Die allermeisten, die hier oder sonstwo öffentlich linke Systemkritik üben, warnen seit Jahren davor, dass die laufende Entwicklung genau zu dem Rechtsruck führt, den wir jetzt überall in der freien demokratischen Welt beobachten können, weil es bei den großen demokratischen Meinungsmachern - nicht nur bei den liberalen sondern auch bei den meisten "linken" - überhaupt kein Bewusstsein dafür gibt, worin die eigentliche Ursache für grassierenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die liberale Demokratie begründet liegt, und weil man sich statt dessen auf eine moralische Kritik á la A. Kemper: "AfD (oder FPÖ, Fidez, PiS, Lega, Schwedendemokraten, Wahre Finnen, Rassemblement National, etc.) wählen tut man einfach nicht" - kapriziert, die in den Augen der Kritisierten nichts weiter ist, als eine Selbstüberhöhung der Kritiker zu ihrem Nachteil, die überhaupt nicht dazu führt, dass die sich zu "den Anständigen" gesellen, sondern dazu, dass sie sich von denen als die Unanständigen, als die "deplorables" (H. Clinton, US-Wahlkampf 2016) gebrandmarkt fühlen und dann erst recht in Opposiotion dazu gehen.
Ich schrieb zum Beispiel schon vor über 3 1/2 Jahren dem werten Genossen Fuchs, der mich jetzt hier dafür verantwortlich erklären will, dass "Das Forum" sich immer weiter nach rechts entwickelt habe:
[...]
Nicht nur ich habe das zuvor und seitdem immer wieder als reale Bedrohung angesprochen. Und diese rechtsreaktionäre Bewegung kommt jetzt nach dem Rundlauf durch unsere peripheren europäischen Nachbarländer auch im Zentrum, in der europäischen "Führungsmacht" Deutschland mit voller Wucht an.
"Verbarrikadiert" haben sich vor dieser Erkenntnis vor allem jene Leute, die nicht nur hier sondern auch in der sonstigen öffentlichen Debatte den radikalen Systemkritikern immer schon vorgehalten haben, dass ihre Kritik zu abgehoben, zu realitätsfern und kein konstruktiver Beitrag zur laufenden Debatte sei, und dass ihre Argumente für die Abschaffung der herrschenden Verhältnisse gar nichts zu deren Verbesserung beitrügen.
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Mag alles sein, nur warum lehnt der ein oder andere linke Systemkritiker Demos gegen Faschismus ab?
Kann der ein oder andere linke Systemkritiker nicht sowohl linke Systemkritik üben, als auch gegen die Eskalation zum Faschismus andemonstrieren? Was genau spricht gegen die Dualität dieser Herangehensweise? Das ist es, was ich nicht verstehe. Mit einem schnöden, ich denke zwar nicht, dass das viel bringt, aber besser als nichts ist es wohl, würde ich mich ja vollkommen zufriedengeben, denn exakt das ist auch mein eigener Standpunkt.
Ich habe es Dir auch in unserem letzten Disput explizit geschrieben: Ich bin nicht gegen linke Systemkritik. Aber man wird wohl auch fragen dürfen, was genau diese linke Systemkritik denn so konkret in den letzten Jahren des Aufstiegs der afd gebracht hat...
worauf der ein oder andere linke Systemkritiker dann antworten wird, dass diese ja gar keine Verbreitung in den Medien fand; worauf ich wieder fragen würde, wie man denn gedenke, daran etwas zu ändern uswusf.
Die unendliche Geschichte aka das Karussell
Das ist im übrigen auch ein Grund, warum die Systemkritik so wichtig ist. Ich hatte bisher den Eindruck, Du würdest das nicht verstehen aber Du tust es eigentlich doch. Vielleicht erleben wir es auch noch, dass zehntausende Menschen auf die Straße gehen, weil ihnen zB in on- und offline Diskussionen und Debatten die Widersprüchlichkeiten klar geworden sind und es unumgänglich wird, sich abseits der schallverstärkten Mitte/Rechts-Narrative zu positionieren.
Das verstehe ich die ganze Zeit schon, das Problem dabei ist die Skalierbarkeit (und auch das habe ich ja schon x-mal ins Feld geführt). Wenn eine handvoll linke Systemkritiker auf diesen Effekt hoffen, wird genau gar nichts passieren. Wenn ein paar zehntausend Demoteilnehmer (inkl. mediale Verbreitung) auf diesen Effekt setzen (bzw. würde ich da nicht einmal eine Intention unterstellen wollen, es passiert einfach), dann hat das Wirkung.
Den Teilnehmern der aktuellen anti-afd-Demos würde ich selbstverständlich keinerlei linke Systemkritik unterstellen, wenn man mit den sehr banalen Inhalten (Nazis sind scheiße) aber zumindest mal die afd verhindern kann, ist das mMn realpolitisch jetzt mehr wert, als eine handvoll Leute, die wahlpolitisch keinerlei Unterschied machen, von der Richtigkeit linker Systemkritik überzeugt zu haben.
Und nur um es sicherheitshalber nochmal zu erwähnen, das eine schließt das andere NICHT aus. Es geht beides parallel, man muss sich nicht entscheiden und gegen das eine oder andere wettern und ich meckere nicht über linke Systemkritik an sich, sondern gegen linke Systemkritik als aktuell im hier und jetzt wirksamen Instrument, um eine afd-isierung Deutschlands zu verhindern (oder wenigstens abzuschwächen). Denn das aktuelle hier und jetzt der politischen Landschaft setzt die Leitplanken für die (politische, aber nicht nur die) Zukunft.