#659 - Soziologe Armin Nassehi

  • Ich gebe den Stand der Wissenschaft in einer politischen Diskussion weiter. Soll das Aktivismus sein?

    Na ja, man kann Wissenschaft durchaus auch anders vermitteln. ;) Aber „Aktivismus“ ist ja kein Vorwurf.


    Und es gibt darüber, wie mit der Erderwärmung umzugehen ist, ja durchs unterschiedliche Ansichten. Ulrike Herrmann beispielsweise plädiert für eine Verlagerung der Chemieindustrie nach Namibia:

    Zitat

    Die Chemieindustrie ist ein gutes Beispiel. Die Branche hat bereits ausgerechnet, wie viel Strom sie benötigen würde, wenn sie gänzlich klimaneutral produzieren soll – und kam auf 685 Terawattstunden im Jahr. Das ist weit mehr, als derzeit ganz Deutschland an Strom verbraucht. Diese Unmengen an Ökostrom wird es nicht geben, auch wenn jedes denkbare Windrad und Solarpaneel installiert wird. Die allermeisten Studien kommen daher zu dem Ergebnis, dass sich die Chemieindustrie halbieren muss.


    Dieser Einschnitt wäre nicht das Ende der Chemieindustrie, aber die betroffenen Firmen müssten Deutschland verlassen und dort produzieren, wo sich mehr Ökostrom herstellen lässt. Als Standort würde sich beispielsweise Namibia anbieten, das mehr Sonnenschein und Wind aufweist.

    Andere halten dem entgegen, dass eine solche Deindustrialisierung uns der wirtschaftlichen Basis beraubt, um die erforderliche Anpassung an eine unweigerlich stattfindende Erwärmung adäquat vorzunehmen. In diesem Spannungsfeld gibt es bestimmt noch viel auszudiskutieren, unter Berücksichtigung verschiedenster Interessen und wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesem Sinne verstehe ich auch Armins Äußerungen.


    Was das Notwendige ist, findest du in jedem IPCC-Report. Schneller, radikaler, massiver Umbau des Wirtschaftens: Transformation der Energieversorgung, Transformation der Ernährung, Abbau der Ungleichheit, Umstellung des Finanzsystems weg von der Finanzierung der Katastrophe. Und das ist nur das Mindeste.

    Ich wüsste übrigens nicht, dass das IPCC bezüglich der Ausgestaltung der notwendigen Transformation klare Vorgaben macht, beispielsweise bezüglich des Finanzsystems. Zumindest tat es das nicht in den vergangenen Jahren, den 2023er Sachstandsbericht kenne ich aber nicht im Detail. Vielleicht hat sich das inzwischen geändert.

  • , aber offenbar ohne dir Gedanken zu machen zu machen über deren politische Umsetzbarkeit im gegebenen politisch-gesellschaftlichen Rahmen.

    Es ist der größte Erfolg für die Leute, die von den derzeitigen Problemen profitieren, wenn sie den Leuten einreden, dass eine Abkehr von den Misständen unseres Systems nicht umsetzbar wäre. Nicht diejenigen, die Veränderung wollen sind Träumer. Träumer sind diejenigen, die glauben, alles könnte so weitergehen wie bisher.

  • Zerstörung?


  • Zerstörung?



    Die erste Hälfte gefällt mir als alter Nassehi-Hasser natürlich. Interessant ist, dass Luhman-Jünger Schulz dem laut eigener Aussage "wohl bedeutendsten Vertreter der Systemtheorie in Deutschland" recht glaubhaft attestiert, dass der den Sinn der Systemtheorie eigentlich gar nicht verstanden hätte.


    Aber in der zweiten Hälfte schaffen Schulz und seine "links"-liberalen Soziologen-Kollegen es natürlich, dem gesellschaftsanalytischen Chefberater der Grünen bei aller "Zerstörung-"swut doch insofern beizupflichten, als sie ebenfalls der Ansicht sind, dass der Kapitalismus doch eigentlich gar nicht so schlecht sei, dass es "uns" überhaupt heute so gut ginge wie nie, weil wir - laut Schulz - doch die Entkoppelung der Wertschöpfung vom industriellen Ressourcenverbrauch längst vollzogen hätten, indem wir beispielsweise für ein Essen 100,- EUR ausgeben können, bloß weil das schön zubereitet und elegant kredenzt werde, obwohl das doch mit dem materiellen Wert der Speise gar nichts mehr zu tun habe.


    Am Schluss ist man sich dann gottseidank darüber einig. dass man den ganzen Apparat einfach nur mal endlich ordentlich durchregulieren müsse, um die ökosoziale Marktwirtschaft zu verwirklichen.

    Da stimmt man dann auch insofern mit dem Interviewer überein, als der ja auch denkt, man müsse den Kapitalismus halt einfach nur von seinen unsozialen und klimaschädlichen Aspekten bereinigen, um ihn abzuschaffen.


    Die Frage, wer genau diese Bereinigung denn vornehmen soll, wenn das dafür zuständige politische und beratende Personal es partout einfach nicht machen wollen, bleibt leider weiterhin mysteriös.

  • Mit konstruktiver Kritik kann ich leider nicht dienen.


    Aber wenn ich mit Armin Nassehi diskutieren, oder bei Sandra Maischberger im Panel sitzen müsste, würde ich mir persönlich dieses kollektive "Wir" nicht zu eigen machen, weil die Leute, die in der liberalen Demokratie am Ende entscheiden, was wir alle zu befolgen haben nichts mit mir, und ich nichts mit ihnen zu tun habe.


    Aber deshalb diskutieren ja auch Leute wie Armin Nassehi nicht mit mir, und es lädt mich auch keiner in eine öffentlich rechtliche Talkshow ein.;)

  • Utan bin für Verbesserungsvorschläge offen, wie ich einem Nassehi (und vielen anderen mehr) entgegne, der meint, dass "Kapitalismus abschaffen/überwinden" leere Worte sind.


    Gebt mir gern die Werkzeuge an die Hand ;)

    Ich finde du hast ihn (in deinem Interview) eigentlich gut eingefangen bei dem entscheidenden Thema grünes Wachstum.


    Da klang er wie ein Gebrauchtwagenhändler der den alten Kapitalismus verkaufen will und die Rostflecken mal eben mit Lack übermalt hat.


    Das war zumindest unaufrichtig von seiner Seite. Wenn er weiss, dass die absolute Entkopplung nicht stattfindet, warum bringt er das grüne Wachstum überhaupt an? Da merkt man, dass er das sagt was der Käufer des Gebrauchtwagens Kapitalismus gerne hören will und er diesen Kapitalismus schönredet obwohl eigentlich der Karren Schrottreif ist (was er zu wissen scheint).

  • Utan bin für Verbesserungsvorschläge offen, wie ich einem Nassehi (und vielen anderen mehr) entgegne, der meint, dass "Kapitalismus abschaffen/überwinden" leere Worte sind.


    Gebt mir gern die Werkzeuge an die Hand ;)

    Da müsste man halt konkreter werden, was man mit Kapitalismus meint. Aber Kapitalismus ist keine leere Worthülle und kein Kampfbegriff. Es gibt ganze Wissenschaftszweige, die sich mit dem Kapitalismus als Wirtschaftssystem beschäftigen. Und es gibt nicht nur Marxisten, sondern auch Wirtschaftsliberale, die den Begriff benutzen. Also ich würde mir grob eine Begriffsdefinition zurecht legen. Die sollte aber wenn dann aus der Vertretung der Wirtschaftsliberalen und von den Kapitalismus Befürwortern kommen. Weil dann kannst du immer sagen: "Ja wenn die das schon so sehen. " Zusätzlich ist es immer gut, wenn man aus dem gegnerischen Camp Leute kennt, die kritisch gegenüber ihren eigenen Ideen sind (bis zu einem gewissen Grad natürlich nur). Beispiel der IMF der über die letzten Jahrzehnte kritischer gegenüber dem Neoliberalismus geworden ist, obwohl sie den jahrzehntelang in Entwicklungsländern durchgedrückt haben. Gut sind natürlich auch Genossenschaften und sowas, weil das weitgehend moderate Formen von Alternativen zu einer kapitalistischen Wirtschaft sind.

  • Ich selbst bin kein Freund des Kapitalismus, und wäre auch froh, je nachdem natürlich worin die Abschaffung mündete, wenn er sich verabschieden würde.

    Trotzdem muss man der Aussage schon ihre Berechtigung lassen, bloß die Abschaffung zu fordern würde nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

    Es gibt nun eine Vielzahl an Argumenten die gegen den Kapitalismus sprechen und selbst bei liberalen durchklingt dass das nichts für die Ewigkeit ist.


    Trotzdem sollte man auf die Frage, wie eine mögliche Umsetzung aussehen könnte ein bisschen mehr bieten als, wir müssen halt aufhören auszubeuten.


    Weil die berechtigte Gegenfrage, wie man die Machtinhaber dazu bewegen soll bei diesem Masterplan mitzumachen, nicht lange auf sich warten lässt.

    Und da gebe ich ihm halt Recht dem Luhmann Spezi, dass die Wiederholung der Forderung dann bischen als Trotz Argumentation an Wirkung verliert.

    Nicht dass ich die Verzweiflung dahinter nicht verstehen würde.

  • Das mit dem ob steht außer Frage, ich denke halt dass es in dem Abschnitt aber auch gar nicht darum ging.

    Ich meine mich zu erinnern, dass er ja auf deine Frage, ob eine linke obsolet ist, mehrfach geantwortet hat, wenn sie sich darauf beschränkt zu fordern den Kapitalismus abzuschaffen, dann ja.


    Ich lege ihn so aus, dass, er diese Forderung nicht weiter hinterfragt, also das ob auch für ihn zweitrangig ist.

    Vordergründig ist das wie.


    Wie gesagt, ich verstehe dass du da wenig Verständnis und Kraft hast für die Gäste, wenn sie die Möglichkeit nicht nutzen und positiv aktiv diskutieren, was getan werden kann, bzw die Diskussion gemeinsam auf ein Erarbeiten des Wie lenken. Wenn man bedenkt dass du das schon mehrere Jahre machst.

    Mir ist auch aufgefallen dass bei diesen Punkten deine Stimme und Stimmung der Fassungslosigkeit unterliegt. Auch verständlich.


    In dem besagten "Schlagabtausch" ist es aber auch ok, wenn er dir den Ball zurück spielt. Zumal du dich ja schon seit Jahren damit beschäftigst.


    Ich bin kein besonders guter Gesprächsführer. Aber ggf könntest du dir, vielleicht auch zusammen mit dem Forum überlegen, wie es funktionieren könnte das Gespräch an diesem unausweichlichen Punkt der jeweiligen Folge in eine konstruktive Richtung zu lenken. Also wie man den Gesprächspartner dahin lenkt.


    Vielleicht könnte es dort behilflich sein, wenn man konkrete Ansätze hätte, wie die Umsetzung der Ziele möglich wäre. Wenn man den Punkt weniger Ausbeuten zb nimmt, sich da irgendwas überlegen das auch zu dem Erlebnishorizont des Gastes passt.


    Leider kann ich dir da auch keine nennen:)

    Sonst wäre das ganze Thema ja nicht so ätzend und langwierig.


    Auch wenn viele Disziplinen unterschiedliche Unterprobleme im Hauptproblem Kapitalismus herausgearbeitet haben, haben wir dennoch keine wirkliche Lösungsansätze. Unter anderem weil die letzte Entscheidungsgewalt bei den Kapital Inhabern liegt.

    Also es gibt viele Lösungsansätze, die aber nicht anschlussfähig sind an dieser letzten Instanz der wenigen Prozent.


    Und leider lassen sich viel zu viele immer wieder von deren Märchen einlullen und das ich ich ich obsiegt. Es ist ja nicht ganz unstrittig, wenn er erwähnt, dass die grossen Ziele schwer erreichbar scheinen , wenn nicht mal ein Tempolimit diskursfähig ist.

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