A!459 - Over the top

  • Gut, genügt mir als Eindruck erstmal. Wie ich schonmal sagte, das allermeiste, was Putin erzählt hat Hand und Fuß, stark von der russischen Perspektive geprägt sicherlich. Dafür gibt es auch einen simplen Grund: In Wahrheit hören wir hier gar nicht den Präsidenten von Russland, der zufällig als Privatperson Hobbyhistoriker ist. Diese historischen Erzählungen sind ein Teil der politischen Verkaufe von Putin (und für Russland nicht so untypisch) und werden entsprechend vorbereitet. Da gibt es einen großen Stab von Leuten, die ihm zuarbeiten und alle möglichen Informationen kompilieren und prüfen, die er dann memoriert und hinterher referiert, neben einem zweifellos bestehenden eigenen historischen Interesse.


    Zeigt mir gerne die Stelle im Interview, wo er seine historische Erzählung als Begründung für einen territorialen Anspruch auf die Ukraine nimmt. Meines Erachtens ist das nur eine Deutung, was der ganze Sinn dieser Erzählung sein soll. Und nach meiner Erfahrung ist das praktisch immer so, dass Putin irgendwas erzählt und dann kommen zum Beispiel die stets hilfreichen Osteuropahistoriker und sagen einem nicht nur, was er als falsch erzählt, sondern auch was er damit eigentlich sagen will.


    Ich kann da Timothy Snyder auf Twix empfehlen, der erklärt einem ganz genau, wie das alles zu lesen ist.

  • Meines Erachtens ist das nur eine Deutung, was der ganze Sinn dieser Erzählung sein soll. Und nach meiner Erfahrung ist das praktisch immer so, dass Putin irgendwas erzählt und dann kommen zum Beispiel die stets hilfreichen Osteuropahistoriker und sagen einem nicht nur, was er als falsch erzählt, sondern auch was er damit eigentlich sagen will.

    Warum, glaubst Du, läuft das idR immer so ab?

  • Warum, glaubst Du, läuft das idR immer so ab?


    Nun, zum einen sind das natürlich lange Texte. Wie gesagt für Russland sind diese historischen Rückgriffe nicht so ungewöhnlich. Da wirst du ja auch von ganz klein auf in das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg eingebunden. Aber ich vermute, es ist dennoch etwas altmodisch und dass Putin hier durchaus sein Privileg ausreizt. Deswegen entschuldigt er sich immer mal wieder beim Publikum, kürzt natürlich nie die Reden.


    Insofern gibt es grundsätzlich Bedarf, dass der Inhalt zusammengefasst wird. Wie das dann geschieht und mit welcher Wertung ist denke ich einfach Kriegspropaganda. Wir sind in einem Stellvertreterkrieg - auch lange niemanden mehr widersprechen gehört - und du kannst nicht zulassen, dass der Feind deinen Leuten sein Gift in die Ohren träufelt. Es ist an der Stelle tatsächlich Ausdruck von journalistischer Integrität, die richtige Deutung mitzuliefern, bloß mit dem Fehler mangelnder Reflektion, woher diese Deutung genommen wird. Aber es kommt denke ich noch hinzu, dass Putins Geschichtsreferate oft einfach nur einen größeren Kontext herstellen sollen, das macht er auch bei anderen Themen, und sie werden dann überinterpretiert.


    Wenn also Putin einen Teil von Noworossija annektiert, dann nicht wegen einem historischen Anspruch, sondern wegen dem Referendum, das unter russischer Kontrolle dort stattfand, egal für wie echt man es hält. Wenn er dann zusätzlich erzählt, dass es kein im engeren Sinne ukrainisches Gebiet ist, sondern ein von Russland erobertes Gebiet, wo die Ukrainer letztlich nur Teil einer russisch gesteuerten Besiedlung waren, dann soll das vermutlich nicht mehr sagen als es ist nicht so abwegig, dass dieses Gebiet wieder Teil von Russland wird.

  • Danke, Wemir.

    Insofern gibt es grundsätzlich Bedarf, dass der Inhalt zusammengefasst wird. Wie das dann geschieht und mit welcher Wertung ist denke ich einfach Kriegspropaganda. Wir sind in einem Stellvertreterkrieg - auch lange niemanden mehr widersprechen gehört - und du kannst nicht zulassen, dass der Feind deinen Leuten sein Gift in die Ohren träufelt. Es ist an der Stelle tatsächlich Ausdruck von journalistischer Integrität, die richtige Deutung mitzuliefern, bloß mit dem Fehler mangelnder Reflektion, woher diese Deutung genommen wird. Aber es kommt denke ich noch hinzu, dass Putins Geschichtsreferate oft einfach nur einen größeren Kontext herstellen sollen, das macht er auch bei anderen Themen, und sie werden dann überinterpretiert.

    Und deshalb wird auch im Podcast so darüber reflektiert?

  • Und deshalb wird auch im Podcast so darüber reflektiert?


    Also soweit ich es gehört habe, die Kritik daran, wie das Interview in deutschen Medien präsentiert wurde, ist auf jeden Fall ein Anfang. Wobei man sagen muss, es ist nun auch aus progagandistischer Sicht überaus ungeschickt zu sagen, man soll es einfach gar nicht hören. Du musst den Leuten natürlich deine Version geben, sonst fragen sie sich weiter, aber warum der Hype und hören am Ende selbst rein oder dem nächstbesten Prorussen zu. Zeigt vielleicht, dass die Kriegspropaganda doch organisch ist und sich hauptsächlich aus bestehenden Ressentiments ergibt mit ein bisschen nudging hier und da und der Einforderung durch das Publikum, wenn es erstmal läuft.

  • Wenn Verhandlungen nur möglich sind wenn man auf Augenhöhe ist, womit hier ja explizit ein Kräftegleichgewicht gemeint ist, wie nennt man dann das, was weltweit täglich zwischen unterschiedlichsten Parteien unter Einflussnahme der jeweiligen, stark unterschiedlichen, wirtschaftlichen Macht passiert oder zB auch zwischen unterschiedlichsten Parteien mit unterschiedlichen Stimmanteilen?


    Woran wird im konkreten Fall "Augenhöhe" bemessen? Anzahl Waffen? Art der Waffen? Anzahl der Toten? Anzahl der vorhandenen Soldaten? Anzahl der noch potentiellen Soldaten?


    Ist eine wirkliche, wie sich gewünschte, Augenhöhe überhaupt jemals möglich und erreichbar und wenn wie?


    Ab wann wird hier endlich mal zugegeben, dass dieses ewig propagierte Kräftegleichgewicht und die Fähigkeit der Ukraine zu einem Sieg über Russland, ganz allein schon anhand der Metrik Bevölkerung, nicht ohne einen personellen Einsatz aus anderen Ländern, auf der Seite der Ukraine gegen Russland, möglich ist? Wenn man dann noch feststellt, dass der ursprüngliche Traum Putin würde gestürzt werden nicht eintreten wird, bleibt als Folgerung dieser unverrückbaren Position nur noch, dass man entweder den Tot oder die anderweitige Kampfunfähigkeit aller Ukrainer fordert oder die aktive und insbesondere personelle Beteiligung westlicher Truppen. Kann man ja machen, aber dann soll man halt endlich mal ehrlich damit sein....

  • Ja aber die sind doch - anders als z.B. die Stiftung Wissenschaft und Politik - keine anerkannten Beratungsorgane der Bundesregierung und haben somit auch kein quasi-amtliche Gütesiegel des deutschen Staates, das ihnen attestiert, hochseriöse, über jeden Zweifel erhabene Quellen zu sein.

    Jaha, aber das sind alles Publizisten bei "Emma". 75 Jahre amerikanisches Vortanzen in Sachen FreeSpeech & Meinungsfreiheit sind dann doch nicht ganz spurlos an DE vorbeigegangen...

  • [...] Wir sind in einem Stellvertreterkrieg - auch lange niemanden mehr widersprechen gehört - und du kannst nicht zulassen, dass der Feind deinen Leuten sein Gift in die Ohren träufelt. [...]


    https://twitter.com/nicolange_/status/1758062034241937712


  • Wichtige Einordnung!

    Apropos wichtige Einordnung und weil der DLF Hintergrund in seiner vorgestrigen Folge "Der lange Weg zum Frieden" in Sachen Naftali Benett ebenfalls sehr darum bemüht war (ab etwa 00:10:00) ...


    Mir scheint, angesichts dessen, dass der UA-Krieg "auf dem Schlachtfeld gewonnen werden müsse" (Borell via) und der sich allmählich anschickt, unter umgekehrtem Vorzeichen genau das zu tun, geraten zunehmend die grossen Erzählungen zum Krieg ins Visier.

    Und da ist Benetts "fahrlässig geführtes und leichtfertig publiziertes" Interview mit seiner Kernaussage, "der Westen hätte Verhandlungen blockiert" natürlich schmerzhaft zentral. Und so bemüht man sich vielerorts um Einordnung, so auch vorgestern im DLF. Dessen Botschaft in Sachen Benett war, dass dieser seine Aussage umgehend relativiert hätte. Diese Relativierungen Benetts finden sich hier, falls jemand aufgeweckterweise mehr dazu hat, dann poste er das doch bitte. Da das angesichts der Aussagentragweite nun recht dünn ist und nicht eben sehr weit trägt, liegt nichts näher, als das Souverän souveränerweise die BReg befragt, allein, er kommt nicht weit, wie Correctiv zu berichten weiss:

    Welche Rolle die Bundesregierung und Bundeskanzler Scholz bei den gescheiterten Friedensgesprächen spielten, ist weiterhin unklar. Am 17. Februar 2023 fragten mehrere Abgeordnete schriftlich, welche Position Deutschland bei den Verhandlungen von Naftali Bennett eingenommen hätte

    Auch Correctiv ist hier hinreissend bemüht, den durch Benett entstandenen Eindruck der westlichen Blockade zu correctivieren, scheitert aber mit seinem überspezifischen Ansatz 'Blockiert - Der Untertitel wurde falsch übersetzt' ziemlich krachend. Immerhin verlinkt man viele wesentlichen Elemente der Auseinandersetzung, so auch Tilo 's Einordnung durch die SWP - hier als Hinweis gekennzeichnet.


    Insgesamt ein wirklich wunderschönes Paradebeispiel für den Kampf um das Narrativ. Solange die BReg keinen autoritativen Beitrag im Sinne der Aufklärung beisteuert respektive für nötig erachtet, ist die Sache eben, wie sie ist - free lunch.

  • Ich glaube, es bringt nichts, immer wieder auf diese Istanbuler Verhandlungen abzustellen. Egal wer da jetzt letztendlich daran schuld war, dass sie abgebrochen wurden (ich gehen davon aus, dass es beide Seiten waren, was auch zu Naftali Bennets Einschätzung einer 50%-Erfolgschance für ein Abkommen passen würde) - es ist doch offensichtlich, dass die Voraussetzungen jetzt ganz anders sind.


    Man wird die Russen nicht dazu bewegen, auf ihre neuen Gebietsansprüche zu verzichten - selbst wenn Putin morgen tot vom vergoldeten Rokokosessel fiele, käme da mit Sicherheit kein Nachfolger, der sich darauf einlassen würde. Und so lange die ukrainische Führung nicht von Selenskyjs "Friedensplan" einer vollständigen Rückeroberung ihres Territoriums inklusive Krim absieht, wird das Gemetzel einfach weiter gehen, und Deutschland investiert noch mal feierlich, mit Handschlag und Unterschrift 7 Milliarden Euro in den Fronteinsatz des ukrainischen Heldenvolkes.


    Oder wie dieser Freiheitsverräter und Putinknecht hier sagt:


  • Ist mir klar. Ging mir ums Narrativtheater als um die Verhandlungen selbst. Das sich an den so elendig herbeigebombten Fakten nichts drehen lassen wird, wird noch für viel Stimmung zur AfterParty sorgen.


    Da wird es dann wieder vie Kreativität in Sachen Narrativ regnen, damit sich die Leute ohne Gezeter in Reih und Glied gegenüber aufstellen lassen.


    Und ja, öder Sch***s.

  • Ich glaube, es bringt nichts, immer wieder auf diese Istanbuler Verhandlungen abzustellen. Egal wer da jetzt letztendlich daran schuld war, dass sie abgebrochen wurden (ich gehen davon aus, dass es beide Seiten waren, was auch zu Naftali Bennets Einschätzung einer 50%-Erfolgschance für ein Abkommen passen würde) - es ist doch offensichtlich, dass die Voraussetzungen jetzt ganz anders sind.


    Also dass beide Seiten am Abbruch schuld waren, denke ich nicht. Es ist glaube ich ziemlich klar, dass die Ukrainer das Interesse verloren haben. Zum einen war es immer die russische Seite, die sich über die fehlende Verhandlungsbereitschaft beklagt hat. Zum anderen, wenn man sich daran erinnert, weshalb die Selenskyj-"Friedensformel" entstand. Der Grund war, die Ukrainer haben darauf bestanden, dass Verhandlungen nicht möglich sind, insbesondere auch wenn das im Westen mal jemand angeregt hat. Das kam vorallem im Nichtwesten nicht gut an. Daraufhin haben die US-Amerikaner Druck ausgeübt und das Ergebnis war die Friedensformel, die man seitdem versucht, dem Nichtwesten schmackhaft zu machen. Mit wenig Erfolg, aber wahrscheinlich war das Ziel auch bloß, mit dieser Simulation von Verhandlung, die erstmal längliche Vorverhandlungen mit allen außer dem Feind erfordert, die Kritik abzustellen.


    Die Intervention von Johnson - und dahinter womöglich Biden - ist bloß die naheliegendste Erklärung für dieses ukrainische Handeln. Zumal diese Erklärung zuerst von den Ukrainern selbst kam.

  • Schade! Ich war SO interessiert an einer fundierten, kritischen Auseinandersetzung mit diesem "Interview". Leider machen es mir die ständig aufgerissenen Nebenschauplätze und (nicht zum ersten Mal) der arrogant-aggressive Ton von Stefan unmöglich, den Podcast zu Ende zu hören.

    Dass ausgerechnet der, der das Interview nach eigenen Aussagen noch gar nicht gesehen hatte, den, der das Interview für den Podcast aufbereitet hat, ständig unterbricht, empfinde ich nicht nur als respektlos und unkollegial, sondern auch als wenig gewinnbringend für den Podcast.


    (nach 1 Stunde 16 Minuten entnervt ausgestiegen)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!