Ich hingegen habe die Bezeichnung "ganz normale Leute" durchaus ernst gemeint.
Das sind keine verrückten oder geistig minderbemittelten Menschen. Aber Leute wie Du und Deine bevorzugten Stichwortgeber von der organisierten Gegenaufklärung haben ihnen durch stetige Wiederholung völlig verrückte, kollektive Vorstellungen von "größeren Zusammenhängen" in die Köpfe gesetzt, von denen sie sich selbst von Leuten nicht mehr abbringen lassen, die mit Fachkenntnissen und praktischer Berufserfahrung argumentieren, weil man ihnen - so wie Dir - beigebracht hat, hinter jeder schiefen Zahl, jeder unsauberen Formulierung, und jeder unbedachten Äußerung die finsteren Pläne einer Eliten-Verschwörung gegen ihre bürgerlichen Freiheitsansprüche zu vermuten.
Hier würd ich gerne mal einhaken, weil ich finde, dass
viele gute Stichworte gefallen sind. Ich denke auch nicht, dass
jeder, der irgendeiner Verschwörungstheorie anhängt irgendwie
"dumm" ist. Aber um gewisse Dinge glauben zu können (z.B.
Corona ist irgendwie ne Gates-Verschwörungsnummer) muss schon ein
gehöriges Maß an Unbildung herrschen. Das frappierende ist, meiner
Ansicht nach kann beides gleichzeitig herrschen: Informiertheit und
Unbildung. --- Wie denn das? Ich hab oft mit Leuten diskutiert, die
irgendwelches Zeug glauben, was man einfach unter Blödheit oder eben
Verschwörungstheorie verbuchen könnte. Was allen gemeinsam war,
ist, dass sie zu kleinteiligen Einzelheiten ihres Themas nicht mal
unbedingt sooo schlecht informiert waren es aber gleichzeitig daran
mangelt diese Informationen -sinnvoll- in (eben jene) "größeren
Zusammenhänge" einzuordnen. Der springende Punkt ist, dass es,
wenn wir ehrlich sind, eine ganze Menge Bildung braucht, um
einschätzen zu können, was eigentlich denkbar ist und was nicht.
Ich gebe ein Beispiel: Es gibt Verschwörungstheoretiker, die
glauben, dass Bill Gates oder Jeff Bezos bei Corona "irgendwie"
die "Finger drin haben". Wie so eigentlich immer Gates,
oder Bezos? Weil es sich -im Bäumchen-Wechsel-Dich-Spielchen- um die
reichsten Menschen der Welt handelt und mit viel Geld auch viel Macht
verbunden ist. Das ist ein Zusammenhang den kennt fast jeder auch aus
seinen täglichen Zusammenhängen. Dann "drehen" diese
Leute auch immer ein "sehr großes Rad", will sagen, sie
sind in den unterschiedlichsten Gebieten "aktiv",
unterhalten Stiftungen und so weiter und äußern sich auch oft zu
vielen Themen. Und zu allem Überfluss ist noch zu beobachten, dass
sie von "Zuständen" profitieren. Das ungeheure
Missverständnis, das dann passiert, ist, dass dieser Zustand
konspirativ erklärt wird: dem Menschen, der Organisation oder der
Nation wird der "erklärende Teil" der Erzählung
zugeordnet, er wird ins Zentrum des "Problems" gesetzt.
Rein formell passt dann alles: Man hat einen Zustand, von dem jemand
profitiert. Die Logik, dass ein machtvoller Profiteur eines
Zustandes, diesen Zustand auch herbeigeführt hat (oder zentral daran
beteiligt war) liegt auf der Hand. Das Problem von
Verschwörungstheoretikern liegt meiner Ansicht nach nun darin, dass
diese Menschen sich den jeweiligen Zustand tatsächlich mit dem
"bösen" oder "gierigen" "Willen" einer
Einzelperson erklären können.
Das Missverständnis beginnt beim Einordnen der Beobachtung in
größere Maßstäbe. Es ist eben unfassbarer Quatsch,
Einzelpersonen, Personengruppen, Organisationen oder Staaten, die
Macht diesen Zustand herbei zu führen, zu zu sprechen. Man muss auf
vielen Gebieten wirklich wenig verstanden haben um zu ernsthaft zu
glauben, dass Jeff Bezos oder Bill Gates oder irgendjemand sonst,
weil sie so reich und einflussreich sind, tatsächlich die Macht zu
so etwas hätten. Wer von politischen Systemen, von Recht und von
Ökonomie genug verstanden hat um Probleme im Weltmaßstab zu
begreifen, der kann eine
so einfach gestrickte Logik nicht glauben. Es ist ja paradox,
Verschwörungstheoretiker (im gesellschaftspolitischen Bereich) sehen
das (ein) Problem ja nicht als zu groß, sondern als zu klein an.
Viele Verschwörungstheorien kommen trotz ihrer eingliedrigen
Erzählstruktur immer mit apokalyptischem Gestus daher. Dass ein
Zustand, der aus der inneren Logik der Struktur (also aus
Abermillionen Einzelentscheidungen, die nach gewissen Interessenlagen
getroffen und in gewissen juristischen Bahnen verläuft, die wiederum
Resultat gesellschaftlicher Verhandlungen unter Interessenlagen ist)
hervor gebracht wird, deutlich bedrohlicher ist, als die Verschwörung
Einzelner, ist dabei eine der Paradoxien (sämtliche Konspirationen,
Regelwidrigkeiten, etc, die ja tasächlich vorkommen, sind dann zwar
empörend, aber lediglich statistischer Kleinkram).
Ich
will noch einmal von einer anderen Seite her erklären was ich meine.
Dieses simplifizierte, eingliedrige Denken gibt es nach meiner
Wahrnehmung auch in anderen Bereichen. Dort würde man es aber nicht
Verschwörungstheorie nennen - vielleicht, weil die Erklärung ein
positives Szenario entwirft oder weil sie besser andockfähig ist, da
sie sich besser in bestehende Weltbilder einfügt oder einfach, weil
die Motive besser sind. Ich will diese Theorien "Versöhnugnstheorien"
nennen. Was meine ich? Zum Beispiel manche Vorstellungen, die in der
Klimadebatte vorgetragen werden. Auch hier werden erschreckend
einfache Denkmuster genutzt um scheinbare "Lösungen", zur
Modellierung der Welt, anzubieten. Die Erzählung, zum Beispiel, wir
(also der westlich industrialisierte Teil der Welt) könnten das
Klima retten, indem wir die Ökonomie, die da ist, ins Grüne hinein
umbauen, mutet für mich ähnlich dämlich und eingliedrig an, wie so
manche Verschwörungstheorie. Bitte versteht mich nicht falsch, ich
bin bei diesen Einzelforderungen immer dabei, es geht auch nicht
darum, ob etwas gut oder wünschenswert ist, sondern darum, ob die
projizierten Maßnahmen, tatsächlich die Qualität haben um im
Weltmaßstab (also im großen Zusammenhang), die Veränderung herbei
zu führen, die ich beabsichtige.
Auch
hier wird meiner Ansicht nach die innere Logik des Problems nicht
bedacht. Ein heruntergebrochenes Beispiel: die Vorstellung etwas für
das Klima getan zu haben, wenn z.B. in Deutschland 42 Mio. Fahrzeuge
mit Verbrennungsmotor in den -sagen wir- nächsten 30 Jahren, durch
42 oder 44 Mio Elektrofahrzeuge (der Energieträger ist eigentlich
egal) ersetzt werden, mutet irgendwie rührend naiv an. Es kann
natürlich sein, dass es mein eigener Dogmatismus mich hier
behindert, oder, dass meine Skepsis meiner Unwissenheit geschuldet
ist (weil ich Technologien nicht kenne oder deren Effektivität
verkehrt einschätze). Ich formuliere auch bewusst offensiv. Aber,
wenn ich versuche vernünftig über die Dimension -Klima-
nachzudenken, komme ich nicht umhin, anzuerkennen, dass es nicht
einmal um die verwendete Technologie geht ( zu mindest bei dem was an
Technik da ist, also z.B. Windkraft statt Kohle, oder Elektroauto
statt Verbrenner,...) sondern schlicht um die Menge - um in der
Struktur zu argumentieren: es geht ums Lebensmodell. Ich fand den
Begriff der "Stoffumwandlung", den Prof. Schellnhuber im
Jung und Naiv Interview verwendet hat, da sehr passend. Die
Vorstellung in einer kapitalistischen Wachstumswirtschaft, die als
Legitimation und inneren Antrieb, immer mehr an Stoffumwandlung
benötigt (einerseits, legitim, um Teile der Menschheit an
lebensnotwendige Infrastruktur anzubinden andererseits aber auch aus
dem dynamischen Antrieb des "Modells" heraus selbst - kennt
ihr noch eine Person unter 40, die kein Smartphone besitzt? Oder
irgendjemanden, der nicht gerne verreist?) beim jetzigen Stand der
Technik, etwas Sinnvolles in Bezug aufs Klima erreichen zu können,
kommt mir einfach abwegig vor. Klar, man kann das als Utopie denken,
das ist nur leider genauso eindimensional und ignoriert die Dynamik
der Struktur von Wirtschaft - Politik - Recht, wie es so manch
anderer "einfacher" Welterklärungsveruch an anderer Stelle
tut. Das bedeutet nicht, dass diese Maßnahmen nicht zu unterstützen
wären. Aber es bedeutet, anzuerkennen, dass diese Maßnahmen
bestenfalls geeignet sind, die Situation langsamer zu verschlimmern.
Daher,
ich finde schon, dass einfache Erklärungsmuster, die sich in
abwegigen Theorien äußern, anzeigen, dass die Person entweder
massive Bildungsmängel hat und sich daher gewisse Dinge vorstellen
kann (oder nicht vorstellen kann), oder, dass die Person direkte
Interessen verfolgt (um diesen Erklärungsversuch ging es mir aber
hier gerade nicht). Das klingt viel Schlimmer als es gemeint ist. Ich
finde wirklich, dass es unheimlich viel verlangt ist, das alles
einschätzen zu können. Es ist daher moralisch völlig unbedenklich,
wenn jemand Unsinn glaubt, weil er Dinge nicht einschätzen kann.
Schwierig, wird es, wenn die realen Umstände es verlangen, dass
"ganz normale Leute" das alles einschätzen können müssen.
In der Klimafrage ist das sicherlich eher der Fall, als bei der Frage
was jemand über die "Bilderberger" denkt, bei Letzterem
entscheidet dummes Geschwätz in Konsequenz eben nicht über den
Fortbestand der Zivilisation...