Beiträge von 0815

    darum ist dieses "warum sind frauen in ländern mit turksprachen ohne grammatikalisches geschlecht trotzdem so ungleich" auch ein relativ leicht zu widerlegender strohmann.


    Nur weil Du ein Argument nicht überzeugend findest, ist es noch kein Strohmann. Damit wird unterstellt, ich verhalte mich unredlich. Es ist aus meiner Sicht durchaus legitim, die Stellung von Frauen innerhalb von Sprachgemeinschaften, in denen es kein grammatikalisches Geschlecht gibt, zu untersuchen. Wie Du zurecht festgestellt hast, gibt es offenbar verschiedene Faktoren, die Einfluss auf die Gesellschaftsstruktur bzw. die zwischenmenschlichen Beziehungen haben.

    Anscheinend ist es in der deutschsprachigen Gemeinschaft gelungen, trotz dessen, was Du als Defizit beschreibst, in den letzten Jahrhunderten große gesellschaftliche Fortschritte zu erzielen (z.B. Abschaffung der Leibeigenschaft, Frauenwahlrecht, betriebliche Mitbestimmung). Warum sollten innerhalb unserer Sprachgemeinschaft unter den bestehenden Restriktionen unserer Sprache weitere gesellschaftliche Fortschritte nicht möglich sein?

    ... und Sprache ist für alle da, nicht nur für Precht, der dann immer mit Kulturgeschichte kommt.


    Interessanter Punkt. Die Frage, wem die deutsche Sprache gehört, müsste unbedingt mal aufgearbeitet werden.


    Ich sehe bei der Einführung von gendergerechter Sprache das Problem, dass es nicht einfach nur darum geht, bestimmte Formulierungen auf freiwilliger Basis verwenden zu dürfen. Tatsächlich wird ein Zwang auf Menschen ausgeübt, z.B. durch informelle Verhaltenserwartungen oder Vorgaben an Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Bekannt sind auch Vorfälle, wo wissenschaftliche Arbeiten abgewertet wurden, weil keine gendergerechte Sprache verwendet wurde. D.h. es gibt Menschen, die Benachteiligungen erfahren, wenn sie sich dieser Sprache verweigern. Deshalb ist es wichtig, derartige Entscheidungen demokratisch zu legitimieren.


    Mich hat bisher niemand um Erlaubnis gefragt, ob ich damit einverstanden bin - und ich hatte auch nicht den Eindruck, dass die Bevölkerungsmehrheit der Politik den Auftrag gegeben hat, die deutsche Sprache zu verändern. Ich fände es gut, wenn man ein Verfahren entwickeln könnte, welches zu rationalen und demokratisch abgesicherten Entscheidungen führt. Die Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung war zwar umstritten, aber dafür demokratisch legitimiert und abgestimmt zwischen den Staaten, die der deutschen Sprachgemeinschaft angehören.


    Beim Begriff "People Of Color" / PoC heißt es, das sei die Bezeichnung, die sich die Betroffenen selbst gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass nicht alle Betroffenen gefragt wurden – wer auch immer genau "betroffen" ist. Wenn ich dieser Personengruppe – was auch immer damit gemeint ist – angehören würde, hätte ich sicher ein Problem damit, auf meine Hautfarbe reduziert zu werden. Das ist doch eine Selbst-Herabsetzung, von sich selbst als bunter Person oder buntem Bürger zu sprechen. Damit werden "die" (wer immer das auch ist) wohl kaum zu 100% einverstanden sein.

    Genauso locker wird es uns über die Lippen kommen nicht mehr "Zigeunersauce" zu sagen, sondern "Paprikasauce". Heute finden es selbst Raucher undenkbar, dass in Restaurant das eigene Essen vollgequalmt wird.


    Ich finde den Diskurs um gendergerechte Sprache sehr interessant, wobei ich eher auf der Seite von Richard David Precht, Wolfgang M. Schmitt oder Albrecht von Lucke stehe. Die Argumente derjenigen, die "Gendern" ablehnen, sind sehr unterschiedlich. Mein Problem mit dem "Gendern" ist die Prämisse, dass die Veränderung der Sprache zu einer Verbesserung der Welt führt bzw. dazu beiträgt. Wenn die Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache zu einer Aufwertung der Rolle der Frau führt, wie ist es dann zu erklären, dass in Ländern, in denen Turksprachen gesprochen werden, Frauen deutlich benachteiligt sind, obwohl es in diesen Sprachen kein grammatikalisches Geschlecht gibt? Vielleicht ist die Sache ganz simpel: Realpolitik - und sonst nichts - bestimmt, wie gut oder wie schlecht es Menschen in einer Gesellschaft geht.


    Ich stimme Deiner Aussage zu, dass sich die Menschen früher oder später an alles gewöhnen. Allerdings kann man mit so einem Argument auch eine zu tiefst antihumanistische Politik legitimieren, die wir sicher alle nicht wollen. Ich denke z.B., dass die Gesellschaft der Volkrepublik China aufgrund des Gewöhnungseffekts so stabil ist.
    Und damit bin ich schon bei meinem nächsten Problem: Angenommen, es gibt irgendwann eine rechte Gegenbewegung, die zum gesellschaftlichen Mainstream wird und aus der heraus ebenfalls bestimmte Sprachcodes als Norm definiert werden. Ich möchte mich nicht dafür rechtfertigen müssen, warum ich mich weigere, anstelle von Rechenmaschine von Computer zu sprechen … oder schlimmeres.

    Vielleicht ist es ein dummer Abwehrreflex, sich zu weigern, etwas zu verändern, was man selbst als zweckmäßig empfindet. Allerdings bedeutet Veränderung nicht automatisch auch Verbesserung. Bereitschaft zur Veränderung fällt dann leicht, wenn überzeugende Argumente vorgelegt werden, dass damit ein gesellschaftlicher Fortschritt einher geht.


    Ich fände eine eigene Sendung bei Tilo zum Thema "Gendern" sehr gut.

    Im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie höre/lese ich oft das Wort "Fakt" bzw. "Fakten". So werden (natur-?)wissenschaftliche Aussagen in Abgrenzung zu anderen Aussagen als Fakten bezeichnet. Der Begriff Fakt wird dabei mutmaßlich gleichbedeutend mit dem Begriff "Tatsache" verwendet. Ich finde den Begriff sehr schwierig und kann mich auch nicht erinnern, dass mir der Begriff während meines Hochschulstudiums begegnet ist.


    Wissenschaft versucht, Phänomene zu beschreiben oder zu erklären, die der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind (z.B. Atome), oder Phänomene, die in der "Natur" gar nicht vorkommen. Beispielsweise werden unter dem Begriff "Fisch" verschiedene im Wasser lebende Knochen- und Knorpeltiere zusammengefasst, die entwicklungsbiologisch keine Einheit darstellen. In der Natur gibt es keine Fische.

    Die Wissenschaft entwickelt Begriffe, Theorien, Methoden, Messgeräte um die Realität beobachten zu können, und gibt die Beobachtungen mit den Mitteln der Sprache wieder. Wir sehen dabei nicht die Realität sondern lediglich eine Konstruktion der Realität. Die Wahrheit bleibt uns verborgen.

    Wissenschaftliche Aussagen sind immer durch Unsicherheit und Vorläufigkeit gekennzeichnet. Das Wesen der Wissenschaft ist aus meiner Sicht nicht, Fakten zu produzieren, sondern transparent zu machen, wie man zu einem bestimmten Befund kommt, d.h. sich angreifbar zu machen.


    Deshalb beobachte ich mit einiger Verwunderung, wenn man z.B. das RKI die "vierte Welle" als Fakt bezeichnet. Die "vierte Welle" ist eher eine Art Narrativ, um das derzeit wieder an Dynamik gewinnende Infektionsgeschehen in eine sprachlich prägnante Form zu bringen. Man will dem Empfänger dieser Information mitteilen, dass es jetzt wieder ernst werde und man Maßnahmen ergreifen müsse. Ob es wirklich eine "vierte Welle" gibt, dazu müsste man u.a. erstmal klären, was eine Welle ist. Ich finde es durchaus legitim, wenn das RKI den Zeigefinger hebt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, aber strenggenommen sind solche Aussagen nicht wissenschaftlich. Man könnte stattdessen nüchtern von gestiegenen gemeldeten Infektionen sprechen - verbunden mit der Prognose, dass die Anzahl weiter steigen werde.


    Ich plädiere dafür, den Begriff "Fakten" für die öffentlichen Diskurse aus dem Vokabular zu streichen. Er bringt keinen Mehrwert, sondern er führt in die Irre, weil er in den meisten Fällen etwas suggeriert, was der Sprecher nicht einlösen kann. Und das führt dann eher zu einem Autoritätsverlust der Wissenschaft.

    Ich fand das Interview sehr interessant, obwohl die Stimmung sehr angespannt war. Auch wenn Herr Nuhr vielleicht nicht in jeder Situation souverän auf die Fragen reagiert hat, finde ich die persönlichen Angriffe und Anfeindungen insbesondere im Chat völlig überzogen. Für mich wird dadurch deutlich, dass Herr Nuhr mit seinen Ausführungen zur Cancel Culture durchaus auf ein berechtigtes Problem hinweist. Ich finde es schade, dass es keine Bereitschaft gibt, sich damit argumentativ auseinanderzusetzen, sondern dass es nur um die Wortwahl und die Persönlichkeit von Dieter Nuhr geht.

    Sehr unsouverän fand ich die Reaktion von Herrn Nuhr auf die Frage, ob er seine Flüge kompensiert (Antwort sinngemäß: "das geht niemanden etwas an"). Für mich stellt sich allerdings die Frage, warum ausgerechnet Flugreisende diesbezüglich Rechenschaft ablegen müssen. Wir haben doch alle Dreck am Stecken: Entweder weil wir importierte Produkte (z.B. Kleidung) konsumieren, Fleisch essen, Kinder gebären, Eigenheime bauen/besitzen oder das Internet benutzen (Stromverbrauch). Der Flugverkehr ist nur zu einem kleinen Teil als Ursache für die Klimaerwärmung verantwortlich.


    Bitte weiterhin unangenehme Diskussionspartner einladen !!!

    Mich würde folgendes interessieren:


    Ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Ableitung von politischen Maßnahmen (z.B. Ausgangssperre, Schließung von Geschäften) ist die Auslastung der sogenannten Intensivbetten. Derzeit sind ca. 5.000 Betten für Covid-19-Patienten vorgehalten. Die Kapazitäten sind damit ausgeschöpft. Das Schicksal unserer Gesellschaft scheint – in meinen Augen – von ein paar Betten abzuhängen.

    Frage: Welchen Vorteil hätte man bei der Pandemiebekämpfung gehabt, wenn stattdessen 10.000 oder 20.000 Betten einschl. des erforderlichen Personals zur Verfügung gestanden hätten?



    Zweitens: Inzwischen hat sich die Altersstruktur der Intensivpatienten verändert. Bleibt es bei dem Befund aus den ersten beiden Wellen, dass Menschen mit Übergewicht sowie den entsprechenden Begleiterkrankungen (Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) überproportional betroffen sind? Oder trifft Corona jeden mit derselben Wahrscheinlichkeit und Wucht? D.h. ein gesunder Lebensstil ist egal?

    Gutes Interview. Danke dafür.

    Etwas bedenklich finde ich immer wieder die vielen Kommentare im Chat, die sich auf die Person des Interviewten (vor allem äußere Merkmale) beziehen.

    In der Sache hat Herr Altmaier hat einen guten Punkt gemacht, als es um die Frage ging, ob die Politik bzw. die Regierung auf den Rat der Mehrheit der Wissenschaft hören solle. Ich halte es tatsächlich für etwas inkonsistent, dass die vorherrschende Mehrheitsmeinung immer nur dann als Argument ins Feld geführt wird, wenn es der Untermauerung der eigenen Sichtweise dient. Wenn es das nicht tut, dann zählt das plötzlich nichts mehr und es geht nur noch um die Plausibilität der Argumente. Wann sollte man der Wissenschaft folgen und wann nicht? Spannendes Thema für eine eigene Sendung.

    Meine Vorschläge:


    Frage 1) Warum steigt Peter Altmaier nicht selbst in den Ring beim Kampf um die Kanzlerkandidatur?


    Frage 2) Ich muss etwas ausholen: Die Corona-Politik der Bundesregierung bzw. der Politik insgesamt legt erhebliche Schwächen im Umgang mit Krisen offen. Beispiele: Fahren auf Sicht, fehlende langfristige Planung, geringe Haltbarkeit von Zusicherungen, behäbiges Agieren, fehlende Kreativität, Abstimmungsprobleme zwischen Teilsystemen, (vereinzelte) persönliche Bereicherung in/an der Krise, Abwälzen der Probleme auf die Schwächsten der Gesellschaft (z.B. Kinder, sozial schwache Familien, Pflegepersonal). Das wirft erhebliche Zweifel in Bezug auf die Bewältigung künftiger Krisen auf (z.B. Klimawandel) und stellt die Robustheit von Demokratien infrage.

    Fragen: Stellt Herr Altmaier überhaupt derartige Überlegungen an? Gibt es aus Sicht von Herrn Altmaier eine Krise des "Systems" bzw. Strukturdefizite oder sieht Herr Altmaier nur Performance-Probleme bei einzelnen Personen (z.B. Erwartungsmanagement, Korruption). Gibt es politische Akteure, die nach Bewältigung der Krise die Probleme und Fehler aufarbeiten werden?

    Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass wir im Herbst (?) einfach so in den Normalmodus zurückkehren und die Probleme verdrängen.

    Die Journalistin/Autorin Judith Sevinç Basad nimmt am Diskurs zum Thema gendergerechte Sprache und Identitätspolitik teil und nimmt dabei eine eher kritische Perspektive ein. Kürzlich hat sie auch ein Buch dazu veröffentlicht. Ein Interview bei "Jung und Naiv" fände ich sehr spannend.