Warum Grünes Wachstum ein Mythos ist und was daraus folgt

  • Liebe Community,


    in den Jung & Naiv Interviews der letzten Monate ging es vermehrt um Grünes Wachstum. Hinter der Idee steckt ja die Vorstellung, eine Volkswirtschaft könne am Primat des permanenten Wirtschaftswachstums festhalten, sofern sie es schafft, durch technische Entwicklung (Kreislaufwirtschaft, effizienteren Produktionsprozesse, Wechsel zu Erneuerbaren Energien) die Umweltschäden vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln; der quantitative materielle Wohlstand könne weiter wachsen, während die Schäden an Bio- und Ökosphäre sinken.

    So die Idee.


    Ich möchte hier aufzeigen, warum diese Idee zum Scheitern verurteilt ist. Ich möchte erläutern, warum Umweltschäden (Erderhitzung, Rückgang der Biodiversität, Bodenversauerung etc.) durch technische Entwicklungen nicht nur nicht verringert werden können, sondern diese Umweltschäden durch technische Entwicklung steigen.


    In einem Satz zusammengefasst könnte man es so ausdrücken: "Technologische Errungenschaften werden durch Mehrkonsum an anderer Stelle ausgeglichen." (Ulrike Herrmann)


    Aber was heißt das genau?

    Konkreter:

    Technologische Entwicklung -> Technologische Beschleunigung -> Ökonomische Beschleunigung (Steigerung des BIP) -> Soziale Beschleunigung (Löhne steigen, Kaufkraft steigt) -> Steigerung der Energie- und Ressourcennachfrage.


    Weil das Problem auf dieser abstrakten Beschreibungsebene aber immer noch für viele Menschen nicht besonders greifbar ist, möchte ich es an einem ganz konkreten Beispiel deutlich machen. Und zwar am Beispiel von Windkraft. Statt Windkraft könnte man aber genauso gut auch Solarenergie, (sog.) Grünen Wasserstoff oder jede x-beliebige andere technische Entwicklung hernehmen.



    Zunächst einmal müssen Windkraftanlagen mindestens in einem Abstand von 700 m stehen. Je höher und je größer sie sind, desto größer muss der Abstand sein. Alles bekannt. Windkraftanlagen sind Materialfresser (Rotorblätter, Maschinenhaus, Generator, Turm). Es werden zusätzliche Flächen benötigt für die Zufahrtswege. Windkraftanlagen töten Vögel (das mag aktuell bei der verschwindend geringen Anzahl an Anlagen noch vernachlässigbar sein).

    Es besteht zudem die Gefahr, dass Windkraftanlagen langfristig das Wetter beeinflussen können, weil sie der Atmosphäre Windenergie entnehmen, die dann nicht für die Wetterbildung zur Verfügung steht (das mag aktuell bei der verschwindend geringen Anzahl an Anlagen noch vernachlässigbar sein).


    Windkraftanlagen werden aus endlichen Rohstoffen gefertigt: (seltene) Metalle, Erdöl, usw. Diese Rohstoffe wiederum müssen, unter Zuhilfenahme von Energie, gefördert, aufbereitet und entsprechend verbaut werden.


    Aber nehmen wir an, wir bauen Windkraftanlagen in Deutschland massiv aus, so wie bspw. Volker Quaschning es vorschlägt: Was macht man eigentlich mit der Energie, wenn sie dann so umfangreich zur Verfügung steht? Man nutzt sie! Vielleicht für Wärme in Wohnräumen. Aber auch: Zur Herstellung und zum Betrieb von Autos, Flugzeugen, Schiffen und für sämtliche industriellen Produktionsprozesse, zur Herstellung allerhand Konsumprodukte, die wiederum aus fossilen Rohstoffen wie Erdölen und (seltenen) Metallen bestehen. Dabei wachsen Auto-, Flugzeug- und Schiffsindustrie weiter an. Was machen die Unternehmen mit den steigenden Umsätzen? Sie stellen z.B. neue MitarbeiterInnen ein und/oder erhöhen Löhne. Was machen die MitarbeiterInnen mit dem Mehr an Geld? Sie kaufen SUVs, buchen Flugreisen, Kreuzfahrten, kaufen neue Handys, streamen in 4K und kaufen hochwertiges Rindfleisch aus Argentinien.


    Und auch die Infrastruktur der Mobilität, zum Beispiel Straßen, benötigen endliches, ressourcen-verbrauchendes, umweltschädliches Material (Asphalt, Beton für Straßen, Brücken usw); die Autobauer werden jubeln, wenn (vermeintlich) saubere Windkraft- und Solaranlagen massiv ausgebaut werden.


    Das alles sind negative Begleiterscheinungen, sogenannte Rebound-Effekte. Und ich habe mit meinen Beispielen nur an der Oberfläche gekratzt. Wahrscheinlich noch nicht mal das.


    Hinzu kommt ein psychologischer Rebound-Effekt: Wenn Wind- und Solaranlagen, Tiefengeothermie, Fortschritte bei der Kernfusion etc. annähernd das halten, was sie versprechen, wird das Thema wie ein Befreiungsschlag wirken: "Endlich haben wir neue saubere, (beinahe) unendlich zur Verfügung stehende Energiequellen zur Verfügung!"

    Welche Wirkung wird das haben? Es wird als Rechtfertigung dienen, dass man ja nun ruhig zwei Flugreisen und mehr im Jahr machen kann. Oder dass man nun ja wohl endlich wieder regelmäßig und in großen Mengen Rindfleisch essen kann, oder es dient als Alibi für den neuen SUV, das neueste Handy, das neusten Smart Home Equipment.. usw usf. Die Liste an psychologischen Rebound-Effekten kann beliebig weiter geführt werden. Der psychologische Rbound-Effekt hat also den Charakter eines "ökologisch basierten Ablasshandels" (Niko Paech).

    Volker Pispers hat das mal schön zusammengefasst: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die grüne Seele in den Himmel springt."


    Die Summe dieser Rebound-Effekte (materielle, finanzielle, konsumentenseitige, produzentenseitige, psychologische Rebound-Effekte) sind der Grund für das Scheitern der oben genannten Entkopplung und der Grund für das Scheitern des Grünen Wachstums.


    Nicht falsch verstehen: Windkraft, Photovoltaik, Tiefengeothermie, verbesserte Kreislaufwirtschaft, effizientere Produktion, das alles ist sinnvoll und gut! Aber wenn wir das nicht in Suffizienz einbetten (ein anderer Begriff: Reduktion), erreichen wir das genaue Gegenteil, nämlich mehr Ressourcenverbrauch, mehr Energieverbrauch und mehr Umweltschäden.


    Harald Welzer hat es mal auf den Punkt gebracht: "Wachstum heißt immer gesteigerter Verbrauch!"


    Ein Zitat von Niko Paech, das das Problem zusammenfasst:

    Zitat

    Es geht immer um eine Verlagerung des ökologischen Problems, wenn wir von Reduktion von Ressourcenverbräuchen sprechen bei gleichzeitiger Steigerung der Wirtschaftsleistung. Alle vermeintlichen ökologischen Innovationen sind niemals etwas anderes als eine räumliche, eine zeitliche, eine stoffliche oder eine systemische Verlagerung.


    Oder, bereits über 150 Jahre alt:

    Zitat

    It is wholly a confusion of ideas to suppose that the economical use of fuel is equivalent to a diminished consumption. The very contrary is the truth. (William Stanley Jevons, 1865)

    Ich fasse das Thema in vier Thesen zusammen:

    1. Umweltschäden (Erderhitzung, Artensterben usw.) können nicht durch technische Entwicklung reduziert werden1.
    2. Technische Entwicklung führt zu einer Verstärkung der Umweltschäden1.
    3. Der Begriff "Grünes Wachstum2" ist ein Oxymoron3. "Es ist eine in eine Formulierung gegossene Unvereinbarkeit." (Harald Welzer)
    4. "Es gibt keine per se nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile." (Niko Paech)


    1Sofern sie nicht eingebettet ist in Suffizienz, also Konsumreduzierung, Selbstbegrenzung. Entrümpelung, Entschleunigung,

    2Andere Begriffe sind: Green Economy, Green Growth, Green New Deal u. a.

    3Ein Oxymoron ist ein Stilmittel aus zwei Wörtern, die sich gegenseitig widersprechen.


    Links:

    1. Ein lesenswerter Artikel über die Rebound-Effekte:

    https://www.blaetter.de/ausgab…ion-des-gruenen-wachstums

    2. Ein Artikel zum Thema in Spektrum der Wissenschaft:

    Passen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zusammen?

    3. Eine Meta-Studie zum Thema Entkopplung:

    https://eeb.org/library/decoupling-debunked/

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

    4 Mal editiert, zuletzt von Skidrow () aus folgendem Grund: Formatierung, Rechtschreibung

  • Den Zwang zum Wirtschaftswachstum kann man aus meiner Sicht schon allein aus dem Zwang zur Profitmaximierung im Kapitalismus erklären. Eine Produktion von Gebrauchsgütern findet im Kapitalismus nur dann statt, wenn man damit einen Gewinn erzielen kann. Daraus folgt dann auch, dass der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft (BIP) steigt.


    Der grundlegende Widerspruch im Kapitalismus ist, dass eine physische Produktion von Gebrauchsgütern zwar eine qualitative Umwandlung darstellt, die irreversibel ist, jedoch ausschließlich mit einer quantitativen Zielsetzung (Profitmaximierung) ausgeführt wird, die prinzipiell unbegrenzt ist. So ähnlich drückt es jedenfalls Athanasios Karathanassis aus, den ich wirklich extrem gerne mal bei Jung und Naiv sehen würde. :)


    Dazu kommt, dass der Wettbewerb einem kapitalistischen Unternehmen eine Akkumulation seines Kapitals durch die Reinvestition der erzielten Gewinne in neue Maschinen und Technologien aufzwingt, um seine Produktivität zu steigern, da so auf der einen Seite Lohnkosten gesenkt, die Produktionsmenge gesteigert und der Verkaufspreis gesenkt werden kann. Auf diese Art können dem Konkurrenten Marktanteile streitig gemacht werden. Beteiligt man sich nicht daran, geht man früher oder später insolvent.

  • Der grundlegende Widerspruch im Kapitalismus ist, dass eine physische Produktion von Gebrauchsgütern zwar eine qualitative Umwandlung darstellt, die irreversibel ist, jedoch ausschließlich mit einer quantitativen Zielsetzung (Profitmaximierung) ausgeführt wird, die prinzipiell unbegrenzt ist. So ähnlich drückt es jedenfalls Athanasios Karathanassis aus, den ich wirklich extrem gerne mal bei Jung und Naiv sehen würde. :)

    Wenn ich noch was hinzufügen kann: Gebrauchsgegenstände haben immer einen qualitativen Wert. Im Kapitalismus werden Gebrauchsgegenstände aber dann durch die Brille der Profitmaximierung gesehen. Die Natur leidet am Meisten darunter, weil die in der Natur vorhandenen "Ressourcen" den Kapitalisten nichts kosten (Marx: Free gifts of nature). Der Kapitalist muss sie nur "aufsammeln". Z. B. Holz muss nicht erst kostenintensiv hergestellt werden, es reicht die Bäume zu fällen. Oder Rohöl muss nicht erst hergestellt werden, man braucht es nur aus der Erde herauspumpen. Deswegen ist der Verbrauch der Natur für den Kapitalisten immer die kostengünstigste Alternative. Die Anwälte zu bezahlen, um Land von der Bevölkerung zu enteignen oder eine Armee hinzuschicken. Allgemein: Politische Ausseinandersetzungen sind nur peanuts ;)


    Ein gutes Beispiel für den Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Tauschwert:

    In einem Dorf wachsen Pflanzen, die sehr nahrhafte Früchte tragen. Es sind so viele von den Pflanzen vorhanden, dass die Dorfbevölkerung ohne viel Aufwand sich damit selbst ernähren kann, auch die armen Bevölkerungsschichten können damit ohne Probleme versorgt werden. Kriminalität geht zurück, es gibt weniger Ausseinandersetzungen zwischen den Bewohnern im Dorf. Jeder ist versorgt, jeder hat Arbeit als Erntehelfer.

    Jetzt siedelt sich ein Unternehmen in dem Dorf an. Das Unternehmen macht eine Marktanalyse und kommt zu der Erkenntnis, dass die Früchte der Pflanzen auch in eine der größeren, reicheren Städten in der Umgebung nachgefragt werden. Das Unternehmen sieht dort eine Möglichkeit viel Gewinn/Profit zu machen. Was passiert? Die Früchte werden nun nicht mehr für die Ernährung der Bevölkerung des Dorfes geerntet. (Das Unternehmen erhält Eigentumsrechte an den Pflanzen) Sie werden nun in die größere, reichere Stadt exportiert. Die Dorfbevölkerung kann sich nicht mehr von den Früchten der Pflanze ernähren. Armut steigt rasant an, Gewalt steigt, Konflikte nehmen zu, Arbeitslosigkeit steigt ect. Das Unternehmen wird von der Politik geschützt, weil freier Markt und so 🥴


    Qualitativer Gebrauchswert: Die Früchte versorgen die Bedürfnisse der Bevölkerung im Dorf.


    Tauschwert: Die Früchte bringen mehr Gewinn, wenn sie in eine andere Stadt mit mehr Nachfrage exportiert werden.


    Das lässt sich auf viele viele andere Sachen in ähnlicher Weise anwenden.


    Um die Nachfrage in der Stadt noch anzukurbel kann das Unternehmen Werbung machen. Z. B. das Essen der Frucht mit etwas emotionalem Verbinden. "Wenn Sie diese Frucht essen, dann werden Sie männlicher/weiblicher." Dann steigt die Nachfrage und das Dorf muss noch mehr produzieren ect.

    Einmal editiert, zuletzt von LDR () aus folgendem Grund: 2 Beiträge von JonnyMadFox mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • JonnyMadFox Ja, man kann eine Ware von der stofflichen (Gebrauchswert) und von der gesellschaftlichen Seite (Tauschwert) betrachten. Entscheidend ist wohl die Erkenntnis, dass es sich beim Tauschwert überhaupt um eine rein gesellschaftliche Eigenschaft handelt, die keinerlei stoffliche Grundlage hat. Diese rein gesellschaftliche Eigenschaft einer Ware, einen Tauschwert zu besitzen, ergibt sich daraus, dass sie privat produziert und auf einem Markt mit allen anderen privat produzierten Waren im Tausch gleichgesetzt wird. Gäbe es diesen gesellschaftlichen Zusammenhang des Tausches, in Gestalt einer besonderen Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, nicht, hätten die (nicht privat, sondern gemeinschaftlich) produzierten Waren auch keinen Wert bzw. wären auch keine Waren, sondern eben einfach Gebrauchswerte (sowohl Gegenstände als auch Dienstleistungen). Dementsprechend wäre das Ziel der Produktion eben auch nur dieser Gebrauchswert, der ein konkretes Bedürfnis befriedigt und eben kein Tauschwert, dessen konkrete Erscheinungsform, das Geld, als Ausgangspunkt einer weiteren Produktion nur Sinn macht, wenn es sich um einen zusätzlichen Gewinn vermehrt.


    Damit sind ja eigentlich nur die gesellschaftlichen Ursachen, die ein Wirtschaftswachstum erzwingen, ganz grob umrissen. Jetzt könnte man allerdings immer noch einwenden, ja, kann ja schon alles sein. Dass wir unendliches Wirtschaftswachstum zwingend brauchen, ist ja aber gar nicht schlimm. Dann entkoppeln wir halt einfach den Ressourcenverbrauch von der (Tausch-)Wertschöpfung durch technische Effizienzsteigerungen, da die Unternehmen ja auch nur diese abstrakten Tauschwerte interessieren. Die Möglichkeit dessen hat Skidrow glaube ich aber schon ganz gut widerlegt.

  • Noch ein Zusatz zu dem Dorf und den Früchten:

    Da die Bevölkerung sich nicht mehr selbst von den Früchten ernähren kann, werden die Menschen im Dorf zu Lohnarbeitern. Das Unternehmen wird sie einstellen, um die Früchte von den Pflanzen herzustellen, für einen mikrigen Lohn natürlich. Das wäre die Ursprüngliche Akkumulation bzw. Primitive Akkumulation dann.

    Das ist grob das typische Playbook des Kapitalismus.

  • Noch ein Zusatz zu dem Dorf und den Früchten:

    Da die Bevölkerung sich nicht mehr selbst von den Früchten ernähren kann, werden die Menschen im Dorf zu Lohnarbeitern. Das Unternehmen wird sie einstellen, um die Früchte von den Pflanzen herzustellen, für einen mikrigen Lohn natürlich. Das wäre die Ursprüngliche Akkumulation bzw. Primitive Akkumulation dann.

    Das ist grob das typische Playbook des Kapitalismus.

    Historisch kenne ich mich diesbezüglich zwar ziemlich wenig aus, aber ich glaube, dass diese Form der Einverleibung von Subsistenzwirtschaft im Zuge der Industrialisierung so ablief, dass zunächst die Subsistenz-Arbeiter bzw. Bauern im Feudalismus im vorn herein schon immer das Land eines Grundherren bewirtschaftet haben, dem sie mitunter auch Frondienste leisten mussten. Die Vertreibung dieser Bauern ging, so glaube ich, von diesen Grundherren aus, für die es erträglicher wurde, das ehemals gemeinschaftlich genutzte Land bspw. für die Schafzucht im Zuge der aufkommenden Textilindustrie umzunutzen. Die vertriebenen Bauern hatten nun keine andere Wahl mehr, als in den boomenden Städten zu Lohnarbeitern zu werden.

  • Ich fasse das Thema in vier Thesen zusammen:
    Umweltschäden (Erderhitzung, Artensterben usw.) können nicht durch technische Entwicklung reduziert werden1.
    Technische Entwicklung führt zu einer Verstärkung der Umweltschäden1.
    Der Begriff "Grünes Wachstum2" ist ein Oxymoron3. Es ist eine in eine Formulierung gegossene Unvereinbarkeit.
    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile." (Niko Paech)

    Mal vorausgesetzt, dass grünes Wachstum nicht funktionieren kann - was wäre dann Deiner Ansicht nach die richtige Vorgehensweise, um die Klimakatastrophe zu verhindern?

  • Mal vorausgesetzt, dass grünes Wachstum nicht funktionieren kann - was wäre dann Deiner Ansicht nach die richtige Vorgehensweise, um die Klimakatastrophe zu verhindern?

    Das ist natürlich die Frage aller Fragen, und ich bin sehr vorsichtig mit der Verkündung, die einzig wahre Lösung gefunden zu haben.

    Aus meinem ersten Beitrag folgt allerdings, und ich hatte es ja im Grunde schon beschrieben: Alle derzeitigen Bestrebungen der Bundesregierung, Erderhitzung und andere Schäden an Bio- und Ökosphäre (Biodiversitätsrückgang etc) zu vermindern, werden scheitern. Denn es sind fast ausnahmslos technische Lösungen, die anvisiert werden.


    Und es folgt noch etwas: Will man die Katastrophe noch irgendwie abwenden, geht das nur, indem Flugreisen, Kreuzfahrten, Autofahrten, Anzahl der Autos, Konsum tierischer Produkte, Nutzung der Digitalisierung usw. usf. drastisch vermindert werden. Es gibt weder grüne Kreuzfahrten noch grüne Flugreisen (und zwar nie! egal was wer wie wo geiles an Technik entwickelt), es gibt keinen grünen Individualverkehr. Es gibt im Grunde nicht mal grünen Strom.


    Nun ist die Frage, wie man eine solche Reduktion hinbekommt. Das Ziel müsste ja so etwas wie Niko Paechs Postwachstumsökonomie sein. Eine andere Konzeption, die die oben genannten Probleme berücktsichtig, habe ich noch nicht gefunden.


    Alles beginnt mit einer deutlichen (durchschnittlichen) Arbeitszeitreduzierung. Aus zwei Gründen: Erstens, damit die Kaufkraft für die oben genannten ruinösen Konsumhandlungen verringert wird und zweitens, damit die Leute mehr Zeit haben für

    • Dinge selbst produzieren z.B.: Gemeinschaftsgärten; „Marke Eigenbau“, Upcycling, ReUse
    • Dinge gemeinschaftlich nutzen z.B.: Gebrauchsgüter und technische Geräte mit Nachbarn teilen
    • Dinge lange nutzen: Reparieren z.B.: Repair Cafes, Güter achtsam behandeln und Instand halten
    • Gesundheit und Selbstwirksamkeit z.B.: Künstlerische und körperliche Aktivität, bewusste Ernährung

    (Quelle: Vortrag von Niko Paech)


    In diese Richtung wird es vermutlich so oder so gehen: by design or by desaster.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

    Einmal editiert, zuletzt von Skidrow () aus folgendem Grund: Formulierung im letzten Satz bearbeitet

  • Ob man das noch Kapitalismus nennt oder anders, möchte ich nicht beurteilen. Es kommt auf die inhaltlichen Veränderungen an.

    Nur mit mehr Eigenverantwortung

    Eigenverantwortung auf jeden Fall. Aber nicht im Sinne des neoliberalen Gedankens (Wettbewerb, Konkurrenz, Jeder gegen jeden) sondern das Gegenteil, nämlich Fokus auf Kooperation und Gemeinschaft.

    und ohne Wachstum.

    Ohne Wirtschaftswachstum.

    Ohne jeden Zweifel.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • Eigenverantwortung auf jeden Fall. Aber nicht im Sinne des neoliberalen Gedankens (Wettbewerb, Konkurrenz, Jeder gegen jeden) sondern das Gegenteil, nämlich Fokus auf Kooperation und Gemeinschaft.

    Da würde ich zustimmen. Nicht mit dem Verständnis der Eigenverantwortung im Liberalismus. Ernsthafte Eigenverantwortung wäre eine durch und durch demokratisierte Gesellschaft, in der die Menschen gemeinsam die Gesellschaft von unten selbst gestalten können.


    IMO glaube ich gar nicht, dass wir die Katastrophe verhindern können. Wir müssen jetzt schon an der Gesellschaft arbeiten, in der große Teile der Welt nicht mehr bewohnbar sind.


    Lokale Strukturen sind resilienter gegenüber größeren Strukturen, da würde ich noch Dezentralisierung und Lokalismus, förderale Strukturen hinzufügen.

    Einmal editiert, zuletzt von LDR () aus folgendem Grund: 2 Beiträge von JonnyMadFox mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Ob man das noch Kapitalismus nennt oder anders, möchte ich nicht beurteilen. Es kommt auf die inhaltlichen Veränderungen an.

    Eigenverantwortung auf jeden Fall. Aber nicht im Sinne des neoliberalen Gedankens (Wettbewerb, Konkurrenz, Jeder gegen jeden) sondern das Gegenteil, nämlich Fokus auf Kooperation und Gemeinschaft.

    Ohne Wirtschaftswachstum.

    Ohne jeden Zweifel.

    Der entscheidende Verdienst von Karl Marx war aus meiner Sicht, erkannt zu haben, dass es sich beim Kapitalismus um eine besondere Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung handelt, in der ausschließlich privat produzierte Waren zu gleichen Werten ausgetauscht werden. Daraus lässt sich wiederum die zwingende Notwendigkeit von Geld und aus Geld die zwingende Notwendigkeit von Kapital nachweisen (das ist der Gegenstand von "Das Kapital."). Kapital ist nichts anderes als vorgeschossenes Geld, das den einzigen Zweck hat, mehr Geld zu erzeugen. Daraus folgt dann aber, dass eine Tausch-basierte Wirtschaft immer Geld und damit auch immer Kapital hervorbringen muss. Somit hat man in einer Tausch-basierten Wirtschaft in letzter Konsequenz immer einen Zwang zur Profitmaximierung und damit auch einen Zwang zum Wirtschaftswachstum.


    Dieser Analyse folgend kann eine Alternative nur in einer nicht Tausch-basierten Wirtschaft gefunden werden. Dazu gibt es sicherlich mehr als eine konkrete Möglichkeit. Die bekannteste wäre eine Planwirtschaft, deren einziger Zweck es allerdings nicht sein darf, mit einer kapitalistischen Wirtschaft hinsichtlich des Wohlstandsniveaus zu konkurrieren und am Ende das Wachstum durch den Plan künstlich zu erzwingen. So nach dem Motto: überholen statt einzuholen... :) Ein anderes (selbstorganisiertes) Konzept, von dem ich neulich gehört habe, wäre die s.g. "Stigmergie".

  • JonnyMadFox

    Ich stimme dir zu. Aber mein Ziel war hier nicht zwingend, ein vollständiges Konzept darzulegen.


    Mein Ziel war eher, darauf hinzuweisen, warum alle aktuellen Bestrebungen nicht zielführend sein können.


    Und außerdem wollte ich implizit darauf hinweisen, dass dieses Video Degrowth: Zurück in die Höhle mit Niko Paech - WOHLSTAND FÜR ALLE Ep. 105 ein guter Kandidat ist für den Preis Goldenes Brett vorm Kopf 2021.


    Und dass Volker Quaschning unter Solutionismus leidet, man könnte auch sagen: Technikblindheit. Und dass sein Satz (aus einem Jung&Naiv Interview) "Elon Musk hat die Energiewende vorangebracht" vielleicht in die Geschichte eingeht als der dümmste Satz eines deutschen Wissenschaftlers.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

    2 Mal editiert, zuletzt von Skidrow () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Ich möchte zu meinem letzten Post noch etwas ergänzen. Ich schrieb, dass "Tausch-basierte Wirtschaften" notwendigerweise immer Geld und Kapital hervorbringen müssen. "Basiert" meint in diesem Sinne, dass fast alles getauscht wird, wozu insbesondere die Arbeitskraft gehört, und fast jede Produktion von Gebrauchswerten ausschließlich für den Tausch bestimmt ist. Erst dann beginnt sich das Geld als Kapital in der genannten Weise zu verselbstständigen.


    Natürlich gibt es Handel und Geld wahrscheinlich schon so lange es menschliche Zivilisationen gibt. Der wesentliche Unterschied zu heute ist wohl, dass dieser Handel in andere Produktionsverhältnisse eingebettet und die Ausnahme war. Beispielsweise haben 90% der Bevölkerung im Feudalismus Subsistenzwirtschaft als einfache Bauern betrieben. Produziert wurde dort für den eigenen Bedarf und leider auch für den Bedarf des Grundherren, dem das Land und evtl. auch man selbst als Leibeigener gehörte. Nichtsdestotrotz wurden auch hier schon Überschüsse aus der Landwirtschaft oder Produkte von Handwerkern in Städten gegen Geld gehandelt. Man darf nicht vergessen, dass die Auswahl an gehandelten Produkten noch sehr gering war. Besonders viel Geld hätte einem dort wohl relativ wenig gebracht, da es wenig gab, was man hätte damit kaufen können.

  • Die Folge war wirklich ein Tiefpunkt. Polemisch verkürzend und die großen Zusammenhänge ignorierend.

    Wenn die beiden bei anderen Themen auch so gut recherchieren, dann gute Nacht. Ich meide die beiden, spätestens seit dieser Folge. Alleine die menschenverachtenden und zynischen Aussagen von Ole Nymoen zu Beginn.

    "Es gibt keine nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile."

    "Wir müssen die Lüge dekonstruieren, dass es eine technische Lösung für dieses soziale Problem gibt."

    (Niko Paech)

  • jo fand die folge auch nicht so toll


    Ich hab auch keine Ahnung, warum Wolfgang so viel Angst vor Verzicht hat. Ole scheint da etwas entspannter zu sein.

    Einmal editiert, zuletzt von LDR () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von JonnyMadFox mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Der entscheidende Verdienst von Karl Marx war aus meiner Sicht, erkannt zu haben, dass es sich beim Kapitalismus um eine besondere Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung handelt, in der ausschließlich privat produzierte Waren zu gleichen Werten ausgetauscht werden. Daraus lässt sich wiederum die zwingende Notwendigkeit von Geld und aus Geld die zwingende Notwendigkeit von Kapital nachweisen (das ist der Gegenstand von "Das Kapital."). Kapital ist nichts anderes als vorgeschossenes Geld, das den einzigen Zweck hat, mehr Geld zu erzeugen. Daraus folgt dann aber, dass eine Tausch-basierte Wirtschaft immer Geld und damit auch immer Kapital hervorbringen muss. Somit hat man in einer Tausch-basierten Wirtschaft in letzter Konsequenz immer einen Zwang zur Profitmaximierung und damit auch einen Zwang zum Wirtschaftswachstum.


    Dieser Analyse folgend kann eine Alternative nur in einer nicht Tausch-basierten Wirtschaft gefunden werden. Dazu gibt es sicherlich mehr als eine konkrete Möglichkeit. Die bekannteste wäre eine Planwirtschaft, deren einziger Zweck es allerdings nicht sein darf, mit einer kapitalistischen Wirtschaft hinsichtlich des Wohlstandsniveaus zu konkurrieren und am Ende das Wachstum durch den Plan künstlich zu erzwingen. So nach dem Motto: überholen statt einzuholen... :) Ein anderes (selbstorganisiertes) Konzept, von dem ich neulich gehört habe, wäre die s.g. "Stigmergie".

    Es muss nicht unbedingt eine Planwirtschaft sein. Man könnte auch Elemente einer Marktwirtschaft erhalten, wenn man die Betriebe demokratisiert hat. Auf der anderen Seite bauen die Konzerne aber schon seit Jahrzehnten vor unserer Nase eine Planwirtschaft auf, die man möglicherweise demokratisieren könnte.

  • Es muss nicht unbedingt eine Planwirtschaft sein. Man könnte auch Elemente einer Marktwirtschaft erhalten, wenn man die Betriebe demokratisiert hat. Auf der anderen Seite bauen die Konzerne aber schon seit Jahrzehnten vor unserer Nase eine Planwirtschaft auf, die man möglicherweise demokratisieren könnte.

    Die Frage ist doch, wo fängt Kapitalismus eigentlich an? Marx zufolge geht es schon damit los, dass die gesamte gesellschaftliche Teilung der Arbeit über den Tausch von privat produzierten Waren stattfindet. Das wiederum konstituiert eine neue gesellschaftliche Dimension des Gebrauchswerts, gleichzeitig auch ein Tauschwert zu sein. Die notwendige Gestalt dieses Tauschwerts ist das Geld. Das Geld als Ausgangspunkt eines neuen Produktionsprozesses wiederum macht nur Sinn, wenn es sich um einen Gewinn vermehrt bzw. zu Kapital wird. Kapital ist aber wiederum ein bloßer Selbstzweck. Geld, das dazu dient, mehr Geld zu erzeugen. Das Problematische am Kapitalismus ist eben diese "Wert"-Seite eines Gebrauchswerts, weil die eben eine Eigenlogik im Kapital entwickelt, die nichts mit Bedürfnisbefriedigung zu tun hat bzw. diese nur wie ein Parasit als Mittel zum (Selbst-)Zweck benötigt.


    Oder noch weiter verkürzt: Man kann diesen "Wert" am Gebrauchswert nicht haben, ohne auch Kapital zu bekommen.


    Das ist so das grundlegende Problem. Oder zumindest mein oberflächliches Verständnis davon (das natürlich auch komplett falsch sein kann, was ich nicht hoffe). :)


    Zum Thema "Wert" habe ich im Transformation-Thread übrigens noch einen detaillierteren Beitrag gepostet, womit die Problematik vielleicht noch deutlicher wird:

    Ich denke, dass hier wohl das Hauptproblem darin liegt, die Komplexität der Arbeitsteilung innerhalb einer industrialisierten Gesellschaft zu bewältigen, die sich im Kapitalismus selbst über den Markt organisiert. Ein einzelner Privatproduzent muss eben nicht die genaue Funktionsweise der gesamten Wirtschaftsstruktur verstehen, in welcher er nur eine kleine Teilfunktion erfüllt. Es wird ihm im Nachhinein über den Wert seiner Waren auf dem Markt mitgeteilt, inwiefern die von ihm verausgabte Arbeit gesellschaftlich notwendig war bzw. einen validen Anteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit darstellt, um die gesamte Wirtschaftsstruktur zu bauen. So gesehen ist es also der Wert, der die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung im Kapitalismus koordiniert.


    Wenn nun keine Privatproduktion für den Tausch mehr stattfinden bzw. die Warenproduktion inkl. des Geldes abgeschafft werden soll, entfällt entsprechend auch dieser automatische Koordinationsmechanismus "Wert". Somit wäre es dann das naheliegendste, diese Koordination der Arbeitsteilung von gemeinschaftlichen Einzelproduzenten manuell über eine zentrale Planung zu verwalten. Hierzu muss man aber die genaue Funktionsweise der gesamten Wirtschaftsstruktur verstehen, was angesichts ihrer bisher erreichten Feingliedrigkeit eben ein massives Problem der Komplexitätsbewältigung darstellt. Dieses Problem besteht selbst dann, wenn alle Gesellschaftsmitglieder geschlossen den Kapitalismus abschaffen wollen. (An der Stelle möchte ich noch anmerken, dass eine zentral geplante Arbeitsteilung nichts Neues ist und derzeit innerhalb jedes Unternehmens stattfindet, wo Arbeitsprodukte schließlich auch nicht getauscht werden.)


    Deswegen muss sich aus meiner Sicht die Suche nach Alternativen auf selbstorganisierte Formen des Wirtschaftens konzentrieren, in der die (inzwischen) gemeinschaftlichen Einzelproduzenten die Funktionsweise der Gesamtstruktur nicht verstehen müssen. Ein Konzept, dass ich an anderer Stelle schon genannt habe, wäre z.B. die "Stigmergie", welches im ökonomischen Kontext u.a. von Stefan Meretz vorgeschlagen wurde.

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