LIVE-EVENT am 16.8. zu Ungleichheit & Wachstumszwang

  • Tolle Veranstaltung und Danke an "Jung und Naiv", aber leider bin ich schon enttäuscht.


    Insbesondere dass auch in einer solchen Runde nicht darüber gesprochen wird, dass Wachstum in absehbarer Zukunft sicher nicht mehr stattfinden wird. Es scheint so als wäre es "wünschenswert" auf Wachstum zu verzichten und nicht unausweichlich. (Auch wenn Tilo das öfters in die Richtung steuern wollte kam da von den Beteiligten nichts)


    Die "Grenzen des Wachstums" kamen mal vor, aber was das bedeutet wurde nicht diskutiert.

    Steuern wir auf den Kollaps zu, den die Limits to Growth Studie, aber auch viele neue Studien uns vorhersagen?

    Sind Nachhaltigkeit und Kapitalismus überhaupt vereinbar?

    Was passiert wenn unsere Wirtschaft unkontrolliert einbricht, wir also nicht freiwillig, sondern gezwungenermassen zu "degrowth" kommen?


    Diese Fragen habe ich schmerzlich vermisst.


    Und bitte Maurice, Recht auf Arbeit, WTF? Maurice und ich sind in so ziemlichen allen Fragen völlig unterschiedlicher Meinung. (edit: beim Thema Wachstum)


    Dazu nur Kurz, CO2 Einsparungen fanden nur dann in der Vergangenheit statt wenn weniger gearbeitet wurde. Arbeit und CO2 Emissionen sind Eng miteinander Verknüpft. (Wissenschaft dazu)

    (Disclaimer: bei einer gleichzeitigen Reduktion der Arbeitszeit auf 20 Stunden mit vollem Lohnausgleich wäre ich einverstanden, glaube aber nicht, dass er das meint)

  • Ups - das ist einfach. Habe die Sendung erst heute (20.8.) gesehen. Mein Kommentar zu

    Wachstum

    Ich glaube die Diskussion ging ein bisschen am Thema vorbei.
    Wir könnten aus vielerlei Gründen uns beim Wachstum einschränken und sollten dies auch tun - OK. Aber dies sprengt unsere Gesellschaftsordnung, denn diese ist auf Rendite, Gewinn, Mehrwert ausgelegt. Meßmaber Grtößen, die wir in Geld ausdrücken. Sonst wird kein Unternehmen investieren, wenn kein MEHR(wert) herauskommt. So wie der Bäcker bei Adam Smith nicht Brot backt, damit ich satt werde (Gebrauchswert), sondern damit er Gewinn macht (Tauschwert/Wert).

    Nehme ich 1.000 in die Hand erwarte ich nach einer Zeit 1.100 (je nach Zins). Die Profitrate fällt (tendenziell) und diese Diskussion gab es ja schon zum Ende des 19. Jahrhunderts.

    Sich vom Wachstum verabschieden bedeutet somit eine andere Gesellschaft (der Allmende?) zu haben und nicht mehr den Kapitalismus - kann man machen, muss es aber auch so benennen. Eins geht nicht ohne das andere.

  • Der Begriff des Wachstums ist stark verbunden mit dem der Moderne. Deswegen hat man hat Anfang des 20. Jahrhunderts Theorien der Modernisierung entwickelt, in denen Wachstum eine zentrale Rolle gespielt hat. Wieso war das zentral in diesen Theorien? Das kommt halt daher, dass es eine Gesellschaft geben hat, die es geschafft hat, sich aus den feudalen Ketten zu befreien, um in ein Zeitalter einzutreten, in dem es zum ersten Mal zu permanentem und sich selbst erhaltendem Wachstum gekommen ist. Und das war halt England. Und was man über die Generationen hinweg in der englischen Gesellschaft beobachten konnte, war, dass Wachstum letztenendes zu so etwas führt wie Sozialdemokratie. Erst Wachstum, dann Wohlstand, technologische Innovation, Arbeiterrechte, parlamentarisch-repräsentative Demokratie, sozialdemokratische Institutionen ect. Elektrizität usw. (nicht unbedingt in der Reihenfolge). Und deswegen ist halt das Wachstumsnarrativ noch so verbreitet bis heute. Man hat auch versucht, diese Modernisierungstheorien auf Entwicklungsländer anzuwenden, was zu katastrophalen Verwerfungen geführt hat. Es gab eben besondere Bedingungen in den westlichen Ländern, die zur Industrialisierung geführt hat.

  • Marcel Fratzscher halt, wie man heutztage sagt, todeslost. Erkennt er nicht, dass es ein Machtproblem gibt, wenn die Vermögens- und Einkommensungleicheit immer weiter ansteigt? Wie will man Sozialpolitik machen, wenn eine Wirtschaftselite die Politik vereinnahmt?

  • Marcel Fratzscher halt, wie man heutztage sagt, todeslost. Erkennt er nicht, dass es ein Machtproblem gibt, wenn die Vermögens- und Einkommensungleicheit immer weiter ansteigt? Wie will man Sozialpolitik machen, wenn eine Wirtschaftselite die Politik vereinnahmt?

    Wie kann man Ökonom sein, aber den Kapitalismus nicht kapieren?


    Hier eine Hilfestellung für Marcel Fratzscher von einem der als ziemlich schlau gilt (aber was weis der alte Albert schon, der war ja nur Physiker und nicht Ökonom):


    Private capital tends to become concentrated in few hands, partly because of competition among the capitalists, and partly because technological development and the increasing division of labor encourage the formation of larger units of production at the expense of smaller ones. The result of these developments is an oligarchy of private capital the enormous power of which cannot be effectively checked even by a democratically organized political society. This is true since the members of legislative bodies are selected by political parties, largely financed or otherwise influenced by private capitalists who, for all practical purposes, separate the electorate from the legislature. The consequence is that the representatives of the people do not in fact sufficiently protect the interests of the underprivileged sections of the population. Moreover, under existing conditions, private capitalists inevitably control, directly or indirectly, the main sources of information (press, radio, education). It is thus extremely difficult, and indeed in most cases quite impossible, for the individual citizen to come to objective conclusions and to make intelligent use of his political rights.

    Das scheint mir eine allgemeine Denkschwäche bei Ökonomen zu sein dass sie den Kapitalismus garnicht kapieren, wahrscheinlich weil das gesamte Studium dazu dient die wahren Probleme des Kapitalismus zu verschleiern und andere Perspektiven auszublenden. Natürlich ist das was Einstein beschreibt "not a bug, but a feature" des Kapitalismus. Marcel glaubt an die Weiswurst wenn er meint man könnte dieses Feature irgendwie aus dem Kapitalismus wegregulieren.


    Ausserdem, Marcel entwickelt "alternativen zum BIP".

    Die Idee, dass Wirtschaftspolitik im Kapitalismus deshalb zerstörerisch ist und dem Gemeinwohl abträglich weil nicht mit dem richtigen Werkzeug gemessen wird ist sowas von naiv.

    Das BIP ist natürlich das perfekte Instrument für den Kapitalismus und überhaupt nicht untauglich für die Zwecke der Kapitalakkumulation durch Externalisierung. Es macht genau das was es soll, es bemisst wie Reiche auf kosten der Allgemeinheit, der Natur und vor allem Menschen der Zukunft am besten immer reicher werden.


    Wem verkauft er sowas? Warum wird er für sowas bezahlt? Ist er der nette Märchenonkel für Politiker der dem Wolf einen Schafspelz anzieht?

  • John Stuart Mill, Steady-State Theorie.

    Jeder sollte was von Mill lesen. Besonders sein Principles of Political Economy, wo er die reiche Kultur der Bauern und die Kultivierung von ihrem Land beschreibt. Deswegen war Mills Lösung der sozialen Probleme der Industrialisierung auch die der Peasant-Property. Das war die Vision einer agrikulturelle Gesellschaft in der jeder ein freier Bauer mit Landeigentum, das er kultivieren kann, ist. Gleiche Idee war auch Teil der Jacksonian Democracy in den USA, wo der Bürger die Lebensweise der englischen Yeomen (Freisassen) emulieren sollte. Yeomen waren freie Bauern, die unabhängig von anderen auf ihrem eigenen Land gelebt haben und immer das Ideal der Freeborn Englishmen dargestellt haben. Die Yeomen waren auch die treibenden Akteure der Glorious Revolution 1689, die Geburt der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie.

    Ich liebe die Geschichte von England 👌

  • Ich finde es auch etwas merkwürdig, dass er der Meinung ist, er und das DWI beziehen sich auf Wissenschaft. Was meint er damit? Die Neoklassik? Da kann man kaum von neutraler Wissenschaft sprechen, weil die Neoklassik alle Prämissen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse akzeptiert, die in der Theorie in ein axiomatisches System gegossen sind. Es ist ja nicht so, als würde er sich mit post-kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien beschäftigen.

  • Moin nochmal,


    eigentlich muss ich was lesen – egal. Hier noch ein paar Gedanken zu Wachstum.


    Ich denke, wir werden Wachstum brauchen, um die Ressourcen zu schaffen, die wir benötigen, damit 8 Mrd. Menschen auf dieser Welt ein menschenwürdiges Leben führen können. Und wir müssen naturverträglich wachsen, damit wir nicht die Springquellen unserer eigenen Existenz untergraben. Logo – kennen wir:


    „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx, Kapital Bd.1, 1962, S. 530)


    Und wir (d.h. Politik) müssen entscheiden, wo wir wachsen wollen (oder müssen), damit das geschaffene Mehrprodukt nicht (nur?) zum Mehrwert wird. Und bestimmte gesellschaftliche Bereiche müssen wir ggf. zurückholen zu uns – Allende - Gesundheit, Wohnen, Wasser, Kommunikation, Nahrung etc. etc.


    Die müssen ALLEN zur Verfügung stehen überall auf der Welt. Das war 1867 leichter gesagt, wo wir über Nationalökonomie sprachen und internationale Beziehungen meist dann kolonial geprägt waren. Heute ist Globalisierung nicht mehr nur – aber auch – Macht und Hegemonie. Heute ist sie auch Verflechtung.


    Und wir müssen dann doch die von Marx und Engels beschriebene Dynamik des Systems (siehe das komische Manifest – das mit dem Gespenst) erhalten, um Innovation zu erhalten, die wir gerade jetzt brauchen, um die (Um)welt zu retten.


    Der Bäcker backt kein Brot für uns, weil er um unser Wohlergehen besorgt ist, sondern um Geld zu verdienen – die unsichtbare Hand (A. Smith). Glauben wir, aktuelle gesundheitliche Probleme lösen zu können, ohne den Unternehmern die Chance auf Gewinn, Rendite, Profit zu ermöglichen? Man verzeihe mir meine sozialdemokratische Denke. Kann man aber auch bei Schumpeter nachlesen.


    Glauben wir das Migrationsproblem zu lösen, wenn wir die Leute im globalen Süden weiter in schlechten Verhältnissen leben lassen und die Festung Europa verstärken? Oder glauben wir alle sollen doch kommen, wenn sie wollen. Weder noch. Es ist – wie so vieles – eine Verteilungsfrage.


    Wir müssen – oh schreckliches Wort – den Kapitalismus einhegen. Bestimmte Dinge gehen dann eben nicht mehr und leistungsloses Einkommen und Vermögen wird dann (teilweise) wegbesteuert. (Piketty)


    Ich mach mal Schluß und höre gern.


    Und ansonsten gilt für Tilo "Immer bereit für Frieden und Sozialismus" - aber er ist doch zu jung.


    har har har

  • Ulrike darf vor Buchveröffentlichung nicht über ihr Buch reden... daher konnte sie nicht dabei sein


    Hier kann bzw konnte sie anscheinend über ihr neues Buch reden.



    Mir war so als hätte ich zu dem Talk den Link hier ausm Forum...finds aber nun nimma...

    Hätte mich für den möglichen Input bzw die Meinungen dazu interessiert.

  • Wir müssen – oh schreckliches Wort – den Kapitalismus einhegen. Bestimmte Dinge gehen dann eben nicht mehr und leistungsloses Einkommen und Vermögen wird dann (teilweise) wegbesteuert. (Piketty)

    Wir können den Kapitalismus nicht einhegen, so lange wir den Kapitalismus als alternativlose Realität™ und Grundlage aller politischen Überlegungen zu seiner eigenen Einhegung akzeptieren. An diesem Zirkelschluss scheitern Sozialdemokraten schon seit über 100 Jahren.


    Piketty hin oder her.

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