Morgen (Dienstag), ab 17 Uhr LIVE
Politikwissenschaftler Oliver Weber über u.a. Ideengeschichte, Liberalismus, Kapitalismus, Eigentum und Philosophie
Her mit euren Fragen!
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Der Faschismus gilt heute in der westlichen freien Welt allgemein als Erzfeind des Liberalismus. Zur Zeit versucht der bürgerliche Mainstream der veröffentlichten Meinung gerade, auch linke Kritik an der Krisenpolitik der Bundesregierung in die Nähe faschistoider Bewegungen zu rücken, um sie so als anti-liberal, oder gar als Instrument eines freiheitsfeindlichen, russlandfreundlichen Putinismus zu diskreditieren.
Dabei wird häufig nur die politische Seite des Liberalismus - "Liberté, Egalité, Fraternité" - zu dessen fundamentalen Werten erhoben. Vernachlässigt wird der materielle, ökonomische Aspekt, der den Schutz des Privateigentums zum Kern der bürgerlichen Freiheit macht und dabei massenhafte Unfreiheit für die Eigentumslosen befördert.
Seit der neoliberalen Wende in den 70er und 80er Jahren wurde gerade der ökonomische Aspekt des Liberalismus als Ausweis größtmöglicher individueller Freiheit gesehen und dem planwirtschaftlichen "Kollektivismus" des "real existierenden" Sozialismus als bessere Alternative gegenüber gestellt.
Seit der "Zeitenwende" scheint sich der Wind allerdings wieder gedreht zu haben und der bürgerliche Mainstream stimmt mit der politischen Führung darin überein, dass den politischen Werten der "freien, gleichen und brüderlichen" Gesellschaft im Kampf gegen die Feinde der Freiheit Vorrang vor ökonomischen Aspekten gewährt werden solle.
Der Widerspruch der im Liberalismus formulierten politischen Ansprüche mit seinen eigenen ökonomischen Voraussetzungen im Kapitalismus tritt jedoch dort offen zu Tage, wo die ökonomische Freiheit der Konzerne, mit billigen Rohstoffen Profite zu erwirtschaften, mit jener der privaten Haushalte kollidiert, ihren Lebensunterhalt bezahlen zu können.
Die politische Führung widerspricht sich schlussendlich permanent selbst, wenn sie zwar den Kampf gegen die Feinde der politischen Freiheit als Legitimation für die Einschränkung der ökonomischen Freiheit anführt, aber dann autoritär verfügt, dass die freien Individuen für die Verluste des privaten Kapitals aufzukommen haben, damit der europäische Energiemarkt nicht zusammenbreche, und somit die ökonomische Freiheit der KapitaleigentümerInnen aufrecht zu erhalten.
Was hältst Du von der These (die z.B. vom Ideenhistoriker Ishay Landa vertreten wird), dass der Faschismus eigentlich als eine Konsequenz aus einem letztendlich ökonomisch begründeten Liberalismus und dessen Betonung des freien Wettbewerbs entstand, und dass sich daraus eine sozialdarwinistische Ideologie formte, die gleichzeitig den individuellen Wettbewerb als Kampf in einem "natürlichen" Ausleseprozess propagierte, und dabei einen totalitären Staat formte, der die individuelle politische Freiheit der eigenen "Volksgemeinschaft" dem Kampf gegen ihre politischen Feinde opferte?
Oder - weil man ja hier nur noch ganz einfache, kurze Fragen stellen soll:
(ganz naiv):
Was wurde zuerst entpolitisiert: Die Massenmedien oder das Bürgertum?
(einfach so) :
Was hältst du von Magazinen wie ZAPP? Ist Selbstkontrolle innerhalb eines Organs möglich, oder nur Scheinreflektion?
Wie kann es sein, dass liberales Denken, nach all den Krisen, die der Liberalismus in den letzten 200 Jahren hatte, immernoch so stark verbreit ist?
Ein instruktives Beispiel für Vorstellungen von Landbesitz im Mittelalter im Vergleich zu heute:
Im Mittelalter hatte z. B. ein Grundherr auf seinem Landbesitz auch die Rechtsprechung darauf inne. Heutzutage kann ich natürlich auch Land besitzen, habe aber nicht das Recht der Rechtsprechung darauf. Das hat der Staat.
Falls es jemanden interessiert, wie die Revolutionäre der Französischen Revolution die Eigentumsordnung in Frankreich neu formiert und ausgelegt haben. Es gibt ein gutes Buch dazu:
The Great Demarcation. The French Revolution and the Invention of Modern Property. Rafe Blaufarb.
Eigentlich ein sehr enttäuschendes Gespräch. Die riesigen Probleme (Klima und Ungleichheit natürlich) werden zwar gesehen und anerkannt, aber irgendwie hat man dann doch keine Lösung und findet alles ganz gut so wie es ist. Und Querdenker sind natürlich ganz schlimm! (Nicht dass ich die toll fände, aber eine Einteilung in gute und schlechte Demonstrationen lehne ich ab.)
Eigentlich ein sehr enttäuschendes Gespräch. Die riesigen Probleme (Klima und Ungleichheit natürlich) werden zwar gesehen und anerkannt, aber irgendwie hat man dann doch keine Lösung und findet alles ganz gut so wie es ist. Und Querdenker sind natürlich ganz schlimm! (Nicht dass ich die toll fände, aber eine Einteilung in gute und schlechte Demonstrationen lehne ich ab.)
Er ist halt noch ein relativ junger Akademiker. Bei einem Professor, der seit Jahrzehnten zu Themen forscht, würde das anders aussehen. Aber ich fands interessant. Ideengeschichte ist halt auch ein eher abstraktes Forschungsgebiet und der Unterschied zur Philosophie ist nicht scharf getrennt. Probleme gibt es halt, wenn man in der Ideengeschichte z. B. den Staat von Plato (mit dem er die Polis meint) mit dem modernen Staat gleichsetzt und so sachen.
Widerspricht sich klassisch liberal und links eigentlich? Das habe ich nicht wirklich verstanden. Kann man nicht beides gleichzeitig sein?
Widerspricht sich klassisch liberal und links eigentlich? Das habe ich nicht wirklich verstanden. Kann man nicht beides gleichzeitig sein?
Als Ideologie des Bürgertums würde ich sagen Nein (zweite frage) . Der Klassische Liberalismus richtete sich in erster Linie gegen den Absolutismus und gegen die feudalen Privilegien von Adel, Klerus und König. Viele dieser Herrschaftsformen existieren heute nicht mehr. Mit der weitgehenden Beseitigung der feudalen Verhältnisse sind allerdings neue Formen von Herrschaft und Abhängigkeiten entstanden, die einer Emanzipation der Menschen bis heute im Wege stehen. Es gibt aber einzelne klassische Liberale, mit denen man durchaus eine linke Philosophie begründen kann, wie John Stuart Mill, John Locke oder Wilhelm von Humboldt. Aber das ist dann wie Rosinen picken.
Hier mal ein nettes Zitat von Humboldt, das ich als Grundlage für links-libertäre Philosophie sehen würde:
Zitat... man never regards what he possesses as so much his own, as what he does; and the labourer who tends a garden is perhaps in a truer sense its owner, than the listless voluptuary who enjoys its fruits…In view of this consideration, it seems as if all peasants and craftsman might be elevated into artists; that is, men who love their labour for its own sake, improve it by their own plastic genius and inventive skill, and thereby cultivate their intellect, ennoble their character, and exalt and refine their pleasures. And so humanity would be ennobled by the very things which now, though beautiful in themselves, so often serve to degrade it…But, still, freedom is undoubtedly the indispensable condition, without which even the pursuits most congenial to individual human nature, can never succeed in producing such salutary influences. Whatever does not spring from a man’s free choice, or is only the result of instruction and guidance, does not enter into his very being, but remains alien to his true nature; he does not perform it with truly human energies, but merely with mechanical exactness…
…we may admire what he does, but we despise what he is.
Wilhelm von Humboldt
Die eigenen Kontrolle über seine Arbeit ist sehr wichtig. Solange Menschen nicht die Kontrolle über ihr ökonomisches Leben haben, kann niemals ihre volle Emanzipation erreicht werden.
Man muss wohl einfach streng zwischen wirtschaftlichen Freiheiten und den Grundfreiheiten differenzieren. Dann macht für mich alles Sinn. Der letzte Absatz auf Wikipedia erklärt es mMn gut mit Mills:
ZitatJohn Stuart Mill, der sich nach seinen Wandel gegen den klassischen Liberalismus wendete, sieht die wirtschaftlichen Freiheiten nicht gestützt durch sein "Freiheitsprinzip", da Handel im Gegensatz zu Angelegenheiten der Grundfreiheiten soziale Akte und nicht notwendig sind, die Individualität zu verwirklichen und die eigenen menschlichen Fähigkeiten auszuüben. Laut Mill üben Bürger ihre Individualität aus, wenn diese nach einem Lebensplan aus Handlungen leben, die aus der freien Ausübung und Selbstentfaltung der höheren Fähigkeiten der Vernunft, des Verstandes, der schöpferischen Vorstellungskraft, Gefühle und moralische Empfindung besteht. Zudem gehört es zur Individualität, gemäß den Regeln der Gerechtigkeit das eigene Handeln zu regeln. Individualität ist essentieller Bestandteil der permanenten Interessen des Bürgers als progressives Wesen, was für Mills Grundlage für das Freiheitsprinzip bildet. Zwar hält er an dem freien Markt fest, aber unterscheidet zwischen dem ihn leitenden (Natur-)Gesetzen der wirtschaftlichen Produktion, die im freien Markt mit ihren Preisen universell eine effiziente Allokation zuweist und den Gesetzen der Verteilung, die sich aus gesellschaftlich festgelegten institutionelle Einrichtungen ergeben. So ist bei Mill die Rechtfertigung des freien Marktes nebst aus Gründen der freien Berufswahl ("Freiheit der Lebensgestaltung und des Geschmacks") losgelöst von der Einkommens- und Vermögensverteilung, die sich daraus ergeben. Damit ist also ohne Weiteres kein Recht auf absolutes Privateigentum gerechtfertigt, sondern lediglich auf qualifiziertes Privateigentum, falls sie effizient und für die Gesellschaft zweckmäßig sind. Beispielsweise können Vermächtnisse durch Besteuerungen und Land begrenzt werden, um Vermögensanhäufung und Ungleichheiten vorzubeugen, die Chancenungleichheiten verstärken können, was Erwägungen der Chancengleichheit unter die des Rechts auf Privateigentum und dem Vertragsrecht unterordnet.
(Klassisch) liberale Ideen gehören für mich eigentlich untrennbar zu linken Ideen. Bis zu einem bestimmten Punkt, von dem an man Privateigentum einschränken darf und muss.
(Klassisch) liberale Ideen gehören für mich eigentlich untrennbar zu linken Ideen.
Wenn es dabei um individuelle Freiheit im Sinne einer negativen Freiheit von Unterdrückung durch andere geht stimmt das sicher, aber...
ZitatZwar hält er an dem freien Markt fest, aber unterscheidet zwischen dem ihn leitenden (Natur-)Gesetzen der wirtschaftlichen Produktion, die im freien Markt mit ihren Preisen universell eine effiziente Allokation zuweist
...diese hier von J.S. Mill geteilte Vorstellung, der freie Markt werde von "Natur-"Gesetzten der wirtschaftlichen Produktion geleitet ist allerdings das genaue Gegenteil dessen was Linke seit Marx' Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses eigentlich schon mal verstanden hatten.
Alle weitere "Freiheit", die jenen Prozess zur Grundlage hat, ist zwingend darauf angewiesen, dass er so funktioniert wie er funktioniert - dass er also menschliche Arbeit und natürliche Ressourcen ausbeutet, um daraus Waren herzustellen und dieselben dann auf dem Markt zu Geldwerten zu realisieren, die sich die Kapitaleigentümer überproportional aneignen.
Die "effiziente Allokation" wird dabei eben nicht vom Markt besorgt, sondern schon bei der Umverteilung von Arbeit zu Kapital, die in der Produktion stattfindet. Der Markt kann dann nur nach Kaufkraft allozieren und die ist nunmal im Kapitalismus da am größten, wo sich der meiste Mehrwert ansammelt.
Diese materielle Basis der bürgerlichen "liberalen" Gesellschaft ist aber eben kein Naturgesetz, sondern Resultat einer von Menschen gemachten historischen Entwicklung. Und was Menschen erschaffen können sie auch zerstören.
So wie ich es verstehe entspringt der Sozialismus gar dem klassischen Liberalismus, denn Freiheit ist ja nun zB ein bedeutender Teil von Liberté, Egalité und Fraternité und so weiter. Was soll es denn wenn alle gleich sind aber nicht frei? Interessanter ist da der Gegensatz zw Sozialismus und Liberalismus im Sinne der wirtschaftspolitischer Vorstellungen der bedeutendsten Vertreter der klassischen Nationalökonomie und der Freihandelslehre. Wirtschaftsliberal ist Oliver anscheinend nicht. Wenn er aber sagt dass er klassischer Liberaler sei, dann weiss ich damit nichts anzufangen, weil es alles und auch nichts bedeuten kann. Er kann damit rechts oder links stehen. Es ist für mich nicht greifbar. So habe ich auch das ganze Gespräch wahrgenommen. Irgendwie an den wirklichen Problemen vorbei.
Nur war die Französische Revolution halt keine "sozialistische" im heutigen Sinn.
Danach war zwar die Adelsherrschaft beendet (bevor sie dann erstmal durch den revolutionsoffizier Bonaparte durch die Hintertür wieder eingeführt wurde), aber das gehobene Bürgertum, also quasi der Geldadel, übernahm dann nach dem postrevolutionären Chaos als herrschende Klasse den Laden.
In Amerika waren es zur gleichen Zeit die reichen Großgrundbesitzer und Sklavenhalter die letztendlich nach dem Unabhängigkeitskrieg die USA gründeten, und zwar "we the people" ganz vorne in ihre Verfassung rein schrieben, aber damit eigentlich nur ihresgleichen meinten, und das politische System von Anfang an so konstruierten, dass der gemeine Pöbel sich keine allzu große demokratische Mitbestimmung anmaßen konnte.
Ohne diese bürgerlichen Revolutionen hätte es natürlich auch keinen Sozialismus und keine Demokratie gegeben, aber sie waren gleichfalls auch die Vorraussetzung dafür, dass sich der Kapitalismus bis zur Industrialisierung entwickeln konnte.
Was mir nur aufgefallen ist, aber vielleicht bin ich diesbezüglich ein wenig hypersensibel: Tilos wiederholte Andeutungen, ob es nicht vielleicht Alternativen brauche zur Demokratie, wenn man die dringenden Probleme wie den Klimawandel lösen will.
Autoritarismus liegt wohl mächtig im Trend, siehe auch Analena „fuck the voters“ Baerbock.
das fand ich auch total weird aber er kann sich ja mal gerne hier äußern, würde auch gerne wissen was er von der causa baerbock hält
Ich sehe die französischen und amerikanischen Revolutionen schon eindeutig als Schritte in der Entwicklung des Sozialismus. Der war ja nicht einfach plötzlich da. Er entwickelt sich ja immer noch.
Ich sehe die französischen und amerikanischen Revolutionen schon eindeutig als Schritte in der Entwicklung des Sozialismus. Der war ja nicht einfach plötzlich da. Er entwickelt sich ja immer noch.
Puh, das ist mal viel am Stück raus gehauen.
Die französische Revolution hat anfangs viel mit der amerikanischen gemein, bis hin zu den Akteuren. Allerdings fehlen der amerikanischen Revolution einige Elemente die die Franzosen gleich mit erledigen, bei den Amis wird das dann im civil war nachgeholt, der grand terror vor allem.
Zu welchem Sozialismus das führte kann man jetzt ganz nach ideologischer Brille betrachten, einerseits fallen da ganz viele liberale Ideen ab, andererseits werden auch die Grundlagen des Faschismus mit gelegt, oder eben dessen, was von begeistert gebliebenen Sozalisten, als "einmal realexistierender Sozialismus" abgetan wird...
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