Wenn ich mal aus meinen Erfahrungen erzählen darf:
Ich hab seit der Jahrtausendwende im Bereich "Business Process Automation (BPA)" der Informatik gearbeitet. Also Software Werkzeuge geschrieben für große Konzerne die damit Prozesse in Bereichen wie Entwicklung, Finanzen, Verwaltung, Vertrieb, etc.automatisiert haben.
In der Theorie sollte BPA den einzelnen Mitarbeiter durch ein maßgeschneidertes Werkzeug ermächtigen mehr Verantwortung zu übernehmen und effizienter zu Arbeiten damit insgesamt die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil durch wachsende Produktivität erzielen. Hierarchien sollen dadurch verschlankt und entbürokratisiert werden. Das ist allerdings reine Theorie die in der Praxis nie in dieser Idealform vorkommt.
In Unternehmen wird ebenfalls viel daran gearbeitet durch Software die Mitarbeiter zu Marginalisieren und zu Kontrollieren in dem Software geschrieben wird die den Handlungsspielraum der Mitarbeiter in ein Eng überwachtes Korsett zwingt. Man fasst das im Neudeutsch der Unternehmen unter dem Ausdruck "Compliance" zusammen.
Durch die Marginalisierung wird das Ziel verfolgt Arbeitsplätze zu schaffen an denen "Arbeiter" möglichst austauschbar sind. Ganz ähnlich wie an einem Fließband. In der Arbeitssoziologie nennt man diesen Vorgang auch "digital Taylorism". Prozesse werden dadurch ineffiezient und bürokratisch und Mitarbeiter werden entmachtet und neue Hierarchien aufgebaut oder bestehende verstärkt.
Man sieht, dass diese beiden Konzepte des Techologieeinsatzes diametral völlig entgengesetzt sind. Leider gab es in meiner Laufbahn extrem viele Beispiele in denen BEIDE Konzepte im gleichen Projekt verfolgt wurden. Der Grund ist meist einfach der, dass häufig sowohl die User als auch deren Chefs gleichzeitig mit der Formulierung der Anforderungen betraut werden. Natürlich haben beide Gruppen keine Ahnung davon wie Software funktionieren sollte und sind extrem Beratungsresistent.
Viele dieser Projekte scheitern als ganzes oder darin irgendeinen nennenswerten Effizienzgewinn zu erzielen. Oft bleibt als einziges die wachsende Frustration der Mitarbeiter.
Wurden diese Werkzeuge erstmal entwickelt bestimmen sie meist über viele Jahre die Arbeitsweise des Unternehmens. Weil die Entwicklung maßgeschneiderter Software extrem Aufwendig ist, wird sie so lange Eingesetzt wie möglich. Das heisst Unternehmen werden dadurch extrem Schwerfällig. Nicht der Mensch, sondern schlechte Software bestimmt dann wie und was gemacht wird.
Man wird jetzt fragen wollen, ja warum kaufen die denn dann den Scheiß?
Die Kaufentscheidung wird meist viele Hierarchiestufen oberhalb der Abteilungen gefällt die diese Software einsetzen. Häufig werden diese Entscheidungen stark davon Beeinflusst was grade "in Mode" ist. Wenn der CEO bei der Aktionärsversammlung damit angeben kann auch "den neusten heissen Scheiss" zu machen, dann wird das durch Kursgewinne quittiert.
So viel dazu, dass der Kapitalismus das effizienteste aller Systeme ist.