Sehe es auch so, dass es ein starker Moment für Habeck (als einzelne politische Figur!) war. Ich finde aber dennoch, dass man diese imprompu Entscheidungsfindung nicht getrennt vom machtpolitischen Hintergrund mit Blick auf die BTW betrachten kann, wenn man sich anguckt, wie sehr die Grünen auf eine Koalition mit der Union schielen. Würde Habeck - unabhängig davon, ob er selber Minister wird oder nicht- in einer schwarz-grünen Regierung sich weiterhin für die Freilassung Assanges einsetzen? Wäre das der Dealbreaker bei Koalitionsverhandlungen? Bei allem Idealismus, den Habeck mit seiner Entscheidungsfindung beim Interview mit Tilo gezeigt hat: Unterm Strich kommt dabei nichts raus, wenn er die Freilassung fordert, jedoch gewillt ist mit der Union in eine Koalition zu gehen. Es ist ja Habeck selber, der oft Jamaika in Schleswig-Holstein gelobt hat und dies als Arbeitsnachweis liefert, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht. Im Übrigen glaube ich auch nicht dass bei R2G selbst mit Habeck als Kanzler transatlantische Brücken zum Einsturz gebracht werden, wenn man sich dann befreit von Koalitionszwängen mit Vehemenz für Assange einsetzt. Dafür ist ihnen das Thema (leider!) zu unwichtig!
Ich hätte zum sonntägigen Blätterwald nochmal zwei entscheidende Punkte zu machen:
1. Bezüglich der "Mitte-Ideologie" der CDU, über die auch Ziemiak gestern so schön fabulierte, hatte Hans gestern den schönen Satz gesagt - ich umschreibe jetzt - dass viele CDUler sich wirklich als Mitte der Gesellschaft identifzieren. Sie glauben das wirklich, meinte Hans.
Ich denke, dass diese Mär von der Mitte noch heute so weitererzählt wird, liegt v.a. daran, dass die CDU, wirklich mal eine gesellschaftliche Position der Mitte für sich beanspruchen konnte.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Gründung der CDU kurz nach Kriegsende unter völlig veränderten gesellschaftlichen Vorzeichen stattfand. Das Ahlener Programm der CDU z.B. trieft vor Kapitalismuskritik. Es sieht die großen Industrieunternehmen als wesentliche Treiber des Nationalsozialismus, weshalb das Programm - unter starker Prägung der christlichen Soziallehre - für eine tatsächliche soziale Marktwirtschaft plädiert, die für die Menschen da ist und nicht wie heute als "Narrativ" oder Label für gewisse Lobbystiftungen missbraucht wird. Eben diese christliche Prägung (man mag sie gut oder schlecht finden) war gesellschaftlich aber eben auch politisch (siehe oben) eindeutig gegeben und stärker als sie es heute ist. Die Rolle des Christentums im Privaten, die Kirchen als wichtige soziale Institution war damals wesentlich. Die meisten Menschen waren christlich bzw. eher römisch-katholisch sozialisiert und konnten demnach auch in der CDU ihre politische Heimat finden. Insgesamt eine sehr homogene Gesellschaftsstrukur.
Diese Gesellschaft exisitiert heute in dieser Uniformität mitnichten. Die Rolle der Kirchen und des Christentums ist nicht mehr wesentlich, sondern wird immer stärker marginalisiert (Bsp. massive Kirchenaustritte). Stattdessen hat sich die Gesellschaftsstrukur immer weiter verändert. Es kamen neue Gruppen hinzu, die Demografie hat sich durch z.B. durch Zuwanderung stark diversifiert. Identitätspolitik wie z.B. Rechte von Homosexuellen oder BiPoC spielen eine wichtige Rolle und diese Gruppen können sich Gehör verschaffen. Insofern ist nicht mehr möglich oder zumindest nicht mehr so einfach wie 1950, eine deutlich komplexere Gesellschaft in ihrer Gänze wiederzuspiegeln. Aber die CDUler die daran glauben, referieren eben oftmals auf ihre politische Position, die sie zu ihrer Gründung bei den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen tatsächlich einnehmen konnte.
2. Zur ÖR-Kritik muss ich sagen, dass diese oft sehr eindimensional geschieht. Der größte Punkt Streitpunkt ist sicherlich der Rundfunkbeitrag, wobei diese Diskussion mittlerweile echt von rechten Trollen zersetzt wird. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich die Kritik an den Öffis tatsächlich echt nur an einigen wenigen Formaten von ARD und ZDF aufhängt, also des Fernsehens. Das sind dann die ewigen Diskussion wie "Ich mag kein Fußball, aber die zeigen nur Fußball, warum muss ich das zahlen?" oder "Ich gucke kein Tatort, warum zahle ich mit meinem Geld irgendwelche Krimis?". Schlussendlich driftet es immer in persönliche Geschmäcker ab und der tote Gaul wird weitergeritten. Diskussion beendet.
Ich glaube, dabei wird ignoriert, dass zwar die Sparte Fernsehen wichtig ist, sie aber nicht den gesamten ÖR ausmacht. ÖR bedeutet auch, dass die Sender Nachrichtenredaktionen unterhalten in Deutschland sowie weltweit, dass es ein breites Onlineangebot gibt, welches mittlerweile auch auf YouTube stattfindet. Und, das finde ich ganz wichtig, es gibt ein noch breiteres Hörfunkangebot mit zahlreichen Sendern und teils echt guten Sendungen. Ich bezweifele, dass viel gescheite Kritik sich auf den Hörfunk und deren Inhalte bezieht. Dieser Punkt kommt mir bei der Kritik an den Öffis einfach immer zu kurz. Beispiel "KlimaVorAcht": Die Idee halte ich für völlig richtig. Scheiß auf die Börsennachrichten, sondern lieber Klimanachrichten! Aber auch hier richtet sich der Fokus nur auf die 20 Uhr Tagesschau. Wäre es nicht auch schlau, wenn man auch ein KlimaVorAcht auf allen ÖR-Hörfunksendern morgens um 7:50 startet. Dann wenn die Leute mit dem sauberen Diesel zur Arbeit pendeln?