Wo sie doch jetzt alle immer über Afrika reden und da die entwicklungshelferischen Daumenschrauben angezogen diplomatischen Bemühungen verstärkt werden sollen, um die unzivilisierten Barbaren des schwarzen Kontinents zur Räson den sich noch entwickelten Völkern in der südlichen Peripherie die Vorzüge des westlichen Wertesystems näher zu bringen, fragte ich mich schon die ganze Zeit, ob man unseren transatlantischen Wertepartner mit der Zivlisierung Lateinamerikas einfach so allein lassen sollte. Aber jetzt hat die EU nach dem Indo-Pazifik endlich auch den südlicheren Teil des amerikanischen Kontinents zum Gegenstand knallharter ökonomischer Erpressung einer neuen Werteoffensive gemacht. Und wer könnte sich dabei besser als federführend erweisen, als die ehemalige Kolonialmacht Spanien:
Die Lateinamerika-Offensive der EU
EU bereitet Lateinamerika-Offensive vor, um ihren geschwundenen Einfluss in der Region wiederzuerlangen. Anlass ist fehlende lateinamerikanische Unterstützung gegen Russland.
Die EU kündigt eine Einflussoffensive in Lateinamerika an. Eine führende Rolle will Spanien übernehmen und dazu seine EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2023 nutzen. Um erste Vorbereitungen für einen neuen EU-Lateinamerika-Gipfel zu treffen, ist Ministerpräsident Pedro Sánchez am Dienstag zu einer Reise in die Region aufgebrochen. [...]
Sorgen bereitet Brüssel zur Zeit vor allem, dass die Staaten Lateinamerikas dem Westen im Machtkampf gegen Russland nicht zur Seite stehen. So haben zwar Anfang März die meisten von ihnen in der UN-Generalversammlung den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt. An den umfassenden Wirtschaftssanktionen, die Russland „ruinieren“ sollen (Annalena Baerbock), beteiligen sie sich jedoch nicht – mit Ausnahme diverser kleiner Karibikstaaten, die gewisse Maßnahmen gegen russische Oligarchen unterstützen. Die Wirtschaftssanktionen werden in Lateinamerika, wie kürzlich der frühere Präsident des Europaparlaments und heutige Vorsitzende der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Martin Schulz, schilderte, offen abgelehnt, weil sie dazu beitragen, die Energie- und Nahrungsmittelpreise in die Höhe zu treiben. Auf einer Reise nach Brasilien, Uruguay und Argentinien sei ihm deutlich gemacht worden, berichtete Schulz: „Für euch reiche Europäer sind die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise verkraftbar. Für uns bedeutet das aber teilweise Hunger in der Bevölkerung, teilweise den Absturz der Mittelschicht“.[8]
Kritik am Westen
Hinzu kommt, dass die Regierungen Lateinamerikas sich politischer Unterstützung für die Ukraine verweigern und teils sogar offene Kritik an der antirussischen Politik der westlichen Staaten üben. So hat sich etwa der Staatenbund Mercosur ausdrücklich geweigert, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyj öffentlichkeitswirksam auf seinem Gipfel am 21. Juli in Asunción sprechen zu lassen.[9] In Chile war zuvor ein Versuch des ultrarechten Partido Republicano gescheitert, einen Auftritt Zelenskyjs vor dem chilenischen Parlament zu ermöglichen. Erst vor wenigen Tagen gelang es der chilenischen Rechten, Zelenskyj eine Videoansprache an der Universidad Católica de Chile zu ermöglichen. Präsident Gabriel Boric und Außenministerin Antonia Urrejola waren eingeladen, blieben dem Event aber fern.[10] Bereits im April hatte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador kritisiert, die westlichen Mächte hätten, obwohl sie die Mittel dazu besessen hätten, „nichts“ getan, um den Ukraine-Krieg zu verhindern.[11] Der in Umfragen klar führende brasilianische Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva übte im Mai scharfe Kritik am Krieg, erklärte jedoch, „auch die USA und die EU“ trügen „Schuld“: Sie hätten Kiew ohne weiteres den Beitritt zu NATO und EU verweigern können – und „das hätte das Problem gelöst“.[12] [...]
Handelsabkommen mit China, offene Kritik am antirussischen Kurs des Westens, Verweigerung politischer Unterstützung für die Ukraine - Das sind natürlich keine guten Aussichten für die gute Sache der transatlantischen Wertegemeinschaft. Immerhin halten wenigstens ein paar tapfere ultrarechte Parteien das flammende Schwert der Freiheit hoch und setzen sich dafür ein, dass Captain Freedom endlich auch im rohstoffeichen Hinterhof des Imperiums auftreten darf!