Beiträge von Toni

    Und - korrigiere mich wenn ich das falsch sehe, aber - alleine aus ihrer akademischen und beruflichen Ausbildung wird ihnen das vermutlich nicht zuteil werden.

    Leider richtig.
    Aber ich nehme es schon auch oft so wahr, dass es da ein verbreitetes Unbehagen (oder "Bauchschmerzen" 🙃) damit gibt und Interesse für diese "Bewusstseinserlangung".

    genau das scheint mir die große Hürde zu sein, vor der eine wie auch immer geartet gesellschaftskritische oder gar revolutionäre Psychotherapie steht

    Dem möchte ich gar nicht widersprechen. Denke aber, dass nicht nur eine gesellschaftskritische Psychotherapie damit konfrontiert ist - prinzipiell jede Art der Therapie, auch wenn das sonst wenig reflektiert sein mag. Gerade in einem unkritischen therapeutischen Setting kann es schnell passieren, dass das asymmetrische Beziehungsverhältnis zwischen PatientIn und TherapeutIin ein hierarchisches ist (und entsprechend TherapeutInnen dazu geneigt sind, sich die Deutungshoheit darüber, was nun gut und schlecht für die PatientInnen ist, zuzuschreiben).

    Die Frage ist eben, was die Zielsetzung einer psychotherapuetischen Praxis überhaupt sein kann.

    Ja, da hatte mich Eure Perspektive interessiert. Danke, dass Du Deine in mehreren Beiträgen geteilt hast.
    Und ja, das hängt dann teilweise wohl auch von der Art des Leidens ab. In der Regel ist der Anspruch von Psychotherapie jedoch (über eine medikamentöse Behandlung hinausgehend) die Schaffung neuer Handlungsmöglichkeiten. Aus kritisch-psychologischer Sicht ist das die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess. Weiterhin wäre aus kritisch-psychologischer Sicht das sich

    individuell an die gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen müssen

    eher restriktive Handlungsfähigkeit und anzustreben sei verallgemeinerte Handlungsfähigkeit (wobei dann die Möglichkeit zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse in Richtung einer Vergrößerung der allgemeinen Verfügung über die Lebensbedingungen einbezogen würde).

    Psychologie und Psychotherapie, die gesellschaftliche Verhältnisse aus ihren Theorien, ihrer Forschung und Praxis ausklammern (oder als unhinterfragbare Konstante konzeptualisieren), sind demnach im restriktiven Modus.


    Ich würde meiner vorherigen schwammigen Antwort auf Deine Frage

    Wie stellst Du Dir denn vor, dass PsychotherapeutInnen mit ihrer Therapiearbeit zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen?

    noch ein Zitat zu möglichen psychotherapeutischen Wirkmechanismen bei Einbindung gesellschaftskritischen Perspektiven hinzufügen:

    Zitat von Erik Petter in "Auf dem Weg zu einer Kritischen Psychotherapie. Einige Impulse aus (einer Kritik an) der personzentrierten Therapiekonzeption" in "Forum Kritische Psychologie – Neue Folge - 2022"

    "Beispielsweise könnte es bei der Klient*in zu einer realistischeren Sicht auf ihre Problemlage kommen und in diesem Zuge eine Entlastung von Selbstvorwürfen erfolgen, weil die Klient*in vorher vielleicht die Verantwortung für Umstände übernommen hat, die sich in Wirklichkeit ihrer Kontrolle entziehen. Weiter könnte die Klient*in Ideen für neue Bewältigungsmöglichkeiten entwickeln, weil sie ihren real bestehenden Handlungsspielraum zunächst unterschätzt hat und diese Verkürzungen bei einer tieferen Analyse der zu Grunde liegenden Gesellschaftsstrukturen nun in den Blick geraten. Es wäre darüber hinaus auch denkbar, dass neue Qualitäten von Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen und vielleicht sogar neue Bündnismöglichkeiten entstehen können, wenn die gesellschaftlich vermittelten Gründe für interpersonelle Konflikte klarer werden. Und schließlich ist auch denkbar, dass eine neue Art von Hoffnung erfahrbar wird, wenn die Klient*in begreift, dass die Gründe für ihre Problemlage zwar nicht unmittelbar durch sie selbst verändert werden können, aber eben auch nicht auf unantastbaren Naturgesetzen beruhen und deswegen zumindest prinzipiell veränderbar sind (Rexilius, 1998, S. 2187). Möglicherweise könnte in diesem Zuge die Beteiligung an einem gesellschaftlich geführten Kampf um eine Sache, die für die Entstehung der eigenen Problemlage als ursächlich erkannt wurde, auch dann zu einer Verringerung des subjektiven Leidens führen, wenn dieser Kampf (noch) keine Erfolge gezeitigt hat. Vielleicht könnte in diesem Zusammenhang die Erkenntnis eine Rolle spielen, dass auch zahlreiche andere Menschen an denselben Verhältnissen leiden wie man selbst, und deswegen eine Veränderung derselben sowohl meinen eigenen wie auch den Leidensdruck dieser anderen Menschen reduzieren würde.“

    Das sind viele vielleichts. Aber da ich die

    neutral wahrgenommene Instanz im individuellen Therapiegespräch

    sowieso nicht als neutral ansehe, würde ich momentan sagen, dass, aus einer gesellschaftskritischen Perspektive, auch die Psychotherapie sich damit beschäftigen müsste.
    (ein Nebenaspekt könnte auch noch sein, es nicht anderen politischen Kräften zu überlassen [die es nicht nur in Amerika gibt - erst vorletztes Jahr wurde bei Hogrefe ein Buch über "Kritische Psychotherapie" veröffentlicht, gespickt mit rechten bis rechtsoffenen Beiträgen, dass nach Kritik nun vom Markt genommen wurde]).

    Mir ist schon klar, dass die Transformation weder von den psychologischen noch therapeutischen Disziplinen geleistet werden kann. Diese könnten aber m.E. mehr als momentan dazu beitragen (das soll/kann/darf nicht auf Kosten der PatientInnen sein).

    Ich ziehe das mit der Therapie jetzt doch nochmal hierher, weils mir dabei nicht um Überwachung geht und ich das drüben nicht verwässern möchte. Falls es doch drüber besser aufgehoben ist, sorry, dann gerne verschieben.


    Wenn es nur darum geht, welche Handlungsmöglichkeiten die Individuellen TherapeutInnen mit ihren Individuelle PatientInnen ausloten - was halt nunmal größtenteils leider das Wesen der pschotherapeutischen Praxis ist -, dann bleibt eben alles auf der Ebene des Individuums, und genau das ist doch das grundlegende Problem.

    Alternativen dazu gibt es dann kritische gruppentherapeutische Settings, wie folgende Beispiele:

    - Consciousness-Raising (CR)

    Consciousness-Raising-Gruppe, CR-Gruppe oder Bewusstseinsbildende Gruppe ist ein gruppenanalytisches Format ohne formelle Leitungsstruktur, das eine Brücke zwischen sozialer bzw. ökonomischer und individueller Veränderung schafft.[1]

    [...] Häufige Themen von bewusstseinsbildenden Gruppen in den USA sind beispielsweise Menschenrechte (z. B. Feminismus, LGBT-Rechte, Gewalt in der Partnerschaft), Krankheiten (z. B. Brustkrebs, AIDS), Umweltprobleme (z. B. globale Erwärmung, Tierrechte), Konflikte (z. B. Völkermord in Darfur, israelisch-palästinensischer Konflikt) und politische Themen (z. B. die Protestbewegung Occupy Wall Street[5] oder die Tea-Party-Bewegung).[6]

    Heute wird mitunter eine Wiederbelebung des Formats gefordert.[3][7]

    - Radikale Therapie (RT)


    Radikale Therapie ist eine Form von selbstorganisierter Gruppentherapie. [...] Das Wort "Radikal" bei RT meint in diesem Zusammenhang die ursprüngliche Bedeutung des Wortes: "Wurzel". Hierbei soll betont werden, dass „psychische Probleme“ ihre Wurzel in gesellschaftlichen Verhältnissen und (verinnerlichter) Unterdrückung haben. Mit Hilfe der Radikalen Therapie können wir diese Wurzeln ansehen, den gesellschaftlichen Ursprung von mangelnder Selbstwertschätzung, einengenden Verhaltensmechanismen, verinnerlichter Unterdrückung und wiederkehrenden Konflikten aufspüren und Schritt für Schritt unsere uneingeschränkte Lebensenergie und Intelligenz wiedergewinnen, sowie uns mit anderen verbinden um gemeinsam an gesellschaftlichen Veränderungen zu arbeiten. Und "Radikal" meint auch, dass wir unseren Heilungsprozess selbst in die Hand nehmen, uns nicht auf Therapeut*innen verlassen, sondern uns selbst als Expert*in des eigenen Lebens und unserer Entwicklung ansehen.

    - Kollektive Selbstverständigung (KSV)

    KSV ist als besondere Form des Gesprächs dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in einer Gruppe von Peers vollzieht, deren explizites Ziel darin besteht, die gesellschaftliche Vermitteltheit ihrer individuellen Existenz (Holzkamp, 1983) zu begreifen. Ausgehend von subjektiven Lebensproblematiken richtet sie sich auf eine Veränderung von Alltagspraktiken in Richtung allgemeiner Emanzipation. Als theoretisches Fundament dienen hierfür die Kategorien der Kritischen Psychologie. Diese fungieren nicht nur als Denkwerkzeuge für die Reflexion der eigenen Lebensführung, sondern werden dabei auch selbst zum Gegenstand der Reflexion. Aus diesem Ineinandergreifen von Theorie und Praxis entstehen Impulse zu deren Weiterentwicklung. Die KSV versteht ihre Arbeit somit als kooperativen Lernprozess im Sinne subjektwissenschaftlicher Forschung.


    Abseits der Gruppentherapie gibt es auch generelle Therapieansätze mit ähnlichen Ansprüchen, z.B. die Feministische Therapie.
    Es gibt auch noch andere unorthodoxe Wege wie sich TherpeutInnen einbringen könnten, beispielsweise über Angebote wie das Aktivistische Sofa (ein Angebot extra für AktivistInnen die sich für eine gesellschaftspolitische Transformation einsetzen und im Kontext dessen Konflikte wahrnehmen).

    Ich verstehe auch den Punkt, dass

    alles auf der Ebene des Individuums [bleibt], und genau das ist doch das grundlegende Problem. Wir sind in modernen westlichen Idustriegesellschaften einfach so vereinzelt und fixiert auf unsere individuelle Rolle darin, dass auch eine umfassede Erkenntnis des Eizelnen über diesen traurigen Umstand erst mal nichts an seiner Vereinzelung ändern wird, und sie schlimmstenfalls noch verstärken kann, wenn er damit im sozialen und beruflichen Umfeld keine Resonanz findet oder gar auf Ablehnung stößt.

    Aber es geht mir darum ob und wie sinnvoll es wäre, wenn die psychtoherapeutische Praxis sich grundlegend verändert - und nicht nur einE einzelneR TherapeutIn und entsprechend einE einzelnE PatientIn (oder ein paar mehr). In Deutschland gehen Millionen Menschen jährlich in Psychotherapie - natürlich wird es (zum Glück) nie so sein, dass alle TherapeutInnen gleichgeschaltet agieren und parallel mit den PatientInnen radikale Handlungsmöglichkeiten erschließen, die dann alle so gut zusammen passen, dass sich alle harmonisch zur Revolution zusammen finden. Aber es ist auch nicht so, dass der zuvor kritisierte Fokus (z.B. auf der individuellen Verantwortung am Leiden) in der Therapie zufällig fällt. Natürlich liegt es dann wiederum nahe die akademische Lehre in die Mangel zu nehmen - oder die Ausbildungsinstitute. Hab ich auch nichts dagegen - aber mir gings auch weniger daran Schuldige zu finden sondern nach dem (Un)sinn von Psychotherapie zu fragen und ob es, angesichts der auch hier geäußerten Kritiken, Potentiale einer emanzipatorischen Psychotherapie gibt.
    Finde es aber auch nachvollziehbar, dass/wenn Du meinst, dass das schön und gut ist aber dass das alles nicht so viel bringt bzgl Transformation und man sich dafür eine andere Tätigkeit suchen muss.

    Dass die Erkenntnis des Einzelnen über das System das Leiden noch vergrößern könnte (so habe ich das obige Zitat auch gelesen), kann ich mir vorstellen. Es gibt auch andere denkbare Reaktionen, wie z.B. Wut, die sich dann auch ganz unterschiedlich auf das Leben auswirken kann. Die Gefahr, dass die Leidensaufarbeitung in der Therapie Konsequenzen hat, ist auch sonst häufig gegeben, da es meistens schon nahe liegt, dass man irgendetwas am Leben ändern kann. Das kann Freundschafts/Familien/Arbeitssysteme betreffen. Die Erwartung an den Therapierahmen wäre dann schon, das auffangen zu können. Und eben gemeinsam Wege zu erschließen, wie PatientInnen die Situation verändern können. Wenn der Wunsch nach weniger Einsamkeit da ist und mehr Gemeinschaft, kann es auch empowernd sein, sich mit anderen zu vernetzen - da kann die Therapie vllt. auch helfen Hürden abzubauen.
    Letztlich muss sich die Therapie aber natürlich an den Wünschen und Zielen der PatientInnen orientieren - soll ja niemand zur gesellschaftspolitischen Erleuchtung gezwungen werden.

    Bei den Psychologen oder Psychotherapeuten sehe ich nichts in dieser Art, nicht ansatzweise irgendwelche Systemkritik

    Nach allem was ich jetzt gelesen habe erwarte ich von denen genau gar nichts mehr, außer sich selbst wollen die überhaupt niemandem helfen, die Gesundheit ihrer Patienten geht denen am Arsch vorbei, aber gerade daher muss man diese Leute dafür auch kritisieren und sie fragen warum sie keine Systemkritik ausüben um an den Ursachen - welche die Menschen oft überhaupt erst krank machen - etwas zu ändern.

    Also ich stimme Dir gerne umfassend in Deiner Kritik an PsychologInnen und PsychotherapeutInnen zu. Ich erlebe es aber schon so, dass auch sehr viel Unzufriedenheit mit der mangelnden Systemkritik und dem politischen Bewusstsein da ist. Es gibt ja auch konstant seit langer Zeit in vielen Unistädten selbstorganisierte Communities Kritischer PsychologInnen (üblicherweise von Studierenden ausgehend), die sich auch versuchen deutschlandweit zu vernetzen. Die Kreise Kritischer PsychotherapeutInnen sind in Deutschland glaube ich noch kleiner. Aber zumindest gibt es sie. Es ist natürlich ein Jammer, dass die Auseinandersetzung damit nicht so an die Öffentlichkeit gelangt und wenig sichtbar ist.

    Es gibt auch Bestrebungen sich mit anderen Professionen zusammenzuschließen und Gesundheitsversorgung "solidarischer" zu machen - beispielsweise das Polikliniksyndikat (schließt sich gerade als Dachverband zusammen, in mehreren Städten in Deutschland [und auch anderen Ländern] gibt es aber bereits entsprechende Ableger) - die haben sich dick und fett auf die Fahne geschrieben, dass Gesundheit von gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist. Da sind zwar viele MedizinerInnen dabei, aber genauso PsychotherapeutInnen, Pflegekräfte, SozialarbeiterInnen etc.
    Fairerweise würde ich aus meiner persönlichen Erfahrung in dem Kontext eingestehen, dass die konkrete politische Einflussnahme auf die Verhältnisse sich schon als schwierig gestaltet. Aber zumindest wird es versucht und auch expliziert.

    Ich würde außerdem auch sagen, dass sich die meisten Psychologiestudierenden, die eine Psychotherapieausbildung anfangen und dann therapeutisch tätig werden durchaus die Motivation haben, Menschen zu helfen. Natürlich ist der Mangel an gesellschaftspolitischer Reflexion fatal - aber ich erlebe es in aller Regel nicht so, dass ihnen die Gesundheit ihrer PatientInnen am Arsch vorbei geht.
    Angesprochen auf diese mangelnde Einbindung sozialer Verhältnisse ist dann auch gar nicht unbedingt immer so viel Widerstand, sondern eher Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. (Anekdotisch: Auf einem Infoabend für die Systemische Psychotherapieausbildung hab ich gefragt, ob nicht die Systemische Psychotherapie in ihren theoretischen Annahmen dafür geeignet wäre, nicht nur das Familien- und Berufssystem in ihr Verständnis für psychischen Leiden einzubetten, sondern auch das Gesellschaftssystem. Das wurde dann von allen Seiten als sehr wichtig anerkannt - obwohl man dann auch eingestehen musste, dass es bislang nicht so richtig der Fall ist. Man wollte das aber anstreben. Können natürlich leere Lippenbekenntnisse sein - ich nehme es vielen Leute, vielleicht vor allem den Jüngeren, schon ab, dass sie das wichtig finden aber noch etwas ratlos sind, was das nun bedeutet).
    Damit möchte ich nicht sagen, dass das alles ein Selbstläufer ist und schon sicher in die richtige Richtung gehen wird. Vielleicht möchte ich nur etwas hoffnungsvoller sein :)

    Aber selbst wenn man sich als TherapeutIn nun dessen bewusst ist, beantwortet das natürlich noch nicht Deine

    Gegenfrage:

    Gegenfrage: Wie stellst Du Dir denn vor, dass PsychotherapeutInnen mit ihrer Therapiearbeit zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen?


    Ich bin selbst eher fragend angekommen weil ich damit noch unsicher bin (mir wurde jahrelang beigebracht dass Psychologie und Psychotherapie apolitisch seien). Trotzdem sehe ich schon einen Unterschied, ob ich nun in der therapeutischen Praxis versuche schnellstmöglich die Symptome zu vermindern (ob nun mit Psychopharmaka oder gewisser standardisierten Verhaltens/Denkübungen oder Elektrokrampftherapien oder so was) oder ob nun in der Therapie die zugrunde liegenden Ursachen reflektiert werden (einschließlich potentieller sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren die zum Leide beitragen), Klarheit über die eigenen Überzeugungen und Ziele gewonnen wird und Selbstbestimmung gestärkt wird (erarbeiten, dass das eigene Leben, und in Teilen auch die Bedingungen, gestaltet werden kann), was auch dazu führen könnte (natürlich nicht muss), dass Raum für Aktivität für soziale und politische Veränderungen entsteht (also nicht, dass sich die PatientInnen verantwortlich fühlen sollen, die Gesellschaft zu ändern und wenn sie es nicht schaffe, sind sie selbst Schuld an ihrem Leiden - aber eben dass es auch möglich ist, die sozialen/gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu ändern und zu versuchen, darauf Einfluss zu nehmen + auch eher die Verantwortung halt nicht darauf zu schieben, dass die PatientInnen halt ihre Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen nur noch besser üben müssen (das ist jetzt etwas platt - natürlich stellt sich [hoffentlich] keinE PsychotherapeutIn hin und schiebt die Schuld so explizit auf die PatientInnen - aber implizit kann das ja durchaus so sein wenn der Fokus auf dem individuellen Verhalten liegt aber so viel Druck ist, die Symptome zu reduzieren).
    Es gibt Ansätze von Kritischen PsychotherapeutInnen, nach denen die Erkenntnis der Abhängigkeit vom sozialen Bedingungsgefüge und dem Erkennen der Beschränktheit der eigenen Lebensmöglichkeiten so etwas wie ein Begehren entstehen lassen können, sich den gesellschaftlichen Regeln und Normen zu widersetzen/diese auszudehnen. Und es dann darum geht, diese Möglichkeiten auszuloten...


    Dass sich PsychotherapeutInnen(verbände) in der Öffentlichkeit politisch äußern müssen, hat LDR ja bereits dargelegt. Das ist dann nicht in der Psychotherapiepraxis aber es ist auch nicht einfach so, dass sie sich nur einzeln

    als Menschen dafür einzusetzen und ihr Fachwissen in anderen Zusammenhängen einzubringen

    ,sondern sollte eben schon kollektiv und als TherapeutInnen so passieren.

    Hohli hat die Folge "Psychoanalyse in der neoliberalen Gesellschaft" bereits letzten September gepostet - ich zitiere mal daraus:


    Da werden einige Probleme der Psychotherapie angesprochen, nicht nur was die mangelnde psychotherapeutische Versorgung betrifft, sondern eben auch dass im Therapiesetting der Fokus auf individuellen Problemen liegt und gesellschaftliche Verhältnisse (ökonomische, politische, rechtliche, kulturelle und herrschaftsstrukturelle Bedingungen) viel zu wenig berücksichtigt werden. Dieser Fokus wirkt sich natürlich auch darauf aus, welche Handlungsmöglichkeiten man nun mit den PatientInnen erschließen kann.

    Ich wollte da jetzt keinen Generalangriff auf PsychotherapeutInnen starten, sondern ,[...]

    Hab ich auch nicht so verstanden - hab da aus persönlichem Interesse die "Gelegenheit" genutzt um das Thema auszuweiten und nachzufragen (deshalb auch die Entschuldigung dass es das Threadthema vielleicht etwas überstrapaziert), weil ich bisher im Forum wenig dazu gelesen habe :)

    Der Kritik an der psychologischen Lehre und Forschung stimme ich zu. Von TherapeutInnen (aus der Praxis) vernehme ich es mehrheitlich so, dass die Diagnose/Klassifizierung hauptsächlich für die Krankenkassenbewilligung gemacht wird. Womit ich die Rolle der Pathologisierung spezifischer Leidensformen aber auch nicht runterspielen möchte. Mir ging es generell ja eher darum auszuloten, wie (aus kapitalismuskritischer Perspektive) Psychotherapie gestaltet werden sollte.
    Dazu hast Du, Utan, ja gemeint


    Aber letztendlich müssen natürlich die Verhältnisse selbst geändert werden, wenn man nicht immer nur neuen Symptomen hinterher therapieren will. Und das kann die Psychologie nicht leisten.

    Ich stimme Dir auch hier zu, dass es darum geht die Verhältnisse zu ändern (und alleine oder umfänglich können PsychologInnen und PsychotherapeutInnen das natürlich nicht ansatzweise leisten). Trotzdem bleibt da für mich noch die Frage, ob und inwiefern Psychotherapie zur Änderung beitragen kann. Oder ob es doch eher egal ist, wie die Psychotherapie sich da nun aufstellt, weil sie (nur) dafür da ist, individuell Leid zu lindern und zu schauen, dass es den Leuten wieder etwas besser geht.


    Bzw. noch weiter:

    Schlimmstenfalls kommt dabei dann sowas wie Dr. J. Peterson heraus, der aus seinen individuellen Beobachtungen in der klinische Psychiatrie ableiten zu können glaubt, dass man erst mal sein Zimmer aufräumen soll, bevor man sich anschickt, die Welt zu verändern.

    Hieraus würde ich eher lesen, dass sich PsychotherapeutInnen zurückhalten sollten mit gesellschaftspolitischen Positionierungen und Bestrebungen. Aber wäre es nicht eher wünschenswert, wenn sich andere aus den entsprechenden Disziplinen zu Wort melden um sich dem entgegen zu setzen? (natürlich braucht man nun keine psychologische Ausbildung oder klinische Praxis um Peterson zu zerlegen).

    Mir ist gerade nicht klar, ob "das kann die Psychologie nicht leisten" implizieren soll, dass sich praktisch tätige PsychotherapeutInnen ganz raushalten sollen und wenn, dann nur in der Forschung und Lehre ein Umdenken notwendig ist (das dann vielleicht auch zu veränderten Perspektiven auf die Ursachen psychischen Leidens führt und damit vielleicht auch zu anderen psychotherapeutischen Gewohnheiten).

    Andere Auffassungen dazu sind ja, dass die Rolle der Psychotherapie in der Gesellschaft breiter sein sollte, bzw. sowieso immer ist (platt: Systemstabilisierung). Radikal könnte man sagen:


    natürlich könnte man die Leute (welche eine große Masse von vielen Millionen Menschen darstellen) dazu bringen aufzubegehren, dem System Widerstand zu leisten, Angriff als Mittel der Verteidigung...

    Zwischen diesen Polen von sich gesellschaftspolitisch neutral gebend/bemühend und die Revolution aus der Psychotherapiepraxis heraus anzuzetteln gibt es nun ja genügend Graustufen mit denen man sich als TherapeutIn rumschlagen kann.

    Ich möchte Euch zweien auch nicht diese entgegengesetzten Pol-Positionen unterstellen - mir ist schon klar, dass das eine Vereinfachung ist. Und dass Du, Utan, Dich auch so formuliert hast, dass das mit der konkreten Leidreduzierung "zuallererst" und "in erster Linie" ist. ich frage dann nach dem, wie es darüber hinaus sein sollte.

    Das ganze Elend der Psychotherapie besteht darin, dass sie Menschen, die mit diesen Widersprüchen ihrer Existenz in einer von permanentem Selbstoptimierungszwang und individueller Konkurrenz bestimmten Gesellschaft nicht klar kommen, beibringen soll, an diesen Widersprüchen nicht zu verzweifeln, sondern sich irgendwie mit ihnen zu arrangieren, und nicht allzuviel darüber nachzudenken, um dem fatalen, selbstzweiflerischen "Grübelzwang" zu entkommen, der mit einer Depression einher geht.


    Ja das könnte man vielleicht. Aber PsychotherapeutInnen werden eben nicht als RevolutionsführerInnen ausgebildet.


    Möglicherweise hat man diesen Menschen für ihren Job auch etwas beigebracht was nicht ihr Job sein sollte, vllt sind viele von denen einfach nur selber blöd genug um es nicht zu hinterfragen, man sieht es ja auch gut an unserem Bildungssystem, da geht es nur sekundär um Bildung, der primäre Zweck ist die Komformität gegenüber diesem System, die Menschen werden zu funktionierenden Werkzeugen geformt und teilweise sogar eher absichtlich dumm gehalten.

    Was meint Ihr (oder wer sonst noch mitliest), was die Aufgabe von PsychotherapeutInnen in unserer Gesellschaft sein sollte?


    Soweit ich das verfolgt habe wurde der Konflikt, inwiefern eine emanzipatorische Weltanschauung mit eher konservativen Prämissen von psychotherapeutischer Praxis vereinbar sind, bereits diskutiert als die Psychotherapie (in Form der Psychoanalyse) noch in den Kinderschuhen steckte. Es gab schon früh Bemühungen, Marxismus und Psychoanalyse zu verbinden (Freudomarxismus) mit der Auffassung, dass Marx und Freud das Individuum nicht nur als vergesellschaftlichtes Wesen begreifen sondern auch als auf diese Gesellschaft einflussnehmend. Mit der Verbindung von Psychoanalyse und Marxismus in der Frankfurter Schule bist Du Utan (und andere hier) sicher viel vertrauter. Freud selbst hat sich damals beim Abwägen, was eher erhalten werden sollte, die Kultur oder die individuelle Gesundheit, wohl für die Kultur entschieden und auch gegen politische Streitschriften. Aber es gab eben auch andere einflussreiche Stimmen damals, die sich für eine gesellschaftspolitische Anwendung der Psychoanalyse bemüht haben (Wilhelm Reich, Otto Gross, Erich Fromm und andere). Auch heute noch gibt es ja quasi subversive, gesellschaftskritische Strömungen in der Psychotherapie (kritische Psychotherapie, relationale Psychoanalyse,…) die auch bei TherapeutInnen eine Verantwortung ausmachen, die sozialen und politischen Bedingungen, die zur Entstehung von psychischen Störungen beitragen, anzusprechen und zu bekämpfen. Natürlich ist das eine Minderheit und wird so weniger an den Universitäten noch an den Ausbildungsinstituten „beigebracht“. Damit scheinen aber viele unzufrieden zu sein. Ich erlebe es so, dass aber selbst in den psychotherapeutischen Kreisen, die sich explizit mit Kritischen Theorien dazu befassen, immer wieder etwas Ratlosigkeit auftaucht, wie man nun diese Kritischen Perspektiven mit psychotherapeutischer Praxis verbinden kann. Natürlich kann es schon einen Unterschied machen, ob ich das psychische Leiden im Kontext der gesellschaftlichen und sozialen (kapitalistischen) Bedingungen konzeptualisiere oder einfach kognitive Umstrukturierungen (etc.) praktiziere. Und natürlich, können sich PsychotherapeutInnen außerhalb des Psychotherapiesettings politisch engagieren. Seht Ihr darüber hinaus spezifische Potentiale einer Psychotherapie, die nicht einfach nur dabei hilft

    mit der Welt klar zu kommen, und nicht, die Welt so zu verändern, dass sie nicht mehr so viele PatientInnen produziert.

    ?

    Sorry wenn das nur Semi in den Thread hier passt.