#637 - Soziologin Jutta Allmendinger

  • Morgen (Mittwoch), ab 18 Uhr, LIVE



    Zu Gast im Studio: Soziologin Jutta Allmendinger. Im April 2007 übernahm sie die Leitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung ernannt. Seit 2012 ist sie Honorarprofessorin für Soziologie an der Freien Universität Berlin.


    Im Jahr 2022 übernahm sie den Vorsitz des Gender Equality Advisory Councils (GEAC) der G7-Staaten und nahm in dieser Funktion am G7-Gipfel auf Schloss Elmau teil. Im Dezember 2022 übergab sie die Empfehlungen des G7-Gleichstellungsbeirats an Bundeskanzler Scholz. In ihrer Forschung befasst sich Allmendinger vor allem mit der Frage, wie die Lebensverläufe der Menschen durch Institutionen etwa der Bildung, des Arbeitsmarktes, aber auch des Wohlfahrtsstaates geprägt werden. Ihr besonderes Interesse gilt der Untersuchung von Lebensverläufen hinsichtlich des Übergangs von der (Aus-)Bildung zum Arbeitsmarkt sowie der Verflechtung der Lebensverläufe von Frauen und Männern. Weitere wichtige Forschungsgebiete sind die Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Arbeitswelt, speziell in Fragen der Arbeitsorganisation. 1999 führte Allmendinger den Begriff der Bildungsarmut in die stark ökonomisch geprägte arbeitsmarktpolitische Debatte in Deutschland ein.


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  • Schönen guten Morgen,


    an die Soziologie allgemein hätte ich eine Frage.


    Zuerst vier Prämissen:


    Prämisse 1

    Die Soziologie schaut sich gesellschaftliche Ereignisse an und möchte deren Ursachen herausfinden. Scheint eine Ursache gefunden zu sein, wird dazu eine universale Ursache-Wirkung-These veröffentlicht. Beispiele: Eine Protestbewegung des Typs A verursacht immer B. Ein Verbot des Typs X verursacht immer Y.


    Prämisse 2

    Menschen haben unterschiedliche Temperamente; die setzen sich zusammen aus unterschiedlich dosierten Eigenschaften wie etwa Risikofreude, Ängstlichkeit, Führungsdrang, Unterwürfigkeit, und etliche weitere. Alle sind individuell dosiert. Kein Mensch gleicht dem anderen.


    Prämisse 3

    Das Temperament wird teilweise geprägt durch die Umwelt in der Kindheit.


    Prämisse 4

    Manche Eigenschaften des Temperaments werden schon im Mutterleib angelegt, mit zufälliger Verschiedenheit. Sogar Kinder innerhalb derselben Familie haben verschiedene Temperamente, per Zufall angelegt. (Evolutionsbiologen mögen diesen Zufallsbegriff quantenmechanisch erklären; religiöse Denker mögen ihn durch "Gott" ersetzen. Jedenfalls hat jeder Säugling schon am ersten Lebenstag sein individuelles Temperament.)


    Zugestimmt?


    Dann ziele ich jetzt auf meine Frage:


    In der Menschheit gibt es also eine Zufallsverteilung unterschiedlicher Temperamente. Menschen sterben, neue Menschen kommen. Somit variiert das Mischungsverhältnis der Temperamente täglich, jährlich, jahrhundertlich. Würde man die weltweite, durchschnittliche Dosierung einer bestimmten Eigenschaft, wie etwa "Risikofreude", grafisch entlang einer Zeitachse aufzeichnen, so würde das nicht wie eine gerade Linie aussehen, sondern wahrscheinlich eher wie ein Gebirge, mit chaotischem Auf und Ab nahe der "Mittellinie" herum.


    Poetisch gesagt: Der Klang der Temperamentmischung entlang der Jahrhunderte ist nicht glatt, sondern ein Rauschen. Schaut man das Rauschen unter der Lupe an, sieht man zufällige Hügel und Mulden im Jahresverlauf.


    Ein Beispiel von vielen, wo dieses Auf und Ab vielleicht eingewirkt haben könnte:

    Um 1910 herum wagten mehr und mehr Frauen zu protestieren (siehe "Suffragetten"). Die Soziologie würde das typischerweise so erklären: "Nach Ereignis X folgt immer Y", und so weiter.

    Nun kann man auch bemerken, dass X sich auch in anderen Jahrhunderten ereignete, damals aber Y nicht folgte. Somit ist die allgemeine soziologische Erklärung dieses Falls nicht hinreichend. Es muss also einen weiteren Einflussfaktor geben: Vielleicht war in dieser Epoche die vorgeburtlich angelegte Risikofreude im Durchschnitt zufällig intensiver, was zu einem Kipppunkt geführt hat? Natürlich kann auch das nicht hinreichend gewesen sein. Hinreichend war aber vielleicht die Summe. Die Summe dieser zufälligen Ausprägung und jenem soziologischen "wenn X dann Y"?


    Frage:


    Befasst sich die heutige Soziologie mit dieser Problematik?


    (Wenn ja, mit welchem Suchbegriff findet man Informationen darüber?)


    Wahrscheinlich ist diese Frage zu philosophisch für Jutta Allmendinger (wie sollte man auch die Temperamentverteilung entlang der Jahrhunderte überhaupt messen?). Die Frage würde ich am liebsten dem Philosophen Philipp Hübl stellen. Der wäre sicher heiß darauf.


    Danke fürs Lesen.

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