21) eingestuft wurden, zu einer Verstärkung von Solidarisierungseffekten mit den Verurteilten, zu einer weiteren Entfernung vom Staat, was nicht gewünscht sein kann. [...]

  • Die Revolution ist unaufhaltsam!




    (symboltweet)


    :S

  • Es ist nunmal keine Option eine fertige Lösung vorzulegen. Das würde die Bewegung schwächen.

    Was bringt es denn, wenn ich weiß, was der Kapitalismus, in all seiner Abstraktheit, ist, ich aber nicht weiß, wie ich ihn überwinden kann? Wobei ein Verständnis des Kapitalismus ja gerade damit zusammenhängt, zu verstehen, wie ich es anders machen kann.

    Marx hat ja schon gesagt, man darf die Welt nicht nur anders interpretieren, d. h. nicht nur theoretisch erkennen, wie sie funktioniert, sondern man muss sie auch ändern. Wir sind gerade in einer Situation, in der wir nicht länger warten dürfen. In der Vergangenheit gab es übrigens viele sehr konkrete Ideen von Arbeitern und Gewerkschaften, dazu, wie man den Kapitalismus überwinden kann. Z. B. Teile des SPD hatten ein konkretes Programm dazu (Wirtschaftsdemokratie) . Woran es letztendlich gescheitert ist, war die politische Situation im Kalten Krieg und der Einfluss der USA hat auch eine Rolle gespielt.

    Tilo meinte im Interview mit Ulrike, warum man sich den Übergang nicht einfach von alleine entwickeln lässt, so wie der Kapitalismus selbst entstanden ist. Aber das stimmt nur bedingt. Die längeren Entwicklungen seit dem 15. Jahrhundert bis zum 18./19. Jahrhundert hat wohl niemand kommen gesehen. Ab dem 18. Jahrhundert würde ich das nicht mehr sagen. Der Liberalismus und andere Ideen wie die freie Marktwirtschaft als Prinzip sind entstanden. Die Französische Revolution war ein Versuch, die alte feudale Ordnung zu überwinden. Der Nationalkonvent hat ganz konkrete Überlegungen dazu angestellt, wie man die Werte der französischen Aufklärung umsetzen kann. Später hat Napoleon in halb Europa seine Reformen durchgesetzt. Es gab die Restauration ok. Aber wenigstens wurde der Anfang gemacht und die späteren Entwicklungen waren unaufhaltsam.

    Der Verfassungsstaat ist entstanden, er wurde konkret von oben herab aufgebaut. In Deutschland waren es die preußischen Reformen, die nach dem Sieg über Napoleon zum Ziel hatten eine neue Gesellschaft aufzubauen und die alte hinter sich zu lassen. Das ganze ist nicht mal 200 Jahre her.

    Und gerade heutzutage ist eine Alternative doch dringender den je. Wir haben keine Zeit zu warten, der Klimawandel verbietet es noch länger davon auszugehen, dass irgendwas neues schon kommen wird.

    Und wieso sollte die Menschheit nicht mal ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und eine neue Gesellschaft aufbauen, die nach anderen Werten funktioniert. Das Problem sind natürlich die Machtstrukturen in unserer Gesellschaft, aber genauso wie früher, muss das nicht alternativlos bleiben. Und es ist doch gerade Ziel der bürgerlichen Ideologen den Kapitalismus als alternativlos darzustellen. Dass man nicht mal eine Alternative formulieren kann, obwohl man verstanden hat, wie der Kapitalismus funktioniert. Dass man bloß nicht auf die Idee kommt, etwas zu ändern, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung untergraben könnte.

  • Indessen ist das gerade wieder der Vorzug der neuen Richtung, dass wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen. Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme ... Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen. ...


    Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.


    Ich bin nicht dafür, dass wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. ...


    Es fragt sich, wie ist das anzustellen? ... Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewusstseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln. ...


    Es hindert uns also nichts, unsere Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch nicht will. Die Reform des Bewusstseins besteht nur darin, dass man die Welt ihr Bewusstsein innewerden lässt, dass man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, dass man ihre eigenen Aktionen erklärt. ...


    Wir können also die Tendenz ... in ein Wort fassen: Selbst-verständigung ... der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für die Welt und für uns. Sie kann nur das Werk vereinter Kräfte sein.

    _____________________________________________


    Karl Marx, Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, MEW 1, 344ff. (Zitiert nach Marx Forum)

  • Der Nationalkonvent hat ganz konkrete Überlegungen dazu angestellt, wie man die Werte der französischen Aufklärung umsetzen kann

    Ja, lass uns eine Bürgerdelegation versammeln, bei der Demokratisch Vorschläge für ein Verändertes System entstehen. Das Schlagwort für so etwas ist Legitimation. Niemand hat das Recht anderen eine neue Gesellschaftsordnung vor die Nase zu setzen. Alternativen zum bestehenden System müssen demokratisch legitimiert sein, sonst führt das in eine weitere Spaltung der Gesellschaft.


    Nur wenn alle mitreden dürfen und miteinander diskutieren, hat ein Vorschlag überhaupt eine Chance von der Bevölkerung anerkannt zu werden. Das ist eigentlich ein alter Hut Jonny. Forderungen ja, aber nach z.B. einer solchen Bürgerversammlung, nicht nach einem fertigen System. Soweit ich das weiss tun FFF genau das.

  • Man fragt sich, wo die französische Aufklärung wohl ihre Werte her hatte?


    Haben die sich spontan auf den revolutionären Barrikaden manifestiert, oder hatte da vorher jemand Kritik an den Werten der absolutistischen Monarchie und der katholischen Kirche geübt?

  • Ja, lass uns eine Bürgerdelegation versammeln, bei der Demokratisch Vorschläge für ein Verändertes System entstehen. Das Schlagwort für so etwas ist Legitimation. Niemand hat das Recht anderen eine neue Gesellschaftsordnung vor die Nase zu setzen. Alternativen zum bestehenden System müssen demokratisch legitimiert sein, sonst führt das in eine weitere Spaltung der Gesellschaft.


    Nur wenn alle mitreden dürfen und miteinander diskutieren, hat ein Vorschlag überhaupt eine Chance von der Bevölkerung anerkannt zu werden. Das ist eigentlich ein alter Hut Jonny. Forderungen ja, aber nach z.B. einer solchen Bürgerversammlung, nicht nach einem fertigen System. Soweit ich das weiss tun FFF genau das.

    Hajo. Das wär eine mögliche Idee und da kann man andere Ideen einbringen wie zb Demokratisierung der Arbeit und Gesellschaft. ;) FFF macht leider gar nix.

  • Ja, lass uns eine Bürgerdelegation versammeln, bei der Demokratisch Vorschläge für ein Verändertes System entstehen. Das Schlagwort für so etwas ist Legitimation. Niemand hat das Recht anderen eine neue Gesellschaftsordnung vor die Nase zu setzen. Alternativen zum bestehenden System müssen demokratisch legitimiert sein, sonst führt das in eine weitere Spaltung der Gesellschaft.


    Nur wenn alle mitreden dürfen und miteinander diskutieren, hat ein Vorschlag überhaupt eine Chance von der Bevölkerung anerkannt zu werden. Das ist eigentlich ein alter Hut Jonny. Forderungen ja, aber nach z.B. einer solchen Bürgerversammlung, nicht nach einem fertigen System. Soweit ich das weiss tun FFF genau das.


    👌exactly this

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