Die große Transformation

  • Warum nicht? Du kannst doch ganz gut Sachen erklären. Warum nicht auch, was mit "Liebe" hier gemeint ist, oder warum Erich Fromm (den ich nur mal auszugsweise in der Schule lesen musste und mich nicht mehr daran erinnern kann) sich dabei offenbar an der christlichen Nächstenliebe orientiert, bzw. warum das für unbelesene Affen nur so erscheint, obwohl es eigentlich ganz anders gemeint war?


    (Vielleicht bin ich auch einfach zu sehr von meiner christlichen Vergangenheit desillusioniert worden, um die Substitution von Empathie und Solidarität durch "Liebe" nicht unnötig pathetisch zu finden.)

  • In den Arbeiten von Prof. Dacher Keltner, Doktorvater von Paul Piff und Direktor des „Berkeley Social Interaction Laboratory“, geht es um die Liebe als soziales Phänomen. Er steht damit ganz in der Tradition von Sozialpsychologen wie Erich Fromm, der mit „Die Kunst des Liebens“ eines der einflussreichsten philosophischen Werke über die Liebe verfasst hat. Wie Erich Fromm sieht Dacher Keltner das Mitgefühl bzw. die Nächstenliebe als die fundamentale Eigenschaft des Menschen und „die fundamentalste Art von Liebe, die allen anderen Formen zugrunde liegt“ (2)

    ich dachte das hätte ich :(

    Aber vielleicht kann ich ja doch nicht so gut erklären. :)

  • "Die Kunst des Liebens" ist halt so ein Titel...

    Und dann auch noch die "Nächstenliebe" - da läuft's mir einfach kalt den Rücken herunter und ich denke an schwülstige Liebesromane oder an so pseudo-hippieske protestantische Kirchenchorsängerinnen, die Dir mit Lächeln im Gesicht erklären, dass Rockmusik rückwärts abgespielt satanische Botschaften enthält und dass die Welt nur so schlecht ist, weil die Menschen nicht Gottesfürchtig genug sind.


    Vielleicht liegt's ja an mir.

  • "Die Kunst des Liebens" ist halt so ein Titel...

    Da steht ja "Die Kunst" und ich würde es Interpretieren als eine Suggestion davon, dass es vielleicht eine Pluralität an Künsten des Liebens gibt. Verschiedene Abstufungen, von denen das bürgerliche enge und individuelle Konzept der Liebe nur ein kleiner Teilbereich ist. Glaube kaum, dass Fromm der Meinung war, dass in einer alternativen Gesellschaft jeder jeden lieben müsste. Dafür schreibt viel zu komplexe Texte.

  • Ich finde das sehr verwirrend...:

  • Ich finde das sehr verwirrend...:

    Die beziehen sich alle, auch Freud, auf die christliche Vorstellung der Nächstenliebe, nicht auf die von Fromm, der das Christentum und Religion kritisiert hat.

  • Utan Ich denke, dass du damit ein Problem ist, ist halt leider dein Problem, nicht meins.


    Ich weiss, dass da viele auf diese Ideen so reagieren, das hab ich auch in der Diskussion um Spiritualität angesprochen. Mir ging es auch so, aber ich bin da inzwischen offener, vielleicht weil durch den Kontakt mit viel US-Amerikanischen Texten/Videos, meine wahrnehmung eine andere ist. Im englishen wird der Begriff evtl. auch anders verstanden, eben als "felt community with all others."? (als Gegenteil von Hate.)


    Die 68er Revolution war eben in den USA im Gegensatz zu unserer Apo weniger politisch sondern eher richtung Hippie, new Age, Love not War usw. unterwegs.

  • Wie immer überhaupt nicht hilfreich, Jonny.


    Ich störe mich an dem Wort "Liebe" als Aufhänger für eine gesellschaftliche Transformation, nicht an den Theorien von Erich Fromm oder Pjotr Kropotkin.

    Wörter haben halt eine Bedeutung🤷‍♂️Und es ist ein riesiger Unterschied, ob man christliche Nächstenliebe im Sinne von kompletter bedingungsloser Aufopferung zugusten einer anderen Person meint, oder Liebe als ein die Gesellschaft konstituierendes Konzept der Kooperation, Fürsorge, Gleichheit, Gerechtigkeit ect. Wenn man kritisiert, dass das Wort "Liebe" benutzt wird, ist das eine andere Frage.

  • Ich finde das sehr verwirrend...:

    Ja, halte ich für quatsch.


    Wenn der einzelne in seinem Umfeld aus einem Prinzip der gegenseitigen "Liebe" handelt, dann entsteht in der Gesamtheit eine stabile Gesellschaft. Der einzelne muss sich dazu nicht aufgeben, muss nicht Opfer werden oder sich übers ohr hauen lassen und dabei auch nicht imer an das Gesamtsystem denken. Es reihct wenn alle erstmal freundlich und kooperativ auf andere zugehen, aber auch Versuche der Übervorteilung vergelten.


    In der Spieltheorie kann man überprüfen welche Art Interaktion zwischen einzelnen Akteuren zu einem insgesamt stabilen System führt. Die stabilste Strategie scheint die "freundliche wie du mir so ich dir Strategie" zu ein.


    Robert Axelrod, eigentlich einer der wichtigsten Vertreter der "rational choice theorie" auf die die Idee des homo öconomicus beruht, hat in seinem Buch "die evolution der Kooperation" versucht darzulegen inwieweit die Idee des rationalen auf Eigennutz ausgerichteten Teilnehmers zur Evolution der Kooperation in menschlichen Gesellschaften führte. Ich finde, er hat eigentlich genau das Gegenteil gezeigt.


    In einer Computersimulation eines unendlichen Spiels von Spielern die eine unendliche Anzahl von Spielen des "Gefangenen Dilemma" widerholen, sollten verschiedene Strategien von Verhalten, also vor allem egoistische und kooperative Strategien, gegeneinander antreten. Mit der Zeit scheiden (durch simulierte Selektion) wenig erfolgreiche Startegien aus.


    Die erfolgreichsten "Spieler", also die, deren Strategien zu einem stabilen System führten ohne dass sie durch Selektion ausschieden, nennt man evolutionär stabile Strategien.


    Langfristig sind Strategien erfolgreich und führen dann insgesamt zu einem stabilen System, die folgende Eigenschaften haben:


    Zitat

    Be nice: cooperate, never be the first to defect.

    Be provocable: return defection for defection, cooperation for cooperation.

    Don't be envious: be fair with your partner.

    Don't be too clever: or, don't try to be tricky.

    Vereinfacht Zusammengefasst

    Völlig auf Eigennutz ausgerichtete Strategien sterben meist aus, egal wie Trickreich diese Strategien sind. Verändert man häufig die Parameter, kann es sein, dass wenige Akteure, die eine egoistischere Strategien verfolgen, für das überleben des Gesamtsystems notwendig sind, weil sie in einem solchen Fall die Anpassung an neue Bedingungen beschleunigen.

    Sind aber nur egoistische Strategien am Start, stirbt die gesamte Population.


  • Die 68er Revolution war eben in den USA im Gegensatz zu unserer Apo weniger politisch sondern eher richtung Hippie, new Age, Love not War usw. unterwegs.

    Ja schon. In den USA kann man auch zu allem möglichen "I love it" sagen, ohne dass das gleich die Assoziation mit dem ganz großen, herzzerreissenden Gefühl verursacht. Aber gerade in Deutschland, im (ehemaligen) Land der romantischen Dichter und Denker, wird "Liebe" halt sehr ernst genommen und bleibt eigentlich auf tatsächliche Liebesbeziehungen, oder Liebe zu den eigenen Kindern beschränkt.

    Es sei denn - und das ist der Punkt, den ich selbst nicht so richtig formulieren kann - es geht um religiöse Gefühle. Und da habe ich leider die Erfahrung gemacht, dass da wo "Liebe" unter Mitgliedern der selben Glaubensgemienschaft drauf steht, häufig auch Hass gegen Abtrünnige und Ungläubige drin ist.


    Das hat für mich sehr viele Parallelen zu dem "Moralbellizismus" und dem neuen kollektiven Wertebewusstsein der bürgerlichen Mitte, die ich die ganze zeit polemisch beklage.

    In Zeiten wo das Vertrauen in der Gesellschaft gegenüber den althergebrachten Institutionen und Mechanismen rapide schwindet - so wie es zum Beispiel schon mit der Pandemie verstärkt zum Ausdruck kam - wenden sich die Enttäuschten und Orientierungslosen dann eben "höheren" Werten zu.

    Das gilt bis zu einem gewissen Grad für den Klimaschutz, für Veganismus oder für die zum Kulturkampf übersteigerte Form der Identitätspolitik genauso wie es auf der anderen Seite für den wiedererwachten Glauben des anderen Teils der bürgerlichen Mitte an Selbstheilungskräfte, Esoterik, Traditionelle Werte, oder eben auch an den völkischen Nationalismus im Einklang mit der Muttererde gilt (wie zum Beispiel bei der gruseligen Anastasia-Bewegung).


    Ich verstehe ja das Bedürfnis nach mehr Spiritualität und die Idee, die Leute mit emotionaler Ansprache zu begeistern, aber ich sehe halt auch, dass das sehr schnell zu ganz neuen Problemem führen kann, die sich dann rational nicht mehr Diskutieren lassen, und die Fronten eher verhärten, als die "gespaltene" Gesellschaft zu einem neuen Verhältnis zum menschlichen Meiteinander und zur Natur zu bewegen.

  • Völlig auf Eigennutz ausgerichtete Strategien sterben meist aus, egal wie Trickreich diese Strategien sind. Verändert man häufig die Parameter, kann es sein, dass wenige Akteure, die eine egoistischere Strategien verfolgen, für das überleben des Gesamtsystems notwendig sind, weil sie in einem solchen Fall die Anpassung an neue Bedingungen beschleunigen.

    Sind aber nur egoistische Strategien am Start, stirbt die gesamte Population.

    Also davon musst Du mich nicht überzeugen, Das sehe ich ganz genau so.


    Mir geht es ganz konkret um die Anrufung der (Nächsten-)"Liebe" als Strategie zur transformation des gesellschaftlichen Bewusstseins.


    Wie stellst Du Dir das denn konkret vor? Die hippies von damals sind ja nun mit ihrem Anspruch von Peace, Love and Harmony entweder komplett daran gescheitert, die totale neoliberalisierung zu verhindern, oder sie gehören heute auch in den USA zu deren größten Antreibern und Profiteuren und sind Stützen des "progressiv"-neoliberalen Systems.


  • Sobald Machtgefälle in einer geschichteten und hierarchischen Gesellschaft eine Rolle spielen, würde ich dir recht geben. Wenn aber gleichzeitig eine Form einer herrschaftslosen Gesellschaft/Anarchie existiert, die tolerant gegenüber dem Glauben anderer ist, würde ich die Gefahr, dass das in Religionskämpfe ausartet nicht sehen.


    Ich denke in den meisten Fällen werden unterschiede, egal ob Glaube, Farbe, Sexualität, Klasse, etc. erst von autoritären Demagogen instrumentalisiert und führen dann zu denKonflikten die du beschreibst.


    Wichtiger als eine Spiritualität scheint dann also erstmal die Überwindung von Herrschaft. Möglicherweise sind wir in der Lage eine Form der Spritualität zu finden die Herrschaft über Menschen und Natur deligitimiert. Ich denke so war das auch bei Kulturen die diesen Weg schon gegangen sind.

  • Also davon musst Du mich nicht überzeugen, Das sehe ich ganz genau so.


    Mir geht es ganz konkret um die Anrufung der (Nächsten-)"Liebe" als Strategie zur transformation des gesellschaftlichen Bewusstseins.


    Wie stellst Du Dir das denn konkret vor? Die hippies von damals sind ja nun mit ihrem Anspruch von Peace, Love and Harmony entweder komplett daran gescheitert, die totale neoliberalisierung zu verhindern, oder sie gehören heute auch in den USA zu deren größten Antreibern und Profiteuren und sind Stützen des "progressiv"-neoliberalen Systems.

    Wenn wir die Spieltheorie ernst nehmen (was natürlich meist ein Fehler ist) befinden wir uns gerade in der Phase des Experimentes in der die egoistischen Strategien (ausgelöst durch einen Überfluss an verfügbarer Energie) zeitweise dominieren. Langfristig könnte das Spiel wenn der Überfluss endet, dann also entweder zu einem totalen Kollaps der Population, oder einem Aussterben der egoistischen Strategien führen. Langfristig ist eine Population von egoistischen Strategien nicht stabil und kollabiert.

  • Sobald Machtgefälle in einer geschichteten und hierarchischen Gesellschaft eine Rolle spielen, würde ich dir recht geben. Wenn aber gleichzeitig eine Form einer herrschaftslosen Gesellschaft/Anarchie existiert, die tolerant gegenüber dem Glauben anderer ist, würde ich die Gefahr, dass das in Religionskämpfe ausartet nicht sehen.

    Ja klar. WENN eine Form der herrschaftslosen Gesellschaft schon erreicht wäre, dann wäre das sicher auch ohne Glaubenskämpfe möglich. Das glaube ich auch. Ich schrieb ja schon, dass ich gar nichts grundsätzliches dagegen habe, wenn Leute an irgend etwas Höheres glauben, so lange sie anderen nicht vorschreiben wollen, woran sie zu glauben haben. Wo keine herrschaft über andere ist, kann man anderen auch nichts aufzwingen.


    Aber die Frage ist doch:...

    Wichtiger als eine Spiritualität scheint dann also erstmal die Überwindung von Herrschaft. Möglicherweise sind wir in der Lage eine Form der Spritualität zu finden die Herrschaft über Menschen und Natur deligitimiert. Ich denke so war das auch bei Kulturen die diesen Weg schon gegangen sind.

    ...wie kommen wir da hin?


    Wie versammelt man Leute die an gar nichts mehr glauben - oder eben an autoritäre, hierarchische Religionen und Ideologien - hinter einer neuen Form der Spiritualität, ohne dass daraus - unter den herrschenden, autoritären Verhältnissen! - ein militanter Kult wird, der die Ungläubigen und Unbekehrbaren radikal bekämpft oder von ihnen bekämpft wird?

  • Ja, keine Ahnung. Vielleicht will sich ja ein Freiwilliger als Guru versuchen und eine anarchistisch-sozialistische-öko-Religion gründen? Meldungen?

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