Im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie höre/lese ich oft das Wort "Fakt" bzw. "Fakten". So werden (natur-?)wissenschaftliche
Aussagen in Abgrenzung zu anderen Aussagen als Fakten bezeichnet. Der
Begriff Fakt wird dabei mutmaßlich gleichbedeutend mit dem Begriff "Tatsache" verwendet. Ich finde den Begriff sehr schwierig und
kann mich auch nicht erinnern, dass mir der Begriff während meines
Hochschulstudiums begegnet ist.
Wissenschaft versucht, Phänomene zu beschreiben oder zu erklären,
die der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind
(z.B. Atome), oder Phänomene, die in der "Natur" gar nicht
vorkommen. Beispielsweise werden unter dem Begriff "Fisch"
verschiedene im Wasser lebende Knochen- und Knorpeltiere
zusammengefasst, die entwicklungsbiologisch keine Einheit darstellen.
In der Natur gibt es keine Fische.
Die Wissenschaft entwickelt Begriffe, Theorien, Methoden,
Messgeräte um die Realität beobachten zu können, und gibt die
Beobachtungen mit den Mitteln der Sprache wieder. Wir sehen dabei
nicht die Realität sondern lediglich eine Konstruktion der Realität.
Die Wahrheit bleibt uns verborgen.
Wissenschaftliche Aussagen sind immer durch Unsicherheit und
Vorläufigkeit gekennzeichnet. Das Wesen der Wissenschaft ist aus
meiner Sicht nicht, Fakten zu produzieren, sondern transparent zu
machen, wie man zu einem bestimmten Befund kommt, d.h. sich
angreifbar zu machen.
Deshalb beobachte ich mit einiger Verwunderung, wenn man z.B. das
RKI die "vierte Welle" als Fakt bezeichnet. Die "vierte Welle"
ist eher eine Art Narrativ, um das derzeit wieder an Dynamik
gewinnende Infektionsgeschehen in eine sprachlich prägnante Form zu
bringen. Man will dem Empfänger dieser Information mitteilen, dass
es jetzt wieder ernst werde und man Maßnahmen ergreifen müsse. Ob
es wirklich eine "vierte Welle" gibt, dazu müsste man u.a.
erstmal klären, was eine Welle ist. Ich finde es durchaus legitim,
wenn das RKI den Zeigefinger hebt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen,
aber strenggenommen sind solche Aussagen nicht wissenschaftlich. Man könnte stattdessen nüchtern von gestiegenen gemeldeten Infektionen sprechen - verbunden mit der Prognose, dass die Anzahl weiter steigen werde.
Ich plädiere dafür, den Begriff "Fakten" für die
öffentlichen Diskurse aus dem Vokabular zu streichen. Er bringt
keinen Mehrwert, sondern er führt in die Irre, weil er in den
meisten Fällen etwas suggeriert, was der Sprecher nicht einlösen
kann. Und das führt dann eher zu einem Autoritätsverlust der
Wissenschaft.