Gute Frage. Bei Gewalttaten finde ich diese zusätzliche Schubladisierung grundsätzlich sinnlos -- also so Schubladen wie: Filmgeschäft, Wissenschaftsbetrieb, Kirche, Konzert, etc.
Oder: Rechtsradikal, linksradikal, islamistisch, faschistisch etc.
Ich denke, das Kernproblem bei der Gewalt ist nicht die Schublade oder die Fahne. Das sind austauschbare Schmuckrahmen. Sondern das Kernproblem ist die jeweilige Psyche der gewalttätigen Person.
Wenn eine Frau einen Sprengstoff-Gürtel trägt und sich und andere in den Tod reißen möchte, liegt hier meiner Ansicht nach in erster Linie eine narzistische, depressive Störung vor, und kein politisches oder religiöses Problem. Angenommen, es gäbe keinen derartigen Extremismus mehr: Ich glaube, dann wird es weiterhin Mitnahmesuizide geben, nur eben unter anderen Fahnen oder Schubladen. Jener junge, deutsche Copilot stürzte absichtlich den vollbesetzten Airbus in die Alpen, weil seine Piloten-Lizenz unwiderruflich ablief. Das war vermutlich ein narzistischer, depressiver Mensch. Wäre er in islamistischen oder faschistischen Kreisen unterwegs gewesen, so hätte man in erster Linie diesen Kreisen die Schuld gegeben. Natürlich sind diese Kreise schlecht und sie müssen abgewehrt werden. Aber darauf zu hoffen, deren Auslöschung würde auch narzistische Störungen eliminieren, halte ich für gefährlich ablenkend vom Kernproblem, das in jeder Schublade erscheinen kann. Sogar in der streng kontrollierten zivilen Luftfahrt.
In dem Sinne halte ich es auch für sinnlos, die Metoo-Problematik zu schubladisieren in Filmgeschäft, Wissenschaftsbetrieb, Kirche etc. Zuerst dachte man, da wäre ein spezielles strukturelles Problem im Filmgeschäft, dann ein strukturelles Problem im Wissenschaftsbetrieb und so weiter. Am Ende kommt heraus, dieses strukturelle Problem ist überall. Überall. Die Schubladen kann man vergessen, denn es ist überall. Und das Kernproblem, so vermute ich, ist eben die jeweilige Psyche der gewalttätigen Person.
Die am meisten überflüssigen Schubladen sind die mit der Aufschrift "weiß" und "alt". Dass die meisten Täter männlich sind, ist offensichtlich. Aber auf "weiß" und "alt" trifft das nicht zu: Es gab unzählige Vergewaltigungen, auch Massenvergewaltigungen, sowohl bei den Weißen als auch bei den Afrikanern und Asiaten, zudem auch noch Genitalverstümmelungen und so weiter. Und das Altersspektrum reicht von alt bis ganz jung. Dieses psychisch begründete Gewaltproblem ist in meinen Augen weder ein politisches, noch religiöses, noch ethnisches, noch altersbedingtes Problem, sondern ein individuelles Problem mancher Ausgaben des homo sapiens, unabhängig von Ort und Gesinnung.
Schubladen lenken nur ab vom Kernproblem.