Freie Wähler in Bayern auf Rekordhoch: Hubert Aiwanger – eine deutsche Karriere
Über die "Jugendsünde" des Ministers wurde viel diskutiert. Geschadet hat es ihm nicht, im Gegenteil. Was das für unseren Blick auf die neuen Länder bedeutet.
Alles anzeigen[...] In ostdeutschen Bundesländern liegt die AfD zwar teilweise in Umfragen bei über 30 Prozent – aber dass sie in Bayern nur 13 Prozent erreicht, bedeutet eben nicht zwangsläufig, dass es in Bayern weniger Rechte und rechtsoffene Wahlberechtigte gibt, wenn dort gleichzeitig 17 Prozent Aiwangers Performance goutieren und 36 Prozent CSU wählen.
Langjährige Wähler der CSU störten sich nie daran, dass deren Spitzenpolitiker gegen Ende von Aiwangers Schulzeit und danach Begriffe wie "durchrasste Gesellschaft" verwendeten, um Stimmung gegen Menschen mit Migrationsgeschichte zu machen.
Als Verfasser des antisemitischen Flugblatts hat sich inzwischen Aiwangers Bruder bekannt und im Nachhinein von seinem Inhalt distanziert. Der Waffenhändler (!) will damals unter "offen linksradikalen" Lehrern gelitten haben, die zur Teilnahme an Demos der Anti-Atom-Bewegung gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf aufgerufen hätten. Für beide Brüder sei das ein "Kulturschock" gewesen, versuchte Helmut Aiwanger im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern sein damaliges Verhalten zu erklären.
Tatsächlich war der damalige Protest gegen die WAA aber keine rein linksradikale Angelegenheit, sondern von so großer Breite, dass der Bau dieser Wiederaufbereitungsanlage 1989 eingestellt wurde – trotz CSU-Mehrheit im bayerischen Landtag. Auch sonst eher konservative Bauern aus der Region hatten damals die Proteste unterstützt.[...]
Es gab zu Aiwangers Schulzeit in Bayern sicher keine linke Hegemonie – und schon gar keine, die ansatzweise erklären könnte, warum man sich als harmloser konservativer Junge mit einem Flugblatt über das "Vergnügungsviertel Auschwitz" wehren musste.
Antikommunismus gehört seit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 zur DNA "Ordnungszelle Bayern". Niemand kann hier "chronische Seelenschäden" durch realsozialistischen Staat für den Rechtsruck verantwortlich machen, wie es Wolf Biermann und im Fall der Ostdeutschen tut.
Der heutige Antikommunismus braucht aber im Zweifel gar keine Kommunisten mehr. Manchmal unterstellen sich Neoliberale und völkische Rechte im Kulturkampf einfach gegenseitig totalitäre Züge, die sie besonders gerne mit der DDR in Verbindung bringen.