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  • Das Zitat ist aus einem Buch, dessen Erste Auflage 1997 erschien, aber es passt leider immer noch wie die Faust auf's Auge der aktuellen Debatte um eine deutsche Staatsräson der bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel als Konsequenz aus dem kolossalen Fehlschluss, die heutige deutsche Nation habe ihre faschistische Vergangenheit so gründlich aufgearbeitet und bewältigt, dass ihre wertebasierte politische und publizistische Nationalelite sich nun als höchste moralische Instanz gegen alles Totalitäre und Menschenfeindliche in der Welt aufführen kann, während sie eifrig gegen zu viele und zu falsche Ausländer im eigenen Land hetzt, ohne dabei unter schmerzhaften kognitiven Dissonanzen zu leiden:


    [...] Es ist nicht zu bestreiten, dass es all das gegeben hat und dass all das

    weiter kräftig betrieben wird. Die Klagen, in der Vergangenheit sei zu

    wenig getan worden, vieles sei in den Schulbüchern »verdrängt und ver-

    schwiegen« worden, treffen jedoch weder sachlich noch in ihrer impliziten

    Behauptung zu, dass die Wirksamkeit der antifaschistischen Aufklärung

    vom Umfang des präsentierten Materials und von der Dauer der Beschäf-

    tigung mit ihm abhänge. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass ein ganz

    bestimmtes antifaschistisches Selbstverständnis in Westdeutschland herge-

    stellt worden ist. Dass es sich nicht gehört, Ausländer anzugreifen, das wis-

    sen die Deutschen. Das ist einer öffentlichen Empörung über schlägernde

    Skins und den Lichterketten ebenso zu entnehmen wie den zahllosen Ge-

    denkreden der Politiker von »links« bis »rechts« zum Jahrestag des Kriegs-

    beginns und -endes oder zur »Reichskristallnacht«. Die Distanzierung vom

    Hitlerfaschismus ist ebenso durchgesetzt wie die Abscheu vor allem, was

    als Inbegriff des Nationalsozialismus gilt. Teilweise wird sie rein moralisch

    vorgetragen, teilweise demonstrativ und manchmal demonstrativ mora-

    lisch. Soweit scheint alles die gewünschte Ordnung zu haben, und insoweit

    lassen sich die Skins und FAP-Getreuen nur als Ausnahmen von der Regel

    des geläuterten Nachkriegsdeutschtums begreifen.


    Doch sagt die zum guten Ton gehörende Distanzierung vom NS-Regime

    gar nichts darüber aus, was ihr eigentlich am Faschismus als kritikabel gilt.

    Ihr ist auf den ersten Blick nicht zu entnehmen, welche Gründe ein Mensch

    hat, den Faschismus zu einem »barbarischen System« zu erklären. Empörte

    Abwendung ist ohne einen einzigen richtigen Gedanken zum Faschismus

    zu haben. Das beweist z.B. der Umstand, dass Jugendliche, die ohne zu zö-

    gern ihre Arbeitslosigkeit mit der »Ausländerschwemme« erklären, sich als

    gelehrige Schüler hiesiger Unterweisung offenbaren: In Befragungen wer-

    fen sie dem Hitler »sinnloses Morden« vor, erklären die Demokratie für die

    beste Staatsform und wünschen sich im selben Atemzug von den Politikern

    härteres Durchgreifen gegen Ausländer. Der geschichtsbewusste Bürger,

    der pflichtschuldigst nichts vom Faschismus hält, muss zudem wirklich

    nicht wissen, wie es tatsächlich zur Machtergreifung gekommen ist, was

    der Kern des faschistischen Antisemitismus war, worin Hitlers Wirtschafts-

    politik bestanden hat, welche Erziehungskonzeption er praktisch umgesetzt

    oder welche Ausländer- und Außenpolitik er betrieben hat. Wenn er nur

    weiß, dass die Distanzierung vom Faschismus zu den Nachkriegstugenden

    der guten Deutschen gehört und dass es Deutschland schadet, wenn sie

    unterbleibt. Auch jener Moralismus, der den Hitlerfaschismus wegen des

    Holocaust zum abgrundtief Bösen erklärt und ganz in Verantwortungsbe-

    wusstsein und Schuldgefühl aufgeht, kommt ohne nähere Kenntnis des Fa-

    schismus und ohne seine Erklärung aus. Dennoch trifft der selbstkritische

    Befund aufgeklärter Studienräte, die antifaschistische Erziehung habe in

    Westdeutschland versagt, nicht ganz den Kern der Sache:


    ■ Versagt hat sie zwar insofern, als sie es nicht geschafft hat, die heran-

    wachsenden Deutschen von einer Kritik am Faschismus zu überzeugen,

    die sie in die Lage versetzt, faschistische Urteile auch dort zu erkennen

    11und zu widerlegen, wo sie nicht bereits mit Hakenkreuz und Hitlergruß

    winken. Sie hat versagt, insofern es in Deutschland faschistisch denken-

    de und operierende Einzelpersonen, Cliquen und Parteien gibt, insofern in

    Deutschland ein faschistisches Stammtischwesen existiert, das sich offen

    oder klammheimlich als Claque der ausländerfeindlichen Pogrome betäti-

    gt, und insofern Jahr für Jahr Parteien wieder mit der Regierung beauftragt

    werden, die nicht zuletzt mit ihrer Asylpolitik faschistischem Gedankengut

    Nahrung liefern.


    ■ Dennoch – so behaupten wir in unserer zentralen These – hat die antifa-

    schistische Nachkriegserziehung zugleich keineswegs versagt. Denn

    weder die politische noch die pädagogische Befassung mit dem Faschismus

    hat je ernsthaft das Anliegen verfolgt, den Faschismus zu bekämpfen. Das

    Jammern über das Versagen antifaschistischer Bemühungen nimmt, so un-

    ser Befund, an einem Anliegen Maß, von dem sich die offizielle Faschis-

    muskritik gar nicht leiten ließ: nämlich den Faschismus über eine wissen-

    schaftliche Analyse seiner Programmatik, seiner Verlaufsformen und seiner

    gesellschaftlichen Ursachen zu kritisieren, daraus Schlüsse auf ihre Funda-

    mente zu ziehen und Politiker mit dem Auftrag zu betrauen, sie so gründ-

    lich abzubauen, dass »der Schoß« endgültig austrocknet. Dass es darum nie

    geht, ist weniger den geäußerten Absichten von Erziehung, Öffentlichkeit

    und Politik zu entnehmen als vielmehr ihrem Tun. Da mag die Beschäfti-

    gung mit dem Nationalsozialismus noch so eifrig betrieben worden sein, da

    mögen es sich Erzieher zur Lebensaufgabe gemacht haben, einen zweiten

    Faschismus zu verhindern. All das taugt nichts, wenn es sich von falschen

    Urteilen über den Faschismus leiten lässt, es sich allein moralisch betätigt,

    nur von nationalistischer Sorge um das zukünftige Deutschland getragen ist

    oder nur den Auflagen von Siegermächten folgt. Ganz besonders widerlegt

    jene Sorte Vergangenheitsbewältigung die idealistische These von einem

    antifaschistischen Aufklärungsanliegen, die sehr absichtsvoll gar nicht dem

    Nazi-System selbst gilt, sondern sich auf Hitler immer nur dann bezieht,

    wenn es darum geht, durch die Absetzung vom deutschen Faschismus Re-

    klame für die demokratische Nachkriegspolitik zu betreiben.

    Es ist also verfehlt, der antifaschistischen Erziehung ein Versagen vor-

    zuwerfen. Im Nachkriegsdeutschland, Abteilung West, ging es um etwas

    anderes. Die zentralen, im Buchtitel bereits anklingenden Thesen unserer

    Untersuchung lauten:


    1. Antifaschistische Erziehung in der Bundesrepublik nach 1945 ver-

    dankt ihren pädagogischen Auftrag nicht einem theoretischen Interesse an

    der Erklärung des Faschismus, sondern den politischen Leitlinien zur Ver-

    gangenheitsbewältigung. Darin stand das Bekenntnis zur deutschen Schuld

    an erster Stelle. Der Kriegsverlierer Deutschland machte daraus ein natio-

    nales Pflichtprogramm als Beweis für seine demokratische Läuterung. Die

    geheuchelte Nationalmoral leistete einen Beitrag zur kritiklosen Einschwö-

    rung auf die Demokratie, stiftete einen unverdächtig erscheinenden Natio-

    nalismus und taugte als diplomatische Waffe gegen den Kommunismus.


    2. Die politische Erziehung in Sachen Nationalsozialismus hat dem vor-

    gegebenen staatspolitischen Zweck gedient und den Nachwuchs geistig auf

    die deutsche Nachkriegsordnung verpflichtet. Sie hat nicht aufgeklärte Fa-

    schismuskritiker, sondern deutsche Nationaldemokraten hervorgebracht.


    3. Die Umsetzung der politischen Vorgaben in den Schulbüchern lebt von

    dem Prinzip, den Faschismus als negative Abweichung von der Demokra-

    tie zu bestimmen: Schüler lernen, dass die deutsche Nachkriegsdemokratie

    deswegen höchstes Lob verdient, weil sie nicht der Faschismus ist. In der

    Demokratie sollen sie deswegen die Versicherung gegen jegliche Neuauf-

    lage von Faschismus erblicken. Sie erfahren auf diesem Wege weder etwas

    über das Wesen des Faschismus noch über das Wesen der Demokratie.


    4. Antifaschistische Unterweisung in der Schule schwört die Schüler auf

    nationalistisches Denken ein. Dies leistet sie, indem sie ihnen zum einen

    die ideelle Verantwortung für Verbrechen abverlangt, die von deutschen Fa-

    schisten und ihren Mittätern begangen wurden. So werden deutsche Schü-

    ler geistig auf völkische Sippenhaft verpflichtet. Schuldig sollen sie sich

    fühlen für Taten, die sie nicht begangen haben, nur weil auch sie Deutsche

    sind. Zum anderen befestigt der Unterricht auch wieder den Glauben an das

    Gute im Deutschtum. Er erklärt die Deutschen zu Mitmachern wider Wil-

    len, erfindet also Beschuldigungen, die der Entschuldigung des deutschen

    Volkes dienen. Schüler lernen so, die nationale Identität für wichtiger zu

    halten als alle politischen und ökonomischen Gegensätze, mit denen sie es

    in der Nation zu tun haben.


    5. Die Schulbücher instrumentalisieren den Antifaschismus für eine

    Feindschaftserklärung gegenüber dem Kommunismus. Unter dem Titel

    »Totalitarismus« wird Braun gleich Rot gesetzt. So wird der Antibolsche-

    wismus der Faschisten nach 1945 unter einem unverdächtigen Titel fort-

    gesetzt. Schüler lernen, dass der Kampf gegen das »Reich des Bösen« und

    jeden anderen Totalitarismus ein Stück Bewältigung der faschistischen Ver-

    gangenheit ist. [...]

    _____________________________________________

    Rolf Gutte, Freerk Huisken: Alles bewältigt, nichts begriffen! Nationalsozialismus im Unterricht. Eine Kritik der antifaschistischen Erziehung, Hamburg 2007, S. 10-13 (-> PDF S. 11-14)


    Disclaimer: Die Autoren sind natürlich gottlose Kommunisten und gehören somit selbst zu einem Teil der deutschen Vergangenheit, der seit dem Ende der Geschichte und der Wiedervereinigung zur gesamtdeutschen sozialen Marktwirtschaft recht gründlich weg bewältigt wurde.

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