Aber ein konkretes Beispiel wo Verhandlungen auch zu einem Frieden unter den beschriebenen Umständen führten, gerade zwischen Staaten, sehe ich jetzt auch nicht.
Denn mit deinem "um nicht um nicht eine allerseits anerkannte Pattsituation, oder den totalen Sieg abwarten zu müssen" war ja eben genau meine These.
Ich möchte nicht den Anschein erwecken zu derailen, aber weshalb ziehst du diesen eingangs formulierten Constraint eigentlich ein? Wenn diplomatische Initiativen während einer "militärisch noch offenen Situation" laufen, beeinflusst das doch sehr wahrscheinlich auch die Einschätzung, ob es tatsächlich noch "militärisch offen" ist / sein sollte, oder nicht. Wenn nicht, soll man dann den militärischen Stärke-Wettbewerb abwarten, bis es klar genug ist? Also doch einfach "Recht des Stärkeren" zulassen?
Ich hatte den Irland-Konflikt nicht grundlos angeführt. Die formelle Befriedung hat Jahrzehnte gedauert. Allein zwischen den abgestimmten Good-Will-Bekundungen '94 bis zum Good Friday Agreement '98 floss noch einiges an Wasser die Liffey runter, und einige Sprengsätze gingen hoch – Zeit, in der (laut privatem Geschichtsreferat einem Kumpel mit irischen Wurzeln) u.a. einige eher radikale VertreterInnen der verschiedenen Fraktionen auf den Boden der bevorstehenden Tatsachen geholt, oder festgesetzt wurden. Verständigungsprozesse hatten in diesem Konflikt ermöglicht, dass eine martialische Patt-Situation festzustellen war.
Der Zypernkonflikt ist in der aktuellen Phase (stark verkürzt) dadurch gekennzeichnet, dass sowohl Türkei als auch Griechenland recht schnell mit ihren jeweiligen militärisch Mitteln Fakten schaffen könnten. Die Patt-Situation ergibt sich durch für beide durch größere diplomatische Interessen, Abhängigkeiten und Befindlichkeiten.
Der Balkan ist ein multiethnischer Clusterfuck, der maßgeblich durch das gegenseitige Tot-Labern (u.a. durch den Werkzeugkasten UN) zumindest soweit entschärft wurde, dass alle Konfliktparteien irgendwie unzufrieden waren, aber zumindest das Massenmorden zwischenzeitlich nachließ, und ein paar Menschenfeinde aus dem Verkehr gezogen werden konnten, weil der Optionenraum für andere vergrößert wurde.
(Das ist natürlich viel zu stark vereinfacht, aber es geht hier nicht um Details, sondern lediglich darum, die für deine Überlegung erforderliche Grundannahme zu widerlegen)
Entsprechend könnte ich mir vorstellen, dass mit Harris die Kosten Nutzen Rechnung für Putin vielleicht anders ausgesehen hätte.
Und vielleicht hätte es mit ernsthafter Europäisch-Russischer Friedenspolitik und weniger NATO-Osterweiterung diesen Krieg nicht gegeben. Wir wissen es nicht. Nun ist die Faktenlage jeweils eine andere, und damit muss gearbeitet werden (oder auch nicht).
Des Weiteren bestand ja auch für Putin die Gefahr, dass es ab irgendeinem Punkt für ihn negativ eskaliert. Kampfstreiks, Meuterei à la Wagner.
Die Gefahr besteht für Autokraten und ihren Unterbau jederzeit. Dass es wenig wahrnehmbaren inneren Widerstand gegen Putin und Co gibt, ist sicherlich auch vielschichtig.
Vielleicht ist der Typ mit seiner Regierung allerdings doch ausreichend beliebt bei relevanten Teilen der Bevölkerung / des stützenden Macht-Apparat, dass die Herrschaftsverhältnisse in Russland in für die aktuellen Zivilbevölkerungen der Ukraine und Russlands relevanten Zeiträumen sich nicht großartig verändern werden.
Möglicherweise würde Russland doch mal einen offiziellen Kriegszustand ausrufen, die Bevölkerung mobilmachen, und die größeren Kaliber in größerer Zahl als bisher über die blau-gelbe Flur verteilen.
Irgendwelche Planspiele können ja ganz unterhaltsam sein, die Szenarienauswahl sollte dann aber auch divers genug ausfallen, um nicht nur den persönlichen Happy Path abzutasten
Um auf das Interesse einzugehen für wie offen ich die Situation in der Ukraine einschätze: Vor Trump ein Abnutzungskampf mit leichten Nachteilen für die Ukraine. Die Unkenrufe es bricht gleich alles für die Ukraine zusammen, gab es ja auch über Jahre, but didn't happen.
Was heißt das konkret? Was sind die Nachteile für den Staat Ukraine?
Ich spiele mit Freunden gelegentlich RTS-Spiele, und da haben Einheiten bunte Health Pool Bars, Gelände und Effekte verschaffen Boons oder Debuffs. Haben die UAF-Truppen einen Initiative-Debuff? Sind die RAF-Truppen mit mehr Basis-Armor ausgestattet? Wenn wir TDM spielen, bekommen die Frontline-Player von ihrer Party i.d.R. Materialien, gelegentlich Unit Support, und sollen die gegnerischen Maneuver abhalten oder Druck aufbauen, während die Backliner Economy Booming betreiben, und offensive Aufmerksamkeit eher in kleinere Skirmishes und Raids investieren. Wer mich in der Party hat, hat einen leichten Nachteil.
Wie dem auch sei – häufig passiert es, dass eine der SpielerInnen von den Gegnern in die Mangel genommen wird, und total betrübt für 15 bis 60 Minuten (oder wie lang auch immer ein Match läuft) eher schlecht als recht aushalten muss, während die anderen Party-Player den Stomp ihres Lebens zelebrieren. Die malträtierte SpielerIn hält gelegentlich Stand, obwohl das gegnerische Team seit 15 bis 60 Minuten im in-game-Chat bekundet, dass die Noobs doch nun bitte das GG callen sollen. Im Macro der Teams hält sich mitunter lange Zeit ein Gleichgewicht, bis es dann meist doch irgendwann kippt. Im Macro der SpielerInnen ist die Erfahrung mitunter stark gemischt, und während die einen boomen können, stecken andere umso mehr ein.
Die Lektion? Keine. Wollte die Gelegenheit lediglich nutzen, um über Multiplayer-Strategiespiele zu ranten.
Jetzt gilt es sich für das geringere Übel zu entscheiden.
System Change, not Dominion Change sollte die Devise der Internationalen lauten. Dieses staats(er)tragende Denken langweilt mich. Wir brauchen mehr Radikalität!
Wenn du keinen großen Unterschied zwischen liberalen und illiberalen Demokratien ausmachen kannst, bzw. die Staaten jeweils anders bewertet, dann ist der Schluss lieber unter Putin zu leben, als tot auf dem Schlachtfeld zu liegen ja korrekt.
Zumindest können sich nicht im Krieg verstorbene Menschen für kollektive und eigene Interessen einsetzen. Tod ist eine terminale Kondition. In Unterdrückung zu leben, und trotzdem irgendwie mehr oder weniger glücklich existieren zu können, gelingt großen Teilen der Menschheit seit Tausenden Jahren.
Damit möchte ich kein relativierendes Argument machen, sondern lediglich nochmal feststellen: Wer nicht im Krieg stirbt, kann das zumindest auf vielfältige andere Weisen nachholen.