Die Grünen im Wahlkampf: Merkels gelehrige Schüler:innen
Die Grünen setzen ganz auf Mitte und Konsens. Leider ist ihnen so im Wahlkampf die Fähigkeit zur Verteidigung abhanden gekommen.
[...] Die Niederlage 2013 war ein Wendepunkt für die Partei. Der Parteilinke Trittin wurde abgesägt, die Taktik neu justiert. Die Umverteilungsideen wurden danach verwässert, Verbotsforderungen sorgsam vermieden. Habeck und Baerbock haben die verwitterten Grenzmarkierungen der Ex-Alternativen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft niedergerissen oder, vielmehr, beiseite geschoben. Sie haben den Patriotismus für die Grünen reklamiert, halten die CDU für den Fixstern deutscher Politik und wollen unbedingt mit der Union regieren.
Manche Grüne haben dieses Bündnis diskursiv solide ummauert. Es sei geradezu gefährlich, eine Mitte-Links-Regierung zu bilden, weil sich Union oder die FDP an der Seite der AfD in der Opposition womöglich radikalisieren könnten. Dann drohe Gefahr: Trump, Brexit, Le Pen. Dieses Argument klingt ehrenwerter, als es ist. Im Klartext heißt es, dass bei Wahlen nur die Frage entschieden wird, mit wem die Union regiert. Das ist ein fast schon nordkoreanisches Verständnis von Demokratie.[...]
Baerbocks Fehltritte, die längst nicht so schlimm sind, wie Bild glauben machen will, werfen ein ungutes Licht auf die Kandidatin. Ein hastig montiertes Buch und ein aufgebrezelter Lebenslauf wirken wenig sympathisch. Aber sind das unverzeihliche Sünden im Vergleich zur gezielten Vergesslichkeit von Olaf Scholz in Sachen Cum-Ex-Banker oder Armin Laschets Unfähigkeit, einen klaren Satz zu Maaßen zu sagen? Kaum. Schwerer als Baerbocks Ungereimtheiten wiegt die Unfähigkeit der Grünen, eine brauchbare Verteidigung aufzubauen. Sie schwanken zwischen Empörung und Ratlosigkeit, Aufregung und Leugnung. Verstockt zu behaupten, man verstehe gar nicht, was der „copy & paste“-Vorwurf bedeuten solle, hilft auch nicht weiter.
Die Grünen wirken überrumpelt. Dabei beneideten sogar CDU-Rechte noch bis vor ein paar Monaten ihre kühle Professionalität, die Reibungslosigkeit ihrer Kandidatenkür, die bis ins Detail abgestimmte Geschlossenheit. Doch dieses hübsche Gebäude war eine Attrappe. Es glänzte nur bei Sonnenschein, beim ersten Starkregen fiel es zusammen. [...]