Der "Macher": Laschets Nachfolger Hendrik Wüst
Hendrik Wüst galt früh als konservativer Hoffnungsträger der CDU. Es folgten Skandale, ein Rücktritt und ein Stilwandel. Als Ministerpräsident will er "die Mitte" zurückgewinnen. Ein Porträt
Hendrik Wüst ist 46 Jahre alt, aber in der nordrhein-westfälischen CDU so etwas wie ein alter Hase. "Viele von Euch haben mich hier erwachsen werden sehen", erinnerte er sich am vergangenen Wochenende beim CDU-Parteitag in Bielefeld, "und auch straucheln sehen." Da steckte eine Portion Demut drin. Eine Haltung, die ihm geholfen hat, die Nachfolge Armin Laschets anvertraut zu bekommen.
Es gab eine Zeit, da galt der Münsterländer als Hoffnungsträger des konservativen Flügels. Im ersten Abschnitt seiner politischen Karriere, als er vor allem für Attacken zuständig war - gegen politische Gegner, aber auch mal gegen Parteifreunde. Erst als Chef der Jungen Union in NRW. Dann, mit Anfang 30, als Generalsekretär der NRW-CDU unter Jürgen Rüttgers.
Rhetorik früher zackig bis schneidig
Ältere Parteifreunde erzählen, dass Wüst damals schon mal ausfallend werden konnte, wenn ihn etwas störte. Seine Rhetorik war gerne zackig bis schneidig. 2007 tat er sich unter anderem mit Markus Söder zusammen. Die beiden jungen Drängenden legten ein Positionspapier vor: "Moderner bürgerlicher Konservatismus". Die FAZ sprach damals vom "Nachweis der Aufmüpfigkeit".
Doch dann das jähe Ende des Aufstiegs. Wüst musste 2010 zurücktreten, wegen einer Affäre rund um buchbare Sponsorentermine mit Ministerpräsident Rüttgers. Die Episode "Rent a Rüttgers" machte bundesweit Schlagzeilen. Dass Wüst daran scheiterte, löste auch Schadenfreude aus. Kurz danach verlor die CDU die Landtagswahl in NRW.
Sinnes- oder Stilwechsel?
Bei Wüst scheint es seitdem einen Sinneswandel gegeben zu haben, zumindest einen Stilwechsel. Einige Jahre war er, von Hause aus Jurist und Anwalt, Geschäftsführer beim Verlegerverband und beim Privatradio. Gleichzeitig arbeitete er am politischen Comeback und sicherte sich die Führung der einflussreichen Mittelstandsvereinigung in der NRW-CDU. Sein Landtagsmandat behielt er. 2017 machte ihn Armin Laschet zum Verkehrsminister.
Seitdem vermeidet Wüst die ganz lauten Töne. Er gönne sich jetzt öfter einen Moment, die Dinge zu durchdenken, sagt er selbst dazu. Er sei weniger streitlustig und gehe achtsamer mit anderen um. Tatsächlich betont er den Teamgedanken. Öffentliche Ansprüche auf die Nachfolge Laschets erhob er nicht ein einziges Mal.
"Anstand, Benehmen und Haltung" nicht verlieren
Auch über Laschet als Wahlverlierer hörte man von ihm kein böses Wort. Ganz bewusst im Kontrast zu den Querelen der Union im Bund. "Wir haben die Bundestagswahl verloren", rief er auf dem Landesparteitag, "wir dürfen aber nicht noch Anstand, Benehmen und Haltung verlieren!"
Es gibt Leute in der CDU, die Wüst die Rolle des Teamplayer nicht abnehmen, die über die "vielen kleinen Kaffeetrinken" lästern, in Anspielung an Wüsts Fähigkeiten, sich im Hintergrund Unterstützung zu sichern. Doch auch sie haben sich eingereiht, genau wie potentielle Konkurrenten in der Partei, etwa NRW-Innenminister Herbert Reul oder Bauministerin Ina Scharrenbach. Beide gehören jetzt zu Wüsts Stellvertretern.
Wüst will die Mitte zurückerobern
Das Ergebnis auf dem Landesparteitag zeigt, dass Wüst nicht nur im wirtschaftsnahen Parteiflügel und in der Jungen Union Unterstützung hat. Auch Vertreter des Arbeitnehmerflügels loben ihn als "Mann des Ausgleiches". Mehr als 98 Prozent stimmten auf dem Parteitag für ihn als neuen Vorsitzenden.
Wüst hat deutlich gemacht, wo er bei der nächsten Landtagswahl die verlorenen Stimmen für die CDU wieder zurückholen will: In der Mitte, da wo die CDU bei der Bundestagswahl besonders viel an SPD und Grüne verloren hat. "Neue Antworten" müsse die CDU dafür finden, glaubt Wüst, "Lösungen für die Alltagsprobleme der Menschen". Einen "Rechtsruck", den sich einige in der Union wünschen, soll es mit ihm nicht geben.
Mischung aus Jungunternehmer und Schwiegermutters Liebling
Als Verkehrsminister hat Wüst in NRW Erfolge vorzuweisen. Er holte deutlich mehr Bundesmittel für Straßen und Schienen ins Land als seine Vorgänger. Die Ausgaben für den Bahnverkehr und vor allem für Radwege hat er deutlich erhöht. Er mag effiziente, pragmatische Lösungen. Dass Straßenbahnen im Ruhrgebiet noch immer unterschiedliche Spurbreiten haben, ist ihm ein Graus. Armin Laschet hat ihn "einen Macher" genannt.
Auch im Auftreten ist Wüst bemüht, das alte Image des Scharfmachers abzustreifen. Er lächelt oft und trägt modisch geschnittene Anzüge, meistens ohne Krawatte. Er verkörpert eine Mischung aus Jungunternehmer und Schwiegermutters Liebling. Außerdem mag er die Jagd und fährt gerne Fahrrad, auch im Regierungsviertel in Düsseldorf.
Klimaneutralität "größte Herausforderung unserer Zeit"
In Interviews und Reden hat er sich in den vergangenen Wochen auffallend zurückgehalten und versucht, staatsmännisch zu wirken. Beim Sprechen macht er plötzlich längere nachdenkliche Pausen. Für jemanden, der Wüst auch als scharfzüngigen und stellenweise flapsigen Redner kennt, war das gewöhnungsbedürftig. Den richtigen Ton muss er offenbar noch finden.
Seit Anfang des Jahres ist er Vater einer kleinen Tochter. Auf dem Parteitag in Bielefeld sprach er darüber, was es für eine "gigantische Verantwortung" es sei, Kindern, die heute geboren werden, ein gutes Leben für die kommenden Jahrzehnte zu ermöglichen. Und: Klimaneutralität zu schaffen sei "die größte Herausforderung unserer Zeit". Das könne nur gelingen, wenn der Wohlstand dabei erhalten bleibe, "sonst macht uns das auf der ganzen Welt niemand nach".
Für den großen Wurf bleibt Wüst allerdings erstmal keine Zeit. Im Mai 2022 wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. Bis dahin muss er dafür sorgen, dass die Wählerinnen und Wähler ihm den Job zumindest weiter zutrauen. Nur die eigene Partei hinter sich zu haben, wird für für einen Wahlsieg nicht reichen. Der "Macher" muss erste Erfolge präsentieren. Sonst könnte er in die Geschichte Nordrhein-Westfalens eingehen als Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit.