#606 - Soziologe Oliver Nachtwey

  • Dass er da was "brandmarkt" ist halt Deine Interpretation. Eigentlich hat er seine Position ziemlich ausführlich erklärt und begründet, und sie auf eine recjt aufwändige empirische Untersuchung gestützt.

    Nicht ausführlich genug. ;)


    Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Vieles hat sich in der Einschätzung der Pandemie geändert. Manches, das vor kurzem noch „Querdenken“ war, ist jetzt „Mainstream“ - Nachtwey hat zwei Beispiele genannt. Ich finde, diese Tatsache müsste Einfluss haben auf sein Urteil über die von ihm untersuchte Personengruppe.


    Die Zuschreibung „autoritär“ ist nun mal keine neutrale, sondern negativ konnotiert. Widerstand gegen überzogene Maßnahmen ist ab jetzt „autoritär“, die Wissenschaft hat‘s festgestellt…


    Mir gefällt das nicht, aber was soll‘s. 🤷🏻‍♂️

  • Die Zuschreibung „autoritär“ ist nun mal keine neutrale, sondern negativ konnotiert. Widerstand gegen überzogene Maßnahmen ist ab jetzt „autoritär“, die Wissenschaft hat‘s festgestellt…

    Er knüpft hier an einen Begriff an aus der kritischen Theorie und der Studie zum autoritären Charakter von Adorno, Fromm und so. Es meint nicht nur die Politik, sondern auch wie sich die Leute verhalten. Deswegen ist auch der widersprüchliche Titel "autoritärer Liberalismus": das Pochen auf Freiheit hat bei denen gerade autoritäre Züge, wodurch beides zusammen gedacht werden kann im Spätkapitalismus.


    Taliesin

  • Die Zuschreibung „autoritär“ ist nun mal keine neutrale, sondern negativ konnotiert. Widerstand gegen überzogene Maßnahmen ist ab jetzt „autoritär“, die Wissenschaft hat‘s festgestellt…

    Ich glaube Du hast nicht verstanden, worum es ging. Du wertest den Begriff moralisch, Nachtwey verwendet ihn wissenschaftlich, Das sind zwei völlig unterschiedliche Sachen.


    Jetzt kannst Du natürlich sagen, dass Dir die Wissenschaft nicht passt, aber dann musst Du das auch wissenschaftlich begründen. Wenn Du nur Deine eigene moralische Wertung zum Maßstab nimmst, dann machst Du nichts anderes, als Leute die die TeilnehmerInnen an den Protesten der Querdenker pauschal als unsolidarische Egoisten und "Nazis" bezeichnen - bloß mit umgekehrtem Vorzeichen.

  • Utan

    Hm, ich bin mir ja nicht ganz sicher, ob die negative Konnotationen weggeht, wenn man den Begriff „autoritär“ nicht moralisch wertet, sondern wissenschaftlich verwendet. Ich denke eher, dass das ziemlich schnuppe ist und ein Autoritarismus, der Gefahr läuft, ins Faschistische zu kippen (auch das wurde im Interview behauptet) ein Mist, den keiner haben will.


    Niemand will gerne in diese Schublade gesteckt werden. Und aus meiner Sicht hat man das auch nicht verdient, wenn man in erster Linie für grundgesetzlich garantierte Rechte eintritt (vgl. Taliesin ). Aber ich wiederhole mich jetzt wirklich. Wünsche noch einen schönen Abend.


    Edit:

    Er knüpft hier an einen Begriff an aus der kritischen Theorie und der Studie zum autoritären Charakter von Adorno, Fromm und so. Es meint nicht nur die Politik, sondern auch wie sich die Leute verhalten. Deswegen ist auch der widersprüchliche Titel "autoritärer Liberalismus": das Pochen auf Freiheit hat bei denen gerade autoritäre Züge, wodurch beides zusammen gedacht werden kann im Spätkapitalismus.


    Taliesin

    „Das Pochen auf gerechte Bezahlung hat bei XY geradezu autoritäre Züge“


    Merkt ihr das nicht…?

  • Utan

    Hm, ich bin mir ja nicht ganz sicher, ob die negative Konnotationen weggeht, wenn man den Begriff „autoritär“ nicht moralisch wertet, sondern wissenschaftlich verwendet.

    Du ignorierst einfach komplett die ersten ca. 1,5 Stunden des Interviews und kaprizierst Dich dann darauf, dass Dir der Begriff "Autoritarismus" zu negativ konnotiert ist. Dass Nachtwey auch das gar nicht so negativ konnotierte Adjektiv "libertär" davor gesetzt, oder warum er das getan hat, interessiert Dich nicht.


    Warum hast Du Dir das Interview überhaupt angeschaut, wenn Dich gar nicht interessiert, was der Mann zu seiner Theorie zu sagen hat? Über die für Dich zu negativ konnotierte Wortwahl hättest Du Dich ja auch vorher schon aufregen können.

  • Warum hast Du Dir das Interview überhaupt angeschaut, wenn Dich gar nicht interessiert, was der Mann zu seiner Theorie zu sagen hat? Über die für Dich zu negativ konnotierte Wortwahl hättest Du Dich ja auch vorher schon aufregen können.

    Warum erwartest Du etwas anderes von unserem Dauergast?

  • „Das Pochen auf gerechte Bezahlung hat bei XY geradezu autoritäre Züge“

    Ist zudem absolut nicht das gleiche wie "das pochen auf Freiheit". Freiheit ist ein ideologisch extrem aufgeladener Begriff. Gerechte Bezahlung ist eine Notwendigkeit, um in einer kapitalistischen Marktwirtschaft seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.


    Wenn Du Deinen persönlichen Freheits-Idealismus ausleben willst, dann ist das erst mal Dein indivdiuelles Problem. Lohnarbeit und ihre Bezahlung ist hingegen eine gesellschaftliche Angelegenheit.

  • Du ignorierst einfach komplett die ersten ca. 1,5 Stunden des Interviews und kaprizierst Dich dann darauf, dass Dir der Begriff "Autoritarismus" zu negativ konnotiert ist. Dass Nachtwey auch das gar nicht so negativ konnotierte Adjektiv "libertär" davor gesetzt, oder warum er das getan hat, interessiert Dich nicht.


    Warum hast Du Dir das Interview überhaupt angeschaut, wenn Dich gar nicht interessiert, was der Mann zu seiner Theorie zu sagen hat? Über die für Dich zu negativ konnotierte Wortwahl hättest Du Dich ja auch vorher schon aufregen können.

    Habe ich vorher schon. Und ignorieren tu ich gar nix. Wollte wissen, wie er seine Zuschreibung begründet, ohne das Buch kaufen zu müssen.


    Und „libertär“? Nicht negativ konnotiert? Für mich ist das die hässliche Schwester von „liberal“. Any Rand und so. Aber wenn du meinst, der Zusatz macht’s besser, auch recht. 🤷🏻‍♂️

  • Ist zudem absolut nicht das gleiche wie "das pochen auf Freiheit". Freiheit ist ein ideologisch extrem aufgeladener Begriff. Gerechte Bezahlung ist eine Notwendigkeit, um in einer kapitalistischen Marktwirtschaft seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.


    Wenn Du Deinen persönlichen Freheits-Idealismus ausleben willst, dann ist das erst mal Dein indivdiuelles Problem. Lohnarbeit und ihre Bezahlung ist hingegen eine gesellschaftliche Angelegenheit.

    Das Grundgesetz auch.

  • Hat das Pochen auf "Bezahlung ansich" auch. Wo kämen wir dahin, wenn das Schule machen würde. tztztz

    andersrum ist es eigentlich eher der Fall: der autoritäre Charakter zeigt sich im Befolgen der täglichen Arbeit, auch wenn sie ihm nicht - grob gesagt - gerecht entgolten wird. Diese Leute, so der historische Ausgangspunkt der Studie, wo man den autoritären Charakter eben zuerst gefunden hat, sind anfällig für Faschismus.

    Nachtwey sagte ja, es fehlte eine linke Herrschaftskritik bei Corona. Wodurch ich hier nicht so ganz widersprechen will, bzw. anders zustimmen will als hier dargestellt: man hat ein gesellschaftliches Problem auf das Individuum ausgelagert und dabei durchaus Grundrechte eingedämmt. Man lenkt so ab von zB. den nötigen Investitionen in Krankenhäuser (Betten), Ärzte und Krankenhelfer/-pfleger bezahlungen. Stattdessen musste man sich eine Coronawarnapp installieren, die längst vergessen ist usw.

    Aber sowas zu fordern und gegenüberzustellen ist was anderes als "Meine Grundrechte! Meine Grundrechte! Meine Grundrechte!" zu rufen.

  • Nachtwey sagte ja, es fehlte eine linke Herrschaftskritik bei Corona. Wodurch ich hier nicht so ganz widersprechen will, bzw. anders zustimmen will als hier dargestellt: man hat ein gesellschaftliches Problem auf das Individuum ausgelagert und dabei durchaus Grundrechte eingedämmt. Man lenkt so ab von zB. den nötigen Investitionen in Krankenhäuser (Betten), Ärzte und Krankenhelfer/-pfleger bezahlungen. Stattdessen musste man sich eine Coronawarnapp installieren, die längst vergessen ist usw.

    Aber sowas zu fordern und gegenüberzustellen ist was anderes als "Meine Grundrechte! Meine Grundrechte! Meine Grundrechte!" zu rufen.

    Ich denke, das eine schließt das andere nicht aus.

  • andersrum ist es eigentlich eher der Fall: der autoritäre Charakter zeigt sich im Befolgen der täglichen Arbeit, auch wenn sie ihm nicht - grob gesagt - gerecht entgolten wird. Diese Leute, so der historische Ausgangspunkt der Studie, wo man den autoritären Charakter eben zuerst gefunden hat, sind anfällig für Faschismus.

    Nachtwey sagte ja, es fehlte eine linke Herrschaftskritik bei Corona. Wodurch ich hier nicht so ganz widersprechen will, bzw. anders zustimmen will als hier dargestellt: man hat ein gesellschaftliches Problem auf das Individuum ausgelagert und dabei durchaus Grundrechte eingedämmt. Man lenkt so ab von zB. den nötigen Investitionen in Krankenhäuser (Betten), Ärzte und Krankenhelfer/-pfleger bezahlungen. Stattdessen musste man sich eine Coronawarnapp installieren, die längst vergessen ist usw.

    Aber sowas zu fordern und gegenüberzustellen ist was anderes als "Meine Grundrechte! Meine Grundrechte! Meine Grundrechte!" zu rufen.


    "der autoritäre Charakter zeigt sich im Befolgen der täglichen Arbeit, auch wenn sie ihm nicht - grob gesagt - gerecht entgolten wird."


    Ist genauso ein gesellschaftliches Problem. Ich hab die Studie zum autoritären Charakter nicht gelesen, aber mir kommt es so vor, als ob er und Adorno hier den gleichen Fehler machen und den autoritären Charakter als entstanden aus sich selbst heraus erklärt bzw. psychologisiert ohne zu untersuchen, welche gesellschaftlichen Mechanismen überhaupt erst den autoritären Charakter konstituieren (genau aus dem grund hab ichs wohl nicht gelesen). Kann natürlich sein, dass dazu noch etwas im Vorwort der Studie von Adorno oder so erklärt wird oder wie die Methoden der Studie ist.

    Bin aber mal gespannt auf die wissenschaftliche Rezeption des Buches.

  • "Als Erich Fromm 1930 Leiter der sozialpsychologischenAbteilung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde, verfasste er mehrere grundlegende Aufsätze für die Zeitschrift für Sozialforschung. In seiner Arbeit Über Methode und Aufgaben einer analytischen Sozialpsychologie aus dem Jahr 1932 stellte er folgenden Satz an das Ende des Aufgabenkatalogs: „Die Theorie, wie die Ideologien aus dem Zusammenwirken von seelischem Triebapparat und sozialökonomischen Bedingungen entstehen, wird dabei ein besonders wichtiges Stück sein.“ (1932, S. 54). Im nächsten Heft folgte ein Beitrag zur psychoanalytischen Charakterkunde. Ohne diese Aufsätze und ohne seine theoretischen und empirischen Beiträge zu dem Kollektivwerk Studien über Autorität und Familiedes Instituts für Sozialforschung im Jahr 1936 sind die späteren Projekte des Frankfurter Instituts, u. a. die Authoritarian Personality nicht zu verstehen..

  • "der autoritäre Charakter zeigt sich im Befolgen der täglichen Arbeit, auch wenn sie ihm nicht - grob gesagt - gerecht entgolten wird."


    Ist genauso ein gesellschaftliches Problem. Ich hab die Studie zum autoritären Charakter nicht gelesen, aber mir kommt es so vor, als ob er und Adorno hier den gleichen Fehler machen und den autoritären Charakter als entstanden aus sich selbst heraus erklärt bzw. psychologisiert ohne zu untersuchen, welche gesellschaftlichen Mechanismen überhaupt erst den autoritären Charakter konstituieren (genau aus dem grund hab ichs wohl nicht gelesen). Kann natürlich sein, dass dazu noch etwas im Vorwort der Studie von Adorno oder so erklärt wird oder wie die Methoden der Studie ist.

    Bin aber mal gespannt auf die wissenschaftliche Rezeption des Buches.

    Ja, naja bei der Kritische Theorie ist es eigentlich gerade die Idee, Marxismus und Psychoanalyse zusammen zu denken und halt zu fragen, warum es nicht zu der großen Revolution kommt. Ich hab das auch nicht gelesen, war das aber der erste große Streich von Adorno und co, auch weil sie noch genau zu der Zeit am Institut waren als gerade die NSDAP an die Macht kam und sie dann fliehen mussten...

  • So wie ich Nachtwey verstanden habe ging es ihm allerdings gerade NICHT darum, den TeilnehmerInnen an den Querdenker-Protesten in seiner Baseler Studie und in dem auf deren Basis geschriebenen Buch allesamt als autoritäre Charaktere darzustellen. Das tut er dann zwar - wie ich finde nicht so ganz zutreffend - im Hinblick auf die TrumpistInnen in den USA, aber er sagt dabei auch ganz klar, dass es sich bei denen um eine andere Bewegung handele, die andere Leute anziehe, weil dort eine Fixierung auf ein singuläres Führerprinzip bestünde, welches er bei den befragten und beobachteten QuerdenkerInnen in Deutschland und der Schweiz nicht feststellen konnte.


    Er weist auch darauf hin, dass die Frankfurter Schule diesbezüglich im historischen Kontext gelesen werden müsse, und dass er sich bei seiner soziologischen Forschung auch auf andere Theoretiker beruft. Man kann Adornos und Horkheimers Theorien über die Entstehung des Faschismus vor dem zweiten Weltkrieg nicht einfach 80 Jahre später auf die heutige Gesellschaft übertragen. Damals herrschten andere Voraussetzungen als heute. Wenn Nachtwey sich dann von Tilo ein bischen zu Spekulationen über eine mögliche Widerkehr faschistoider Haltungen im Zuge der laufenden Krisen hinreissen lässt, dann tut er das eher widerwillig weil das nicht der Kern seiner Forschung zu den QuerenkerInnen war.

    Deren grudsätzliche Motivation ist nicht ihr "autoritärer Charakter" sondern ihr Anspruch auf eine möglichst von staatlichen Eingriffen befreite Ausübung eines individuellen Freiheitsideals, das sich in dieser hyperindividualisierten Form erst mit der neoliberalen Wende in Deutschland verfestigt hat, und überhaupt nur Teil der bürgerlichen Ideologie geworden ist, weil der politische Staat sie selbst zum gesellschaftlichen Ziel erhoben hat.


    Das Autoritäre (und meiner Ansicht nach auch das absolut widersprüchliche) am "libertären Autoritarismus" der QuerdenkerInnen ist die Forderung an den Staat, diesen Freiheitsanspruch durchzsetzen und die bürgerliche kapitalistische Ordnung zu erhalten, bzw. sie in gewohnter Form wieder herzustellen, ohne dabei die indidviduellen Freiheitsrechte der StaatsbürgerInnen einzuschränken.


    Damit spiegeln die - meiner Ansicht nach und unabhängig von Nachtwey - allerdings nur wieder, was auch ihre schärfsten KritikerInnen fordern: Einen Staat der ein absolut autoritäres sozioökonomisches System verteidigt und aufrecht erhält, dabei aber die Gesellschaft notfalls per Staatsgewalt dazu zwingt, sich aufgeklärt, liberal und antiautoritär zu verhalten und gefälligst solidarisch zu sein, damit der Staat seinen Anspruch, eine liberale Demokratie zu sein nicht verliert und die Produktivität des Wirtschaftsstandortes keinen Schaden nimmt.

  • Das mag im Detail vielleicht so sein. In der Realität setzt man dann doch anhand des Titels und seinen Methoden Querdenker=Autoritär, egal ob er mal in einem Nebensatz kurz erwähnt Adorno u. a. und dass das ja alles in Wirklichkeit viel nuancierter ist blabla. Natürlich wird er nicht selbst sagen, es geht ihm darum die als irgendwas abzustempeln.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!