Warum Grünes Wachstum ein Mythos ist und was daraus folgt

  • Ich gebe dir insofern absolut recht, als dass sich die Menschen an das, durch die genannte Kapitalverwertungslogik künstlich aufgeblähte, Konsumniveau und dessen ständige Steigerung gewöhnt haben. Die Kultur hat sich also dieser spezifischen Wirtschaftsform extrem stark angepasst. Das ist aus meiner Sicht auch der entscheidende Grund, warum ein radikaler Ansatz, der das Problem an der Wurzel packt, im Grunde so gut wie keine Chance hat (da mache ich mir keine Illusionen). Deswegen erscheint mir der Ansatz von Niko Paech auch prinzipiell als sinnvoll. Ein bisschen wie ein systematischer Drogenentzug. Allerdings würde der marxsche Part aus meiner Sicht hier wohl darin bestehen, dass nach dem Entzug kein Rückfall mehr stattfinden kann. :)


    Wie eine bestenfalls selbstorganisierte und bedarfsorientierte Wirtschaftsform jenseits des Kapitalismus konkret aussehen kann, kann ich leider auch nicht sagen. Marx konnte aus meiner Sicht im Wesentlichen auch nur sagen, wie sie gerade nicht aussehen darf, insofern man nicht wieder die genannten Konsequenzen ertragen will.

  • Danke für deine Antwort! Greife ich später noch mal auf.


    Jetzt interessiert mich noch sehr die Antwort von Utan

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Mit Innovationen die Klimakrise bewältigen?


    In diesem Zusammenhang wird oft darauf hingewiesen dass wir im Großen und Ganzen weiterleben könnten wie bisher. Mit neuen Innovationen würden die Probleme schon gelöst. Diese These wird vor allem von Neoliberalen sehr radikal vertreten. Gemäßigtere Aussagen, diese gilt für alle politischen Parteien die den menschengemachten Klimawandel anerkennen, reden von „grünem Wachstum“ und meinen damit letztendlich das Gleiche.


    Diese Begründung ähnelt allerdings dem (spät)-pubertären Verhalten einiger Zeitgenossen. Was meine ich damit?


    Stellen Sie sich einen Autofahrer vor, der mit überhöhter Geschwindigkeit über eine Autobahn rast. Auf dem Display erscheint in die Anzeige „Bremsdruck zu niedrig“. Der Gedanke, die Geschwindigkeit zu reduzieren ist ihm zu abwegig. Schließlich hat er in 2 Stunden einen wichtigen Termin. Von diesem hängt seine Zukunft ab. Er fährt also mit unverminderter Geschwindigkeit weiter und hofft, dass der inzwischen benachrichtigte ADAC-Engel ihn in wenigen Minuten erreicht und den Schaden behebt. Natürlich erwartet er, dass dies bei voller Fahrt geschieht, also er sein Tempo auch nicht reduziert. Er vermutet und hofft, dass er von einem Fachmann bedient wird, der das notwendige Know How und die erforderliche Technologie schon mitbringt.


    Wie würden ein normaler Mensch wohl handeln?

  • So ist es. Das ist ja meine Kernaussage.

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt." (Niko Paech)


    Das ist auch der Grund, warum Forderungen an die Politik nichts bewirken können. Denn eine wirksame Klimapokitik sehe so aus, dass sie den Leuten Flugreisen, Autos und den ganzen Kram verbietet. Und das ist in einer Gesellschaft, die diese Dinge permanent nachfragt, unmöglich, ja paradox. (Die Grünen werden ja schon von den neoliberalen Medien (Springer und Co.) gegrillt, wenn sie einen Veggie-Day fordern.)


    Deswegen muss es eine kritische Maße geben, die nachhaltige Lebensstile praktiziert und vorlebt, die dann von der Politik aufgegriffen werden kann.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Skidrow Deine Vorstellung davon, wie Wandel stattfinden soll, nennt man auch Konsumentensouveränität. Das ist die Auffassung, dass jeder Konsument die Produktion bestimmen kann, indem er einfach nur mit seinem Geld bestimmte Waren kauft und schon organisiert das Unternehmen seine Produktion nach der Nachfrage. Diese Idee kommt von Ludwig von Mises. Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise war der Kapitalismus so stark diskreditiert, dass die meisten Intellektuellen und Politiker den Kapitalismus überwinden wollten. Ersetzen wollten sie ihn mit staatlicher Planung und Demokratie. Von Mises, der natürlich ein Verfechter des Kapitalismus und der Marktwirtschaft war, kam mit einer anderen Idee. Nämlich die Idee, dass der Markt die wirkliche Demokratie sei. Weil ja jeder Konsument mit seiner Nachfrage und Geld bestimmt, was produziert wird. Die Konsumenten seien die wirklichen "bosse".


    Das ist aber großer Quatsch. Weil im Kapitalismus wird das produziert, was am meisten Profit bringt und am wenisten kostet. Wenn ich in einen Supermarkt gehe, was finde ich dort? Ich finde dort eine riesige Menge an Produkten, die nicht von mir noch von der Gesellschaft demokratisch zum Verkauf bestimmt wurden, sondern von dem Supermarkt. Unternehmen sind keine Demokratien. Klar gibt es Überschneidungen zwischen dem was Profit bringt, was am günstigten Produziert werden kann und dem was Nachgefragt wird. Aber es gibt eine riesige Menge an Produkten, die die Umwelt zerstören, die Menschen ausbeuten und trotzdem die Nachfrage bedienen.

    Beispiel:


    Ein Supermarkt bekommt die Information (über z.B. Marktanalyse), dass Käse nachgefragt wird. Wie geht er vor? Er handelt Verträge mit Lieferanten und Produzenten aus, die Käse produzieren. Die Produktionsbedingungen, unter denen der Käse aber produziert wird, entscheidet der Unternehmer nach Gesichtspunkte der Profitmaximierung und der Kostenreduzierung (weil er im Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht, die Käse produzieren). D.h. er lässt z.B. in einem Land produzieren in dem es keinen Arbeitsschutz und keinen Tierschutz gibt.

    Am Ende steht der Käse dann im Supermarkt. Aber wenn ich in den Supermarkt gehe, habe ich keinen blassen Schimmer davon unter welchen Produktionsbedingungen der Käse hergestellt wurde.

    Ein Produkt kann unter einer fast unendlichen Kombination von Produktionsbedingungen hergestellt worden sein, aber trotzdem die Eigenschaft haben, eine bestimmte Nachfrage zu bedienen.

    Zum Beispiel kann Käse unter Produktionsbedingungen 1 hergestellt worden sein, Käse kann aber auch unter Produktionsbedingungen 2 hergestellt worden sein. In beiden fällen kommt am Ende Käse dabei heraus, die Produktionsbedingungen können aber radikal unterschiedlich sein. Und zu verlangen, jeder Konsument kennt bis ins kleinste Detail die Produktionsbedingungen ist einfach nur Utopie.

    Es ist wie Marx es schon geschrieben hat:

    Zitat von Karl Marx, Kapital Band 1

    In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die fictio juris, daß jeder Mensch als Warenkäufer eine enzyklopädische Warenkenntnis besitzt.

    Wenn man also der Ansicht ist, dass die Konsumenten ja nur anders konsumieren sollen, dann geht man also davon aus, dass jeder einzelne Konsumente bis ins kleinste Detail weiß, welche Ware unter welchen Produktionsbedingungen hergestellt wurden, damit er dann die Ware auswählt bei deren Produktion am wenisten die Umwelt zerstört und am wenigsten Menschen ausgebeutet wurden. Es ist pure fantasie zu glauben, dass das funktioniert.


    Siggi Technologische Innovation an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist die kapitalistische Anwendung von Technologie:

    Zitat von Karl Marx Das Kapital. Maschinerie und große Industrie

    Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.

    Zitat von Karl Marx, Maschinerie und große Industrie


    An sich betrachtet, verkürzt die Maschinerie die Arbeitszeit ..., während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich erleichtert sie die Arbeit, kapitalistisch angewandt steigert sie ihre Intensität, an sich ist die Maschinerie ein Sieg des Menschen über die Naturkraft, kapitalistisch angewandt unterjocht sie den Menschen unter die Naturkraft, an sich vermehrt sie den Reichtum des Produzenten, kapitalistisch angewandt verarmt sie ihn. Aber: Ist eine andere als kapitalistische Ausnutzung der Maschinerie unmöglich?

    Nein. Es ist natürlich nicht unmöglich.


    Zur Eigentumsverhältnissen und Macht:


    Die Änderung der Eigentumsverhältnisse führen natürlich nicht auf magische Weise dazu, dass die Menschen nicht mehr mit dem flugzeug usw. fliegen wollen. Das hat auch nie jemand behauptet. Aber die derzeitigen Eigentumsverhältnisse führen dazu, dass es unmöglich wird, Alternativen aufzubauen. Weil Eigentum bedeutet, dass man Macht über Ressourcen hat und mit dieser Macht über Ressourcen politischen Einfluss im eigenen Interesse (zb Profitmaximierung) ausüben kann.

    Es gibt viele Umfragen, die zeigen, dass die Menschen bereit sind zu einem Lebenswandel. Das Problem ist, dass die derzeitigen Eigentumsverhältnisse und der Kapitalismus einen Wandel verhindert. Märkte schränken übrigens Auswahl am Markt sehr stark ein. Z. B. wenn ich auf dem Land lebe, würde ich gerne mit öffentlichen Verkehrsmittel zur Arbeit fahren. Aber warum geht das nicht? Weil es für die Bahn zu hohe Kosten sind, auf dem Land einen Bahnnetz aufzubauen, daher muss ich ein auto nehmen. Ich würde auf dem Land auch gerne Internet haben, warum geht das nicht? Weil es für die Internetkonzerne nicht profitabel ist, auf dem Land ein schnelles Internetnetz zu bauen. In Berlin würden gerne die Bürger die Immobilienkonzerne enteignen, warum geht das nicht? Weil die Politiker die Eigentumsverhältnisse nicht anrühren wollen. USW. USW.

    Und das ist erst die Spitze des Eisbergs. Diese Logik durchzieht unsere ganze Infrastruktur von Energie bis Wohnungsbau bis hin zur Lebensmittelversorgung. Wir sehen diese Logik überall. Jeden einzelnen Tag sehen wir Beispiel von diesem Schwachsinn.

  • Dazu kommt natürlich noch der Klassenkampf. Manchmal wird Politik gemacht, die gar keine ökonomische Begründung hat. Das sehen wir z. B. gerade in Lützerath, wo ein Exempel statuiert werden soll, weil man sich der Klimabewegung nicht beugen will.


    Anderes Beispiel ist IMO dass Genossenschaften nicht mehr verbreitet sind. Viele Studien zeigen, dass Genossenschaften nicht weniger effizient sind wie klassische Unternehmen, sie aber sehr viele Vorteile wie Stabilität haben. Die Bundesregierung unter Merkel hat die Genossenschaften auch immer mehr in klassische Unternehmen umreformiert, so dass der gewählte Vorstand viel mehr das Sagen hat wie früher.


  • Wenn wir oft genug mit der Bahn fahren, dann werden auch Privatjets in die CO2 Steuer aufgenommen!

  • Die Leute wollen Flugreisen, Autofahrten, Kreuzfahrten und Fleischverzehr vermehren und den Wohnraumverbrauch vergrößern. Sie wollen neue digitale Endgeräte mit Leistungssteigerung, sie wollen in 4k streamen und bald in 8k.


    Denn die technischen Entwicklung (erneuerbare Energien, effizientere Produkt, Kreislaufwirtschaft) verspricht , dass dies alles möglich und gleichzeitig gegen die Umweltschäden runter.


    Nochmal: Wie sinkt die Nachfrage nach diesen Konsumgütern bzw konsumförmigen Handlungen? Bitte ganz konkret!

    Ich werde irgendwie den Verdacht nicht los, dass Du hier versuchst Fangfragen zu stellen, um damit ganz andere Fragen so beantwortet zu bekommen, wie Du sie Dir eigentlich selbst schon längst beantwortet hast. Z.B. so:

    Das ist auch der Grund, warum Forderungen an die Politik nichts bewirken können. Denn eine wirksame Klimapokitik sehe so aus, dass sie den Leuten Flugreisen, Autos und den ganzen Kram verbietet. Und das ist in einer Gesellschaft, die diese Dinge permanent nachfragt, unmöglich, ja paradox. (Die Grünen werden ja schon von den neoliberalen Medien (Springer und Co.) gegrillt, wenn sie einen Veggie-Day fordern.)

    Aber nur für den Fall, dass ich mich da irre und weil Du mich ja wiederholt zur Antwort aufgefordert hast:


    Die Umkehr der Eigentumsverhältnisse - also die Vergemeinschaftung der Produktionsmittel - wäre sicher nicht das alleinige Mittel, um eine klimawirksame Reduktion der Nachfrage nach allem möglichen Warenüberfluss zu bewirken. Sie wäre aber die Voraussetzung dafür, dass eine solche überhaupt stattfinden könnte, weil sie nicht nur den Zwang zur Kapitalakumulation durch Profitmaximierung in privaten Händen aufheben, sondern die mit diesen Mitteln produzierenden Menschen auch aus der Entfremdung von den Produkten ihrer Arbeit befreien würde, indem sie dann selbst gemeinschaftlich - und nicht privat - darüber zu entscheiden hätten, was wie zu welchem Zweck und in welcher Stückzahl produziert würde.


    Wie die Marx-Experten hier ja schon erklärt haben, wird im Kapitalismus nicht für den Bedarf produziert, sondern für den Tausch. Für den Markt werden nicht jene Waren (Güter und Dienstleitungen) hergestellt, und mit goßem Marketingaufwand feilgeboten, die tatsächlich gebraucht werden, sondern jene, deren Verkauf den größten Pofit für die Warenanbieter verspricht.

    Mit dem Billigflieger mal eben nach Malle zu ballern ist erst zu einem "Bedürfnis" der breiten Masse der (westlichen Mittelschichts-) KonsumentInnen geworden, als Luftfahrtkonzerne und Reiseanbieter daraus ein einträgliches Geschäft machen konnten. Kein Mensch braucht 8k-Streaming - es sei denn er hätte eine eigene Kinoleinwand in seinem Wohzimmersaal hängen. Das Angebot wird gemacht, weil sich die Anbieter davon mehr Profit versprechen.

    Die immense Produktivitätssteigerung - nebst gesteigertem Ressourcen- und Energieverbrauch - im Kapitalismus ist nicht nur Vorraussetzung dafür, dass immer neue Podukte zu erschwinglichen Preisen auf den Markt geworfen werden, die den KäuferInnen innovative "Lösungen" für Probleme anbieten, die sie eigentlich gar nicht hätten wenn es diese "Lösungen" nicht gäbe, sondern sie ist auch Resultat davon, dass die kapitalistischen Produzenten in ihrer immerwährenden Konkurrenz um kaufkräftige Kundschaft stets darum bemüht sind, sich gegenüber anderen Kapitalisten Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.


    Dabei ist die immerwährende Nachfrage allerdings keine Naturgewalt, die von den Kapitalisten nur genutzt werden muss, um ihre Umsätze und Profite zu steigern, sondern sie wird gezielt erzeugt - sogar direkt von Staat, wenn es mit der Konjunktur mal nicht so gut läuft - und den Menschen in der Warenwelt als Sinn und Zweck ihrer Lohnarbeit vorausgesetzt.

    Warum, so denken sich bürgerliche ÖkonomInnen und PolitikerInnen, soll man sich in den Dienst eines Arbeitgebers stellen, fleissig an der Optimierung der eigenen Arbeitsproduktivität mitwirken, und sich den ganzen Arbeitstag lang befehlen lassen, was man zu tun und zu lassen hat, wenn man sich vom dafür ausgezahlten Lohn keinen Vorteil verschaffen kann?


    Die Frage die man sich eigentlich stellen müsste ist: Wozu brauchen "die Leute" Flugreisen, Autofahrten, Kreuzfahrten, vermehrten Fleischverzehr, vergrößerten Wohnraumverbrauch, neue digitale Endgeräte mit Leistungssteigerung, streamen in 4k (und bald in 8k)?

    Welche Bedürfnisse werden befriedigt, wenn zum ohnehin schon vorhandenen Überfluss noch

    mehr Überfluss hinzu kommt?


    Und wer sind eigentlich "die Leute"?


    Selbst wenn man mal komplett ausblendet, dass der überwiegende Teil der Weltbevölkerung sich das alles überhaupt nicht leisten kann, sondern fürchterlich dafür buckeln muss, dass wir vollgefressenen MittelschichtsbürgerInnen es können, und wenn man dann annimmt, dass ein großer Teil der Bevölkerungen in den reichen westlichen Industrienationen all diesen Plunder wirklich unbedingt haben, und unter keinen Umständen darauf verzichten will, kann man erst mal festhalten, dass niemand das alles zum Überleben braucht.


    Es muss also irgendeinen Grund dafür geben, dass sehr viele Leute glauben, sie müssten ein ganz unglückliches Leben führen, wenn sie das alles nicht hätten und dass sie sich sogar verschulden um es sich kaufen zu können. Warum ist das so?


    Leute wie Niko Paech und ein guter Teil der Anhängerschaft grüner Parteien glauben offenbar, dass der Pöbel einfach dumm oder zu faul zum Denken ist, und sich daher mit Konsum oder mit Silvesterböllern betäubt, damit er nicht über seine eigene moralische Verkommenheit nachdenken muss, und dass man ihm das daher irgendwie dringend abgewöhnen sollte.

    Die einen wollen Verbote, die anderen wollen leuchtendes Vorbild sein. In keinem Fall will igendwer die Frage stellen, warum sich Menschen so unvernünftig - und oft sogar auf Kosten der eigenen Gesundheit - verhalten, wo wir doch in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft leben, die neben dem ganzen Konsumpöbel auch grün-wählende umwelt- und konsumbewusste BildungsbürgerInnen und leuchtende moralökonomische Vordenker wie Niko Paech hervor gebracht hat. .


    Was bedeutet es eigentlich für das gemeine Individuum, in einer kapitalistischen Gesellschaft zu leben, in der sein ganzes materielles Sein und sein sozialer Status davon abhängen, wieviel Kaufkaft es sich durch den Tausch seiner Arbeitskraft gegen Lohn aneignen kann, und in der es mit anderen AnbieterInnen von Arbeitskraft in permanenter Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze und Karriereopportunitäten steht?


    Wie kann sich dieses lohnabhängige Individuum aus seiner Abhängigkeit und aus seiner (laut Marx) "doppelten Freiheit" - die eigentlich eine materielle Unfreiheit ist - befreien? Wozu wid es durch seine sich täglich neu zu erarbeitende Kaufkraft emächtigt?


    [...] Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham[*]. Freiheit! Denn Käufer <190> und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham[*]! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.[...]

    * Bentham!


    Und was zur Hölle haben die Menschen eigentlich die letzten ca. zweihunderttausend Jahre vor dem Advent des Kapitalismus ohne 8k-Internetstreaming gemacht? In welch unwürdigen Verhältnissen haben sie gelitten und zu ihren Göttern gebetet, dass sie ihnen endlich Flugreisen auf die Malediven ermöglichen?

  • Wie die Marx-Experten hier ja schon erklärt haben, [...]

    Nicht, dass ich mich irgendwie zu diesen "Marx-Experten" zählen würde, aber nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass auch ich damit vielleicht indirekt angesprochen sein könnte, möchte ich hier nochmal sehr deutlich klarmachen, dass ich keinerlei Anspruch auf eine tatsächlich 100%ig korrekte Interpretation der marxschen Kapitalismuskritik erhebe. Diese ist im Rahmen dieses Thread auch inhaltlich überhaupt nicht darstellbar. Es hat schon seinen Grund, warum sich der gute Mann die Mühe gemacht hat, sein großes Projekt einer "Kritik der politischen Ökonomie" auf ursprünglich 6 Buchbände auszulegen, von denen letztlich nur 3 veröffentlicht werden konnten, weil schlicht seine Lebenszeit nicht mehr ausgereicht hat, um den Rest zu Papier zu bringen.


    Das, was ich hier bestenfalls beitragen konnte, ist der Eindruck, dass es sich vielleicht doch nochmal lohnen könnte, sich hinsichtlich der Ursachen für einen inhärenten Zwang zum Wirtschaftswachstum innerhalb des Kapitalismus mit Marx bzw. insbesondere mit der "Neuen Marx-Lektüre" auseinanderzusetzen.

  • Da stecken ja schon ein paar richtige Überlegungen drin.

    Was übrigens auch viel CO2 und Müll produziert ist Werbung ;) Sie verführt Menschen dazu noch mehr zu konsumieren. Anfang des 20. Jahrhunderts ist die PR-Industrie entstanden und mit der Hilfe von Soziologen und Psychologen haben Unternehmen neue Techniken von Werbung geschaffen, die vor allem von den Theorien von Freud abgeleitet sind und die sehr stark auf Emotionen setzen (Auto ist Penisersatz usw., no joke). Daraus ist unsere Konsumkultur entstanden. Die Ideologie dahinter war, dass wenn Menschen sich mit Konsum beschäftigen, dann führt das dazu, dass soziale Konflikte wie z. B. Streiks und ökonomische Forderungen aufhören. Der Konsum soll die Menschen, wie Ernst Dichter es gesagt hat, von "Totalitären" Ideologie wie dem Kommunismus ablenken. Mit diesem Modell wurde zuerst in den USA experimentiert und wurde dann in der Nachkriegszeit in andere westliche Staaten exportiert durch den Einfluß der USA. Damals nannte man das "Amerikanisierung".

  • Die Änderung der Eigentumsverhältnisse führen natürlich nicht auf magische Weise dazu, dass die Menschen nicht mehr mit dem flugzeug usw. fliegen wollen. Das hat auch nie jemand behauptet. Aber die derzeitigen Eigentumsverhältnisse führen dazu, dass es unmöglich wird, Alternativen aufzubauen. Weil Eigentum bedeutet, dass man Macht über Ressourcen hat und mit dieser Macht über Ressourcen politischen Einfluss im eigenen Interesse (zb Profitmaximierung) ausüben kann.

    In einer von Paech beschriebenen Postwachstumsökonomie teilen sich die Menschen Konsumgüter. Fünf Familien teilen sich ein Auto, ein Rasenmäher oder eine Waschmaschine. Obst und Gemüse bekommt man von einer Solidarischen Landwirtschaft. Diese ist dem Wettbewerb schon mal weitesgehend entzogen.

    Klamotten werden selbst repariert statt neu gekauft.

    Reparatur ist das ökonomische Konzept der Zukunft.


    Was ich noch nicht verstanden habe:

    1. Wie bewirkt eine Änderung der Eintumsverhältnisse, dass die Leute nicht mehr zu den Malediven fliegen wollen? Beschreib es doch bitte mal ganz konkret! Oder wie bringt man Menschen dazu, Kleidung zum ausbessern/flicken zu bringen, statt sie wegzuschmeißen und neu zu kaufen?


    Utan

    Vieles von dem, was du schreibst, stimme ich zu.

    sondern die mit diesen Mitteln produzierenden Menschen auch aus der Entfremdung von den Produkten ihrer Arbeit befreien würde, indem sie dann selbst gemeinschaftlich - und nicht privat - darüber zu entscheiden hätten, was wie zu welchem Zweck und in welcher Stückzahl produziert würde.

    Aber In wie fern spricht dies gegen eine Postwachstumsökonomie?


    Sorry, ich habe von euch immer noch nicht verstanden, wie Menschen dazu gebracht werden sollen, einen Lebensstil zu pflegen, der sich auf etwa 1-2 T CO2 pro Kopf und pro Jahr beschränkt, was nur möglich ist durch deutliche Konsumreduzierung.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Skidrow Nur für den Fall, dass es im Verlauf dieser Diskussion noch nicht deutlich genug geworden ist, glaube ich, dass Degrowth-Ansätze, bspw. wie der vom Herrn Paech, in aller Regel auf der Grundannahme basieren, dass die ständige Steigerung sowohl des Profits auf Angebots- als auch die Steigerung des Konsums auf Nachfrageseite innerhalb des Kapitalismus allein aus dem subjektiven Willen der einzelnen Individuen resultieren. Das ist, soweit ich das bisher verstanden habe, exakt derselbe Ansatz, den auch die etablierte Volkswirtschaftslehre bzw. die s.g. "Neoklassik" verfolgt. Aus dieser Sicht kann absolut folgerichtig ein Ende dieser Steigerung auch nur dann erfolgen, wenn sich diese Individuen bewusst von sich aus beschränken wollen.


    Der radikale Bruch, den Marx in seiner "Kritik der politischen Ökonomie" bzw. der zu seiner Zeit vorherrschenden (klassischen) Volkswirtschaftslehre, auf deren theoretischem Feld sich auch die moderne "Neoklassik" bewegt, vollzogen hat, besteht u.a. darin, dass die Kategorie "Wert", sei sie nun durch die subjektiv mühselige Arbeit (Klassik) oder durch den subjektiven Nutzen (Neoklassik) bestimmt, eben nicht durch bewusste, subjektive und rationale Überlegungen einzelner Individuen erklärt werden kann. Nein, dieser "Wert" ist laut Marx tatsächlich ein gesellschaftliches Verhältnis, das sich automatisch (sic!!!), unabhängig vom Willen der Individuen einstellt, wenn die einzelnen Individuen einer Gesellschaft ihre Arbeitsteilung über den (Äquivalenten-)Tausch von privat produzierten Gebrauchswerten vermitteln. Nur in diesem besonderen gesellschaftlichen Zusammenhang bekommen die so produzierten Gebrauchswerte eine neue Eigenschaft, gleichzeitig "Wert" zu besitzen. Dieser "Wert" scheint den Gebrauchswerten von nun an als eine natürliche, überhistorische (für alle damaligen und zukünftigen Gesellschaften gültige) Eigenschaft zuzukommen. Marx spricht hier von einer "Verdinglichung" eines gesellschaftlichen Zusammenhangs oder vom s.g. "Warenfetischismus".


    Marx versucht nun darzulegen, wie sich dieser "Wert" in letzter Konsequenz in einer besonderen verselbstständigten Erscheinungsform, dem Kapital, darstellen muss. Er bezeichnet dieses Kapital auch als ein s.g. "automatisches Subjekt", um zu verdeutlichen, dass die einzelnen Kapitalisten hierbei nur als Erfüllungsgehilfen einer bewusstlosen Eigenlogik des "Werts", sich selbst zu vermehren, fungieren. Es muss demnach im Kapitalismus eine Profitmaximierung stattfinden, unabhängig davon, ob man das will oder nicht.


    Die Konsequenz daraus ist, dass eine bewusste Beschränkung des Konsums der einzelnen Individuen dieser Kapitalverwertungslogik zuwiderlaufen würde. Es kann so nicht mehr profitabel gewirtschaftet werden. Man hätte durch die Beschränkung also nicht einfach weniger, sondern im Extremfall überhaupt nichts mehr, weil man auf diese Art eine Wirtschaftskrise auslösen würde.


    Das Problem ist also nicht, seinen Konsum zu beschränken. Das ist in jeder Hinsicht zu begrüßen. Diese Beschränkung des Konsums muss unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen stattfinden, in denen dieser "Wert" und damit auch das "automatische Subjekt" Kapital verschwunden ist, damit die Wirtschaft nicht crasht und am Ende gar nichts mehr produziert wird.

  • dass die ständige Steigerung sowohl des Profits auf Angebots- als auch die Steigerung des Konsums auf Nachfrageseite innerhalb des Kapitalismus allein aus dem subjektiven Willen der einzelnen Individuen resultieren

    Hier liegt ein Missverständnis vor. Paech spricht davon, dass Genügsamkeit hinsichtlich Ressourcen und Energien nur politisch aufgefriffen werden kann, wenn es in der Gesellschaft zuvor Pioniere und Vorreiter (Reallabore) gibt. Es muss also erst eine kritische Masse (eine kritische Masse ist das Gegenteil von "subjektiven Willen der einzelnen Individuen") geben, damit dann diese neuen Lebensformen (die im übrigen gar nicht neu sind, das gabs alles schon mal, hier muss also nichts neu erfunden werden) politisch anklang finden und sich verbreiten können.


    Der Grund, warum er dies tut ist der: Eben weil es keine nachhaltigen Produkte und Technologien gibt (je effizienter die Motoren von Flugzeugen und Pkws sind, desto höher sind die Umweltschäden!), kann ohne einen vorherigen kulturellen Wandel in der Gesellschaft auch kein politischer Wandel stattfinden. So ist die Politik gezwungen, auf technologische Innovationen zu setzen, die aber alles nur noch schlimmer machen.

    Zitat

    Es gibt oder gab keinen gesellschaftlichen Wandel in einer parlamentarischen Demokratie, der sich nicht zurückverfolgen lässt zu den avangardistischen Zirkeln, Netzwerken, Reallaboren oder sozialen Experimenten.


    Egal ob das Social Media ist, oder Smartphones, Frauenrechte, ökologische Ernährung (z.B. SOLAWI) oder eine bestimmte Popmusik: alles fängt immer an in einem Reallabor, wird erprobt, tritt in Erscheinung, wird imitiert über eine sogenannte soziale Diffusion oder Interaktion verbreitet und kann dann aufgegriffen werden von der Politik, den Medien usw. (Niko Paech)

    Das heißt, gesellschaftliche Entwicklungen gehen immer erst mal von Minderheiten aus.

    Man hätte durch die Beschränkung also nicht einfach weniger, sondern im Extremfall überhaupt nichts mehr, weil man auf diese Art eine Wirtschaftskrise auslösen würde.

    Wenn sich die Menschen nach dem Paech'schen Modell versorgen und aus Konsumenten Prosumenten werden, sind sie resilienter als je zuvor. Wenn wir unsere Nahrung aus dem Umfeld bekommen (Stichwort Solawi) oder über Gemeinschaftsgärten Nahrung selbst anbauen, sind wir resilienter als je zuvor. Eine Wirtschaftskrise kann mich nur hart treffen, wenn mein Lebensmodell stark abhängig ist von industrieller Fremdversorgung.

    damit die Wirtschaft nicht crasht und am Ende gar nichts mehr produziert wird.

    Das ist in einer Postwachstumsökonomie nahezu unmöglich.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Aber In wie fern spricht dies gegen eine Postwachstumsökonomie?

    Es spricht überhaupt nichts gegen eine Postwachstumsökonomie - jedenfalls wenn man das "Wachstum" nur in Pozentanteilen von Bruttoinlandsprodukten bemisst, so wie es die herrschende Makroökonomik, von eingefleischten NeoklassikerInnen bis KeynesianerInnen und MMTlerInnen, weiterhin größtenteils tut.

    Im Gegenteil: Bewusstes Degrowth im globalen Maßstab und angeführt von den großen Industrienationen - inklusive China(!) - wäre das einzige was die Menschheit vielleicht noch irgendwie vor der Klimakatastrophe und dem damit garantiert einhergehenden chaotischen Zusammenbruch der bisherigen kapitalistischen Weltordnung - inklusive dem explosiven Ende der westlichen Demokratien als deren Herren und Meister - bewahren und einen Übergang in eine andere Weltordnung halbwegs friedlich zustande bringen könnte.


    Die Frage ist, wie man da hin kommen will.


    Und aus Sicht einer eher marxistischen, oder an marxistische Theorie anschliessenden linken Kapitalismuskritik ist Niko Paechs Variante eben falsch gedacht, weil Paech - wie Dir nun ja auch von anderen Foristen schon mehrfach dargelegt wurde - den Grund für den steigenden Ressourcenverbrauch im indidviduellen Konsumverhalten in der bürgerlichen Gesellschaft verortet - weil er also ein Symptom der kapitalistischen Vehältnisse zur Ursache für die Verwerfungen umkehrt, die sie für Mensch und Natur anrichten.


    Er will zwar die Menschen irgendwie dazu umerziehen, dass sie von sich aus eine Gemeinwohlökonomie praktizieren, teuere Sachen teilen, alte Sachen reparieren, ihren Konsum zurückschrauben und sich mehr im Einklang mit der Natur verhalten, aber er will nichts grundsätzliches an den eigentlichen Verhältnissen - am Widerspuch zwischen Kapital und Arbeit - ändern, welche die ganze Verschwendung antreiben.


    Seine kritik ist idealistisch und nicht materialistisch. Er kritisiert ein falsches Bewusstsein und plädiert für ein richtiges Bewusstsein. Er will die falsche Ideologie mit der richtigen Ideologie bekämpfen.

  • weil Paech - wie Dir nun ja auch von anderen Foristen schon mehrfach dargelegt wurde - den Grund für den steigenden Ressourcenverbrauch im indidviduellen Konsumverhalten in der bürgerlichen Gesellschaft verortet

    Hast du meinen vorherigen Beitrag gelesen?

    Er will zwar die Menschen irgendwie dazu umerziehen,

    Das ist natürlich Unsinn.

    Er ist Wirtschaftswissenschaftler, hat zu diesem Thema geforscht und veröffentlicht seine Ergebnisse. Nicht mehr und nicht weniger.

    Deiner Logik nach, will jede Person andere Menschen umerziehen, sobald sie nur irgendwo eigene Ansichten öffentlich macht.


    Aber ich habe verstanden, dass du Paech nicht magst. Das nehme ich so zur Kenntnis und ist ja auch völlig legitim.


    Sicher ist, dass wenn Rohstoff-, Energie- und Umweltkrisen zunehmen werden, sich Resilienz nur ergibt, wenn Subsistenz, Suffizenz und Regionalökonomie zusammentreffen.

    Die Frage ist, wie man da hin kommen will.

    Das hatte ich ganz zu Beginn schon beschrieben: deutliche Arbeitszeitreduzierung und dann: die marktfreie Zeit nutzen für urbane Subsistenz, Ausbau handwerklicher Kopetenzen und Aufbau sozialer Netze (siehe obige Folie).

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Deiner Logik nach, will jede Person andere Menschen umerziehen, sobald sie nur irgendwo eigene Ansichten öffentlich macht.

    Nein. "Meiner" Logik nach, schreibt Niko Paech selbst, dass er - Niko Paech, nicht irgendeine andere Person - die Menschen zu genügsameren KonsumentInnen, bzw. zu eigenverantwortlichen Pro-sumentInnen erziehen, bzw. von irgendwem dazu erziehen lassen will - z.B. hier:


    [...] eine genügsame Lebensführung, erst recht die damit korrespondierenden Versorgungsumstellungen zu praktizieren, ist keine Frage der Einsicht oder des bekundeten Wollens, sondern des eingeübten Könnens und der Belastbarkeit: keine Flugreisen, kein (eigenes) Auto, nicht überall Internet, maßvoller Wohnraum anstelle neuer Häuser, weniger (oder kein) Fleisch, keine Kunststoffverpackungen, reparierte Textilien und Möbel, keine eigene Waschmaschine und Bohrmaschine, kein Coffee to go, zehn Jahre alte Computer, nicht jeden Tag ins Restaurant gehen können und so weiter – wer wählt eine Politik, die einem dies zumutet? Sicher nur jene, die bereits so leben.

    Je tiefgreifender ein individuell zu meisternder Wandel ist, umso offenkundiger wird, dass der Mensch als „Träger von Übungsprogrammen“[2] nur zu leisten imstande ist, was er trainiert und durch disziplinierte Wiederholung zur Routine hat werden lassen. [...]

    Mehr noch: Jegliche Erziehung und Bildung basierte und basiert bis heute darauf, Kompetenzen, die für ein resilientes und ökologisch verantwortbares Leben nötig wären, durch eine blindwütige Akademisierung und Konsumorientierung zu verdrängen. Das Resultat sind Heerscharen digital-dementer und zu jeder manuellen Versorgungsleistung unfähiger Komfort-Hypochonder.

    Gegen die nachhaltigkeitsdefizitäre Lebensrealität einer überwältigenden Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ist zumindest in einer Demokratie kein politisches Kraut gewachsen. Deshalb muss an eben dieser Lebensrealität angesetzt werden. Hierzu bedarf es avantgardistischer Gegenentwürfe, die sich dezentral und auf lokaler Ebene dem prozyklischen Steigerungswahn nicht nur widersetzen, sondern ihn mit gelebten – also empirisch relevanten und nicht nur herbeifantasierten – Alternativen konfrontieren.

    Vonnöten sind Handlungsräume, in denen basale Praktiken einer verlorenen Zukunftsfähigkeit wieder erlernt, eingeübt und verbreitet werden können, und zwar nicht nur unabhängig von, sondern nötigenfalls auch diametral gegen vorherrschende ökonomische Systemlogiken. Die gute Nachricht: Bereits jetzt lassen sich Experimentierfelder finden, in denen erprobt wird, wie es gelingt, sich bei deutlich verringerter Industrieproduktion und ohne unnötige fossile Mobilität würdig zu versorgen. [...]

    Wer jetzt genau seine "avantgardistischen" Gegenentwürfe mit welchen Mitteln duchsetzen soll, will er zwar nicht genauer ausführen und beschränkt sich darauf, dass die Avantgarde das eben einfach mal praktisch vorleben müsste, aber es ist völlig klar, dass er die breite Masse für zu wohlstandsvewahrlost hält, um sie einfach - ohne diszipliniertes Training und stetige Übung zum genügsamen Postwachstumsmenschentum - weiter vor sich hin konsumieren zu lassen.


    Dabei hat er ja im Grunde völlig recht damit, dass die Menschen eigentlich lernen müssten anders zu leben. Aber seine Vorstellung davon, wie das zu erreichen sei verengt sich eben - wie nun hier schon wiederholt kritisiert - auf das Individuum und sein individuelles Verhalten, und ignoriert dabei komplett, welche gesellschaftlichen Verhältnisse es schlichtweg notwendig machen, dass es sich nicht so verhält, wie er es für richtig hält.

  • irgendwem dazu erziehen lassen will

    Leuchtet mir nicht ein. Er macht Vorschläge, die aus seiner Sicht sinnvoll sind. Kann doch trotzdem jeder machen, wie er will.

    Dann ist jedes Buch von Precht, Rosa oder Gabriel ein Erziehungsbuch.


    Im Übrigen ist das doch genau das, was man unter einem Wissenschaftler und einer Hochschule versteht: der Transfer von Forschung und Lehre in die Gesellschaft. Ob man danach handelt, ist doch jedem frei gestellt.

    Und bisher folgt fast jede Schule und jede Hochschule der Maxime: Verdiene viel Geld damit du viel konsumieren kannst. Paech dreht das um.

    Wer jetzt genau seine "avantgardistischen" Gegenentwürfe mit welchen Mitteln duchsetzen soll, will er zwar nicht genauer ausführen und beschränkt sich darauf, dass die Avantgarde das eben einfach mal praktisch vorleben müsste

    Niemand soll sie - von oben- durchsetzen. Wie kommst du auf diese Idee, dass er das fordert? Ich z.B, habe damals eine Vortrag von Paech gesehen, woraus mir klar wurde, dass der Einsatz von Technik ohne Lebensstiländerung die Probleme nur verschlimmert, Stichwort Rebound. Seit dem hab ich mein Konsumverhalten geändert, bin Mitglied einer SOLAWI (ich und meine Familie waren selber schon mit auf dem Acker), bringe meine Klamotten zur Näherin in der Nachbarschaft, habe seit 4 Jahren keine Klamotten mehr gekauft und meinen uralten Laptop mit Linux bespielt (LAufzeitverlängerung). Ich könnte jetzt hier noch mehr aufzählen.


    "Erzogen" fühle ich mich Null. Ich mache das nicht für Paech sondern weil ich meine Verhaltensänderungen für richtig halte. Meine Lebensqualität ist sogar gestiegen.

    aber es ist völlig klar, dass er die breite Masse für zu wohlstandsvewahrlost hält

    Weil es exakt so ist.

    auf das Individuum und sein individuelles Verhalten

    Wie oben beschrieben, weil es ohne eine kritische Masse zu keiner gesellschaftlichen Veränderung kommen kann und nie kam. NICHT weil er dem homo oeconomicus anhängt! Das sind zwei völlig verschiedene Motive.


    dass es sich nicht so verhält, wie er es für richtig hält.

    Das ist ja gerade das Problem: Wir sind seit mind. 15 Jahren umgeben von grünen Produkten. Es gibt im Grunde kein Unternehmen mehr, keine Marke mehr, die nicht mit Klimaneutralität wirbt. Und trotzdem steigen die Umweltschäden täglich weiter an.


    Die Menschen glauben, sie tun was gutes für die Umwelt, wenn sie sich einen Demeter-Brühewürfel kaufen oder sich eine PV-Anlage aufs Dach bauen. Oder einen Tesla kaufen oder ein Haus aus Holz bauen.

    Um dann im nächsten Schritt, mit gutem Gewissen, eine Flugreise zu buchen, wo es veganes Essen gibt. (psychologischer Rebound)


    Es gibt keine Energiewende in Deutschland! Die Energiewende ist ein Mythos. Trotdem denken viele Deutsche, wir wären Vorreiter im Umweltschutz.


    Wir leben im Zeitalter des professionellen Green Washings. Das ist das Kernproblem!

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

    5 Mal editiert, zuletzt von Skidrow () aus folgendem Grund: Ergänzung zum ersten Zitat. Sprachliche Ergänzungen

  • Leuchtet mir nicht ein. Er macht Vorschläge, die aus seiner Sicht sinnvoll sind. Kann doch trotzdem jeder machen, wie er will.

    Ja wenn jeder machen kann was er will, wozu braucht es dann Niko Paech?


    Mal abgesehen davon, dass er ja - wenn auch alles nur im Konjunktiv gehalten - durchaus Vorschläge macht, was alles gemacht werden könnte. Die sind ja auch für sich betrachtet gar nicht so verkehrt. Aber wer das wie implentieren und wie das Training der potenziellen kritischen Masse organisiert und finanziert werden soll, darüber schweigt er sich genauso geflissentlich aus, wie darüber, wer die großflächige Abeitszeitverkürzung duchsetzen soll, die den Menschen dann die Zeit - und durch den Einkommensverlust natürlich auch den enstprechenden materiellen Druck - verschaffen würde, sich in den kommunalen "Zentren" zu resilienten und eigenverantwortlichen ProsumerInnen trainieren zu lassen.


    Sicher ist er sich nur darin, dass das bisherige Bildungssystem das nicht hergibt und die Leute stattdessen zu hirnlosen, karrieregeilen VerschwenderInnen erzieht. Zumindest damit hat er nicht ganz unrecht.

    "Erzogen" fühle ich mich Null. Ich mache das nicht für Paech sondern weil ich meine Verhaltensänderungen für richtig halte.

    Das ist doch toll für Dich. Ich habe nichts dagegen.


    Aber die Frage ist halt, woher die...

    kritische Masse

    ...kommen soll, um die Gesellschaft zu verändern?


    Wenn jeder macht was er will, dann müssen schon verdammt viele Leute das gleiche wollen, sonst wird's nichts mit der kritischen Masse.

    Wir leben im Zeitalter des professionellen Green Washings. Das ist das Kernproblem!

    Das ist ein weiteres Symptom des Problems und überhaupt nicht sein Kern.


    Warum betreiben Konzerene professionelles Greenwashing, und warum glauben "die Menschen" - also die, die nicht so richtig das Richtige wollen wie Du zum Beispiel - dass sie etwas Gutes für die Umwelt tun, wenn sie das grüngewaschene Zeug kaufen?

  • Was ich noch nicht verstanden habe:

    1. Wie bewirkt eine Änderung der Eintumsverhältnisse, dass die Leute nicht mehr zu den Malediven fliegen wollen? Beschreib es doch bitte mal ganz konkret! Oder wie bringt man Menschen dazu, Kleidung zum ausbessern/flicken zu bringen, statt sie wegzuschmeißen und neu zu kaufen?

    Marx würde an Paech und an deiner Frage wahrscheinlich die gleiche Kritik üben, wie er sie an den Vertretern des Idealismus zu seiner Zeit geübt hat. Nach deiner und Paechts Auffassung, hängt es nur "vom guten Willen" der Leute ab, um die Welt zu ändern. Das funktioniert aber nicht, weil die ökonomische Struktur dadurch nicht geändert wird. Die Gesellschaft und die Menschen passen ihr Leben und ihre Institutionen dieser Struktur an. Um die ökonomische Struktur zu ändern, müssen wir die Form unserer Arbeit ändern. D. h. die Produktionsverhältnissen ändern.

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