Bei massiver Ausdehnung des Testumfanges auf Niedrigprävalenz-Kollektive (Häufigkeit 1-3%) sind unkontrollierbare Probleme mit falsch-positiven Befunden zu erwarten, die von den Institutionen, die mit der Nachverfolgung beauftragt sind, nicht bewältigt werden können. Die Teststrategie muss daher auf die Strategie der Stabilen Kontrolle ausgerichtet sein, d.h. es müssen in erster Linie Kollektive mit höherer Prävalenz, Kollektive mit höherem oder unbekanntem Infektionsrisiko (z.B. Lehrer, Kindergartenmitarbeiter) und Kollektive mit hohem individuellem Risiko für Komplikationen (z.B. Bewohner von Pflegeheimen und deren Angehörige, ambulante Pflege) getestet werden.
Die Definition der „Zweiten Welle“ sollte nicht auf starren Grenzwerten beruhen, sondern sich auf das Kriterium der mangelnden Abgrenzbarkeit von Herden und sporadischer Ausbreitung beziehen (ergänzt um eine regionale Komponente – mehr als 5 Gebietskörperschaften in mindestens zwei Bundesländern – und einen offiziell festgestellten Kontrollverlust).
Die Empfehlungen zum Tragen von Masken sind an die Baseline-Risiken anzupassen. Die durch Studien belegte relative Risikoverminderung um 80% bedeutet in einem Hochrisikobereich (z.B. Gesundheitswesen, angenommene Infektionswahrscheinlichkeit 10%) eine absolute Risikodifferenz von 8%, so dass 12,5 Personen eine Maske tragen müssen, um eine Infektion zu verhindern, während in einem Niedrigrisikobereich (1 Stunde Aufenthalt Supermarkt, Infektionsrisiko von 0,01%) 12.500 Personen eine Maske tragen müssen, um eine Infektion zu verhindern.
Corona nicht politisieren: Die Interpretation der epidemiologischen Situation und die Auseinandersetzung über die beste Strategie der Pandemiebekämpfung sollte nicht von Kalkülen kurzfristiger politischer Positionsvorteile dominiert werden und ist auch nicht als Gegenstand des anstehenden Wahlkampfes geeignet.
Rationale Entscheidungsfindung, rationaler Diskurs: Auch die Pandemie rechtfertigt es nicht, von der Grundnorm einer begründet abwägenden Entscheidungsfindung abzugehen und die Erfordernisse eines transparenten, fairen und faktenbegründeten Diskurses zwischen Politik, Wissenschaft und Medien zu relativieren. Gerade in dieser Situation müssen die jeweiligen Rollenzuweisungen klar zu erkennen sein, um daraus abgeleitet die Verantwortlichkeiten in einem demokratischen Rechtsstaat abzugrenzen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es möglich, das Vertrauen der Bürger in die rechtsstaatlich demokratische Kommunikation zu stärken.
In der Pandemie werden die Schwächen und Fehlentwicklungen in der politischen Kommunikation zwischen Politik, Wissenschaft und Medien wie unter einem Brennglas sichtbar. Hierzu zählen eine übertriebene Personalisierung der Politik und das Angst-Framing durch eine unangemessene Bebilderung von Ereignissen. Die Rollen von Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten werden nicht hinreichend voneinander abgegrenzt. In der Folge ließ sich zumindest in den politischen Medien eine gewisse Diskursverengung und eine Überbetonung der Alternativlosigkeit von Entscheidungen beobachten. Erst nach und nach entwickelte sich eine lebhafte Debatte in den Feuilletons und in den Medienwissenschaften.
Angesichts des Ausmaßes an sozialen und ökonomischen Verwerfungen ist es alles andere als überraschend, dass die Covid-19 Pandemie schon jetzt zu starken Veränderungen in der Wählergunst geführt hat. Im Kontext offener Parteipersonalfragen und eines kommenden Wahljahres stehen für das handelnde politische Personal alle Maßnahmen unter der Perspektive kurzfristiger politischer Konsequenzen. Dieser Umstand ist einem abgestimmten und angemessenen Umgang mit dem epidemischen Geschehen nicht notwendigerweise förderlich. Insbesondere im Szenario eines zweiten Lockdowns ist mit einer erheblichen Verstärkung einer jetzt bereits registrierbaren Polarisierung zwischen regierungsoffiziellem und fundamentaloppositionellem Lager zu rechnen.
Die Einsicht in das Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Medien und seine begründete Kritik ermöglicht es, Bedingungen eines „vernünftigen Diskurses“ in Zeiten der Corona-Pandemie zu formulieren, die als idealiter zu befolgende Grundnormen oder Grundregeln Geltung für Wissenschaft, Politik und Medien im Interesse demokratischer Meinungsbildung beanspruchen. Die Trennung von Fakten und Meinungen, die Transparenz bei Entscheidungen unter Unsicherheit und das Vertrauen in die nicht angst, sondern begründungs- und überzeugungsvermittelte demokratische Entscheidungsfähigkeit der Bürger sind die wichtigsten Bedingungen einer gelingenden Kommunikation auch in Zeiten der Corona-Pandemie