#605 - Ulrike Herrmann über das Ende des Kapitalismus

  • Woher bezieht Ulrike ihre Informationen über Russland?

    Und hält sie es wirklich für eine gute Idee, das Land zu ruinieren?

    Was dann, eine Wiederholung der 90er Jahre? Ausverkauf der Rohstoffe unter einer versoffenen US-Marionette?

    Glaubt Ulrike wirklich, dass die russische Führung das nochmal geschehen läßt?

    Danke, Hans, für das Stellen der Frage!


    Und keine Antwort ist dann doch irgendwie auch eine:

    Auch schön ist die Theorie über Russland als letzte verbliebene Kolonialmacht. Da muss man aber schon sehr tief ins laufende Narrativ eingetaucht sein, um so komplett ignorieren zu können, dass z.B. die USA ihr gesamtes Staatsgebiet mit Mord, Totschlag und Sklaverei von anderen Menschen geraubt haben, oder dass sie heute noch den Anspruch erheben, die gesamte südliche Hälfte der amerikanischen Landmasse als ihren "Hinterhof" zu behandeln, und dabei den Millionen von Menschen die dort leben, und für den Norden ausgebeutet werden, nicht mal das Recht einräumen, ihre Kolonialherren selbst zu wählen.

    Vielleicht telefoniert Ulrike ja ab und zu mit Ralf oder Marieluise? Man könnte Ralf fragen…

  • Es ist korrekt, dass die Reichen mitgehen, wenn es Veränderungen gibt. Zum Beispiel haben die Reichen und auch die Arbeitgeber in der Nachkriegszeit es akzeptiert, dass es hohe Steuern gab oder auch, dass die Gewerkschaften stark integriert waren. Aber warum haben sie das akzeptiert? Weil die Arbeiterbewegung um ein vielfaches stärker war als heutzutage und massive strikes in der Zeit an der Tagesordnung waren. Die Reichen und Arbeitgeber haben es nicht einfach akzeptiert aufgrund ihrer Herzensgüte. Es braucht starke Bewegung, die sie dazu bringen.

  • Ulrike negiert ja die Bedeutung des Akkumulations-Aspektes für den Kapitalismus mit dem Argument dass es Ausbeutung schon immer gab. Dass Ausbeutung kein Alleinstellungsmerkmal des Kapitalismus ist, ist ja auch vollkommen richtig. Und die Verwendung von Technik und Energie ist schon eher ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist schon auch richtig. Aber letzteres muss ja nicht heissen dass ersteres nicht stattfindet.


    Edit: Ausbeutung ist ja doch letztendlich Sinn und Zweck eines jeden Herrschaftssystems. Kapitalismus ist halt die aktuelle Version. Das geile für die Kapitalisten ist dass der Arbeiter gar nicht merkt dass er ausgebeutet wird. Und in der liberalen Demokratie, die es kostenlos dazugeliefert gibt, merkt er auch nicht dass er gar nicht wie versprochen herrscht (alle macht geht vom Volke aus), sondern beherrscht wird wie eh und jeh.

  • Das geile für die Kapitalisten ist dass der Arbeiter gar nicht merkt dass er ausgebeutet wird. Und in der liberalen Demokratie, die es kostenlos dazugeliefert gibt, merkt er auch nicht dass er gar nicht wie versprochen herrscht (alle macht geht vom Volke aus), sondern beherrscht wird wie eh und jeh.

    Das ist auch so ein punkt. Herrmann hat ja selbst vor einigen Jahren ein durchaus empfehlenswertes Buch zum Selbstbetrug der Mittelschicht geschrieben und erzählt auch im Interview davon.

    Aber auch hier scheint ihr einfach nicht klar werden zu wollen, dass die verquere Idee, im Kapitalismus könne eigentlich jede/r profitieren, wenn der bloß nicht so klimaschädlich wäre und politisch so schlecht gemanaged würde, etwas damit zu tun haben könnte, dass so viele Leute politische Parteien wählen, die eher das Interesse der Kapitalisten vertreten als ihre eigenen.


    Sie beschreibt lang und breit ein reales Symptom, aber kümmert sich dann nicht wirklich um die eigentliche Ursache - bzw. begründet das dann einfach damit, dass die Leute halt zu blöd seien, ihren irrtum zu erkennen.


    Ich habe sie ja schon oft gegen andere Angriffe verteidigt, aber dieses mal hat sie ein paar Klopper rausgehauen, die wirklich komplett Banane sind.

  • Gesellschaftliche Produktion aber private Aneignung von Mehrwert gab es im Mittelalter und in der Antike einfach nicht als ein bestimmendes Merkmal. Die Produzenten von Gütern, d. h. die Bauern, waren nicht über Lieferketten miteinander verbunden, wie es heutzutage der Fall ist. Wenn z. B. Schuhe hergestellt wurden, dann sind die nicht erst durch fünf Firmen durchgegangen bis zum Endprodukt, sondern der Bauer hat die selbst hergestellt. Die Arbeitsteilung war nicht existent oder sehr wenig ausgeprägt. Wie soll das auch sonst gewesen sein? Die Kapitalformierung war ein langer Enteignungsprozess und Verwandlung sprozess der Bauern in Lohnarbeiter, damit die Kaufleute und Landbesitzer überhaupt erst Kapital hatten, um es kapitalistisch zu reinvestieren. Technologie spielt nicht die einzige Rolle in dem Prozess. Viele Bedingungen müssen zusammenkommen, dass aus einer Subsistenzwirtschaft eine kapitalistische wird. Und diese Bedingungen sind im 19. Jahrhundert alle zusammengekommen und der Staat hat geholfen, die Bedingungen zu institutionalisieren, damit sie dauerhaft werden, in Rechtssysteme Codifiziert werden. Die Arbeiter mussten an Lohnarbeit gewöhnt und diszipliniert werden. Ein riesiger gesellschaftlicher Umbruchsprozess.


    Die Bauern besaßen Teile der Produktionsmittel, unter anderem auch bestimmte Rechte auf dem Land des Grundherren, oder sie waren selbst im Besitz von Land. Alle Dörfer waren mehr oder weniger wirtschaftliche Einheiten. Die haben ihr eigenes Süppchen gekocht. Privateigentum gab es in der heutigen Form auch nicht. Es gab Eigentum natürlich, aber der Zweck war die Subsistenzwirtschaft und das Gemeinschaftseigentum, nicht die Verwertung von Eigentum mit dem bloßen Ziel der Profitmaximierung.

  • Ulrike negiert ja die Bedeutung des Akkumulations-Aspektes für den Kapitalismus mit dem Argument dass es Ausbeutung schon immer gab. Dass Ausbeutung kein Alleinstellungsmerkmal des Kapitalismus ist, ist ja auch vollkommen richtig. Und die Verwendung von Technik und Energie ist schon eher ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist schon auch richtig. Aber letzteres muss ja nicht heissen dass ersteres nicht stattfindet.


    Edit: Ausbeutung ist ja doch letztendlich Sinn und Zweck eines jeden Herrschaftssystems. Kapitalismus ist halt die aktuelle Version. Das geile für die Kapitalisten ist dass der Arbeiter gar nicht merkt dass er ausgebeutet wird. Und in der liberalen Demokratie, die es kostenlos dazugeliefert gibt, merkt er auch nicht dass er gar nicht wie versprochen herrscht (alle macht geht vom Volke aus), sondern beherrscht wird wie eh und jeh.

    Wir hatten das ja schon im Kapitalismus thread. Keith Hart, einer der bedeutenden lebenden Wirtschaftsanthropologen definiert Kapitalismus als "Making Money with Money". Das hört sich banal an, aber implizit enthält diese Definition alle gängigen Definitionen des Kapitalismus, auch die von Ulrike.


    Ausserdem zeigt diese Definition warum Ausbeutung von Lohnarbeit Systemimmanent ist und Wachstum durch Technik, wie Ulrike richtig sagt, so wichtig ist..


    Geld mit Geld machen bedeutet Kapital zu investieren um Kapital zu Akkumulieren. Kapitalakkumulation ist um was es im Kapitalismus geht und Investition ist das Mittel. Jede Investition zur Kapitalakkumulation wird letztendlich Finanziert durch Kredite, auch wenn sie Venture Kapital, oder irgendwie heissen, und Kredite sind, wie Ulrike richtig beschreibt eine Wette auf zukünftiges Wachstum.


    Dieses Wachstum wird vor allem erzielt in dem die Produktivität pro Arbeitskraft durch den EInsatz von Energie und Maschinen (statt Menschen) und daraus unweigerlich folgender Umweltbelastung gesteigert wird (siehe 2. HS der Wärmelehre, Entropie). Merke jede Form von Energieeinsatz erzeugt Entropie (also Umweltschäden). Kapitalismus kommt also weder ohne Wachstum noch ohne immer mehr Energie noch ohne immer mehr Umweltschäden aus.


    Aus diesen Investitionen entstehen letztendlich die Kapitaleinkünfte, in der Regel wird erwartet dass diese jährliche bei 5% bis 15% des Kapitals liegen. Im Kapitalismus wächst also das akkumulierte Kapital unaufhörlich exponentiell (und zwar sehr schnell).


    Unsere Messgröße für die Wirtschaftsleistung ist das BIP. In der Verteilungsrechnung ist das BIP exakt die Summe aus Löhnen und Gehältern (incl. Sozialhilfen, Renten etc.) und Kapitaleinkünften (nachzulesen im Beweis von Jürgen Kremer, hier).


    Wenn das Wachstum im Verhältnis zu Lohnzuwächsen und Kapitalerträgen groß genug ist, können neben den Kapitalerträgen auch die Löhne steigen. Das war bei uns bis in die 70er Jahre auch so.


    Das exponentielle Wachstum der Vermögen verlief in den Kernnationen des Kapitalismus aber wesentlich schneller als as Wachstum des BIP und aus diversen Gründen stagniert das BIP Wachstum mit dem Maß der Technisierung (nicht nur wegen der planetaren Grenzen). Dieses Problem ist ebenfalls Systemimmanent.


    Wenn aber das Wachstum nicht genug hergibt um die wachsenden Kapitalerträge und die Löhne zu steigern, oder sogar stagniert, dann MÜSSEN Löhne und Gehälter sinken damit Kapitaleinkünfte möglich sind. Das ist Grundschulmathematik! Entweder in dem durch Technik überflüssige Arbeiter arbeitslos werden oder in dem Löhne, Renten und Sozialbeträge gesenkt werden. Das ist ein Systemzwang, keine falsche Politik.


    Weil Kapitalerträge (Making Money with Money) das zentrale Element des Kapitalismus sind, muss Ausbeutung stattfinden. Das hat die Ulrike "nicht klar". :)


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  • Edit: Ausbeutung ist ja doch letztendlich Sinn und Zweck eines jeden Herrschaftssystems. Kapitalismus ist halt die aktuelle Version. Das geile für die Kapitalisten ist dass der Arbeiter gar nicht merkt dass er ausgebeutet wird. Und in der liberalen Demokratie, die es kostenlos dazugeliefert gibt, merkt er auch nicht dass er gar nicht wie versprochen herrscht (alle macht geht vom Volke aus), sondern beherrscht wird wie eh und jeh.

    Natürlich merken die Arbeiter das. Deswegen gab es die letzten 200 Jahre massive Arbeiterbewegungen und Streiks, wodurch wir jetzt noch unseren Wohlstand haben. Das Problem ist, die neoliberalen Reformen waren und sind alle darauf ausgerichtet, dass die Arbeiter davon abgehalten werden, sich mit anderen Arbeitern zu organisieren. Die neolib. Reform sind alle so ausgerichtet, dass es dem Arbeiter leichter gemacht wird, individuelle Lösungen zu finden. Weil bei individuellen Lösungen natürlich der Arbeitgeber immer mehr Möglichkeiten und Macht hat, die es wahrscheinlich machen, dass er bei Ausseinandersetzungen am längeren Hebel sitzt. Gewerkschaftliche Organisation hat dadurch immer ein höheres Risiko für den Arbeiter als individuelle Lösungen, die aber die Macht des Arbeitgebers nicht brechen können, das können nur Gewerkschaften.

  • Dieses Wachstum wird vor allem erzielt in dem die Produktivität pro Arbeitskraft durch den EInsatz von Energie und Maschinen (statt Menschen) und daraus unweigerlich folgender Umweltbelastung gesteigert wird

    Dem wäre noch hinzuzufügen, dass die Investitionsgüter - also die Maschinen - auch nicht auf dem Maschinenbaum wachsen, sondern ihrerseits nur durch die Zusammenführung von Kapital, Energie und menschlicher Arbeit produziert werden können. In jeder Maschine steckt menschliche Arbeit - auch die von generationen an Erfindern, Ingenieuren und Wissenschaftlern. Das Kapital ist private Aneignung von gesellschaftlich hergestelltem Reichtum.

  • Da ich gerade bei dem Teil mit Ungleichheit bin:


    Der Unterschied zwischen der Ungleichheit von heute und im Mittelalter war, dass es im Mittelalter eine hohe politische Ungleichheit gab. Dieses Ungleichheitsregime im Mittelalter nennt man auch Ständegesellschaft oder Trifunktionale Gesellschaft (Adel, Klerus, der Rest). Die Rechte, die du hattest, waren abhängig davon, zu welchem Stand du gehört hast. Der Bauer hatte andere Rechte als der Adel, der Adel andere als der Klerus, usw. Soziale Mobilität gab es nicht. Das wurde im Mittelalter gesehen als eine von Gott gebene Ordnung (scala naturae).

    Und diese Aufteilung der Gesellschaft in Stände und die Verteilung der Rechte, die es damit gab, war unabhängig vom Reichtum. Reichtum war nicht der ausschlaggebende Punkt. Das Reichtum eine Rolle spielt, ist langsam in der Neuzeit entstanden.

    Erst dann mit der Forderung nach verfassungsgemäßen Bürgerrechten, die der Staat durchsetzen und schützen soll und die für alle gelten sollen (im jeweiligen Nationalstaat), haben zur Überwindung dieser politischen Ungleichheit geführt, aber die wirtschaftliche Ungleichheit ist geblieben.

  • Nachtrag zu oben:


    Ulrike könnte einwenden, dass wenn die Arbeiter besser bezahlt würden, dann gäbe es mehr Wachstum und die Vermögenseinkommen würden fliesen. Dem ist nicht so. Die Vermögenseinkommen laufen bei längerer Entwicklung dem BIP davon, weil jeder technische Fortschritt weniger Wchstum beschert als der vorherige (und ausserdem kollabiert das BIP mit dem Ende des Wachstums aufgrund planetarer Grenzen, aber darum soll es jetzt nicht gehen.)


    Hier die Studie zur Entwicklng des Wachstums von Robert J. Gordon die das zeigt:


    Zitat


    “Since Solow’s seminal work in the 1950s, economic growth has been regarded as a continuous process that will persist forever. But there was virtually no economic growth before 1750, suggesting that the rapid progress made over the past 250 years could well be a unique episode in human history rather than a guarantee of endless future advance at the same rate.”


    The paper is only about the United States and views the future from 2007 while pretending that the financial crisis did not happen. Its point of departure is growth in per-capita real GDP in the frontier country since 1300, the U.K. until 1906 and the U.S. afterwards. Growth in this frontier gradually accelerated after 1750, reached a peak in the middle of the 20th century, and has been slowing down since. The paper is about “how much further could the frontier growth rate decline?” The analysis links periods of slow and rapid growth to the timing of the three industrial revolutions (IR’s), that is, IR #1 (steam, railroads) from 1750 to 1830; IR #2 (electricity, internal combustion engine, running water, indoor toilets, communications, entertainment, chemicals, petroleum) from 1870 to 1900; and IR #3 (computers, the web, mobile phones) from 1960 to present. It provides evidence that IR #2 was more important than the others and was largely responsible for 80 years of relatively rapid productivity growth between 1890 and 1972. Once the spin-off inventions from IR #2 (airplanes, air conditioning, interstate highways) had run their course, productivity growth during 1972-96 was much slower than before. In contrast, IR #3 created only a short-lived growth revival between 1996 and 2004. Many of the original and spin-off inventions of IR #2 could happen only once – urbanization, transportation speed, the freedom of females from the drudgery of carrying tons of water per year, and the role of central heating and air conditioning in achieving a year-round constant temperature. Even if innovation were to continue into the future at the rate of the two decades before 2007, the U.S. faces six headwinds that are in the process of dragging long-term growth to half or less of the 1.9 percent annual rate experienced between 1860 and 2007. These include demography, education, inequality, globalization, energy/environment, and the overhang of consumer and government debt. A provocative “exercise in subtraction” suggests that future growth in consumption per capita for the bottom 99 percent of the income distribution could fall below 0.5 percent per year for an extended period of decades.

  • Da ich gerade bei dem Teil mit Ungleichheit bin:


    Der Unterschied zwischen der Ungleichheit von heute und im Mittelalter war, dass es im Mittelalter eine hohe politische Ungleichheit gab. Dieses Ungleichheitsregime im Mittelalter nennt man auch Ständegesellschaft oder Trifunktionale Gesellschaft (Adel, Klerus, der Rest). Die Rechte, die du hattest, waren abhängig davon, zu welchem Stand du gehört hast. Der Bauer hatte andere Rechte als der Adel, der Adel andere als der Klerus, usw. Soziale Mobilität gab es nicht. Das wurde im Mittelalter gesehen als eine von Gott gebene Ordnung (scala naturae).

    Und diese Aufteilung der Gesellschaft in Stände und die Verteilung der Rechte, die es damit gab, war unabhängig vom Reichtum. Reichtum war nicht der ausschlaggebende Punkt. Das Reichtum eine Rolle spielt, ist langsam in der Neuzeit entstanden.

    Erst dann mit der Forderung nach verfassungsgemäßen Bürgerrechten, die der Staat durchsetzen und schützen soll und die für alle gelten sollen (im jeweiligen Nationalstaat), haben zur Überwindung dieser politischen Ungleichheit geführt, aber die wirtschaftliche Ungleichheit ist geblieben.

    Ausserdem war "Geld mit Geld machen" also die Kapitalakkumulation durch Investition im Mittelalter nicht das Mittel mit dem sich der Adel bereichert hat. Das ist eindeutig das zemtrale Merkmal des Kapitalismus. Technisierung ist nur das Mittel zum Zweck.


    Wenn aber Geld mit Geld machen ohne technisierung gelingt, dann ist das die bevorzugte Methode. Siehe z.B. die Finanzialisierung. Die Investmentbanken sind nicht "ein störender" Faktor im Kapitalismus, sondern Kapitalismus, also Geld mit Geld machen, in reinform.

  • Auch hinter Investmentbanken steckt ein Systemischer Zwang. Wenn die Erwartungen in Kapitaleinkünfte die Möglichkeiten der Realwirtschaft übersteigen Renditen zu generieren (alle schon Kredite haben die sie wollen), sind diejenigen die das Investitionskapital verwalten, also die Banken, gezwungen andere Wege zu finden Geld aus Geld zu machen um dem Erwartungsdruck der Kapitalisten nachzukommen.

  • Es gibt unterschiedliche Definitionen des Kapitalismus, aber in den sozial und geschichtswissenschaften ist man sich mehr oder weniger einig, dass der Kapitalismus vier in unserer Gesellschaft dominierende Grundmerkmale hat:


    1. Wettbewerbsordnung (Konkurrenz) in der Wirtschaft. D. h. Marktwirtschaft

    2. Privateigentum an den Produktionsmitteln

    3. Profitmaximierung als Ziel aller wirtschaftlicher Unternehmung

    4. Lohnarbeit als das am meisten verbreitete Arbeitsverhältnis


    Ulrike tut jetzt so, als ob es das alles schon in der heutigen Form vor der Industrialisierung gab. Das alles noch kein Kapitalismus ist. Kapitalismus laut ihr ist dann der Fokus auf den Einsatz von Technologie. Das stimmt halt aber nicht. Technologie ist nur ein einziges Merkmal des Kapitalismus, weil Unternehmen durch den Einsatz von Technologie einen Produktivitätsfortschritt im Wettbewerb für sich schaffen können. Das geht aber nur, wenn die anderen Merkmale auch schon existieren, weil sie zusammenhängen.


    Im Mittelalter, und da sind sich auch nicht-bürgerliche Soziologen und Historiker mehr oder weniger einig, bestand im Gegensatz zum Kapitalismus aus diesen Merkmalen:


    1. Wettbewerb und Märkte wurde stark reguliert bis ins kleinste Detail durch Zünfte und Gilden (e. p. thompson moral economy)

    2. Gemeinschaftseigentum war am meisten verbreitet (z. B. Gemeinschaftsweiden, legal-pluralism, unterschiedliche Personen hatten unterschiedliche Rechte an Eigentum)

    3. Die Subsistenz war das Ziel von wirtschaftlicher Unternehmung

    4. Leibeigenschaft, verschiedene Formen von Arbeitsverhältnissen, die in Herrschaftsbeziehungen eingebunden waren, Lohnarbeit war die Ausnahme


    (im kontrast zu der oberen liste)


    Abgesehen davon:

    Wenn ein Unternehmen sich Wettbewerbsvorteile durch Lobbyismus schaffen kann, zum Beispiel indem das Unternehmen Politiker dazu bringt, protektionistische Maßnahmen für das Unternehmen einzuführen, dann wird das Unternehmen im Wettbewerb bestehen können auch ohne in neue Technologie investieren zu müssen.

    Gleiches Phänomen existiert bei Oligopolen. Weil wenn Unternehmen sehr viel Marktmacht haben, wenn sich wenige einen Markt teilen, dann können sie die Preise erhöhen durch künstliche Verknappung. Das kann auch bei der Value-Chain durch vertikale und horizontale Integration erreicht werden. Und das ist nicht nur ein Versagen der Politik, das sind inhärente Tendenzen des Kapitalismus.

  • Ich denke schon dass es auch schon vor dem Kapitalismus, also zB im Mittelalter, Kapitalakkumulation gab. So eine Reise nach Indien um Gewürze oder Tee zu holen war ja nicht mal eben umsonst zu organisieren. Die Händler die sowas gemacht haben haben also auch erstmal Geld investiert, hatten auch ein Risiko, und sie haben den Mehrwert einkassiert. G - W - G'.

  • Ich denke schon dass es auch schon vor dem Kapitalismus, also zB im Mittelalter, Kapitalakkumulation gab. So eine Reise nach Indien um Gewürze oder Tee zu holen war ja nicht mal eben umsonst zu organisieren. Die Händler die sowas gemacht haben haben also auch erstmal Geld investiert, hatten auch ein Risiko, und sie haben den Mehrwert einkassiert. G - W - G'.

    Die haben aber nur Ware da gegkauft, wo sie reichlich angeboten wurde, und sie dann dort hin verfrachtet und verkauft, wo sie knapp war. Es wurde also eigentlich nicht mehr Geld aus Geld gemacht, sondern nur Geldwerte Güter von einem Teil der Welt in einen anderen Teil umverteilt. Es fand dabei kein Wachstum durch die Produktion selbst statt.

    Solche Reisen waren zudem ein ziemlich riskantes Geschäft, weil sie oft durch unwegsames oder feindliches Gebiet, oder durch stürmische Meere, voller Piraten und feindlicher Schiffe führten.

    Die erste Aktienbörse entstand wahrscheinlich mit der holländischen Ostindienkompanie (nach deren Vorbild dann die mächtige British East India Company aufgebaut wurde). Die reichen amsterdamer Händler haben sich damals zusammengeschlossen und Aktien verkauft, um den Bau von Schiffen für den Warentransport zu finanzieren. Die Aktien wurden dann auch gehandelt und selbst zum Instrument der Geldvermehrung. Das war allerdings erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts, also schon lange nicht mehr im Mittelalter.


    Auch da war die Grundlage der Investitionen zunächst nur der Handel mit in Europa knappen Gütern. Das war zwar schon eine Vorstufe zum modernen Finanzmarkt, die später dazu beitrug, dass die Industrialisierung überhaupt fiannziert werden konnte, aber es traf eben zunächst nur auf das Handelsgeschäft der Bürger in einigen großen Städten zu, und der größte Teil der Bevölkerungen in Europa hatte damit überhaupt nichts zu tun, weil die weiter mit ein bisschen Handwerk und sehr viel Landwirtschaft beschäftigt waren.


    Erst der moderne Industriekapitalismus hat die Knappheit als Grundlage des Profites durch die maschinelle Massenproduktion beseitigt, laufende Produktivitätsfortschritte ins Zentrum der Investitionen gerückt und somit dauerhaftes Profitwachstum ermöglicht. Das Risikokapital für riskante Handelsreisen um die Halbe Welt wurde zur "sicheren" Kapitalanlage in die heimische Produktion, und das Bankengeschäft des "Geld zu mehr Geld"-Machens auf eine viel berechenbarere und planbarere Basis gestellt, die dann auch eine entsprechende Ausweitung der Finanzmärkte beförderte und neues Investitionspotenzial freisetzte.

  • Es kamen durch die Otindienkompanie nicht nur Gewürze nach Europa sondern auch die Erzeugnisse in Europa, vor allem Textilien aus England und Holland/Belgien, in den Rest der Welt.


    In der Textilproduktion begann auch die Industrialisierung durch Investitionen in eine frühe Form der Massenproduktion. Die von den Commons vertriebenen Landarbeiter/innen wurden zu Hungerlöhnen in diesen protofabriken Beschäftigt. Historisch wird diese Phase als die Enstehenung des Frühkapitalismus bezeichnet. Angetrieben wurde das durch die Reichtümer die durch den Kolonialismus sich bei einigen Kaufleuten und Adligen konzentrierten, aber ohne die Verfügbarkeit erpressbarer Arbeitskräfte wäre der Kapitalismus möglicherweise nicht entstanden.


    Zitat

    "Das Handelskapital brachte nicht als solches die fabriksmäßige Produktionsweise hervor, sondern es entstand auf dem Boden des von ihm errichteten Welthandelssystems. Damit aber, daß das Handelskapital das Industriekapital freisetzte, war seine historische Rolle ausgespielt. Das Industriekapital löste sich aus der Umklammerung durch das Handelskapital." (Peter Kriedte)

    In dieser Phase enstanden auch die Bedingungen im Geld und Bankensystem die es einigen ermöglichten "Ihr Geld arbeiten zu lassen" (auch genannt Kapitalisten). Leistungslose Vermögenseinkommen von Kapitalisten sind das eigentliche Merkmal des Kapitalismus.


    Nach Marx entstehen in dieser Phase durch die ökonomische Gesellschaftsformation die Klassen der Kapitalisten und Arbeiter.

  • Es kamen durch die Otindienkompanie nicht nur Gewürze nach Europa sondern auch die Erzeugnisse in Europa, vor allem Textilien aus England und Holland/Belgien, in den Rest der Welt.

    Ja schon - aber doch vor allem durch die britische Ostindienkompanie, die erst ab Mitte des 18. Jahrunderts so richtig fahrt aufnahm, und dem britischen Imperialismus zu seiner führenden Handelsmacht in der Welt verhalf, als das britische Manufakturwesen schon weit fortgeschritten war und Adam Smith seine berühmten Theorien zum Wohlstand der Nationen veröffentlichte.


    Die holländische Ostindienkompanie war zu Beginn des 17. Jahrhuderts, als die Amsterdamer Börse entstand, noch wesentlich stärker auf den Import knapper Güter fixiert, und vor allem wurde sie damals nicht ansatzweise so stark durch ein Königshaus massiv gefördert und mit staatlich legitimierter Gewaltausübung in den Kolonien beauftragt, wie ihre britische Nachfolgerin.

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