Kapitalismus



  • Richard David Precht hat ja ähnliche Töne angeschlagen. Was sagt er eig. dazu, dass er zu einer überflüssigen Bevölkerungsgruppe gehört und kein volkswirtschaftlichen Nutzen bringt?

  • Mit dem Neuanfang des Forums find ich es wäre eine gute Gelegenheut mal drüber zu reden über was hier eigentlich gesprochen wird (und vor allem über was nicht).


    Kapitalismus ist einer der Begriffe die politisch in ihrer Bedeutung von allen Seiten aufgeladen werden (ein propagandistischer Begriff also).


    Mich würde deshalb interessieren was Kapitalismus denn eigentlich für euch bedeutet.

    Ich habe aber natürlich auch einen Vorschlag für ein Minimum an Definition die der Wirtschaftsanthropologe Keith Hart vorschlägt "Capitalism is making money with money".

    Z.B. hier: http://thememorybank.co.uk/book/chapter-1/


    Nette Anekdote dazu von Keith Hart die jeder wahrscheinlich kennt der sich mit der Theorie mal befasst hat:

    "Not long ago I attended a meeting of old Trotskyites. It was principally a celebration of an author who was in his nineties. The atmosphere was warm and mutually supportive. At the end, a man stood up and said “Comrades, tea is now available. Unfortunately, because we live in a capitalist society, we will have to charge you 30 pence a cup.” I almost wept, for the confusion between markets and capitalism is as deeply rooted on the left as it is in right-wing ideology. Markets require money and people with lots of money exercise disproportionate power in them. Capitalism may be said to be that variant of market economy in which the owners of big money control, for example, the right of most people to work for a living. But when a few friends make a service available to those who choose it and seek to recover their costs by charging a price below the public norm, that is not capitalism. The rejection of market civilisation which led to some fairly disastrous experiments in state socialism was based on this confusion.

    Accordingly, I have built the argument around a fundamental distinction between “making money with money”, the sparsest definition of capitalism, and “buying and selling with money”, the timeless formula for the market."

  • ach ja, die butterwege-precht strohmann-diskussion. um damit über bande precht ähnliche töne, wie im tweet zu diagnostizieren, keine ahnung. kann ja jede selber entscheiden.

    Hey, ich find das keine Kleinigkeit und auch nicht "über Bande" gespielt. Danisch sagt ganz offen Philosophen seien nutzlose Menschen, die kein Mehrwert bieten. Precht will sozialschwache Menschen ähnlich entwerten und ich finde, man kann es ihm sogar vorhalten: Ah ja, es gibt Menschen, die besser nicht geboren werden - so jemand kann ja dann Philosoph werden.

  • Mich würde deshalb interessieren was Kapitalismus denn eigentlich für euch bedeutet.

    Ich habe aber natürlich auch einen Vorschlag für ein Minimum an Definition die der Wirtschaftsanthropologe Keith Hart vorschlägt "Capitalism is making money with money".

    Z.B. hier: http://thememorybank.co.uk/book/chapter-1/

    "Making money with money" ist zwar nicht falsch, aber greift viel zu kurz.


    Kapitalismus ist die Herrschaft des Kapitals. Alles was in einer kapitalistischen Gesellschaft produziert und gehandelt wird, hat seinen Ursprung und sein Ziel im Kapital und seiner Akkumulation zu noch mehr Kapital. Die Geldvermehrung ist ein Mittel zum Zweck.

    Gäbe es für das Geld keine Waren zu kaufen, würde also nichts produziert um auf dem Markt in mehr Geld verwandelt werden zu können, dann wäre das Geld nutzlos und keiner würde sich die Mühe machen, es auf Teufel-komm-raus auf Finanzmärkten vermehren zu wollen.


    Nach dem was Mr. Hart da in seiner kleinen Annekdote über die Trotskisten schreibt - natürlich inklusive des obligatorischen Verweises auf das "desaströse Experiment" des Staatssozialismus - , scheint mir allerdings sein Anliegen damit nicht so sehr die Kapitalismuskritik zu sein, als die Kritik an den Kapitalismuskritikern.

  • Hey, ich find das keine Kleinigkeit und auch nicht "über Bande" gespielt. Danisch sagt ganz offen Philosophen seien nutzlose Menschen, die kein Mehrwert bieten. Precht will sozialschwache Menschen ähnlich entwerten und ich finde, man kann es ihm sogar vorhalten: Ah ja, es gibt Menschen, die besser nicht geboren werden - so jemand kann ja dann Philosoph werden.

    hätte precht die aussage"es gibt menschen, die besser nicht geboren werden" tatsächlich getätigt, dann wäre es wohl auch keine kleinigkeit.
    aber warum beschäftige ich mich schon wieder mit strohpuppen...kommt mir irgendwie bekannt vor. :/

  • "Making money with money" ist zwar nicht falsch, aber greift viel zu kurz.

    Stimme ich zu, Geld mit Geld verdienen ist ein Merkmal, das es in unterschiedlicher Ausprägung auch in vielen anderen sozioökonomischen gibt.

    Kapitalismus ist die Herrschaft des Kapitals. Alles was in einer kapitalistischen Gesellschaft produziert und gehandelt wird, hat seinen Ursprung und sein Ziel im Kapital und seiner Akkumulation zu noch mehr Kapital. Die Geldvermehrung ist ein Mittel zum Zweck.

    Demnach leben wir nicht im Kapitalismus, schließlich ist es in unserer Gesellschaft jedem freigestellt, andere Ziele als die Akkumulation von noch mehr Kapital zu verfolgen. Auch gibt es keine Herrschaft des Kapitals, sondern im Optimalfall die Herrschaft des Rechts und unantastbarer Grund- und Menschenrechte. Als wesentlich für den Kapitalismus würde ich hier nennen, dass dort in besonderem Maße das Recht auf Privateigentum (auch an Produktionsmitteln), sowie die Vertragsfreiheit geschützt sind.


    Nach dem was Mr. Hart da in seiner kleinen Annekdote über die Trotskisten schreibt - natürlich inklusive des obligatorischen Verweises auf das "desatröse Experiment" des Staatssozialismus - , scheint mir allerdings sein Anliegen damit nicht so sehr die Kapitalismuskritik zu sein, als die Kritik an den Kapitalismuskritikern.

    Dass die Kapitalismuskritiker oft nicht die hellsten Leuchten sind, merkt jeder schnell, der sich mal eine Weile mit ihnen unterhält...

  • hätte precht die aussage"es gibt menschen, die besser nicht geboren werden" tatsächlich getätigt, dann wäre es wohl auch keine kleinigkeit.
    aber warum beschäftige ich mich schon wieder mit strohpuppen...kommt mir irgendwie bekannt vor. :/

    Jo, du bist anstrengend. Wurdest du nicht auch im A!-Forum rausgekickt oder bist du selbst gegangen oder so? Wenn du nicht diskutieren willst, dann antworte einfach nicht weiter. So bist du imho erstmal nur eine Ad hominem-Nervensäge. Es ist keine Strohpuppe, sondern Precht sagt es ziemlich direkt: "Ich will nicht, dass solche Leute auf die Idee kommen, Menschen zu zeugen."

    Precht-Zitat.jpg

    Übrigens kann man hier auch ein Bogen schlagen zu Technik: Genauso wie der Mensch vom Kapitalismus aus bewertet wird, nach volkswirtschaftlichen Nutzen, genauso wird mehr und mehr Technik gebaut, die den Menschen übertreffen sollen und nützlicher ist. Wenn man das weiterdenkt, braucht man überhaupt keine Menschen mehr für das Kapital (Prechts Argument für das BGE ist die Arbeitslosigkeit aufgrund von Digitalisierung, also Technik). In Blade Runner wird so eine Welt erdacht: die meisten Charaktere sind keine Menschen, sondern diese Androiden, Replikanten. Es wird immer noch Mehrwert produziert, Kapital akkumuliert, aber es gibt keine Menschen mehr.

  • Kapitalismus ist nicht nur, dass mit Geld mehr Geld als vorher (nicht nur Geld mit Geld, was kein Kapitalismus ist, sondern Subsistenzwirtschaft, das ist ein riesiger Unterschied) gemacht wird (was der Kern des Systems ist, und um den der ideologische Überbau, die Klassen und die sozialen Verhältnisse herum organisiert sind), die Lohnarbeit spielt dabei auch eine große Rolle. Dieses System funktioniert ja gerade deswegen, weil Menschen über ihren eigenen Kalorienverbrauch hinaus arbeiten können, auch aufgrund höherer Produktivität. Vor der neolithischen Revolution war die Produktivität so gering, dass die Menschen nicht viel mehr als zum Leben notwendig war, produziert haben. Nach der neolithischen Revolution hat sich das geändert. Mehrwertproduktion wurde möglich (wenn auch noch viel geringer als in der Neuzeit und nach der Industrialisierung)

    Die Frage, die sich die Menschheit im Bezug auf Ungleichheit eigentlich stellen muss, ist: Wie wird, in einer post-neolithischen Welt, Mehrwert verteilt.


    Märkte ohne Kapitalismus sind IMO schwierig. Viele Marktsozialisten stellen sich unter nicht-kapitalistischen Märkten Systeme mit starker Regulierung durch den Staat oder durch andere Instanzen vor. Ob das dauerhaft funktionieren kann und ob dann nicht Kapitalismus durch die Hintertür eingeführt wird, ist fraglich. Märkte sind aber auch aus vielen anderen Gründen nicht begehrenswert (sie vermitteln die falschen Werte wie z. B. Wettbewerb).


    Zur Illustration mal grob ein System von dem bekannten Marktsozialist John Roemers:


    1. All the stocks of all the corporations in the country have been redistributed, so as to give each citizen, initially, a per-capita share. Each citizen at birth receives a stock portfolio, and hence an entitlement to a share of the dividends generated by the companies whose stocks she holds. When she dies, the stocks return to the government. These stocks, once acquired, may be traded for other stocks, but they may not be sold for cash. (Hence it is impossible for the rich to buy out the poor and obtain controlling interest in the economy.)


    2. All banks are nationalized. These banks collect funds from private savers and make loans to businesses, using substantially the same criteria as capitalist banks.


    3. The management of a corporation is determined by the corporations board of directors, which is comprised of delegates of the main commercial bank from which it gets its funding, representatives of the firms workers, and representatives of the stockholders.


    4. The government undertakes significant investment planning, using differential interest rates to encourage or discourage certain kinds of specific investment.


    5. Capitalist firms are permitted, if started by an entrepreneur, but a firm is nationalized (with compensation) when it reaches a certain size, or on the death of the founder, and shares of its stock redistributed to the general public.


    Ich gehe jetzt nicht auf die Details ein (zu faul am handy zu schreiben). Aber man sieht schon, wie in diesem Modell sehr stark reguliert werden muss und es sehr komplex ist. Kapitalistische Unternehmen und Wettbewerb existiert noch. Die politische Machbarkeit ist doch sehr fragwürdig und sieht auch sehr ähnlich wie unser kapitalistisches System aus.


    Daher plädiere ich für ein System ohne Märkte. Die Idee dabei ist dezentrale Planung. Jede Gemeinschaft bau ihre eigenen Planungsinstitutionen auf, die die Verteilung der Produktion organisieren. Dann könnte jeder Bewohner z. B. über eine Smartphone App seinen Konsumplan (für z. B. einen Monat) an sein lokales Planungsbüro schicken, dass dann, anfänglich, durch Walrasische Auktionen, Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht bringt, anhand der Konsumpläne und anhand der Produktion. Wenn mal jemand keinen Konsumplan für einen Monat erstellt, dann wird per default einfach der von letztem Monat benutzt. Das ist heute noch mehr möglich als früher. Das wäre so der Ansatz für ein System ohne Markt, in dem man gar keine ständige Regulierung braucht, weil die Arbeiter schon universell durch die Gesellschaft hindurch demokratisch an der Produktion teilnehmen können.


    edit/

    Kurzer Nachtrag zu Geld mit Geld:


    Wenn ich G-W-G1 habe, wobei G=G1 dann habe ich Subsistenzwirtschaft, nicht Kapitalismus. Kapitalismus ist G-W-G1 wobei G<G1. Wenn es in der Gesellschaft nur G>G1 gäbe, dann ist das eine Form von Sozialismus und die Warenproduktion hat praktisch aufgehört zu existieren, weil die sozialen Beziehungen über ihre dinglichen Beziehungen hinausgehen, d. h. es wird nach ganz anderen Motiven gehandelt, z. B. nach Bedarf. Dann wäre das Modell von Marx auch gar nicht mehr anwendbar (z. B. Jäger und Sammlergesellschaft oder alternative Systeme). Das oben von mir vorgeschlagenene Modell könnte alle drei Formen beinhalten aber die kapitalistische Form wäre sehr eingeschränkt und der Überbau wäre ganz anders, weil demokratisch und nicht autoritär.

  • Demnach leben wir nicht im Kapitalismus, schließlich ist es in unserer Gesellschaft jedem freigestellt, andere Ziele als die Akkumulation von noch mehr Kapital zu verfolgen.

    Welches Gut genau wird im Kapitalismus produziert und gehandelt, dass selbst nicht die Akkumulation von Kapital zum Ziel hat?

  • Ahhh. so spannend, dass selbst meine einfachste aller Kapitalismusdefinitionen so viel Reaktion auslöst. Ebenso interessant ist, dass anscheinend selbst so eine klare Definition des Kapitalismus so viel Widerspruch auslöst. Aber Keith Hart ist nicht irgenwer sondern möglicherweise der wichtigste Wirtschaftsanthropologe in Europa.


    Keith Harts Definition: "Making money with money" sollte man nicht deshalb so schnell verwerfen. Eben weil die Definition so kurz und Prägnant ist ist sie gut. Man sollte weit bessere Argumente aufbringen und eine Definition die nicht wesentlich länger ist wenn man mit Keith Harts Definition hadern will. Keith Hart hat schliessich das Lehrbuch geschrieben:

    https://www.amazon.com/Economi…-Chris-Hann/dp/074564483X


    Übrigens "making money" wurde hier des öfteren (absichtlich) missinterpretiert. Making money bedeutet im englischen Sprachgebrauch natürlich "Gewinn machen". aber wir können ja für alle die sich daran gestört haben die Definition erweitern in "Making more money with money"


    Die Idee, dass es nicht um Geld sondern um Werte Geht muss ich grundheraus als quatsch abtun. Niemand kann erklären dass wer 1 Milliarde hat und die nächste verdienen will, was natürlich die Realität in diesem System ist, es deswegen tut, weil er sich dann mehr kaufen kann. Die Realwerte spielen für den Milliardär natürlich keine Rolle mehr. Es geht darum um mehr Geld zu haben als vorher, oder wie es Georg Schramm ausdrückt:

    Zitat

    Wer habgierig ist, dessen Wunsch nach mehr Geld und Besitz wird nicht dadurch gestillt, dass er in Erfüllung geht, der Wunsch. Nicht der Besitz, nein, der Erwerb stillt die Gier.

    Oder wie Keynes es Ausdrückt:

    Zitat

    Keynes: Der Kapitalismus basiert auf der seltsamen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen, mit widerwärtigen Motiven, irgendwie für das Gemeinwohl sorgen werden.


    Darübert schreibt sehr schön Noam Yuran: "What money

    wants": https://www.sup.org/books/title/?id=21847


    Georg Schramm über den Kapitalismus:

  • Welches Gut genau wird im Kapitalismus produziert und gehandelt, dass selbst nicht die Akkumulation von Kapital zum Ziel hat?

    Güter haben keine Ziele, insofern macht deine Frage keinen Sinn (vom Rechtschreibfehler mal ganz abgesehen).


    Menschen haben Ziele. Vielleicht hast du ja nur die Akkumulation von Kapital als Ziel. Dann herzliches Beileid!

  • Naja, was die Definition von Kapitalismus angeht, kommt es ein bisschen drauf an, was man untersuchen will bzw. was die Fragestellung seiner wissenschaftlichen Untersuchung ist. Wenn man die kurze Definition von Keith Harts nimmt, dann ist der Kapitalismus nicht auf dem ganzen Globus verbreitet oder auch nicht im ganzen Westen. Weil es gibt noch genug Gesellschaften, die nur auf Subsistenz arbeiten. Oder es gibt auch einige Unternehmen, die gar nicht viel Profit machen, sondern sich immer nur so knapp über der Subsistenzgrenze befinden, die würden dann formal nicht als kapitalistisch gelten. Staatliche Unternehmen auch nicht (weil sie auf Verlust laufen können wie z. B. öffentliche Verkehrsmittel).


    Es gibt einen Aufsatz von Richard J. White und Colin C. Williams (Everyday Contestations to Neoliberalism) in dem beide argumentieren, dass in den westlichen Ökonomien Menschen eigentlich sehr viel Zeit mit nicht-kapitalistischen Transaktionen verbringen, die einen social-anarchistischen oder mutualistischen Charakter haben, aber die nicht so genannt werde. Wir haben also die Alternativen direkt vor der Nase jeden Tag. Ihre Definition von Kapitalismus ist bezahlte Arbeit (in Zeit gemessen, z. B. Arbeitszeit).



    Diese knappe Definition macht Sinn, wenn man wissen will, nach welchen Motiven Menschen für andere Menschen arbeiten oder ob sich die These der Kommodifikation bestätigt, lässt aber außer acht, wie das Leben der Menschen durch die kapitalistische Wirtschaft beeinflusst wird. Dass wir bereits im Anarchismus leben würde, macht überhaupt keinen Sinn. Trotzdem ist die Studie interessant und man kann darauf aufbauen (z. B. kann man mit der Theorie, die ich grob im Karl Marx Thread beschrieben habe, von Antonio Gramsci darauf aufbauen.).


    In meiner Definition spielt die Lohnarbeit immer eine Rolle, weil es die bei weitem größte autoritäre Struktur im Leben von fast allen ist. Und weil diese Struktur nicht legitim ist.


    Die Idee, dass es nicht um Geld sondern um Werte Geht muss ich grundheraus als quatsch abtun.


    Was meinst du mit "Werte"?

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