Kapitalismus

  • Ich hatte vor einiger Zeit ein Streitgespräch mit nem Taxifahrer. der geriet ausser sich über Fridays for Future und es war offensichtlich, dass er so aufgebracht war weil er seine eigene Verantwortung für die Klimakrise nicht akzeptieren wollte eben weil er es gewohnt war, dass ihm von der neoliberalen Ideologie eingeredet wird dass damit er persönlich als Subjekt gemeint ist und nicht etwa ein System.


    Die Verortung der Verantwortung im Subjekt führt bei einigen zu nachvollziehbaren Abwehrreaktionen die die Abstraktion auf eine Systemebene nicht mehr leisten können oder wollen. Es ist extrem traurig, dass durch die absurde Ideologie die nicht mehr hinterfragt wird aber eigentlich die Krise verursacht hat, auf diese Weise ein Systemwechsel so massiv erschwert wird.


    Ähnliches vermute ich in den Corona-protesten. Eine Verortung der Verantwortung im Subjekt für eine vom System verursachte Krise und die durch die Krise begründeten Forderungen an das Subjekt, die allein das Ziel haben das System vor den Auswirkungen der Krise zu schützen, aber nicht das Subjekt, führt zu allerhand kognitiven Problemen. Das das erstmal abwehrreaktionen nach sich zieht ist nachvollziehbar.


    Dabei ist die Reaktion des Systems auf das Virus eine die einem Hoffnung geben sollte. Die vom Kapitalismus verursachten Probleme ähneln alle dem Corona Problem, weil nur eine Veränderung im kollektiven Verhalten tatsächlich das Problem behebt und nicht "der Markt" , "die unschtbare Hand" , "technologie" oder irgendein anderer Bullshit.


    Man kann die dem Kollektiv überantwortete Verantwortung für die Bekämpfung der Krise wenn man will auch als Befreiung von der Ideologischen Unterwerfung des Subjekts unter den Markt begreifen. Dass wir die agency haben allein durch kleine Anpassungen unseres Verhaltens als Kollektiv alles zu verändern, sollte Grund zur Hoffnung sein.

  • Wenn grade so drüber Nachdenke. kommt wohl auch daher meine Kritik an den Corona Protestierenden.


    Weil die Corona Protestierenden es gewohnt sind, dass das System ihnen die Absolution für völlig egoistisches Handeln erteilt, ja sogar behauptet, dass egoistisches Verhalten die Natur des Menschen ist, sind sie jetzt aufgebracht weil ihnen jetzt solidarisches Verhalten abverlangt wird und sie sich nicht mehr völlig egoistisch verhalten dürfen.


    Diesen Anspruch egoistisch sein zu dürfen begründen sie mit "Freiheit".


    PS: was wohl ziemlich genau das ist was Utan schrieb

  • Dabei ist die Reaktion des Systems auf das Virus eine die einem Hoffnung geben sollte.

    Inklusive der Kollateralschäden? Für die Wirtschaft, für den Schul- und Kulturbetrieb? Was ist mit psychischen Folgen - Kinder die mit Maskenzwang und Virusangst sozialisiert werden?


    Wenn das alles kritiklos in Kauf genommen werden kann, dann gibt’s hier für mich nichts mehr zu argumentieren. Mir scheint nur, dass das Framing der Protestierenden als rein „egoistisch“ - und dem gegenüber die Reaktion des Staates als alternativlos - ein wenig kurzsichtig ist. Vielleicht auch etwas engstirnig.

  • was wohl ziemlich genau das ist was Utan schrieb

    So ziemlich. Ich scheue nur davor zurück, das als "egoistisch" zu bezeichnen (auch wenn es im Grunde so ist) weil das einerseits ein so moralisch aufgeladener Begriff ist, und weil es andererseits ja auch einen ganz bewusst angestrebten Eigennutz voraussetzen würde.


    Meine These wäre eher, dass dieser unmoralische Egoismus von den EgoistInnen gar nicht als solcher wahrgenommen werden kann, weil er längst zum selbstverständlichen Teil des bürgerlichen Bewusstseins geworden ist, und dabei hilft, die permanente kognitive Dissonanz zu mildern, in die es im Kapitalismus hinein gezwungen wird.


    Das funktioniert bei vielen "normalen" Leuten sicher so ähnlich, wie die Einbildung von "Leistungsgerechtigkeit" @industriellen und anderen Systemprofiteuren ihnen eine scheinbar rationale Legitimation dafür liefert, sich Reichtum anzueignen.

  • So ziemlich. Ich scheue nur davor zurück, das als "egoistisch" zu bezeichnen (auch wenn es im Grunde so ist) weil das einerseits ein so moralisch aufgeladener Begriff ist, und weil es andererseits ja auch einen ganz bewusst angestrebten Eigennutz voraussetzen würde.


    Wenn wir hier über die Sozialtheorien, Ideologie usw sprechen, dann sollte man vielleicht mal erwähnen, dass die Sozialwissenschaft dabei das Handeln meint das nicht auf bewusster Ebene stattfindet. Die gesellschaftliche Prägung findet im Unterbewussten statt, was genau einer der Gründe ist warum eben soziale Schichtung reprodutziert wird und wer arm ist eben nicht selber Schuld ist.


    Ideologie beantwortet die Fragen die wir nicht mehr bewusst stellen. Wenn ich Egoismus sage, meine ich damit kein bewusstes Handeln sondern ein Handeln, dass unhinterfragt stattfindet. Auch der neoliberale Egoist ist in diesem Sinne nicht voll verantwortlich für diesen Egoismus, da unser System eben diesen Egoismus als selbstverständlich vorraussetzt.

  • Inklusive der Kollateralschäden? Für die Wirtschaft, für den Schul- und Kulturbetrieb? Was ist mit psychischen Folgen - Kinder die mit Maskenzwang und Virusangst sozialisiert werden?


    Wenn das alles kritiklos in Kauf genommen werden kann, dann gibt’s hier für mich nichts mehr zu argumentieren. Mir scheint nur, dass das Framing der Protestierenden als rein „egoistisch“ - und dem gegenüber die Reaktion des Staates als alternativlos - ein wenig kurzsichtig ist. Vielleicht auch etwas engstirnig.


    Kulturbetrieb: Ich halte den durch kapitalistische Prinizpien organisierten Kulturbetrieb insgesamt für ein Problem, das nur durch Corona jetzt zu tage tritt. In Frankreich erhalten Künstler z.B. ein Bürgergeld. Warum nicht hier?


    Schule: Jeden Tag den Kinder nicht in Schulen verbringen ist wahrscheinlich ein Gewinn für sie. Das einzige was sdabei zu vermissen ist, ist der Kontakt zu den anderen Kindern. Ich sehe meine Bildung als Resultat von Anstrengungen die ich trotz Schule unternommen habe. Wissenschaftliche Studien zum Thema Unschooling belegen das.


    Maskenzwang und Virusangst bei Kindern? Was sind die Auswirkungen? Hat das jemand untersucht?


    Kollateralschäden Wirtschaft: Der Kapitalismus kollabiert, er hat diese Krise verursacht, er wird damit nicht fertig. andererseits verdient sich Jeff Bezos dumm und dusselig am Leid der Menschen. Das Problem heisst da nicht Corona sondern Kapitalismus.


    Wenn die Corona-Proteste Kapitalismuskritik betreiben würden dann sähe mein Urteil anders aus. Das findet aber nicht statt, oder?

  • So ziemlich. Ich scheue nur davor zurück, das als "egoistisch" zu bezeichnen (auch wenn es im Grunde so ist) weil das einerseits ein so moralisch aufgeladener Begriff ist, und weil es andererseits ja auch einen ganz bewusst angestrebten Eigennutz voraussetzen würde.


    Das funktioniert bei vielen "normalen" Leuten sicher so ähnlich, wie die Einbildung von "Leistungsgerechtigkeit" @industriellen und anderen Systemprofiteuren ihnen eine scheinbar rationale Legitimation dafür liefert, sich Reichtum anzueignen.

    „Egoismus“ ist in diesem Kontext vor allem ein Framing, ein negativ kontierter Stempel, der man den Protestierenden aufdrücken kann, um sie und ihre Anliegen zu diskreditieren. Wenn man sich anschaut, wer ein Interesse an diesem Framing haben könnte - ein paar Beispiele habe ich gestern genannt -, dann kann man daraus wiederum eine Brücke schlagen zum eigentlichen Thema: dem Kapitalismus.


    Das hat dann aber mit Marx‘schen Analysen eher weniger zu tun; dass den Interessen von Datensammlern, von global agierenden Internetkonzernen, der Pharmaindustrie mal ein Virus in die Hände spielen würde, das konnte der gute Marx beim besten Willen nicht ahnen.

  • Outing: Ich bin SW-Entwickler. Ich halte die Corona app für einen Durchbruch im Kampf gegen den Überwachungskapitalismus. Dass Apple und Google ihre Betriebssystem anpassen mussten um Datenschutz zu garantieren ist ein enormer Erfolg. Was du da schreibst hat mit der Realität nix zu tun.

  • Wenn die Corona-Proteste Kapitalismuskritik betreiben würden dann sähe mein Urteil anders aus. Das findet aber nicht statt, oder?

    Nicht primär. Aber ich finde dieses entweder/oder fragwürdig.

    Na ja, du bist mit den Maßnahmen im Allgemeinen offenbar einverstanden und davon wohl auch nicht in einem negativen Sinn betroffen, somit erübrigt sich die Diskussion.

  • Nein, Ich hab aber bei anderen Dingen eine Schwarz Weiss Einteilung, wenn Fremdenfeindlichkeit oder irgendeine andere gruppenbezogene Meschenfeindlichkeit in einer Bewegung zu finden ist dann kann man sich damit nicht gemein machen.


    Leider ist Fremdenfeindlichkeit durchaus bei den Corona Demos zu finden.


    Für mich ist ausserdem Wissenschaftsfeindlichkeit massiv rechts offen und direkt Demokratiefeindlich. Impfgegner sind der Kern der Corona Demos.

  • Nein, Ich hab aber bei anderen Dingen eine Schwarz Weiss Einteilung, wenn Fremdenfeindlichkeit oder irgendeine andere gruppenbezogene Meschenfeindlichkeit in einer Bewegung zu finden ist dann kann man sich damit nicht gemein machen.


    Leider ist Fremdenfeindlichkeit durchaus bei den Corona Demos zu finden.


    Für mich ist ausserdem Wissenschaftsfeindlichkeit massiv rechts offen und direkt Demokratiefeindlich. Impfgegner sind der Kern der Corona Gegner.

    Na dann...

    Man sollte eine Diskussion immer mit solchen Basics beginnen. Dann wäre gleich klar, ob sie sich lohnt oder nicht und man könnte ggf. viel früher zu dem Fazit-Klassiker kommen:


    Passt scho‘! 😏

  • Nein, Ich hab aber bei anderen Dingen eine Schwarz Weiss Einteilung, wenn Fremdenfeindlichkeit oder irgendeine andere gruppenbezogene Meschenfeindlichkeit in einer Bewegung zu finden ist dann kann man sich damit nicht gemein machen.


    Leider ist Fremdenfeindlichkeit durchaus bei den Corona Demos zu finden.


    Für mich ist ausserdem Wissenschaftsfeindlichkeit massiv rechts offen und direkt Demokratiefeindlich. Impfgegner sind der Kern der Corona Demos.

    Also kann man sich auch nicht mit Marxisten gemein machen, schließlich war Marx auch rassistisch und fremdenfeindlich!

  • Also kann man sich auch nicht mit Marxisten gemein machen, schließlich war Marx auch rassistisch und fremdenfeindlich!

    Und außerdam haben wir das schon durch: Rassismus ist eine Rechtfertigung, um Menschen zweiter Klasse zu behandeln und damit Sklaverei machen zu können, was der Kapitalismus hervorgebracht hat (bzw. die frühe Formen des Kapitalismus). Marx Werk soll eher helfen, die Ausbeutungsverhältnisse zu überwinden, die Sklaven oder sklavenähnliche Verhältnisse (man denke an seinen spöttischen Begriff des "doppelt freien" Lohnarbeiters) überhaupt erst hervorbringen.


    Davon abgesehen muss man zugeben, dass manche Formulierungen, die er gemacht hat, heute nicht mehr haltbar sind und eben mit Vorsicht gelesen werden müssen. Aber sonst kann man auch das Lied vom "Tod des Autors" anstimmen und darauf verweisen: dadurch wird die Kritik nicht falsch.

  • Noch kurz ein Kommentar zu Maya Göbel.

    In ihrem Buch schreibt sie:


    Der amerikanische Ökologe Garrett Hardin beschrieb 1968 in einem inzwischen berühmten Aufsatz einen Mechanismus, den er »Tragedy of the commons« nannte, was sich mit »Die Tragik der Allmende« übersetzen lässt. Commons oder Allmende sind sogenannte Gemeingüter. Das Beispiel, das Garrett Hardin anführte, war eine gemeinschaftlich genutzte Weide, auf der die Bauern der Umgebung ihre Kühe grasen ließen. Da die Weide niemandem gehörte, konnte niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden. Also trieben alle so viele Kühe auf die Weide, wie sie wollten, und ließen sie dort so lange stehen, wie sie konnten. Alle stellten ihren kurzfristigen Ertrag über die langfristige Nutzbarkeit des gemeinschaftlichen Gutes. Die Folge war eine Überweidung und zu wenig Gras für alle. Raubbau durch Einzelne zulasten aller – das ist das klassische Ergebnis eines regelfreien Raums, in dem sich jede Person wie ein homo oeconomicus verhält. So gesehen ist es eher verwunderlich, wenn der Markt nicht versagt: Er funktioniert in der Regel nur gut für klassischen Gütertausch.Zumindest für die Commons haben inzwischen fast alle Ökonom*innen die Position bezogen, dass die Überfischung der Meere, die Überdüngung der Böden oder die illegale Rodung der Regenwälder staatliche Eingriffe zur Definition der Nutzungsregeln nötig macht.


    Das ist wieder die alte Kamelle der Tragik der Allmende, mit der Privatisierung als auch Verstaatlichung ideologisch legitimiert werden. Es gibt aber eben noch die dritte Möglichkeit, Selbstverwaltung durch die Leute, die von der Ressourcenverteilung direkt betroffen sind. Elinor Ostrom hat mit ihrer Arbeit gezeigt, dass Selbstverwaltung der Betroffenen in vielen Fällen effizienter ist als Verstaatlichung oder Privatisierung. Sie hat sich solche Selbstverwaltungen über dem ganzen Globus verteilt angeschaut und Bedingungen zusammengestellt, unter denen so eine Selbstverwaltung erfolgreich ist (anhand ihrer empirischen Untersuchungen).


    Dann nochmal dazu:


    Der Staat müsste sich nur dazu entscheiden, sie einzuführen. Außer ihm – und genau das meint John Maynard Keynes – kann es nämlich sonst niemand.


    Hiermit meint sie allgemein, dass nur der Staat regulierungen einführen kann, weil Unternehmen das halt nicht selbst machen. Bzw. die blinden Flecken der Privatwirtschaft wie z. B. Externalitäten werden von der Unternehmen nicht beachtet und nur der Staat könne da was machen. Das stimmt auch nicht. In Dänemark gibt es keinen gesetzlichen Mindestlohn, weil die Gewerkschaften die Löhne regelmäßig aushandeln. Eine Sache zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber. Wenn die Gewerkschaften durch direkte Aktionen, Streiks usw. das hinbekommen, sollte der Staat sich auch raushalten. Also Gewerkschaften haben sehr viel Macht, ihr Unternehmen unter Druck zu setzen und das Management zu Reformen zu zwingen. Dass nur der Staat das alleine könnte ist doch Quark.

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