Das Schlimmste in den Augen Trumps ist es, wenn Europa sagt: Ja, wir sollten unsere Militärausgaben erheblich erhöhen. Das wäre ein Beispiel für einen prinzipientreuen Pragmatismus. Selbstverständlich bin ich für den Frieden. Aber es gibt Situationen, in denen es der einzige Weg ist, den Frieden etwas wahrscheinlicher zu machen, indem wir aufrüsten und uns auf einen möglichen Krieg vorbereiten. Das ist auch eine Lehre aus den jüngsten Problemen mit Russland: Als Russland 2014 die Krim besetzte, war die Ukraine völlig unvorbereitet. Es gab einfach keinen Widerstand. Russlands Logik lautete danach offensichtlich: Okay, lasst uns einfach weitermachen.
Was würde Ihr prinzipientreuer Pragmatismus für die Ukraine bedeuten? Sollte sich Selenskij bei Trump entschuldigen und versuchen, die USA im Kampf gegen Russland wieder an Bord zu holen?
Nein. Die Ukraine kämpft auch für Europa, darin stimme ich mit Selenskij überein. An seiner Stelle würde ich daher versuchen, Europa dazu zu bewegen, wirklich mit den USA zu brechen. Also zu akzeptieren, dass die USA und Russland jetzt auf der gleichen Seite gegen Europa stehen – und entsprechend zu handeln.
Wie kann Europa sich den USA mit einer eigenständigen Ukraine-Politik widersetzen?
Europa kann da ziemlich viele Dinge tun. Aktuell ist es ja so, dass die Ukraine in eine Kolonie zweigeteilt werden soll: Ein Teil wird von Russland annektiert. Der andere Teil wird de facto in eine Art von den USA beherrschte Bergbau-Kolonie verwandelt, weil die Ukraine für ihre eigene Verteidigung aufkommen soll.
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Israel erledigt gerade die Drecksarbeit für Trump, der aus Gaza einen neuen Touristenort machen will. Aber warum tut Europa nicht etwas? Warum leistet Europa nicht dringend benötigte Hilfe, mit Zelten, Decken und Lebensmitteln oder medizinischer Ausrüstung? Wenn die USA oder Israel diese dringend benötigte Hilfe blockieren würden – was ein schrecklicher Skandal wäre –, sollte Europa prüfen, ob es Kriegsschiffe einsetzen will, um zu garantieren, dass die Hilfe ankommt.
Eine militärische Intervention Europas im Nahen Osten?
Es wäre eine rein humanitäre Intervention. Ich denke, das könnte genutzt werden, um Europa als globalen Akteur neu in Stellung zu bringen. Denn wie wir alle wissen, besteht das Paradox Europas darin, dass es wirtschaftlich immer noch eine Großmacht ist. Aber politisch ist es unbedeutend. Europa wird nicht ernst genommen. Ich denke, dass Europa auch ein wirtschaftliches Interesse hat, sich wieder wie eine politische Supermacht zu verhalten.
Und wie soll das gelingen?
Indem wir als Einheit handeln, indem Europa unabhängig agiert. Mein Gott, so einfach ist das.