Ich antworte Dir, weil Du hier der einzige professionelle Journalist mit langjähriger " Mainstream"- Erfahrung bist. Es geht mir nicht darum, Deine persönliche Arbeit zu kritisieren. im Gegenteil - Du hast Dich ja sicher nicht ohne Grund mit den BPK-"Querulanten" Jung & Theiler verbündet, und Dich regelmäßig in den medienkritischen Aufwachen-Podcast gesetzt, um solcher Kritik von außen, wie ich sie hier natürlich auch nur vorbringen kann, eine etwas differenziertere Sichtweise von innen entgegen zu setzen. Damit hast Du in meinen Augen wesentlich mehr zur Ehrenrettung des deutschen Journalismus getan, als die meisten Deiner noch aktiv bei großen Rundfunkanstalten oder Verlagen beschäftigten KollegInnen.
Aber gerade der Kashoggi-Vergleich spielt meiner Kritik leider eher in die Hände als er sie entkräftet. Natürlich wurde auch im unserländischen medialen Mainstream eine Zeit lang(!) recht umfänglich über diesen Fall berichtet - die ganze Angelegenheit war ja auch an aufmerksamkeitserregender Blutrünstigkeit kaum zu überbieten.
Aber - wie Fernbedingung oben schon schrieb - das hat eben nicht dazu geführt, dass man sich fortan im deutschen Medienbetrieb bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf solcher Bandbreite mit den Menschenrechtsverletzungen und dem grundsätzlich vollkommen anti-demokratischen Charakter der saudischen Diktatur Monarchie und ihrem obersten Feudalherren auseinander gesetzt hätte, wie man es zum Beispiel mit dem Kreml, dessen Chef, und seinem zweckverbündeten Diktator in Syrien tut.
Wir hatten eine ganz ähnliche Diksussion schon mal im alten Forum. Auch damals habe ich darauf hingewiesen, dass es bei der Kritik am Umgang der deutschen Medien mit gewissen Themen aus Sicht gemeiner MedienrezipientInnen wie uns Forengestalten hier natürlich nicht darum geht - und auch gar nicht darum gehen kann! - einzelne journalistische Arbeiten die tatsächlich vielleicht durchaus stattfinden, aber dann keine breite Öffentlichkeit erreichen zu kritisieren.
Wir können ja nur von dem Material ausgehen, das uns die veröffentlichte Meinung am Ende im Durchschnitt, bzw. eben im "Mainstream", am häufigsten über alle Kanäle auf die Bildschirme und Touchscreens sendet.
Und aus dieser Sicht muss man leider konstatieren, dass der mainstream-mediale Umgang mit der russischen Regierung nicht nur von deutlich konsequenterer Ablehnung, und vor allem von deutlich mehr Misstrauen gegenüber deren vermuteten wahren Motiven geprägt ist, sondern auch von einer viel höheren Frequenz und Regelmäßigkeit, als gleichermaßen kritische Berichterstattung über andere wichtige Akteure des internationalen Geschehens, und dass er sich dabei fast immer erschreckend genau mit der Haltung deckt, welche die Bundesregierung und ihre transatlantischen Verbündeten - zumindest in ihrer öffentlichen Selbstentäußerung - gegenüber Russland gerade an den Tag legen.
Der Fall Nawalny zeigt das ganz exemplarisch. Darin finden sich so viele Unstimmigkeiten und Widersprüche, wie man sie sonst eigentlich nur in einem schlechten Agenten-Thriller akzeptieren würde, bei dem völlig klar ist, dass es sich um eine ausgedachte Geschichte handelt, die nur dazu dient, die ProtagonistInnen vor interessante Herausforderungen zu stellen und nicht darum, ein realistisches Bild des Alltages von Geheimagenten oder von solchen verfolgter Dissidenten zu zeichnen.
Die ganze Prämisse die dem Plot zugrunde liegt ist schon insofern ziemlich hahnebüchen, als Alexei Nawalny weder ein lupenreiner Demokrat und ehrlicher Kämpfer für Freiheit und humanistische Werte nach westlichem Idealvorstellungen, noch ein - außerhalb urbaner Metropolen und eines social media-affinen jüngeren Publikums - besonders einflussreicher Oppositionsführer ist, der dem Machtanspruch von Erzbösewicht Putin tatsächlich gefährlich werden könnte, wenn man ihn nicht schleunigst mittels ebenso abenteuerlicher wie offenbar wirkungsloser Methoden aus dem Weg räumen liesse.
Zumal man Nawalny, der sich vor allem als Korruptionsbekämpfer einen Namen gemacht hat, staatlicherseits ohnehin schon selbst wegen diversen Betrugs- und Untreuevorwürfen in Millionenhöhe juristisch verfolgt. Ob die jetzt aus der Luft gegriffen sind oder auf tatsächlichen Vergehen beruhen ist eigentlich egal. Ihn selbst in den Augen der Öffentlichkeit mittels möglicherweise manipulierter Beweise und parteiischer Gerichte als korrupt darzustellen, erscheint zumindest mir dann jedenfalls als die wesentlich effektivere Strategie des autokratischen Putin-Staates, um ihn politisch kalt zu stellen, als ihn durch einen so offensichtlichen - weil mit dem spätestens seit der Skripal-Geschichte als russische Geheimdienstspezialität weltweit bekannten Nowitschok verübten - Mordanschlag zum Martyrer zu machen.
Folgte man als gemeine/r MediennutzerIn jedoch den Darstellungen der Bundesregierung und vieler (sicher nicht aller!) großer Leitmedien, welche die Verlautbarung von Regierungsbehörden zum Anlass nehmen, da noch mal in die selbe Richtung besonders "kritisch" recherchenetzwerken zu lassen, dann erhält man den Eindruck, als müsse der Bedeutung von Herrn Nawalny für das innen- wie außenpolitische Gefüge in Russland mindestens ein ebenso großer Stellenwert eingeräumt werden, wie ihn unverbesserliche Linke und NetzaktivistInnen solchen DissidentInnen und WhistleblowerInnen wie Chelsea Manning, Edward Snowden oder Julian Assange in Bezug auf den Umgang der USA mit allzu scharfen KritikerInnen ihrer globalen Überwachungs- und Mordaktionen zugestehen.
Man kann sich natürlich darüber streiten, ob die 175 Jahre Knast, die Assange drohen, wenn er an die USA ausgeliefert würde, oder ein geheimes Gerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einem - nach derzeitigem Stand - möglichen Strafmaß von immerhin noch insgesamt 30 Jahren Haft, welches Edward Snowden in Amerika blühen würde, sollte das Kreml-Regime ihm die Gastfreundschaft irgendwann versagen, einen humaneren Umgang mit Regimekritik darstellt als eine versuchte Vergiftung.
Tatsache ist aber, dass sich die Bundesregierung nicht ansatzweise so sehr ins Zeug gelegt und dabei so viel diplomatisches Porzellan zerschlagen hat, um z.B. Snowden in Deutschland politisches Asyl als in seiner Heimat politisch Verfolgter zu gewähren, wie sie es getan hat, um einem den westlichen Verbündeten deutlich genehmeren russischen Oppositionellen in UnserLand einen sicheren Hafen zu bieten.
Natürlich ist es nicht die Schuld von JournalistInnen, wenn die Bundesregierung und ihre transatlantischen Verbündeten ein Thema vorgeben, welches dann zum Anlass weiterer Recherche genommen wird. Aber es erscheint zumindest so, als richte sich die Berichterstattung dazu mehrheitlich an der Prämisse aus, dass an der grundsätzlichen Niederträchtigkeit und Bereitschaft zu jeder noch so gemeinen Schandtat der russischen Führung überhaupt kein Zweifel bestehen könne, und dass es sich bei der Recherchearbeit dazu lediglich um eine Erörterung des genauen "wie", "wann", "wo" und "wer" der jeweiligen finsteren Machenschaften dreht.
"Unterm Strich" will ich damit sagen, dass es mir gar nicht darum geht, irgendwelche Einzelheiten der ganzen Nawalny-Räuberpistole aufzudröseln. Was zählt sind die politischen Konsequenzen die daraus gezogen werden, und die Art und Weise wie nicht nur die hiesige, sondern die Mainstream-Berichterstattung im gesamten Westen sie bewertet.
Bei letzterer hat man leider immer häufiger das Gefühl, dass dabei ganz ähnlich vorgegangen wird, wie bei den diversen Verschwörungsideologieportalen, indem man das Ergebnis "Putin = Satan" bereits voraussetzt, und dann so lange eisern in diese Richtung "recherchiert", bis man genügend Indizien zusammen hat, die es zu bestätigen scheinen.
Und das Gruselige daran ist, dass man das in Moskau wohl mittlerweile als traurige Tatsache akzeptiert hat und sich gar nicht mehr großartig darum bemüht, gegenüber dem Westen in einem besseren Licht dazustehen, sondern sich statt dessen darauf konzentriert, Putin als harten Hund zu verkaufen, dem das alles am Arsch vorbei geht.
Mehr Verständigung zwischen zwei immer noch reichlich mit atomaren Arsenalen bewaffneten Blöcken wird dabei sicher nicht heraus kommen.