Man muss sich klar machen, was die Alternative ist. Alternativlosigkeit ist für eine Demokratie keine schöne Vorstellung. Die gibt es eigentlich auch gar nicht. Aber die Alternative ist die schlechtere. Das zu sagen heißt zuzugeben, dass es kompliziert wird, dass es Schmerzen und auch schmerzhafte Debatten geben wird und am Ende man nicht vorhersehen kann, ob dieser Transformationsprozess die breite Unterstützung der Gesellschaft behält. Aber das ist eben ein Arbeitsauftrag der Demokratie. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter hat mal immer von der Marktwirtschaft als dem Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ gesprochen. Also etwas wird neu entstehen. Aber die Konsequenz, die notwendige, die strukturelle Konsequenz ist, dass etwas aufgegeben wird. Das heißt Strukturwandel, das ist ja immer nur das Schönsprech für Jobverlust und das Vergehen von alter Industrie, ist integraler Bestandteil der Transformation. Es geht nicht ohne, sonst wäre es ja keine Transformation, sondern das gleiche, nur in einer anderen Farbe. Das ist so lange vergleichsweise unbemerkt oder schmerzlos zu ertragen, wie es langsam läuft. Also vor ich weiß nicht, 150 Jahren waren wahrscheinlich 80 % oder 90 % der Gesellschaft Landwirte.
Und hätte man denen vor 150 Jahren gesagt: „Wisst ihr was? 2022 sind noch drei oder 2 % von euch Landwirte, aber keiner arbeitslos oder die Arbeitslosigkeit ist sehr sehr gering.“
Die hätten das nicht verstanden, die hätten gefragt: „Was sollen die denn alle machen?“ Und dann hat man gesagt, ja, die haben da ein Reisebüro oder die sind Programmierer oder die sind Lehrerin oder Lehrer. Und die Kinder gehen alle zur Schule, die suchen nicht Kartoffeln aus der Furche, die lernen Mathe und Englisch und Biologie. Das wäre wie eine Fremdsprache gewesen. Wahrscheinlich hätten sie gefragt, die Kinder? Was sollen die denn mit Biologie, bitte? So sind wir aber. Und heute sind die Leute nicht mehr Landwirte, sondern sie sind in allen den genannten Berufen. Das haben wir als Gesellschaft so erlebt. Und natürlich gab es hin und wieder Debatten, aber insgesamt sind wir dadurch reicher geworden. Die Volkswirtschaft hat profitiert. Der Zustand der Gesundheit, das Einkommen - bei aller Armut, die es gibt in Deutschland - ist besser geworden. Das ist die schöpferische Zerstörung. Als ehemaliger Landwirtschaftsminister in Schleswig Holstein kann ich Ihnen sagen Aber wenn der individuelle Hof aufgegeben wird, weil man keine Nachfolger mehr hat oder weil es sich nicht mehr rentiert, dann weinen die Leute.
Das ist aber nur eine Bauernfamilie, die sagt, für uns ist hier irgendwie eine Sackgasse. Wenn es jetzt unter einer großen Geschwindigkeit und unter einem wahnsinnigen politischen Druck, unter der Not des Tages alles zehn-, zwanzigmal schneller abläuft, ist diese Transformation, die vielleicht in der Vergangenheit 100, 400 Jahre gedauert hätte und die wir jetzt in 20 Jahren machen müssen, eine immense politische Herausforderung. Deutschland will 2045 klimaneutral sein. Wir haben das Jahr 22, es ist 3/4 um. Wir haben also noch 22 und 1/3 Jahr Zeit oder 1/4 Jahr Zeit. Das ist ja gar nichts in der politischen Landschaft. Und in dieser Zeit müssen wir die viertgrößte Industrienation der Welt und Europa als Kontinent massiv verändern. Es wäre ein völlige, eine völlige Illusion zu glauben, dass es da keine Debatten, keine Widerstände, keine keine zornigen Emails und auch keine Proteste geben würde.