Na, diese Definition hast Du ja jetzt eingebracht. Da steht, dass die Auseinandersetzungen in einem Drittland stattfinden ohne dass die Großmächte direkt gegeneinander Kämpfen, nicht dass sie nur von Drittstaaten ausgeführt werden.
Davon mal abgesehen: Wer den Konflikt in einem geopolitischen Kontext sieht, die Ereignisse der letzten Jahre nicht vollständig ausblendet und auch nicht sofort Stresspickel kriegt, wenn völlig zurecht gesagt wird, dass die USA da erheblich mitgezündelt haben, kommt mMn nicht um den Begriff herum.
Wenn ich den Begriff "Stellvertreterkrieg" höre, dann denke ich vor allem an den Vietnamkrieg (und den Sowjetischen Afghanistan-Krieg, aber über den weiß ich noch viel weniger).
Für mich war der Begriff dabei immer insofern wertneutral, als er keine Aussage darüber trifft wer hier aus welchem Grund gegen wen Krieg geführt hat, sondern als Beschreibung, dass im eigentlich ja "kalten Krieg" hier eine relativ nahe Auseinandersetzung zwischen den großen Machtblöcken stattfand, mit Potential zu einer noch größeren Auseinandersetzung, eines Weltkriegs.
Und auch für mich lagen seit Beginn des Ukraine-Kriegs gewisse Parallelen auf der Hand. Eine Großmacht führt Krieg, eine andere (ich meine damit den Westen, NATO, EU, nicht nur die USA) unterstützt den Kriegsgegner. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass Historiker später diesen Krieg so einordnen werden, um deutlich zu machen, dass die (welt-)Kriegsgefahr zwischen Russland und dem Westen niemals seit 1990 so groß war, und die Auseinandersetzung niemals so konkret.
Das Problem ist allerdings, dass diejenigen die diesen Begriff einbringen, fast ausnahmslos dies tun um dem Westen, besonders den USA eine Mitschuld am Krieg anzudichten (du ja auch wieder hier, Roy), oder gar die jeweilige Rolle im Krieg umzudrehen (der Westen führe einen Krieg gegen Russland).
Ja, der Westen, die NATO, die EU, die USA, haben eine Rolle gespielt beim Ukraine-Konflikt seit 2005. Keine Frage. Aber sie haben Russland nicht in diesen Krieg gedrängt. Den hat nur Putin zu verantworten. Man muss sich immer zurückerinnern, wie der Status unmittelbar vor dem Krieg war. Kein Mensch im Westen hat angezweifelt, dass die Krim defakto russisch bleiben wird. Putin hat dem Westen Zusagen abgerungen, dass die Ukraine auf absehbare Zeit nicht NATO-Mitglied werden wird (man erinnere sich an den Scholz-Besuch in Moskau). Moskau und Berlin haben die Öffnung Nordstream II gegen den Willen Osteuropas und der USA durchgesetzt.
Und an dem Punkt greift der Typ die Ukraine an.
Ja ich weiß, WWII-Analogien sind immer scheiße und ich sage es ganz deutlich, Putin ist nicht Hitler, der Ukraine-Krieg kein Weltkrieg, von dem was Hitler sonst noch so gemacht hat ganz zu schweigen. Das als Disclaimer. Ich will hier nur eine Analogie nennen, weil mir keine bessere einfällt, für den Beginn des Kriegs.
War der Versailler Vertrag ursächlich am WW2? Nein, natürlich nicht! Der Versailler Vertrag hat ganz bestimmt die Diplomatie und die Innenpolitik in Deutschland in der Zwischenkriegszeit erschwert, und war eine Bürde für die Demokratie in Deutschland, die Entscheidung einen Wahnsinnigen Krieg vom Zaun zu brechen lässt sich damit aber weder erklären noch entschulden. Und so ist mit dem Angriff auf die Ukraine eben auch, ja es gibt eine Vorgeschichte, ja die Geschichte hat viele Grautöne, aber mit dem Einmarsch am 24.2.22 hat Putin Fakten geschaffen, die einen Teil dieser Vorgeschichte als deutlich weniger relevant erscheinen lassen. Er ist einfach zu massiv übers Ziel hinausgeschossen. Der Einmarsch steht in keinem Verhältnis mehr zum Konflikt davor.