Wir müssen jetzt wieder aufpassen, dass wir nicht den Fokus verlieren, Hans. Es geht ja um die Medien und wie Berichterstattung weaponiziert wird. Medien verhängen keine Sanktionen, sie fordern sie und bauen so a) politischen Druck auf und b) Gewichten so eine Story. Sie tragen da letztendlich keine Verantwortung für etwaige Konsequenzen (außer natürlich den viel zitierten Vertrauensverlust).
Keine Widerrede. Das wäre auch mein Punkt von Anfang an: überwiegen die negativen Folgen für einen selber, machen Sanktionen keinen Sinn. Weder praktisch als auch nur medial. Daher werden sie auch nur stark selektiv gefordert und manchmal auch durchgesetzt. Dass hat also herzlich wenig mit universellem Maß oder moralischer Norm zu tun.
Dass du jetzt das internationale Recht ins Spiel bringst, triggert mich natürlich. Und nein, ich mache jetzt keinen Ausflug nach Palästina oder in us Botschaften nach Jerusalem.
Nach internationalem Recht kannst du eben auch keinen Iraner auf diplomatischer Reise im irak wegdronen. Das geht nicht. Und das internationale Recht unterliegt auch keinem Kriterium der geografischen oder sozialen Nähe. Du siehst, warum deine Thesen so wenig zu überzeugen wissen...
Übrigens: soweit ich weiß, stehen die meisten Sanktionen, die wir bzw unsere Wertegemeinschaft so auf dem Globus verhängen im Widerspruch zu internationalem Recht. Ist doch verrückt, oder?
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nein, ist alles überhaupt nicht verrückt, wenn man politische prozesse nicht statisch betrachtet, sondern als das, was sie real sind: dynamische prozesse, in die verschiedene, manchmal gegensätzliche faktoren eingehen und eine eigene dynamik entwickeln. das gilt fürs internationale recht in besonderer weise: völkerrecht ist ein konglomerat von prinzipien, die oft genug im spannungsverhältnis zueinander stehen: gewaltverbot vs. recht auf selbstverteidigung (gegen terror )z.b. völkerrecht ist nicht in der weise normativ überprüfbar und sanktionierbar wie andere rechtssystem, zudem entwickelt es sich fort aus der praxis der "gewohnheitsrechte". durch diese besonderheit der konstruktion fällt es jeweiligen stakeholdern relativ leicht, völkerrecht als eine art steinbruch zu betrachten, aus dem man sich je nach eigener interessenlage und sichtweise bedient. auch argumentativ bedient. der nutzen und die tatsächliche wirkung völkerrechtlicher prinzipien besteht darin, dass sie in konfliktlagen diskussionen ermöglichen und erzwingen, in denen abwägungsprozesse erfolgen, staatliches handeln sich legitimieren muss, und resultate wie z.b. folgen für internationale reputation folgen, die staaten in unterschiedlicher weise nicht völlig egal sind, was wiederum konsequenzen für staatliches handeln hat (haben kann). in dieser dynamik, die ja hier noch nicht mal grob angedeutet ist, spielen öffentliche aufmerksamkeit und berichterstattung eine rolle, das versteht sich. nur: mit statischen, apodiktischen positionen wird man in der mehrzahl der fälle weder der besonderheit der rechtskonstruktion noch der dynamik politischer prozesse gerecht. tut mir leid, wenn das alles abstrakt und möglicherweise unscharf klingt: aber einfacher ist diese realität kaum zu haben, denke ich.
das gilt eben auch für die mehrfach angesprochene frage, wann von wem und unter welchen bedingungen sanktionsforderungen erhoben, verhängt, durchgesetzt werden - oder auch nicht.
wir sind uns einig, dass bei entscheidungen über diese fragen je eigene interessen ( seinen es politische oder/und) ökonomische ein rolle spielen. - wie im übrigen auch jeweilige kulturelle normen ( die man auch ethisch/moralische nennen kann): z.b. sieht sich staatliches handeln in "gottesstaaten" meist in ganz anderer weise legitimiert , als in säkularen, liberalen statsformen.
wir sind uns uneinig darüber, ob zu den faktoren solcher entscheidungsgewichtung auch solche moralischer art oder universeller normen wesentlich gehören. du bestreitest das ziemlich kategorisch: "hat damit...herzlich wenig zu tun".
diese reduktion komplexer wirkzusammenhänge auf einzelne ihrer komponenten ist es, was aus meiner sicht analyseversuche falsch werden lässt, und diese form verfälschender reduzierung habe ich gemeint, als ich von erinnerungen an vulgärmarxistische ableitungen schrieb.
das ist keine attacke gegen dich persönlich, aber die struktur solcher vereinfachungen habe ich eben in solchen zusammenhängen kennengelernt. seinerzeit gern verbunden mit dem satz, dass wichtigste sei ein entschiedener klassenstandpunkt. (auch diesen satz will ich nicht dir persönlich zuordnen. aber wo entschiedenheit der aufklärung den differenzierten blick verstellt, würde sie kontraproduktiv.)
und, noch einmal zum anfang dieses posts: sanktionsforderungen werden von medien überwiegend berichtet, als forderungen politischer akteuere - in den seltensten fällen von ihnen aktiv erhoben bzw. aufgebaut ( siehe z.b. die heutige berichterstattung über französische forderungen in sachen ns2/navalny- darüber berichten medien, sie machen sie nicht. dass medien auch darüber berichten sollten, dass z.b. ein wegfall von ns2 den betreibern französischer akw bestimmt nicht schlecht gefallen würde, versteht sich ebenfalls.
aus meiner sicht landen wir bei der betrachtung immer wieder an dem punkt: machen medien meinungen und erheben sie forderungen im politischen prozess, sind sie also wesentlich aktivistische akteure, oder nehmen sie die rolle von, an aufklärung über tatsächliches geschehen interessierten, beobachtern und informanten ein ? da wirds auch wieder schwierig, weil natürlich diese rollen nicht schwarz-weiß trennbar sind, sondern in unterschiedlich abgestuften grauzonen miteinander verwoben. was wiederum bedeutet, dass medien - gerade die sog. "leitmedien" - sich in einem permanenten selbstreflexionsprozeß ihres eigenen tuns vergewissern müssen. was sie oft genug nicht hinreichend tun. das ist z.b. einer der punkte, wo ich die eigene profession ziemlich kritisch sehe. übrigens seit beginn meiner berufstätigkeit.