#698 - Klimajuristin Roda Verheyen

  • Dienstag (26. März), ab 16 Uhr, LIVE



    Zu Gast im Studio: Roda Verheyen, Rechtsanwältin und Richterin des Hamburgischen Verfassungsgerichts. Verheyen vertrat mehrfach als Prozessbevollmächtigte Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht. Ihr bislang größter Erfolg war der so genannte Klimabeschluss 2021, welche das Bundes-Klimaschutzgesetz zum Gegenstand hatte.


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  • 1.) Brauch man für Recht und Gesetz immer auch Strafen oder Sanktionen für die Nicht-Einhaltung bzw. Nicht-Beachtung?

    Wenn ja, was sind denn bzw. was wären geeignete Strafen für die Nicht-Einhaltung von Paris '15 oder anderen Verträgen?


    2.) Wie kommen die jüngeren und kommenden Generationen zu ihrem Recht eines bewohnbaren Planeten? Hilft Familienwahlrecht oder deutliche Absenkung des Wahlalters?


    3.) Wie kann man mit Recht und Gesetz der Nutzung von Atomkraft und die Herausforderung der Endlagerung überhaupt beikommen? 3-4 Generationen nutzen AKWs für sich selbst und verpflichten die nächsten 30.000 (oder mehr) Generationen sich um die Endlagerung zu kümmern!

  • Was Recht angeht, kann ich das Buch von Morton J. Horwitz "The Transformation of american law" empfehlen, wo er darlegt, wie das aus dem englischen Mittelalter kommende Naturrecht (Common Law), welches Gemeineigentum und den damit verbundenen Pflichten für die Gesellschaft (und Schutz der "gottgegebenen" Natur) langsam umgewandelt wurde in ein kommerzielles Recht. Das kommerzielle Recht wurde so strukturiert, dass es einzelnen Unternehmern erhebliche Rechte gegenüber dem Gemeinwohl eingeräumt hat. Eigentümern von z. B. produktiven und gewinnorientierten Wassermühlen waren nicht mehr haftbar für Schäden wie z. B. Überflutungen von benachbartem Land. Die Verantwortung für Zerstörung und Misstände, die von gewinnorientierten Unternehmungen verursacht wurden, wurden immer mehr vom einzelnen Unternehmer auf die Gemeinschaft abgewälzt, die nicht mehr das Recht hatten dagegen zu klagen. Später konstruierte man die Konzernstrukturen (corporations) mit dem staatlichen Privileg der "limited liability", die Unternehmer praktisch von aller Verantwortung für die schädlichen Folgen ihrer Aktivitäten für Mensch und Umwelt frei machte. Das Gesetz ist im Grunde eingerichtet zugunsten von Kapitalisten, die auf Kosten der Gesellschaft reich werden. Und in England hatten diese Ideen ihren Ursprung.


    Auch interessant, dass man das im Mittelalter anders gesehen hat. Eigentum war keine Privatangelegenheit, sondern wurde stark kontrolliert im Hinblick auf Gemeinwohl und Verantwortung der Menschen, die dieses Eigentum besaßen. Alle die davon direkt oder indirekt betroffen waren hatten ein Mitspracherecht. Mit dem Aufkommen des Bürgertums wurden diese Vorstellungen aber nach nach zerstört. Die Begründung war, dass dadurch Wirtschaftswachstum stimuliert wurde, was auch in gewissen Hinsicht korrekt ist, aber Ziel davon war wohl eher, dass einzelne Unternehmer mit politischer Macht reich wurden und die sich leider durchgesetzt haben, zu sehr hohen Kosten für alle anderen.


    Nochmal zu Unternehmen (im Sinne von Konzernen, engl. Corporations):

    Konzerne sind totalitäre Institutionen. Sie funktionieren intern mit ihrer Top-Down-Befehlskette wie eine Monarchie oder Oligarchie, frei von Demokratie. Sie sind aber auch per-se kriminelle Institutionen. Das staatlich garantierte Recht von limited-liability sorgt dafür, dass sie verantwortungslos Menschen und Umwelt zerstören können. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das die Kritik an Konzernen, Konservative bezeichneten sie als eine Rückkehr zum Absolutismus, und recht hatten sie ;)


    Sie sollten nicht existieren und wir brauchen eine alternative Form von Unternehmen.

  • Ich habe mir das gesamte Gespräch angehört und habe großen Respekt vor Frau Verheyen. Eine mutige Frau, die auf dem richtigen Pfad ist. Trotzdem ein paar Anmerkungen von mir.


    Bei 1:13 geht's um die Schuldenbremse.

    Das Problem ist: Schulden sind vor allem vorgezogener Konsum und vorgezogenes Wirtschaftswachstum! Mit Umweltschutz sind Schulden also nicht vereinbar - zumindest nicht bei den oft geforderten Größenordnungen.

    Und hier zeigt sich wiedermal die Crux: Probleme wie Erderhitzung, Artensterben usw. können nicht allein mit Geld gelöst werden.


    1:16 Verheyen: "Das Verkehrsministerium war noch nie unter der Leitung eines irgendwie klimagewillten Menschen. Das muss man mal ganz klar sagen."

    Natürlich nicht. Weil der "motorisierte, fetischisierte Individualverkehr" (Richard David Precht) niemals umweltfreundlich gestaltet werden kann. Auch nicht mit E-Autos oder mit Wasserstoffantrieb.


    Bei 1:24 geht's ums Lieferkettengesetz.

    Würde man ein Lieferkettengesetz in Deutschland umsetzen, welches Umweltschutz, Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz usw. entlang aller Lieferketten berücksichtigen würde, wären wir in einer Postwachstumsökonomie - mit all ihren Segnungen, Schwierigkeiten und Anpassungsleistungen.


    Bei 2:04 sagt Tilo: "Angenommen, man könnte ein bisschen träumen, hier gucken junge Leute zu, die sagen Hey, wir müssen was am System ändern, wir müssen hier grundsätzliche Sachen entweder neu machen oder hinzufügen...Hast du da Ideen"

    Neben "neu machen" und "hinzufügen" vermisse ich den eigentlich wichtigsten Begriff: "unterlassen".

    Zitat

    Wer die Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation wieder herstellen will, der steht nicht vor einem Projekt des zusätzlichen Bewirkens sondern des kreativen Unterlassens. (Niko Paech)

    Zitat

    (...) Aber wir haben kein Konzept vom Aufhören, obwohl wir mit gewissen Dingen dringend aufhören müssten. (Harald Welzer)

    Verheyen antwortet auf die Frage nach ihren Ideen dann wie folgt: "Ein Menschenrecht auf eine saubere und gesunde Umwelt."

    Klingt super, keine Frage. Aber wieder geht es nicht um die Frage, wie das Leben in einer Gesellschaft denn dann aussähe. Wie würde sich die Umsetzung eines solchen Gesetzes auf unsere Konsumgesellschaft auswirken? Fragen, die bei Jung&Naiv so konsequent verdrängt werden, dass es weh tut.



    Am Ende wird's noch mal richtig interessant: Auf die Frage von Hans, was der Gesetzgeber grundsätzlich tun könnte, antwortet Verheyen (bei 2:49): "Flächenversiegelungsstopp, Pflicht zur Ausweisung von absoluten Schutzgebieten terrestrisch und im Meer, Zulassungsstopp von Verbrennungs-PKW, Tempolimit, Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen."


    Darauf Hans: Es ist eine Frage des politischen Willens, wenn's nicht stattfindet."

    Verheyen: "Ja, genau".


    Mal abgesehen davon, dass das Zulassungsstopp natürlich auch für E-Autos gelten müsste - diese logische Konsequenz müsste Verheyen selbst auffallen, denn bei einem Flächenversiegelungsstopp dürften auch keine Flächen mehr für Wind- und Solaranlagen versiegelt werden, die aber in großem Maße benötigt werden für E- oder Wasserstoff-Autos - wird hier wiedermal der schwarze Peter allein der Politik zugeschrieben. Würden wir alle Forderungen Verheyens morgen umsetzen, wären wir in einer Postwachstumsgesellschaft! Aber da die unvermeidbaren Folgen für den vorherrschenden Lebensstil, hier wie anderswo, stets ignoriert werden, kann der gemeine Jung&Naiv Zuschauer sich bequem über "die da oben" erhitzen, ansonsten aber weiterleben wie bisher, getreu dem Motto der Umweltpolitik der letzten 40 Jahre: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

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