Du zitierst meine Ansichten zu einer - von Dir selbst ins Spiel gebrachten(!) - "marxistischen" Position und wirfst mir dann vor, ich würde darüber nur Behauptungen ohne Argumente verbreiten, hältst es aber deinerseits nicht für angebracht, selbst mal zu schildern, wie diese "ukrainisch"-marxistischen Positionen denn eigentlich aussehen, mit denen Roy und ich uns mal beschäftigen sollten?
Welche marxistischen Bewegungen gibt es denn überhaupt noch in der Ukraine? Welche - auch nicht explizit marxistischen - linken Bewegungen oder gar Parteien äußern sich dort noch öffentlich zum Krieg gegen Russland? Welche Argumente bringen die vor, die dem was ich hier geschrieben habe zuwider laufen?
Ja das stimmt. Es findet ein Krieg zwischen Armeen und Söldnern statt, der von der russischen Regierung begonnen wurde. Darüber hinaus findet aber auch ein Krieg des kollektiven Westens gegen Russland statt, an dem die USA und ihre Verbündeten in Form eines Wirtschaftskrieges aktiv beteiligt sind, und dessen militärische Ausführung von der ukrainischen Regierung mittels der ukrainischen Armee und von ihr dafür bezahlten Söldnern besorgt wird, welche der Westen wiederum mit Waffen und anderem Kriegsmaterial beliefert, damit sie den Krieg weiter führen kann. Das sind Tatsachen.
Dass es sich bei diesem Krieg nicht nur um einen Verteidigungskrieg "der Ukraine" gegen einen militärischen Angriff "Russlands" handelt, sondern auch um einen Stellvertreterkrieg, den der kollektive Westen mit "der Ukraine" als Stellvertreter gegen die russische Regierung und deren Großmachtanspruch führt, kann man bestenfalls "semantisch" in Frage stellen. De facto haben aber der ukrainische Präsident (s.u.) und andere Vertreter seiner Staatsführung selbst mehrfach erklärt, dass es bei diesem Krieg nicht alleine um die wie auch immer geartete "Souveränität" "der Ukraine" gehe, sondern um "unsere" kollektive westliche Freiheit. Auch deutsche PolitikerInnen aus Regierung und Opposition betonen immer wieder, dass Erzbösewicht Putin es auf "unsere" Freiheit abgesehen habe, und dass "unsere" Unterstützung der Ukraine daher auch in "unserem" ur-eigenen Interesse läge.
Auch das ist richtig. Aber auch wenn man das aufs Schärftse moralisch verurteilt, hat man damit noch überhaupt nicht geklärt, warum dieser Putin diese schrecklichen Dinge befiehlt.
Eine schlüssige Antwort auf genau diese Frage wäre allerdings essenziell dafür, wie die restliche Weltgemeinschaft auf diesen russische Angriffskrieg - der nach wie vor das Potenzial birgt, sich zu einem atomaren Weltkrieg auszuweiten - reagieren sollte, und wie sie ihn am schnellsten wieder beenden könnte, damit auf beiden Seiten nicht noch mehr Menschen - ganz gleich welcher Ethnie - in den Tod geschickt, verletzt und verstümmelt, oder aus ihrer Heimat vertrieben werden.
Die Antwort des überwiegenden Teils der politischen Führungen und des medialen Mainstreams im Westen auf diese Frage besteht aber nicht in einer nüchternen Analyse der Vorgeschichte dieses Krieges und der unrümlichen Rolle, die neben Erzbösewicht Putin und seiner Oligarchen-Kamarilla auch westliche SpitzenpolitikerInnen und, nicht zuletzt, ukrainische Regierungen dabei gespielt haben.
Analysen, die versuchen, die realpolitischen Hintergründe aufzuzeigen, werden stattdessen marginalisiert, die AnalystInnen werden moralisch und intellektuell diskreditiert, als empathielos, zynisch, menschenverachtend, und bisweilen gar als AgentInnen des Kreml-Herrschers dargestellt. Statt dessen wird der durch tägliche Bilder von Leid, Zerstörung und Tod in der Ukraine emotional weichgekochten Öffentlichkeit immer wieder eingebläut, dass Putin diesen Krieg vor allem deswegen vom Zaun gebrochen, und all dieses Leid persönlich zu verantworte habe,...
...weil er eben ein gemeiner Faschist und Imperialist sei - also ein ganz schlechter Charakter mit ganz bösen Absichten - der es nicht ertragen könne, dass sich in seiner Nachbarschaft Demokratie und Freiheit ausbreiten.
Und das, lieber Oli ist ungefähr die un-marxistischste Erklärung für diesen Agriffskrieg, die man sich überhaupt ausdenken kann, weil sie dessen Ursache darauf reduziert, dass ein Böser Mensch mit seiner bösen Ideologie seine Mordgesellen losschickt, um die guten Menschen mit ihrer guten Ideologie zu vernichten.
Die Grundlage der Marxschen Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer kapitalistischen Produktionsweise - und ihren zu deren Beförderung geführten imperialistischen Kriegen - war hingegen nie die moralische Verurteilung böser Menschen, die Böses im Schilde führen, sondern die bürgerliche Ideologie selbst, welche sich die individuelle #Freiheit als ureigenstes Selbstverständnis auf die Fahnen schrieb, um ihren ausbeuterischen, zerstörerischen und überaus kriegerischen Charakter zu verschleiern, und zur zivilisatorischen Errungenschaft umzudeuten.
Der Staat, der dafür zuständig ist, diese bürgerliche Gesellschaft mitsamt ihren binären Moralvorstellungen aufrecht zu erhalten, ist nach marxistischer Lesart nicht der demokratische Repräsentant seiner Staatsbevölkerung, sondern der oberste Bewahrer dieser (kapitalismusrechtfertigungs-) Ideologie gegen all ihre äußeren wie inneren Feinde. Und wenn die Staatsherrschaft es für nötig befindet, dann behauptet sie diesen Aspruch auf Verteidigung der guten Sache auch mit äußerster Gewalt - egal ob sie in Moskau, in Kiew, oder in Washington D.C. ihre Amtssitz hat.
Wenn du mir jetzt also zum Beispiel vorwerfen wolltest, dass ich mich im Kampf zwischen kapitalistischen Staatsführugen um ihre jeweiligen Rechtfertigungsideologien nicht auf die richtige Seite stelle, dann würde ich Dir als alter Salonmarxist entgegnen, dass es für mich dort wo Staatsgewalten um die Ideologische Deutungshoheit ihrer jeweiligen Herrschaft Krieg führen keine richtige Seite gibt.
Die russische Seite ist - unter dieser Prämisse der Beurteilung des Kriegsgeschehens nach moralisch-ideologischen Kategorien - genauso falsch wie die ukrainische, die amerikanische oder die deutsche.
Die einzig richtige Seite wäre eine, die alles dafür täte, dass nicht noch mehr Menschen für die Herrschaftsansprüche und ideologischen Deutungshoheiten ihrer jeweils herrschenden Klassen auf dem Schlachtfeld verheizt werden.
Und das kann nur eine interationale Seite sein, die sich nicht mit einer der beiden ´Kriegsparteien gemein macht, sondern nur mit den Meschen, die unter dem Krieg zu leiden haben - ungeachtet ihrer Nationalität, Ethnie oder Weltanschauung.
Aber so lange man diese leidenden Menschen mit "Die Ukraine" gleichsetzt, sie also ganz selbstverständlich für identisch mit dem ukrainischen Staat in seinen (irgendwann mal nach einem anderen Krieg von den Siegern per Strich auf der Landkarte festgelegten) Staatsgrenzen und mit seiner Staatsregierung erklärt, und den ukrainischen Staatschef für die Personifizierung eines völlig geeinten ukrainischen Volkswillens hält - so lange man also im Grunde mit der Bevölkerung der Ukraine das selbe tut, wie Putins Regime mit seinem eigenen russischen Staatsvolk -, dann wird man diesen konflikt nicht zu einem friedlichen Ende bringen, sondern nur genau den "Faschismus" in Europa wieder salonfähig machen, gegen den moralisch gefestigte links- bis rechtsliberale deutsche BildungsbürgerInnen allenthalben ihre klare Haltung demonstrieren wollen.