#636 - Ukraine-Kulturwissenschaftler Roman Dubasevych

  • Freitag, ab 15 Uhr, LIVE



    Zu Gast im Studio: Kulturwissenschaftler Roman Dubasevych, Lehrstuhlinhaber für Ukrainische Kulturwissenschaft an der Universität Greifswald. "Sirenen des Krieges" heißt das Buch, mit dem er, geboren in Lviv, bereits 2019 vor einer Zerstörung der Ukraine warnte. Indem er die Notwendigkeit militärischer Gegenwehr in Frage stellte, Versäumnisse der politischen und kulturellen Eliten in der Ukraine benannte und nichtmilitärische Optionen der Konfliktlösung anmahnte, wurde er zum Dissidenten des Mainstreams und als "Verräter" bezeichnet.


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    Roman war in Aufwachen Pod #449 kurz Thema


    (ab 3:33:33)

  • Seine Einschätzung zum Agieren der USA in Ukraine würde mich interessieren: Zeitraum, Motivation, Strategie …

    Die diversen russischen Aktionen werden die USA veranlasst haben irgendwann eine Gegenstrategie aufzustellen.

    Spätestens das Jahr 2014 mit der Krim Annexion.

    • Wie stehst Du zu den drastischen wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen, welche die Regierung Selenskyj bereits umgesetzt hat, und auch nach Ende des Krieges weiter voran treiben will?
      • Wie gut ist die ukrainische Bevölkerung (abseits der mutmaßlich eher dem Westen zugeneigten "liberalen" Teile der oberen Mittel- und Oberschicht) überhaupt über diese Ziele ihrer Regierung informiert?

    In der deutschen Debatte über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird vor allem von den dominierenden GegnerInnen einer Verhandlungslösung davon ausgegangen, dass die ukrainische Bevölkerung einig und geschlossen hinter dem erklärten Ziel ihrer politischen Führung stehe, keinerlei territoriale Kompromisse mit dem Aggressor einzugehen, und so lange mit westlicher Waffenhilfe weiter zu kämpfen, bis die russischen Truppen vollständig vom ukrainischen Staatsgebiet vertrieben sind, auch wenn das weiterhin zu hohen eigenen Verlusten führt.

    • Teilst Du diese Einschätzung über diese Geschlossenheit und Einigkeit Deiner Landsleute mit ihrer politischen Führung?
  • Ein sehr interessanter Gast mit differenzierten Ansichten.

    https://www.swr.de/swr2/leben-…ossen-2023-02-18-100.html


    Welch wohltuender Kontrast zu weiten Teilen der hiesigen Wissenschaften auf diesem Gebiet. Vgl. auch der oben verlinkte Beitrag im Freitag.


    Frage: Sieht Roman noch eine Chance für eine geeinte Ukraine oder ist die Abtrennung der Ostgebiete nicht die logische Folge des jahrhundertealten ukrainisch-russischen Traumas?


    Eine viel banalere Frage: Könnte Roman aktuell unbehelligt in die Ukraine einreisen oder müsste er dann um Leib und Leben fürchten (vgl. ukrainische „Todeslisten“, z.B. „Mirotworez“)?

  • Ach mist. Ich wollte noch was zu der anarchistischen Bewegung der Machnowschtschina in der Südukraine während dem Bürgerkrieg in der Soviet-Union schreiben. Anarchistische Ideen waren sehr verbreitet in Russland und in der Ukraine, die Soviets waren auch Teil davon.


    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Machnowschtschina

    Tod allen Feinden der arbeitenden Klasse ;)


    Slawinistik interessiert mich auch. Meine Großeltern väterlicher Seite waren Flüchtlinge aus den deutschen Siedlungen in Schlesien. Aus denen die Deutschen nach Ende des Kriegs vertrieben wurden.

  • Ein ganz, ganz starker Gast und ein ganz starkes Interview, das in seinem Kontrast das epische Maß an Stumpfsinn bei Gästen wie Hofreiter, Masala oder Beck für jedermann richtig greifbar macht.


    Danke für einen Nachmittag, der allen Beteiligten sicherlich richtig viel gebracht hat. ❤️


  • Aber davon abgesehen war das ein wirklich tolles Interview und eine sehr interessante Perspektive, die ohne moralische Verurteilungen so sachlich wie möglich den traurigen Stand der Dinge reflektiert, und hoffentlich den einen oder die andere dazu anregt, nochmal darüber nachzudenken, ob der kollektive Westen der ukrainischen Bevölkerung mit seiner klaren Parteinahme und Konzentration auf einen militärischen Sieg wirklich einen Akt der Solidarität erweist.


    Vielen Dank an Tilo , und vor allem an Roman Dubasevych, der sich mit seiner Totalverweigerung gegenüber dem Nationalismus jeglicher couleur vermutlich nicht nur in seiner Heimat, sondern auch bei unserer versammelten deutschen OsteuropaexpertInnen-Prominenz aus twitter, Funk und Fernsehen wenig Freunde gemacht hat.

  • Ach, die Zuschauerfragen hatte ich noch gar nicht geguckt. Hat Hans wieder geliefert, ja? 😅 …

  • Ach, die Zuschauerfragen hatte ich noch gar nicht geguckt. Hat Hans wieder geliefert, ja? 😅 …

    Bevor er mit dem Hinweis auf Snyder und Appeasement ein politisches Statement liefert, lobt Hans aber noch die Zuhörer dafür, dass sie Wissensfragen stellen anstatt politische Statements zu fordern. ;)

  • Bevor er mit dem Hinweis auf Snyder und Appeasement ein politisches Statement liefert, lobt Hans aber noch die Zuhörer dafür, dass sie Wissensfragen stellen anstatt politische Statements zu fordern. ;)

    Ja, im Zweifel für den Angeklagten. Vermutlich hatte er bei Mitschreiben des Live-Chats einfach keine Zeit den klugen, reflektierten Analysen Romans zuzuhören. Sonst wäre ihm dieses Statement höchstwahrscheinlich auch selbst zu peinlich gewesen. :)

  • Ja, im Zweifel für den Angeklagten. Vermutlich hatte er bei Mitschreiben des Live-Chats einfach keine Zeit den klugen, reflektierten Analysen Romans zuzuhören. Sonst wäre ihm dieses Statement höchstwahrscheinlich auch selbst zu peinlich gewesen. :)

    Es gibt da offenbar diesen Drang, alles für den Zuhörer gemäß der eigenen Position einordnen zu müssen. Das ist total menschlich und nachvollziehbar und ich als Laie empfinde diesen Drang genauso. Aber wenn es eben alle Journalisten (Profis) bis hin zum unabhängigsten Podcaster so machen und da noch gewisse (genauso menschliche) gruppendynamische Effekte dazukommen, dann entsteht genau das, was Precht und Welzer als „Cursor-Journalismus“ bezeichnen. Aber das ist ein anderes Thema, anderer Thread. Fiel mir nur mal eben wieder auf.

  • Bin auch noch nicht bei den Zuschauerfragen.

    Ihm zuzuhöhren macht mich traurig, weil es mich dazu bringt mir vorzustellen, was hätte alles sein können. Wenn einerseits Putin als Fuckhead nicht wäre. Andererseits aus dem Westen heraus in den 90ern die Zivilgesellschaft mehr unterstützt worden wäre die Sowjetzeit aufzuarbeiten, statt nur zu versuchen den Kapitalismus dort zu etablieren.

    Ich mache mir die im Forum zu diesem Thema mehrheitlich geäußerte Meinung nicht zu eigen und wiederspreche ihr hiermit ausdrücklich!

  • Mit Etablierung von Kapitalismus hatte das nichts zu tun. Das Land sollte in die US-Peripherie integriert werden.

    Na ja. Um da reinzupassen, musste das Land nach Ansicht des US-Zentrums aber auch erst mal kapitalistisch werden - bzw. vom Staats- zum Privatkapitalismus reformiert werden.

  • Also vielleicht musste man ihn noch gegen eine Rückkehr der Kommunisten verteidigen, die gehörten wohl auch da am Anfang zu den stärkeren Kräften, aber mir scheint der Zug in Richtung Oligarchisierung war in der Ukraine mit der Unabhängigkeit abgefahren. Da hätte es in Russland eher noch die Chance gegeben. Man hat ja gesehen, dass stattdessen der Sicherheitsapparat den Staat erobert hat. Was die USA überwinden mussten, waren Oligarchen, deren geschäftliche Interessen auch in guten Beziehungen zu Russland bestanden.

  • Die Herrschaft der Oligarchen war allerdings auch nach dem Maidan immer noch eher ein politischer Kapitalismus, in dem die politische Elite identisch, oder persönlich eng verbunden mit der ökonomischen Elite blieb - also eigentlich das russische Modell seit Putins Amtsantritt.


    Was der Westen bei seinen Werte- und Bündnispartnern braucht, ist aber ein (scheinbar) "unpolitischer", privater Kapitalismus. Der Staat muss da einfach formal klarer von der Wirtschaft getrennt sein, um sie effizient "regulieren" zu können. Deshalb machen die Geldgeber des Washington Consensus und der EU ja auch immer so ein Gewese um die Korruption und deren Bekämpfung als Auflagen für Hilfskredite und Bedingung für den EU-Beitritt.


    Um das Land für das globale Kapital zu öffnen, muss man die lokalen Kapitalisten im Zaum, und davon abhalten, den nationalen Markt zu ihren Gunsten vor ausländischer Konkurrenz abzuschotten. Das geht natürlich am besten mit einer repräsentativen Demokratie, in der die Parteien darum konkurrieren, wer den Wirtschafts- und Investionsstandort, nebst arbeitender Standortbevölkerung am besten fit für den internationalen Wettbewerb machen kann.

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