#587 - Hartz-4-Expertin Helena Steinhaus ("Sanktionsfrei!")

  • Donnerstag (11. August), ab 18 Uhr, LIVE



    Zu Gast im Studio: Helena Killian-Steinhaus, Gründerin von "Sanktionsfrei". Sanktionsfrei ist ein 2015 gegründeter eingetragener Verein zur Unterstützung von Hartz-IV-Empfängern. Er bietet insbesondere Unterstützung für diejenigen, die von einer SGB-II-Sanktion betroffen sind, und setzt sich für ein Ende solcher Sanktionen ein. Des Weiteren macht der Verein Öffentlichkeitsarbeit. In bundesweiten Kampagnen thematisiert er die gesellschaftliche Situation von Erwerbslosen und kritisiert das als mangelhaft empfundene Hartz-IV-System.


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  • • Wenn 'Sanktionsfrei' als eingetragener Verein als gemeinnützig anerkannt ist – sind dann Sanktionen anerkannt gemeinschädlich?


    • Hat oder wünscht sich "Sanktionsfrei e.V." direkte Kontakte zum BMAS, BMJ oder BA; evtl. sogar zu Hubertus Heil, Marco Buschmann oder Andrea Nahles?


    • Da ab kommenden Herbst mit einem Zuwachs an sozialer Benachteiligung zu rechnen ist: Darf man diesbezüglich mit verstärkter Kampagnentätigkeit rechnen – und falls ja: Welche Organisationen wären hierfür als Mitstreiter willkommen?

  • Erste Frage:

    Der Ton in den Schreiben des JobCenters an seine "Kunden" ist grundsätzlich erpresserisch, indem z.B. die komplette Einstellung der Zahlung - versehentlich oder prophylaktisch - angekündigt wurde und wird (mal "falscher Textbaustein gesendet" oder mal aufgrund bloßer Annahme möglicher Einkünfte). Alleinstehende oder Alleinerziehende verbringen grauenhafte Wochenenden, wenn sie Freitag Nachmittag mit solchen Ankündigungen im Postkasten konfrontiert werden! Gibt es einen Plan, auch die Art der Kommunikation zu verändern?


    Zweite Frage:

    Wie steht es künftig um die "Residenz"pflicht = Ortsanwesenheitspflicht für Hartz IV-Empfänger?

  • • Hat oder wünscht sich "Sanktionsfrei e.V." direkte Kontakte zum BMAS, BMJ oder BA; evtl. sogar zu Hubertus Heil, Marco Buschmann oder Andrea Nahles?

    Etwas allgemeiner gefragt:


    • Weiß Helena, wie oft sich die zuständigen MinisterInnen und BundesbehördenleiterInnen mit Arbeitgeberverbänden beraten, bzw. wie das Verhältnis solcher Beratungsrunden zu denen mit VetreterInnen der Sozialverbände ist?
      • Wo stehen dabei die Gewerkschaften?
      • Gibt es da Unterschiede oder womöglich gar Inberessenkonflikte zwischen z.B. der Industriegewerkschaft IG Metall und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi?
  • Welche Probleme sieht Helena neben der Sanktionspraxis, die bei einer ernsthaften Hartz IV Reform oder einem BGE-Modell dringend berücksichtigt und behoben werden sollten?


    Oder anders gefragt: Wie sollte ein BGE/ALG Modell aussehen, das nennenswert sozial gerechter/sinnvoller aufgebaut ist, als der status quo?

  • Erfrischend, in einem Interview die Antwort "weiß ich nicht" zu hören. Scio nescio – eine Ehrlichkeit, die auch manch anderen Interiewten gut zu Gesicht stünde.


    Erhellend, den aus Begegnungen mit Mächtigen genährten Rat zu bekommen, mehr öffentlichen medialen Druck aufzubauen.

  • Schön, dass sie sich auf die bescheuerte Frage zu den "Faulen" "Kunden" nicht ernsthaft eingehen wollte.


    Dass die bei ihrer behördlichen Disziplinierung zu ordentlich verwertbaren Arbeitskräften und braven DienstleisterInnen am Bruttoinlandpsrodukt, gar nicht so richtig mitmachen wollen, erklärt sich eigentlich von selbst.


    Aber "auf Lau" in der sozialen Hängematte liegen, darf natürlich nicht sein, wenn man sich statt dessen beim Lieferdienst fit radeln, oder sich beim einräumen von Supermarktregalen für Mindestlohn "nützlich" machen könnte.

  • Die größte Dreistigkeit war, dass die regierenden Parteien genau gewusst haben, dass die Sanktionsregelung verfassungswidrig ist. Das BVerfG hat sich bei dem Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Bedarfs-Ermittlung dazu geäußert. Deswegen haben CDU/SPD/FDP und GRÜNE eine gerichtliche Klärung 15 Jahre lang verhindert. Ich wusste vorher gar nicht das sowas überhaupt geht. Mit verfassungswidrigen Gesetzen arbeiten.


    Und das sind dieselben Leute, die von einem "Verfassungs-Patriotismus" schwadronieren. Schon witzig.

  • Mit verfassungswidrigen Gesetzen arbeiten.

    Dann schau dir halt mal die Liste an Gesetzen an, welche vom Verfassungsgericht bisher einkassiert wurden. Bis zu dem Zeitpunkt wo die einkassiert werden, sind sie erstmal bestehend. Die wirkliche Schweinerei ist, dass Gesetze offensichtlich wohl wissend um deren Verfassungswidrigkeit trotzdem erlassen werden, da in unserer Gesellschaft die Mächtigen (das zählt ja nicht nur für die Politik) selten wirklich Konsequenzen für eigenes Fehlverhalten zu befürchten haben.

  • Dann schau dir halt mal die Liste an Gesetzen an, welche vom Verfassungsgericht bisher einkassiert wurden. Bis zu dem Zeitpunkt wo die einkassiert werden, sind sie erstmal bestehend. Die wirkliche Schweinerei ist, dass Gesetze offensichtlich wohl wissend um deren Verfassungswidrigkeit trotzdem erlassen werden, da in unserer Gesellschaft die Mächtigen (das zählt ja nicht nur für die Politik) selten wirklich Konsequenzen für eigenes Fehlverhalten zu befürchten haben.

    Rechtsauffassungen ändern sich mit der Zeit. Ein Gesetz, dass früher verfassungskonform war, ist es heute vielleicht nicht mehr und wird einkassiert vom BVerfG.


    Was ich nicht wusste war, dass verfassungswidrige Gesetze Bestandsschutz haben, also auch nach dem Urteil des BVerfG weiter gelten. Und dass man den Klageweg zum BVerfG blockieren kann. Ich hatte die naive Vorstellung, wenn ein Gesetz verfassungswidrig ist, klagt man als Betroffener hoch bis zum BVerfG und damit ist das Gesetz aufgehoben.

  • Rechtsauffassungen ändern sich mit der Zeit. Ein Gesetz, dass früher verfassungskonform war, ist es heute vielleicht nicht mehr und wird einkassiert vom BVerfG.

    Ich glaube nicht, dass die Änderung der Rechtsauffassung bei den Verfahren der Normenkontrolle der dafür begründende Regelfall sind und kann mir auch nicht vorstellen wie das ablaufen sollte.


    Was ich nicht wusste war, dass verfassungswidrige Gesetze Bestandsschutz haben, also auch nach dem Urteil des BVerfG weiter gelten. Und dass man den Klageweg zum BVerfG blockieren kann. Ich hatte die naive Vorstellung, wenn ein Gesetz verfassungswidrig ist, klagt man als Betroffener hoch bis zum BVerfG und damit ist das Gesetz aufgehoben.


    https://www.bundesverfassungsg…er-entscheidung_node.html


  • Das System ist in vielen Punkten unglaublich ausbaufähig, absolut korrekt.

    Als Mitarbeiter im Jobcenter finde ich bei dem Talk sehr schade, dass hier in vielen Punkten ein „weiß ich nicht so genau“ kommt. Bin gespannt, wie schlau die Bundesregierung es zukünftig löst.

  • Was ich nicht wusste war, dass verfassungswidrige Gesetze Bestandsschutz haben, also auch nach dem Urteil des BVerfG weiter gelten. Und dass man den Klageweg zum BVerfG blockieren kann. Ich hatte die naive Vorstellung, wenn ein Gesetz verfassungswidrig ist, klagt man als Betroffener hoch bis zum BVerfG und damit ist das Gesetz aufgehoben.

    Das kommt auf das BVerfG-Urteil an, wenn da drin steht §xy ist gegenstandslos dann ist er weg. Meist gibt das BVerfG Fristen für Nachbesserungen aus.

  • Das kommt auf das BVerfG-Urteil an, wenn da drin steht §xy ist gegenstandslos dann ist er weg. Meist gibt das BVerfG Fristen für Nachbesserungen aus.

    Tja, stand in diesem Fall nicht drin. Die Tatsache, dass das Gesetz gegen Paragraph 1 (Menschenwürde) verstößt, ist dafür offenbar nicht ausreichend. Was ich auffällig fand ist, dass nachdem 15 Jahre mit dem alten verfassungswidrigen Gesetz gearbeitet wurde, die Regierungskoalition angekündigt hat, dass die Sanktionen weg sollen. Schwupps, war die Klage auf einmal beim Bundesverfassungsgericht. Hätten CDU/FDP nochmal 10 Jahre regiert, hätte es wohl 25 Jahre gedauert mit der Klage.

    Ich glaube nicht, dass die Änderung der Rechtsauffassung bei den Verfahren der Normenkontrolle der dafür begründende Regelfall sind und kann mir auch nicht vorstellen wie das ablaufen sollte.

    Naja. Beispielsweise versteht das BVerfG heute etwas völlig anderes unter dem Begriff "Ehe" als das BVerfG von 1960. Insofern kommt bei einer Normenkontrollklage dann auch etwas anderes heraus.

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