Kapitalismus

  • @Tim

    Ich arbeite aktuell 35 Stunden in Lohnarbeit, habe mehr als ausreichend Urlaub (30 Tage). Mein Arbeitgeber ist auch kein Risikofreudiger, daher würde ich auch den Betrieb als relativ krisenfest beschreiben. Und der Vorteil sehe ich darin, dass ich meine 7 Stunden am Tag arbeite und dann wirkliche Freizeit habe, auch wenn man diese Freizeit natürlich auch Reproduktionszeit nennen könnte. Aktuell wird sogar überlegt, ob wir (Arbeitnehmer) gegen eine sehr geringen Lohneinbuße 30 Stunden arbeiten könnten, welches ich vermutlich nutzen werde.

    Daher auch meine Frage in die Runde, wo ist mein Bewusstsein falsch und in wiefern habe ich ein falsches? Und wo ist genau das Problem, wenn der Mehrwert meiner Arbeit an den Chef fließt.


    Natürlich gibt es Menschen, die mehr Privilegien haben in ihrem Job als andere. Das verneine ich ja nicht und es ist allgemein IMO sehr schwierig gegen das, was du schreibst, zu argumentieren. Ähnlich ist das, was laut Quellen, die Chinese über ihre Gesellschaft sagen. "Wir leben in einer Diktatur, haben keine Demokratie, aber uns geht es gut, wir haben Wirtshaftswachstum und unser Lebensstandard steigt. Schaut euch an, zu was eure Demokratie geführt hat (Trump, rechtskonservative in Europa ect.)." Es ist nicht leicht, die Menschen zu überzeugen, dass es bessere Lebensformen gibt, wenn ihre materiellen Grundlagen dazu führen, dass sie gewisse Freiheiten haben. Aber das stimmt eben nicht für alle Arbeiter. Die extreme Arbeitsteilung, die es mittlerweile im Kapitalismus gibt, hat zu einer genauso extremen Spezialisierung geführt. Diese extreme Spezialisierung, in Bezug auf den Arbeitsplatz, führt zu einem "falschen Bewusstsein" in dem Sinne, dass es zu einem erheblichen Einschränken des sozialen und politischen Bewusstseins kommt. Worauf basiert deine Arbeit? Wie ist die Lebenssituation der Arbeiter in der Lieferkette? Woher kommt die Produktivität, durch die du eine 30 Stunden Woche arbeiten kannst? Glaubst du selbst, dass die Arbeit, die du machst, der Gesellschaft etwas bringt oder fügt deine Arbeit der Gesellschaft vielleicht sogar Schaden zu? Denkst du von deiner Arbeit vielleicht, dass sie komplett unnötig wäre, und wenn man sie abschaffen würde, würde es jemand überhaupt bemerken? Das sind alles Fragen, die man sich stellen kann und mit deinen man seinen Horizont politisch und sozial erweitert. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass du in einer priviligierten Position bist (dagegen ist ja nichts einzuwenden), andere Menschen aber nicht. Die Globalisierung hat zu einem Teil auch dazu geführt, dass Produktionen in andere Länder mit schlechten oder sogar sehr schlechten Arbeitsbedingungen ausgelagert wurden. Basiert als die Arbeit auf der Ausbeutung anderer? Will ich in einer solchen Welt leben? Wieso wird überhaupt für deine gerinere Arbeitszeit dein Lohn verringert? Usw. ect..


    Ja, die Struktur ist Zweifelslos autoritär, die wir aber durch eine recht gute Arbeitnehmerorganisation ausgleichen.


    Das mag ja sein für eine kurze Zeit, aber du darfst nicht vergessen, dass es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen im Kapitalismus unüberbrückbaren Widerspruch, was Interessen angeht, existiert. Sobald dein Betriebsrat (oder wie auch immer) nicht mehr existiert, geht dein Arbeitgeber wieder auf Autopilot und Autopilot bedeutet, das Meiste aus den Arbeitern rauspressen, was geht.


    Wenn ein paar Leute reich werden wollen, sollen sie es versuchen. Durch starke sozialpolitische Maßnahmen kann man meiner Meinung, vieles Eindämmen, was ich als äußerst ungesund beschreiben würde.

    Ja über einen kurzen Zeitraum kann man Refomen einbringen, die die Exzesse des Kapitals eindämmen. Aber solange Wettbewerb einen Gewinner hat, solange private Einzelpersonen kontrolle über Ressourcen, Investitionen, Arbeitsplätze usw. haben und solange wirtschaftliche Macht sich in politischer Macht niederschlägt, kann man reformieren, wie man will.


    Trotzdem verstehe ich noch nicht, wieso ich mein Angestelltendasein aufgeben soll, damit es anderen in der Welt besser geht? Und/oder meinen Wohlstand aufgeben und dann würde es anderen besser gehen? Anstatt genau das kollektive Momentum als Status des Arbeitnehmers zu nutzen.


    Weil dir die Formen der sozialen Kontrolle, Lohnarbeit, Werbung, konstruierte Sehnsüchte und Konsum dir alle suggerieren, dass du genau das sein willst. Du willst auf ewig ein Lohnarbeiter sein, der den Rest seines Lebens eine 30 Stunden Woche lebt, der seinem Chef hörig ist, der seine eigenen Kreativität am Ort seine materiellen Grundlage einschränken will, damit dir ja der Chef weiter die Privilegien am Arbeitsplatz gibt. Der ideologische Überbau in der bürgerlichen Gesellschaft schreibt dir nicht nur durch Gewalt vor, was du zu sein hast, sondern er suggeriert dir auch durch die Bildungsinstitutionen und Propaganda, was du selbst sein willst.


    Ich glaube schon, dass Lohnarbeit ein Teil vom Kapitalismus ist, gerade die Trennung in Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist elementarer Bestandteil des Kapitalismus. Jonnymadfox hat das ja ausführlich hier im thread ausgebreitet.

    Kapitalismus ohne die Hierarchien der Lohnarbeit wären Genossenschaften, kooperative Formen der Arbeit. Das ist schwerlich miteinander vereinbar, da Genossenschaften gegründet werden, um dem Allgemeinwohl zu dienen, was sich auch in der Form der Arbeit ausdrückt. Im Kapitalismus wird sozial gearbeitet, aber privat angeeignet. Wenn sozial gearbeitet wird und sozial angeeignet wird, wird sich auch das Bewusstsein ändern, in der Hinsicht, dass das soziale wichtiger ist, weil eben alle davon betroffen sind, nicht einzelne Personen. D. h. eine Wirtschaft aus Genossenschaften wird für die Bedürnisse aller arbeiten.


    Soweit klassisch Marxistisch, was dann auch im Stalinismus endete.


    Es gibt in der Gesellschaft nicht, was determiniert wäre. Klassischer Marxismus ist aber orthodoxer Marxismus, eine mechanistische Interpretation von Marx, die Lenin entwickelt hat und auf die sich auch Stalin gestützt hat. Marxens eigene Ideen würde man zu den heterodoxen Wirtschaftswissenschaften ordnen.


    Dieses ganze Sein / Bewusstseins Ding kommt ja von Marx. Und Marx bezieht sich darauf, dass die "materielle Produktion", also das Sein, das Bewusstsein bestimmt. Marx selbst hat dazu nicht viel geschrieben, außer ein paar Sätze. Spätere Theorien dazu hatte immer das Problem, das sie diese Konzept von Marx nicht zu eng und mechanistisch sehen durften, weil dem Proletariat ansonsten regliche Form von autonomen Handeln in Abrede gestellt wird. Marx hat aber selbst eine Theorie des Wandels (natürlich). Sobald die Produktivkräfte eine bestimmte Stufe erreicht haben, kommt es zu einem Konflikt zwischen den Klassen und sozialer Wandel findet durch Revolution statt. Ab einer bestimmten Stufe verhindert die Bourgoisie sogar sozialen Wandel (so wie heutzutage), dieser Widerstand muss auch gebrochen werden.


    Was Utan schreibt, dass weiß sowieso keiner. Weil er 1. mich plagiert. 2. Einmal sagt, Aufklärung wäre für den Arsch. 3. Jetzt soll Aufklärung auf einmal doch was bringen. Was Utan aber vergisst, ist dass Ideologiekritik (wie er es jetzt nennt), immer einen Widerspruch beinhaltet: Sie ist eine nichtnormative Kritik, die aber normativ sein soll. Ohne eine Alternative zu haben, ist das keine Ideologiekritik, sondern einfach nur Kritik ohne Substanz, weil ich ein Wertesystem haben muss, dass der Ideologie entgegensteht, ansonsten habe ich gar keine Bezugsobjekt.

  • Ich kann mir jetzt erstmal kein Bewusstsein vorstellen, das nicht im hier und jetzt ist.

    Ich weiß nicht, was du damit meinst. Ich sehe jeden Tag die ganze Zeit andere "Bewusstseinsformen", jedenfalls meistens ausserhalb von meinem Job, aber auch bei der Arbeit, obviously. Bewusstseinsformen, die der kapitalistischen Ideologie diametral entgegenstehen.

    Das macht auch Sinn in der Hinsicht, dass wenn alles von kapitalistischer Ideologie durchdrungen wäre, dann bräuchte man gar keine Institutionen der sozialen Kontrolle und Propaganda. Also woher soll das kommen?


    Dass kapitalistische Ideologie alles und jeden vollumfänglich eingenommen hat, ist einfach Käse.

  • Falls das untergegangen ist:


    Das macht auch Sinn in der Hinsicht, dass wenn alles von kapitalistischer Ideologie durchdrungen wäre, dann bräuchte man gar keine Institutionen der sozialen Kontrolle (Schule, Polizei ect.) und Propaganda. Also woher soll das kommen, wenn doch jeder angeblich so stark angepasst ist?

    Utan

  • So kommst du nie weiter. Sorry. Es macht keinen Sinn sich hier in Bewußtheitsdiskussionen zu verstricken. Fang eine Nummer kleiner an. Was brauchst Du zum glücklich sein? Wenn Du das klar hast: was brauchen andere dafür?

    Darüber kommst Du automatisch zu Gedanken über die Vergangenheit und Zukunft.

    Und dann kannst Du Dich so abstrakten Fragen widmen, wie z.B. Was wäre, wenn alle nur noch halb so viel arbeiten würden?

    Das klingt nach einem guten Vorschlag.


    @JonnyMadFox


    Deinem langen Post habe ich nichts hinzuzufügen.



    Ich weiß nicht, was du damit meinst. Ich sehe jeden Tag die ganze Zeit andere "Bewusstseinsformen", jedenfalls meistens ausserhalb von meinem Job, aber auch bei der Arbeit, obviously. Bewusstseinsformen, die der kapitalistischen Ideologie diametral entgegenstehen.

    Ja, deswegen empfinde ich den Hegemonie Begriff von Gramci so sinnvoll. Es geht im Grunde im Kampf gegen den Kapitalismus, um den Kampf der Hegemonie.


    Trotzdem würde ich mir kein Bewusstsein vorstellen, das nichts mit dem Kapitalismus zu tun hat. Gerade eine Ideologie die dem Kapitalismus diametral gegenübersteht, hat ja gerade den Bezugspunkt zum Kapitalismus. Nur weil ich weiß, was der Kapitalismus ist, kann ich mir etwas diametral gegenüberstehendes vorstellen. Nicht aber etwas, was keinen Bezugspunkt zum Kapitalismus hat.

    Dieser Ausdruck von mir soll ja nicht deutlich machen, dass es keine Alternativen gibt, sondern dass man eine Alternative nur im Bezug zum Kapitalismus denken kann. Nur wenn man die Probleme des Kapitalismus im "Klein-Klein" herausarbeitet, kann man etwas diametral gegenüberstehendes entwerfen, was selbstverständlich ebenfalls nur im hier und jetzt ist. Da ich eine solche Aufgabe für unmöglich halte, sind es die kleinen Probleme, die Schritt für Schritt bearbeitet werden. Ich glaube nicht, das etwas, dass sich über Jahrhunderte etabliert hat und mittlerweile Weltumspannend ist, mit einem "Masterplan" und schon gar nicht mit einer Revolution zu beenden ist.


    Chantal Mouffe hat etwas interessantes, aber nichts neues,vorgeschlagen. Einen linken Populismus, der sich ebenfalls nicht auf die Identität als Volk bezieht, sondern als Identität als Klasse. Deswegen glaube ich bzw. es gibt mir Hoffnung, weil ich es selber jeden Tag erlebe, das genau dies der richtige Weg ist, um die von dir etwas verschmähten Reformen zu etablieren, ohne direkt in einen offenen Krieg zu ziehen.

  • Du widersprichst dich, weil du zum einen sagst, das Bewusstsein wird durch das Sein bestimmt, um daraus zu schlussfolgern "man müsse nur genug aufklären". Jetzt schreibst du mittlerweile es wird "geprägt".

    Also wenn Dich nur an den Begrifflichkeiten "bestimmt" vs. "geprägt" stören willst, dann kannst Du daraus von mir aus einen Widerspruch konstruieren.


    "Das Sein bestimmt das Bewusstsein" ist natürlich eine Propagandaphrase, die aus einer Verkürzung dessen kommt, was Marx & Engels in der "deutschen Ideologie" geschrieben haben. Man muss aber schon recht engstirmig rezipieren was ich hier so vor mich hin schreibe, um sich an solchen Begrifflichkeiten abzuarbeiten.


    Ironischerweie beschreibst Du hier selbst etwas, das Marx & Engels als einen der wesentlichen Aspekte ihrer Auffassung von Geschichte beschrieben haben:

    Gerade eine Ideologie die dem Kapitalismus diametral gegenübersteht, hat ja gerade den Bezugspunkt zum Kapitalismus. Nur weil ich weiß, was der Kapitalismus ist, kann ich mir etwas diametral gegenüberstehendes vorstellen. Nicht aber etwas, was keinen Bezugspunkt zum Kapitalismus hat.

    Dieser Ausdruck von mir soll ja nicht deutlich machen, dass es keine Alternativen gibt, sondern dass man eine Alternative nur im Bezug zum Kapitalismus denken kann.

    Genau in diesem Widerspruch zwischen den materiellen Interessen, die im Kapitalismus die herrschenden Gedanken formen (prägen, bestimmen, etc.) und den gegensätzlichen materiellen Interessen derer, die ihnen innerhalb der herrschenden Verhältnisse unterworfen sind, äußert sich der "Klassenkampf", bzw haben sich - laut Marx & Engels - in jeder Epoche die materiellen Interessen der herrschenden und der beherrschten Klasse gegenseitig widersprochen und schliesslich zur Umwäzung der jeweiligen Verhältnisse geführt.

    Was allerdings auch eine wichtige Erkenntnis des "historischen Materialismus" war, und Marx & Engels überhaupt erst zu der zugespitzen These veranlassten, das Sein bestimme das Bewusstsein, ist der Umstand,...

    Ich kann mir jetzt erstmal kein Bewusstsein vorstellen, das nicht im hier und jetzt ist.

    ...das genau diese Verengung der Perspektive auf die momentan herrschende Sichtweise im "hier und jetzt" unter Ausblendung der geschichtlichen Entwicklung aus der die gegenwärtigen Verhältnisse entstanden sind, nicht erst im Kapitalismus, sondern schon seit der ersten Entwicklung der Menschheit aus dem vorzivilisatorischen Urzustand nomadischer Jäger- und Sammlergemeinschaften, schon immer ein Produkt der ideologischen Überbauten, ihrer Gesetze, und ihrer Moralvorstellungen gewesen sei, welche sich aus den materiellen, bzw. ökonomischen Grundlagen der jeweiligen Gesellschaftsform ergeben hätten und - vor allem - auch nötig gewesen seien um die Macht der herrschenden, sowie die Unterordnung der beherrschten Klassen unter deren Interessen zu legitimieren.

    Ich wollte wissen "Daher auch meine Frage in die Runde, wo ist mein Bewusstsein falsch und in wiefern habe ich ein falsches?"

    Die Beschreibung des herrschenden Bewusstseins als objektiv "falsch" ist auch nicht das, worauf sich Marx & Engels, eigentlich bezogen. Ob man das herrschende gesellschaftliche Bewusstein als "falsch" oder "richtig" betrachtet hängt vollkommen davon ab, auf welcher Seite des Klassengegensatzes man steht, während man es bewertet.

    Ich versuche daher in diesem Kontext auch die Wertung "falsch" zu vermeiden, bzw. setze ich das Wort ganz bewusst in Anführungszeichen, weil es natürlich immer nur ein "falsch" geben kann, wo es auch ein "richtig" gibt. Was aber in Bezug auf den "falschen" Kapitalismus - und als Gegenentwurf zu ihm! - "richtig" sei, haben weder Marx & Engels - über den groben Umriss der klassenlosen Utopie hinaus - besonders klar ausgeführt, noch würde ich mir anmaßen das tun zu können, weil natürlich - wie Du in obigem Zitat ja selbst anmerktest - auch ich nicht frei von meiner Prägung durch das "falsche" Bewusstsein bin, bzw. weil auch ich es nur als antagonistisch zu meiner Perspektive definieren kann.


    Das hindert mich allerdings nicht daran, für eine Aufhebung dieses antagonistischen Verhältnisses als Endziel zu plädieren, denn was ich für "richtig" halte - und was auch im historischen Verständnis von Marx, Engels und ihnen folgender Kritiker des Kapitalismus und seiner "falschen" Ideologie konstatiert wurde, ist der simple Fakt, dass Menschen soziale Kreaturen sind, die aus ihrer Evolution von hirnlosen Einzellern zu zweibeinigen PhilosophInnen nicht als konkurrierende EinzelgängerInnen hervor gegangen sind, sondern als kooperative Herdentiere, die überhaupt nur überlebensfähig waren, weil sich bei ihnen ein natürliches, instinktives Bedürfnis zur Zusammenarbeit mit ihren ArtgenossInnen herausgebildet hat.


    Auch der Kapitalismus funktioniert nur, weil Menschen dazu in der Lage sind, größtenteils friedlich miteinander zu kooperieren, ohne sich bei jeder Gelegenheit aus reinem Eigennutz gegenseitig zu übervorteilen und niederzukonkurrieren.

    Dass uns kapitalistische, oder vom Kapitalismus geprägte Ideologie schon immer - und ganz besonders in ihrer derzeitigen neoliberalen Variante - permanent das Gegenteil suggeriert, ist natürlich einer der größten Widersprüche eines widersprüchlichen Systems der eben genau deshalb nicht als solcher bewusst(!) wahrgenommen wird, weil der Zweck der Ideolgie darin besteht, ihn zu verschleiern und somit das System aufrecht zu erhalten.


    Das Verständnisproblem das Du mit mir hast, rührt vielleicht auch daher, dass ich mich selbst nicht umsonst immer als "Salonmarxist" bezeichne. Und das tue ich auch deshalb, weil ich Marx (und Engels) zwar dahingehend zustimme, dass sie materiellen Verhältnisse der Menschen ihr Denken "bestimmen" - dass sie es also in eine bestimmte Richtung lenken, oder besser: dass sie es innerhalb eines Denk-Rahmens "einzäunen", welcher von den herrschenden Klassengegensätzen bestimmt ist und genau dazu dient, jene Gegensätze ideologisch zu negieren, während sie sich materiell immer mehr verfestigen, dass ich aber nicht glaube, man könnte die materiellen Verhältnisse "einfach" nur ändern, um das Denken der Menschen zu verändern.


    Genau genommen würde ich Marx' ohnehin eher lückenhafter Vorstellung davon widersprechen, wie die Aufhebung der Klassengesellschaft denn eigentlich praktisch zustande kommen solle.

    In seiner Vorstellung muss der Kapitalismus quasi zwangsläufig irgendwann die proletarische Revolution herbei führen, weil er erst die Bedingungen für ihr Zustandekommen erzeugt, indem er die Arbeiterklasse einerseits in immer größeren Betrieben organisiert und ihr überhaupt erst beibringt, als arbeitsteiliges Kollektiv zu arbeiten und den ArbeiterInnen andererseits ihre Entfremdung von ihrer eigenen Arbeit und ihre Instrumentalisierung zur bloßen Quelle verwertbarer Arbeitskraft so drastisch vor Augen führt, dass sie irgendwann praktisch von selbst darauf kommen müssen, den Kapitalisten die Produktinsmittel wegzunehemn und sie gemeinsam zu verwalten.


    Ich bin mir allerdings recht sicher, dass Marx und Engels - würden sie im heutigen Deutschland leben - zu durchaus anderen Schlüssen gelangen würden, als sie es damals in der zweiten Hälfte des 19. jahhrunderts in England taten, weil wir heute gerade in den Ländern, wo die Produktivkräfte am höchsten entwickelt sind, wo sie also laut Marx die Voraussetzungen zur finalen Revolution und Aufhebung aller Klassengegensätze am weitesten erfüllt haben, genau das Gegenteil beobachten können: Eine Refeudalisierung der Gesellschaft, die dazu geführt hat, dass die Eigentümer der Produktionsmittel genau wie die abhängig Beschäftigten die herrschenden Verhältnisse - auch durch tatkräftige Unterstützung neoliberaler Ideologen - heute ähnlich alternativlos betrachten, wie die Landbevölkerung des Mittelalters die gottgegebene Aufteilung der Gesellschaft in adelige Grundbesitzer und ihre Untertanen. Man schimpft zwar vielleicht permanent auf den Fürsten, aber man sieht keine Möglichkeit, ihn loszuwerden ohne die von Gott gewollte Ordnung der Welt selbst anzugreifen und sich der Häresie schuldig zu machen. Auch die bürgerlichen Revolutionen mussten erst mal die religiöse Moral loswerden, um ihre liberalen Ethiken zu den herrschden Gedanken erheben zu können.


    Und das größte "Opium des Volkes" ist heute die Vorstellung, man könne eine Veränderung der Verhältnisse in kleinen Schritten vollziehen, wenn man nur die richtigen Autoritäten und ExpertenInnen an den richtigen Stellschrauben des laufenden Systems die richtigen Einstellungen vornehmen ließe, während eine ganze Armee von ExpertInnen auf der ganzen Welt den lieben langen Tag nichts anderes tut, als dafür zu sorgen, dass alle Schrauberei nur dem Zweck dient, das System vor der Selbstzerstörung zu bewahren.




    .

  • Ich habe ja geschrieben, dass ich dem sehr nahe stehe.

    Ich schlussfolgere anders als orthodoxe Marxisten nicht daraus den historischen Moment zu nutzen, um in den Krieg zu ziehen, sondern in einen politischen Kampf. (Schmitt aber auch laclau)


    Deswegen würde ich erwarten, dass man sich als linker ebenfalls mit der Geschichte auseinandersetzt. Denn eines hat sich gezeigt, dort wo die Revolution ausgerufen wurden ist, wurde immer eine Diktatur installiert.


    Darum schlage ich ja einen linken Populismus vor, was in vielen amerikanischen* Ländern* Anfang - Mitte des 20. Jahrhundert gut funktioniert hat. Zerschlagung von Ölimperien, Überwindung der ethnischen Identität usw..

    Kam dann natürlich irgendwann ins stocken, wofür man zahlreiche Gründe finden kann. Ein zentraler mit Sicherheit der Neoliberalismus,deswegen sollte man hier sehr gebau studieren, was dieser will und wie sich die Netzwerke formieren. Um dann zu erkennen, das genau das, was die "Experten" geschafft haben, den Arbeitern immer schwieriger gefallen ist.


    * auch in manchen europäischen Ländern, der sozialdemokratischer Impuls war enorm in der ganzen Welt.

  • Darum schlage ich ja einen linken Populismus vor

    Dazu habe ich oben einen Vortrag von Wollfgang M. Schmitt verlinkt.


    Kurz gesagt beschreibt er darin, dass ein linker Populismus so wie er von Mouffe (und Laclau?) als neue Strategie zur kulturellen Hegemonie beschrieben wird, nur funktionieren kann, wenn man linke Kritik popularisiert.


    Ich würde dem noch hinzufügen, dass linker Populismus sehr schnell zu rechtem Populismus werden kann, wenn es nicht gelingt, radikale linke Kritik zu popularisieren, weil es schon in der Vergangenheit und jetzt gerade in den USA oder in gewissen Teilen des Unserländischen "alternativen" bzw. selbsternannt "kritischen" Spektrums mittlerweile längst wieder Versuche von Rechts gibt, sich oberflächlich linke Themen anzueignen, um sie für ihre gar nicht linken Zwecke zu instrumentalisieren und damit Leute auf ihre Seite zu ziehen, die da eigentlich gar nicht hin gehören.

  • @Tim Im Textethread hab ich einen Aufsatz von Ralph Miliband und Marcel Liebman gepostet, in dem sie die Sozialdemokratie kritisieren. Laut deren Meinung waren die Anführer der sozialdemokratischen Parteien immer eines der letzten Hindernisse für radikalere Politik und sie schafften es immer, das Kapital und die Arbeiterschaft zu integrieren. Anstatt radikaler Politik haben sozialdemokratischen Parteien immer mit den konservativen und moderaten Kräften zusammengearbeitet und die linke Kritik aus ihrer Wählerschaft immer abgeblockt. Gründe warum das so war und ist, laut dem Text:


    1. Sobald radikale Reformen kurz vor der Realisation waren, kamen wieder konservative Kräfte, die dazu aufgerufen haben "die Experimente jetzt endlich zu beenden".


    2. Keiner oder nur sehr wenige Leute in der Bevölkerung dazu bereit wären "durch eine Revolution Staat und Kapitalismus" abzuschaffen." (was natürlich stimmt, auch heute)


    Trotz alledem waren große Teile der Bevölkerung aber immer auch bereit für radikalere Reformen, bzw. die soziald. Parteien haben in ihrem Programm immer sehr radikale Reformen angekündigt wie z. B. eine neue gesellschaftliche Ordnung. Nachdem die Führer der Parteien nicht geliefert haben, wurde das von allen Seiten, auch von der Wählerschaft, immer kritisiert.


    Der Punkt, den ich machen will, ist eigentlich nur, dass man sich nicht auf Parteien verlassen sollte. (das lass ich mit absicht jetzt so offen)

  • Der Punkt, den ich machen will, ist eigentlich nur, dass man sich nicht auf Parteien verlassen sollte. (das lass ich mit absicht jetzt so offen)

    Ne, natürlich nicht. Linker Populismus fängt dort an, wo man sich als Arbeiterschaft im Betrieb organisiert und ethnische Hintergründe hinter sich lässt und ganz klar solidarisch zeigt, gegenüber denen die nicht fest angestellt sind.


    Schaut man sich den Organisationsgrad von Gewerkschaften an, aber auch Betriebsräte, ging dieser alleine in Deutschland in den letzten 20 Jahren um 10% zurück (historisch seit etwa 1960 über 20%). Gleichzeitig haben wir ein aufkommen von ethnischen Kämpfen. Der ökonomische Kampf, wurde vom einem ethnischen Kampf abgelöst.


    Der Kampf beginnt auf der untersten Eben, im Individuum mit sich selbst und überträgt sich dann auf Organisationen (wie Parteien, Gewerkschaften und Betriebsräten) und halt das Ziel in der kulturellen Hegemonie. "Wir sind alle Keynesianer jetzt" ist Ausdruck einer linkeren Hegemonie, zwar immer noch einer kapitalistischen, aber trotzdem. Heute ist der Satz "Wir sind alle Schrödianer", zu mindest bis vor der Corona-Krise, in wiefern sich etwas verändert wird abzuwarten sein. Zur Finanzkrise hatten wir ja auch einen deutlichen Ordoliberalen-Impuls.


    Meiner Meinung sollte man eben nicht auf die "Revolution von Oben" hoffen (was ich jetzt nicht dir JonnyMadfox vorwerden würde, aber doch manche hier im Forum), sondern sich die kleinen Dinge anschauen, die eine große Veränderung bedeuten können.



    Zum Verrat von "Sozialdemokraten" oder "Sozialisten", so wie jene die sich selbst "Kommunisten" nennen, möchte ich hier mal nicht eingehen. Das bringt uns wenig, der Verrat den Leute wie Stalin (aber auch andere wie Mao und einige Südamerikanische Führer, sowohl Afrikanische Führer) gemacht hat, wiegt wohl deutlich höher und schädigt jene, die für eine sozialistische Politik stehen bis heute. Die USA sind das beste Beispiel, aber auch Deutschland passt da sehr gut. Verstehe auch das Argument nicht, auf die Fehltritte der Sozialdemokratie zu verweisen, ohne auf die Fehltritte der nicht Sozialdemokraten hinzuweisen.


    Was als linker Populismus anfängt, muss spätestens in Zeiten der Wahl, als sozialdemokratisch zeigen. Was sich erst nach der Wahl als radikalere Reformen umsetzten lässt. Vorher steht der linke Populismus.

  • Anschließend an meinen Text dazu, dass die Menschen nicht komplett von kapitalistischer Ideologie und Autoritätsglaube (am Arbeitsplatz) eingenommen sind, ein Zitat von Horkheimer:


    „In der wahren Idee der Demokratie, die in den Massen ein verdrängtes, unterirdisches Dasein führt, ist die Ahnung einer vom Racket freien Gesellschaft nie ganz erloschen“


    Und das ist auch heute so.


    (danke an w. m s. j. ;))

  • Dum spiro spero. ;)

  • A Propos Sein und Bewusstsein - Im folgenden Papier stellt der Autor die These auf, dass der Neoliberalismus gewissermaßen gezielt das Bewusstsein geformt habe um das Sein zu verändern. Was er dabei aus der Argumentation ausklammert ist der Umstand, dass Neoliberalismus eine kapitalistische Ideologie ist, die sich entsprechend innerhalb des gesellschaftlichen Bewusstseins geformt hat und äußert, welches durch das gesellschaftliche Sein im Kapitalismus bereits geformt wurde, und dass die realen Entwicklungen nach der neoliberalen Wende nur Tendenzen verstärkt haben, die im Kapitalismus ohnehin schon angelegt waren.

    Auch er interpretiert den viel zitierten Spruch von "Sein und Bewusstsein" der Marxisten offenbar als ehernes Gesetz von Ursache und Wirkung und nicht als Wechselwirkung innerhalb eines ungleichen ökonomischen Verhältnisses, um ihn daraufhin für obsolet zu erklären. Aber seine Herleitung ist trotzdem ganz interessant und illustriert gleichzeitig, warum es so schwer ist, den kapitalistischen Verhältnissen die Macht über das gesellschaftliche Denken zu entreissen, wenn selbst scharfe Kritiker des Neoliberalismus ihn als tatsächlich neue Art zu denken identifizieren und nicht lediglich als neuen Ansatz um das alte Denken für alternativlos zu erklären:

    "Sein und Bewusstsein". Propaganda und "objektive Realität" in den neoliberalen Gesellschaften

    Die neoliberale Gesellschaft ist, so meine These, im Unterschied zu den liberalen Gesellschaften früherer Epochen kein Produkt einer spontanen, naturwüchsigen Entwicklung, sondern eine bewusste Inszenierung, das Resultat des systematischen Versuchs, eine Idee, die Fiktion einer Gesellschaft, in die Tat umzusetzen.

    Das bedeutet nicht zu behaupten, dass alle Erscheinungen bewusst geschaffen wären. Von wachsenden Ungleichgewichten auf nationaler und internationaler Ebene bis zu den Wirtschafts- und Finanzkrisen gibt es eine ganze Reihe von Phänomenen, die eher den Charakter nichtintendierter Folgen des Projekts haben als dass sie bewusst in Szene gesetzt worden wären.

    Die Charakterisierung als neoliberale Gesellschaft aber schließt die Behauptung ein, dass sich in der neoliberale Gesellschaft das Verhältnis von bewusster Gestaltung und naturwüchsiger Entwicklung umgekehrt hat. Während sich die Protagonisten in früheren Jahrhunderten als Akteure begriffen, die, wenn überhaupt, eine an sich ablaufende Entwicklung zu beschleunigen oder ‚die Geburtswehen abzukürzen‘ vermochten, so sind sich die Protagonisten des Neoliberalismus der Tatsache bewusst, dass es keinen Automatismus in eine vordefinierte Richtung gibt und dass es wesentlich von ihrem Engagement abhängt, wohin sich die moderne Zivilisation bewegt.

    [...]

    Sowohl der ökonomische Liberalismus des 19. Jahrhunderts wie auch der wissenschaftliche Sozialismus waren von der Voraussetzung ausgegangen, dass die kapitalistische Marktwirtschaft von objektiven Gesetzen beherrscht wird, denen gegenüber der bewusste menschliche Eingriff nachgeordnet ist. Letztendlich – so die berühmte Formulierung von Marx aus ‚Zur Kritik der Politischen Ökonomie‘ – sei es „nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“ (Marx 1859/1974, 9). Das neoliberale Denken – und alleine darum soll es im Weiteren gehen – kehrt das Verhältnis um: Nicht das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein das gesellschaftliche Sein. Auf die schöpferische Kraft des Bewusstseins kommt es an! Der Erfolg der Oktoberrevolution kann nicht als das Ergebnis der Wirksamkeit irgendwelcher ‚ökonomischer Gesetze‘ erklärt werden. Die Sowjetunion ist kein Produkt der Entwicklung der Produktivkräfte. Und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, so die klare Einsicht, erfolgte nicht aufgrund irgendwelcher wirtschaftlicher Notwendigkeiten.

  • Ich verstehe immer noch nicht was du unter Kapitalismus verstehst, ich habe es schonmal versucht zu erfragen es kam aber keine antwort.

    Zudem hebt, gesell zumindest die Eigentumsrechte an Grundstücken teilweise auf (also doch kein Kapitalismus?)

    Gesell will in der Tat das Privateigentum an Boden gegen Entschädigung(!) enteignen und verstaatlichen, um zu verhindern, dass Geld in Grundstücken angelegt, also "gehortet" und somit dem Wirtschaftskreislauf entzogen wird, um Zahlungsmittel vor der von ihm geplanten, regelmäßigen Wertminderung zu schützen.


    Allerdings geht es ihm dabei - bei aller salbungsvollen Befreiungslyrik, die er Seitenweise seiner Heilslehre hinzufügt - überhaupt nicht um eine Vergemeinschaftung und demokratische Verwaltung des Grundeigentums. Seine Idee ist vielmehr, dass der Staat die Grundstücke an ihre Nutzer gegen regelmäßige Zahlung von Geld verpachten, und einen Teil der Erträge daraus als "Mutterrente", als eine Art Kindergeld an Mütter auszahlen solle, weil diese ja schliesslich überhaupt erst die nötige Reproduktionsarbeit leisteten, um die wirtschaft mit ausreichend Arbeitskräften zu versorgen.

    Dabei richtet sich der zu zahlende Betrag für die Nutzung des Bodens ganz marktwirtschaftlich danach wie begehrt die jeweilige Grundstückslage ist. Wer es sich also leisten kann, ein Grundstück zu nutzen ist - wie alles in einer Marktgesellschaft - eine Frage der Kaufkraft. Immobilien die auf dem verstaatlichten Grund stehen, nimmt er dabei explizit aus, weil sie keine "natürlichen" Güter sind, sondern von Menschen erschaffen wurden und daher auch vermarktet werden dürfen. Sie sollen weiterhin privates Eigentum bleiben.


    Das heißt also auch in Gesells "natürlicher" Wirtschaftsordnung, dass man es sich leisten können muss, Grund und Boden vom Staat zu pachten und über die darauf errichteten, im Privateigentum befindlichen Werkshallen, Bürogebäude oder MIetshäuser zu verfügen, und dass man als jemand der sich das nicht leisten kann selbstverständlich auch weiterhin Miete an die EigentümerInnen zahlen muss.

    Unter Immobilieninvestoren heißen Mietshäuser nicht umsonst auch einfach "Zinshäuser" weil sie nämlich einen Miet-Zins auf das private Eigentum abwerfen.


    Alles bei Gesell dreht sich um die Vermeidung des Hortens von Geld. Da er ja glaubt, Marx als Schwindler und Dilettanten entlarvt zu haben, als ihm selbst die glorreiche Idee kam, dass es nicht primär die Aneignung unbezahlter Arbeitskraft, sondern der Zins sei, aus welchem die Kapitalisten ihren Profit generierten indem sie ihr Geld horteten und es Zinsen abwerfen ließen, definiert er kurzerhand den Mehwert als Zinsertrag und alle Leute die keine Rentner, bzw. Zinsgewinnler sind zu Arbeitern um - egal ob letztere im klassischen Sinn Arbeiter sind oder nicht.


    Als Arbeiter im Sinne dieser Abhandlung gilt jeder, der vom Ertrag seiner Arbeit lebt. Bauern, Handwerker, Lohnarbeiter, Künstler, Geistliche, Soldaten, Offiziere, Könige sind Arbeiter in unserem Sinne. Einen Gegensatz zu all diesen Arbeitern bilden in unserer Volkswirtschaft einzig und allein die Rentner, denn ihr Einkommen fließt ihnen vollkommen unabhängig von jeder Arbeit zu.

    Es geht ihm mit seiner "Freiwirtschaft" bestenfalls vordergründig darum, damit die Macht des Kapitals zu brechen. Eigentlich will er es lediglich zur ständigen Reinvestition in die Warenproduktion zu bewegen. Er will den Kapitalismus effizienter machen, indem er die Kapitalisten dazu antreibt, ihre Profite stetig neu zu investieren, bzw. indem er die Kreditvergabe nur noch über staatliche Banken erlaubt, die "freigeld" in Form von "Schwundgeld"- Zahlungsmitteln ausgeben, weche automatisch an Wert verlieren, wenn sie nicht produktiv investiert, oder in den Kauf von Waren umgesetzt werden.


    Dass dabei natürlich auch die Nicht-EigentümerInnen an den Produktionsmitteln dazu gezwungen wären, für einen stetigen Zufluss der verderblichen Zahlungsmittel zu sorgen, dass sie also noch mehr davon abhängig würden, sich dem Kapital als Arbeitskräfte andienen zu können, weil sie ja nun nicht einmal mehr die Möglichkeit hätten, von ihrem Arbeitslohn etwas für schwere Zeiten zurück zu legen, interessiert Gesell nicht.

    Schliesslich hat er ja einfach festgestellt, dass Lohnarbeit überhaupt nichts schlechtes sei, so lange die Kapitalisten nur daran gehindert würden, die Erlöse aus dem Verkauf von mit Lohnarbeit produzierten Waren durch Zinserträge zu zu vermehren und sich so gegenüber den ArbeiterInnen ein höheres, leistungsloses Einkommen zu verschaffen. Er geht im Weiteren davon aus, dass durch den Wegfall der Zinsgewinnlerei und der Geldhortung die Unternehmer nur noch den gerechten Lohn für ihre harte Unternehmerarbeit einstreichen würden.



    Er verkennt dabei allerdings geflissentlich, dass die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die er - nicht ganz falsch - als eigentliche Aufgabe der Wirtschaft betrachtet, in einer kapitalistischen Marktwirtschaft nicht zum Zweck der allgemeinen Bedürfnissbefriedigung stattfindet, sondern zur Wertsteigerung, und dass dabei Rohstoffe und Arbeitskraft in einem Produktionsprozess zu Waren verarbeitet werden, die am Schluss auf dem Markt eben mehr wert sind, als sie es wären, wenn sie diesen Prozess nicht durchlaufen hätten.

    Ob das Geld das mit dem Warenhandel dann verdient wird, schneller oder weniger schnell in erneute Warenproduktion investiert wird, ist für das grundsätzliche Prinzip zweitrangig - zumal es ja nicht nur den Kapitalisten, sondern auch ihren abhängig Beschäftigten als Tauschmittel zum Erwerb der Waren dient und sie durch die regelmäßige Wertminderung pro ausgegebener Geldeinheit dazu antreibt, immer weiter Arbeitskraft und Rohstoffe in neue Waren zu verwandeln, um mit deren Vermarktung wieder neue, "frische" Geldeinheiten in die Unternehmenskassen und Lohntüten zu spülen.


    Seine Idealvorstellung einer "natürlichen" Wirtschaftsordnung ist nichts weiter als eine ganz und gar widernatürlich vom Staat durch die exklusive Vergabe von verderblichem Staatsgeld angetriebene Marktwirtschaft auf Steroiden.


    Absatz Absatz, das ist es, was wir Unternehmer brauchen, regelmäßigen gesicherten Absatz, Aufträge auf lange Zeit im voraus, denn auf Regelmäßigkeit des Absatzes der Waren ist die Industrie angewiesen. Wir können doch nicht jeden Augenblick unsere eingearbeiteten Leute entlassen, jedesmal wenn der Absatz stockt, um kurze Zeit darauf neue, ungeschulte Leute einzustellen. Auch können wir nicht aufs Geratewohl fürs Lager arbeiten, wenn die festen Bestellungen fehlen. Absatz, gesicherten Absatz! Ver-schaffe man uns nur regelmäßigen Absatz, passende öffentliche Einrichtungen für denTausch unserer Erzeugnisse - mit den Schwierigkeiten der Technik werden wir dann schon fertig werden. Absatz, Barzahlung, währende Preise - das übrige können wir selbst schaffen.

    Das waren unsere Wünsche, als von der Einführung des Freigeldes die Rede war. Und

    diese Wünsche sind erfüllt worden.

    Was ist Absatz? Verkauf. Was ist Verkauf? Tausch der Waren gegen Geld. Woher

    das Geld? Vom Verkauf der Waren. Also ein Kreislauf!

  • Schon zerlegt den Gesell, frage mich nur ob das so aufwändig hergeleitet werden muss.

    Der sagt Geld wird schlecht und Grund und Boden sind Staatseigentum?

    Na dann bezahlen wir halt wieder in Gramm Gold, Silber oder Kupfer.

    Dann verstaatlichen wir das auch!

    Dann zahlen wir mit...

    Dann verstaatlichen wir das auch!

    ...

    Ob man dann von tauschen oder zahlen sprechen muss ist mir dabei wurscht.

  • Du weißt aber schon das ich genau das selbe über Marx sagen kann oder bzw. über Marxistisch angehauchte Planwirtschaft oder?


    Bezahl doch ruhig mit gram gold silber kupfer, wenn du denkst das ist weniger umständlich und wirkt weniger risiken. Nur hast du dann spätestens wenn du deine Pacht bezahlen musst ein problem, diese ist ans Geld gebunden.


    Und nein es ging nur um geld und Boden der rest unterliegt ja einem verfall oder Lagerkosten.


    Was die vergabe angeht, heute ist es so, das du zum erhalt das geld haben musst, bei gesell müsstest du nur bereit sein entsprechend viel an die Gemeinschaft (und nicht staat sondern Kummune also möglichst kleiner Ramen) abzugeben, was dann umverteilt wird. (in seinem fall als Kindergeld, muss aber nicht)


    Auserdem kannst du immernoch sparen, dann musst du eben damit leben, dass du bis zum zeitpunkt x keinen zugriff auf das geld hast damit also die Nachfrage nicht direkt steigern kannst. (dies wäre dann möglich zinsloses verleihen) aber gut dafür brauch man dann noch die Saldenmechanik.


    Wie bereits geschrieben geht es bei ihm um den Konflikt Kreditgeber vs Kreditnehmer/Arbeitgeber


    der Andere Konflikt Arbeitgeber vs Arbeitnehmer muss natürlich auch gelöst werden doch, wenn man nicht Kreditgeber vs Arbeitgeber vorher lösst wird sich letzteres ebenfalls nicht lösen lassen.


    wo spricht er von Heilslehre sry rest schreib ich später etwas zu. Er sah Probleme und Lösungen dazu, ein Problem was für Marx ein blinder Fleck war. (irgendwo habe ich mal gelesen das seine Lösungen die Pragmatischen sind und Marx Lösungen die Idealistischen, wo ich denke das es scheitert. Ich selbst bin Pragmatiker.)


    bis dahin erstmal nur http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/schmitt/text1.htm


  • Ich habe hier nochmal etwas grob überflogen um das ganze zu vereinfachen schreibe ich hier mal die einzelnen Zitate raus. Stammen alle aus seite 8 fortlaufend folgende von https://www.inwo.de/uploads/me…sgaben/ausgabe-2018-2.pdf (es geht mir nur um die einzelnen Zitate)

    NWO = Natürliche Wirtschaftsordnung


    ich glaube die kamen auch in der Robinsonsonade vor. Alles Weitere stammt nur aus dem Text während ich die Zitate nochmal extra (allerdings ohne diese im Originalbuch zu überprüfen gekennzeichnet habe.) (in klammern schreibe ich eigene Kommentare von mir.)

    »aus der doppelt en Übervorteilung des kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten, durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann«,also unmöglich aus »bloßer Prellerei«im Kaufvorgang zu erklären (K ap 1, S.178)

    Zitat


    »Hier sowohl wie da ist er (Marx) vollkommenim Irrtum. Und da er sich im Geld irrte, diesemZentralnerv der ganzen Volkswirtschaft, somuß er über all im Irrtum sein. Er beging wie alle seine Jünger es taten – den Fehler,das Geldwesen aus dem Kreis seiner Betrachtungen auszuschalten«(NWO , S . 313)

    Allein die Behauptung, das Geldwesen sei»aus dem Kreis der Betrachtungen« von Marxausgeschaltet, ist angesichts des Verfassersdes dr eibändigen, wel tbewegenden Werk esDas Kapitalmit tiefschürfenden Kapiteln überGeld und auch über Zins, geradezu absurd.


    Zitat

    »Geld heckendes Geld« (Kapital III, S . 405)

    Zitat



    »Es ist in der Tat nur die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten und industrielle Kapitalisten, die einen Teil des Profits in Zins verwandelt, die überhaupt die Kategorie Zins schafft; und es ist nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden Sorten Kapitalisten, die den Zinsfuß schafft« (Kapital III, S. 383.)

    Die Unternehmer als produktive »industrielle Kapitalisten« (s. o.) nimmt Marx geradezu in Schutz gegen die »Geldkapitalisten«. ...


    Zitat


    »Das zinstragende Kapital hat als solches nicht die Lohnarbeit, sondern das fungierende Ka-pital zu seinem Gegensatz; der verleihende Kapitalist steht als solcher direkt dem im Reproduktionsprozeß wirklich fungierenden Kapitalisten gegenüber, nicht aber dem Lohnarbeiter. (...) Der Unternehmergewinn bildet keinen Gegensatz zur Lohnarbeit, sondern nur zum Zins« (Kapi tal III, S. 392)

    Zitat

    »Der Zins ist ein Verhältnis zwischen zwei Kapitalisten, nicht zwischen Kapitalist und Arbeiter« (Kapital III, S. 396).

    Zitat

    Es »bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozeß« (Kapital III, S . 401.)

    Zitat

    Im Zinstragenden Kapital erreicht das Kapitalverhältnis seine äußerlichste und fetischartigste Form. Wir haben hier G - G', Geld, das mehr Geld erzeugt, sich selbst verwertenden Wert, ohne den Prozeß, der die beiden Extreme vermittelt. (...) In der Form des zinstragenden Kapitals erscheint dies unmittelbar, unvermittelt durch Produktionsprozeß und Zirkulationsprozeß. Das Kapital erscheint als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eigenen Vermehrung. (...)Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und es trägt in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. (...) Es wird so ganz Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen. (...) Für die Vulgärökonomie (...) ist natürlich diese Form ein gefundenes Fressen, eine Form, worin die Quelle des Profits nicht mehr erkenntlich und worin das Resultat des kapitalistischen Reproduktionsprozesses getrennt vom Prozeß selbst – ein selbstän-diges Dasein erhält« (Kapital III, S. 405f)

    Silvio Gesell erklärt demgegenüber:

    Zitat

    »Um denvon Marx in der Formel G.W.G' aufgedecktenWiderspruch glatt zu lösen, werde ich keine solche Kette von Mittelgliedern nötig haben. Ich werde dem Zins die Angel vor das Maul werfen und ihn geradeswegs aus seinem Elemente ziehen, für jedermann erkennbar. Die Kraft, die zu der Tauschformel G.W.G' gehört, werde ich unmittelbar im Tauschvorgang enthüllen« (NWO, S. 315)

    Ger ade diese »Unmittelbarkeit« ist es, über die Marx sich anläßlich von Proudhons utopischen Versuchen wie auch in den zitierten Texten lustig macht: Es gehöre zum System,daß das Kapital seine Eigen-Fruchtbarkeit als arbeitendes Geld darstelle, aber dabei zugleich dessen Herkunft aus dem Produktionsprozeß verschleiere. Die einfache Wahrheit der komplexen Darstellung des Kapitals bei Marx lautet: (nicht als Zitat gekennzeichnet)

    Der Zins muß, ebenso wie der unternehmerische Mehrwert und als ein Teil dessen, erarbeitet werden. Genau das wird verschleiert und als Wesen des scheinbar selbst produktiven Geldes ausgegeben. Ohne die Erarbeitung im Produktionsprozesse bliebe der Zins-Mehrwert die Sache vorübergehen-der Erpressung und Täuschung wie in vorkapitalistischen Zeiten, nicht aber ein weltgeschichtlich einmalig effektiv funktionierendes System der scheinbaren Eigenproduktivität des Geldes, dessen rasante ‚Globalisierung geradezu die Voraussetzung ist für seinen endlichen Zusammenbruch. Das Körnchen Wahrheit in der Gesellschen Kritik liegt darin, daß bei Marx das Medium Geld noch nicht zu einer eigenen geldsystemischen Betrachtung ausgeprägt ist. Dies ist auch bei Gesell nur implizit der Fall (. .. ). Er hat aus einer theoretischen Not eine pragmatische Tugend gemacht. Das Unvermittelte hat Gesell sich zur Tugend gemacht und einen beachtlichen praktischen Griff gefunden: die Umlaufsicherung durch Negativzins. Worin ich seinen einzigen großen Beitrag sehe.


    (Arguemtation meinerseits kommt noch hier Fett markiert was mir wichtig erschien. Mein Fokus bleibt das Geld.)


    Von dem nächsten abschnitt Marx und das monetäre Syndrom finde ich wichtig:

    Zitat



    Wer Geld bei sich selbst festhält, wie etwa im Falle der »naiven Schatzbildung«, der sorgt für eine Unterbrechung der Zirkulation und steuert auf diese Art und Weise keinen positiven, sondern einen negativen Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion der Liquidität des Geldes bei.Wenn aber nun jemand die Produktion der Liquidität von Geld stört, indem er Geld festhält, genau dann kommt er in den Genuß des»Liquiditätsnutzens« des Geldes, das man in der Kasse bereithält. Das ist nicht nur absurd,sondern pervers: Ausgerechnet derjenige Teilnehmer des Wirtschaftsspiels, der den übrigen Mitspielern ihr unentbehrliches Zikulationsmittel vor enthält, wird durch den Liquiditätsnutzen für seinen negativen Beitrag auch noch prämiert! Und nicht nur, daß er den »Liquiditätsnutzen« in der Naturalform genießen kann, wenn er sein Geld in der Kasse bereithält, vielmehr kann er diesen Liquiditätsnutzen auch noch vermarkten, indem er sein Geld anlegt, so daß er dann Erträge einstreichen kann. Diese Erträge sind gewissermaßen die Lösesumme, die die anderen zahlen müssen, damit der Geldanleger das Geld, das er festhalten könnte, wieder für Transaktionszwecke freigibt. So zahlen am Ende alle diejenigen, die die Liquidität und den Liquiditätsnutzen produzieren, für eben diesen Liqui-ditätsnutzen einen Preis an denjenigen, der ihre Produktion stört! Dies ist das perverse »Geheimnis der Plusmacherei«. Dies ist die elementare Struktur des Kapitalismus: Das System belohnt mit privaten Prämien diejenigen, die die gesellschaftliche Produktion der Liquidität von Geld sabotier.



    (So erstmal genug zeit verschwendet ich mach dann mal wieder was anderes)

  • POLITIKANALYSE #11 - Liberaler Staat


    @JonnyMadFox


    Nun mal ganz konkret ich nenne mal ein paar beispiele kannst du mir mit möglicherweise begründung drunter schreiben warum es Produktionsmittel sind oder warum eben nicht?


    1. Schraubenzieher

    2. Feuerzeug

    3. Grundstück

    4. Bohrmaschine

    5. Euro bargeld

    6. Erdöll

    7. Sand (bestandteil von Beton)

    8. Gold, Silber

    9. Nahrungsmittel

    10. Holz

  • Müsste man da nicht die Definition von Produktionsmittel erstmal auf Tisch holen? https://marx-forum.de/marx-lex…exikon_k/kons_mittel.html


    Also es kommt darauf an, ob du die jeweiligen Dinge zu Produktion benutzt oder nicht, würde ich sagen.


  • "Das Gesamtprodukt, also auch die Gesamtproduktion, der Gesellschaft zerfällt in zwei große Abteilungen:


    I. Produktionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin sie in die pro­duktive Konsumtion eingehen müssen oder wenigstens eingehen können.


    II. Konsumtionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin sie in die indi­viduelle Konsumtion der Kapitalisten- und Arbeiterklasse eingehen.


    In jeder dieser Abteilungen bilden sämtliche verschiedene ihr angehörige Pro­duktionszweige einen einzigen großen Produktionszweig, die einen den der Pro­duktionsmittel, die anderen den der Konsumtionsmittel. Das in jedem der beiden Produktionszweige angewandte gesamte Kapital bildet eine besondere große Ab­teilung des gesellschaftlichen Kapitals. " K. Marx, Kapital II, MEW 24, 394.

  • Das sind alles random Gegenstände. Niemand läuft rum und erstellt eine Liste davon, was jetzt Produktionsmittel ist und was nicht. Ein gutes Beispiel wäre z. B. eine Fabrik und deren Produktionsmittel.


    Es müssen ja keine einzelnen Sachen sein, sondern es kann auch ein Komplex aus mehreren Dingen sein, womit man zusammen Güter produzieren kann. Allgemein würde ich sagen, dass das leicht intuitiv erkannt werden kann. Ein Grundstück ist Land. Also auch etwas, mit dem Güter produziert werden können. Daher sollte alles Land im Gemeinbesitz sein. Dabei gilt auch der Spruch "Denjenigen, die das Land bebauen und es verwalten, denen soll das Land auch gehören." Ähnlich wie "Den Arbeitern, die in der Fabrik arbeiten, denen soll die Fabrik auch gehören." Für mich macht nichts mehr Sinn, als diese zwei Sprüche.

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