Die große Transformation

  • Letztlich muss sich die Therapie aber natürlich an den Wünschen und Zielen der PatientInnen orientieren

    Ich habe offensichtlich weniger Ahnung von Psychologie und Psychotherapie als Du, aber genau das scheint mir die große Hürde zu sein, vor der eine wie auch immer geartet gesellschaftskritische oder gar revolutionäre Psychotherapie steht.


    Gruppentherapie ist bestimmt in manchen Fällen sinnvoll, aber letztendlich sind Menschen eben auch individuen, die sich - besonders in einer hyperindividualisierten Gesellschaft wie der unseren - auch ganz unterschiedlich individuell an die gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen müssen, oder eben individuell daran scheitern und dann indidviduelle Symptome entwickeln.


    Die Frage ist eben, was die Zielsetzung einer psychotherapuetischen Praxis überhaupt sein kann.


    Eine tatsächliche Veränderung der Gesellschaftlichen Verhältnisse kann nur funktionieren, wenn sie von einer ausreichend großen Menge an Gesellschaftsmitgliedern aus allen möglichen Berufsfeldern vorangetrieben wird. Gerade jene, die unter Depressionen oder anderen "Apassungsstörungen" leiden sind eher nicht diejenigen, die überhaupt die Kraft dazu haben, sich mit anderen zu solchen Zwecken zu organisieren und zu solidarisieren, und deren emotional involvierte Freundeskreise und familiäre Umfelder können nur schwer bis gar nicht leisten, was eine als neutral wahrgeommene Instanz im individuellen Therapiegespräch leisten kann.


    Und in machen Fällen können eben tatsächlich auch Medikamente dabei helfen, die Betroffenen überhaupt erst mal dazu zu befähigen, den nötigen Anschluss an ihr soziales Umfeld wieder zu finden.

  • Dem Mars?

  • Da wird es aber dann schwierig mit Ravioli aus der Dose...

  • genau das scheint mir die große Hürde zu sein, vor der eine wie auch immer geartet gesellschaftskritische oder gar revolutionäre Psychotherapie steht

    Dem möchte ich gar nicht widersprechen. Denke aber, dass nicht nur eine gesellschaftskritische Psychotherapie damit konfrontiert ist - prinzipiell jede Art der Therapie, auch wenn das sonst wenig reflektiert sein mag. Gerade in einem unkritischen therapeutischen Setting kann es schnell passieren, dass das asymmetrische Beziehungsverhältnis zwischen PatientIn und TherapeutIin ein hierarchisches ist (und entsprechend TherapeutInnen dazu geneigt sind, sich die Deutungshoheit darüber, was nun gut und schlecht für die PatientInnen ist, zuzuschreiben).

    Die Frage ist eben, was die Zielsetzung einer psychotherapuetischen Praxis überhaupt sein kann.

    Ja, da hatte mich Eure Perspektive interessiert. Danke, dass Du Deine in mehreren Beiträgen geteilt hast.
    Und ja, das hängt dann teilweise wohl auch von der Art des Leidens ab. In der Regel ist der Anspruch von Psychotherapie jedoch (über eine medikamentöse Behandlung hinausgehend) die Schaffung neuer Handlungsmöglichkeiten. Aus kritisch-psychologischer Sicht ist das die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess. Weiterhin wäre aus kritisch-psychologischer Sicht das sich

    individuell an die gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen müssen

    eher restriktive Handlungsfähigkeit und anzustreben sei verallgemeinerte Handlungsfähigkeit (wobei dann die Möglichkeit zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse in Richtung einer Vergrößerung der allgemeinen Verfügung über die Lebensbedingungen einbezogen würde).

    Psychologie und Psychotherapie, die gesellschaftliche Verhältnisse aus ihren Theorien, ihrer Forschung und Praxis ausklammern (oder als unhinterfragbare Konstante konzeptualisieren), sind demnach im restriktiven Modus.


    Ich würde meiner vorherigen schwammigen Antwort auf Deine Frage

    Wie stellst Du Dir denn vor, dass PsychotherapeutInnen mit ihrer Therapiearbeit zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen?

    noch ein Zitat zu möglichen psychotherapeutischen Wirkmechanismen bei Einbindung gesellschaftskritischen Perspektiven hinzufügen:

    Zitat von Erik Petter in "Auf dem Weg zu einer Kritischen Psychotherapie. Einige Impulse aus (einer Kritik an) der personzentrierten Therapiekonzeption" in "Forum Kritische Psychologie – Neue Folge - 2022"

    "Beispielsweise könnte es bei der Klient*in zu einer realistischeren Sicht auf ihre Problemlage kommen und in diesem Zuge eine Entlastung von Selbstvorwürfen erfolgen, weil die Klient*in vorher vielleicht die Verantwortung für Umstände übernommen hat, die sich in Wirklichkeit ihrer Kontrolle entziehen. Weiter könnte die Klient*in Ideen für neue Bewältigungsmöglichkeiten entwickeln, weil sie ihren real bestehenden Handlungsspielraum zunächst unterschätzt hat und diese Verkürzungen bei einer tieferen Analyse der zu Grunde liegenden Gesellschaftsstrukturen nun in den Blick geraten. Es wäre darüber hinaus auch denkbar, dass neue Qualitäten von Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen und vielleicht sogar neue Bündnismöglichkeiten entstehen können, wenn die gesellschaftlich vermittelten Gründe für interpersonelle Konflikte klarer werden. Und schließlich ist auch denkbar, dass eine neue Art von Hoffnung erfahrbar wird, wenn die Klient*in begreift, dass die Gründe für ihre Problemlage zwar nicht unmittelbar durch sie selbst verändert werden können, aber eben auch nicht auf unantastbaren Naturgesetzen beruhen und deswegen zumindest prinzipiell veränderbar sind (Rexilius, 1998, S. 2187). Möglicherweise könnte in diesem Zuge die Beteiligung an einem gesellschaftlich geführten Kampf um eine Sache, die für die Entstehung der eigenen Problemlage als ursächlich erkannt wurde, auch dann zu einer Verringerung des subjektiven Leidens führen, wenn dieser Kampf (noch) keine Erfolge gezeitigt hat. Vielleicht könnte in diesem Zusammenhang die Erkenntnis eine Rolle spielen, dass auch zahlreiche andere Menschen an denselben Verhältnissen leiden wie man selbst, und deswegen eine Veränderung derselben sowohl meinen eigenen wie auch den Leidensdruck dieser anderen Menschen reduzieren würde.“

    Das sind viele vielleichts. Aber da ich die

    neutral wahrgenommene Instanz im individuellen Therapiegespräch

    sowieso nicht als neutral ansehe, würde ich momentan sagen, dass, aus einer gesellschaftskritischen Perspektive, auch die Psychotherapie sich damit beschäftigen müsste.
    (ein Nebenaspekt könnte auch noch sein, es nicht anderen politischen Kräften zu überlassen [die es nicht nur in Amerika gibt - erst vorletztes Jahr wurde bei Hogrefe ein Buch über "Kritische Psychotherapie" veröffentlicht, gespickt mit rechten bis rechtsoffenen Beiträgen, dass nach Kritik nun vom Markt genommen wurde]).

    Mir ist schon klar, dass die Transformation weder von den psychologischen noch therapeutischen Disziplinen geleistet werden kann. Diese könnten aber m.E. mehr als momentan dazu beitragen (das soll/kann/darf nicht auf Kosten der PatientInnen sein).

  • Ja okay. Das kann ich absolut nachvollziehen.


    Es setzt allerdings voraus, dass die PsychologInnen und PsychotherapeutInnen erst mal selbst ein Bewusstsein für die tatsächlich herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Auswirkungen auf ihre Forschungssubjekte und PatientInnen erlangen.


    Und - korrigiere mich wenn ich das falsch sehe, aber - alleine aus ihrer akademischen und beruflichen Ausbildung wird ihnen das vermutlich nicht zuteil werden.

  • Und - korrigiere mich wenn ich das falsch sehe, aber - alleine aus ihrer akademischen und beruflichen Ausbildung wird ihnen das vermutlich nicht zuteil werden.

    Leider richtig.
    Aber ich nehme es schon auch oft so wahr, dass es da ein verbreitetes Unbehagen (oder "Bauchschmerzen" 🙃) damit gibt und Interesse für diese "Bewusstseinserlangung".

  • Toni


    "Möglicherweise könnte in diesem Zuge die Beteiligung an einem gesellschaftlich geführten Kampf um eine Sache, die für die Entstehung der eigenen Problemlage als ursächlich erkannt wurde, auch dann zu einer Verringerung des subjektiven Leidens führen, wenn dieser Kampf (noch) keine Erfolge gezeitigt hat. Vielleicht könnte in diesem Zusammenhang die Erkenntnis eine Rolle spielen, dass auch zahlreiche andere Menschen an denselben Verhältnissen leiden wie man selbst, und deswegen eine Veränderung derselben sowohl meinen eigenen wie auch den Leidensdruck dieser anderen Menschen reduzieren würde.“



    Haja. Mit der Hilfe von z. B. Gewerkschaften ;)

  • Warum verbreitest Du hier radikal-liberale Propagada?

    Weil Habeck letztens gemeint hat, Demokratie geht nur mit Marktwirtschaft, was nicht stimmt. Gibt keine Beweise dafür, dass es nicht auch Demokratie ohne Marktsystem geben kann. Und bei Lindblom ist es ja eher andersrum. Er sagt zwar, Kapitalismus ist gut und das beste System. Auf der anderen Seite kritisiert er aber das kapitalistische Marktsystem massiv. Und mir kommt es beim Lesen so vor, als ob er insgeheim Sozialist ist. Vor allem weil er oft alternative (nicht-kapitalistische) Marktsysteme besser findet ( z. B. den Marktsozialismus in Jugoslawien damals unter Tito). Und es ist erfrischend nicht immer nur Kritik am Kapitalismus aus der selbsternannten marxistischen Ecke zu hören. Er wäre also kein rad-lib, sondern ein rad-soc (radical-socialist). Er behauptet Pro-Kapitalismus zu sein, ist aber in Wahrheit Anti-Kapitalist. Bei red-libs ist es ja anders. Die behaupten Anti-Kapitalisten zu sein, sind aber in Wahrheit Pro-Kapitalismus.

  • Aber was ist wenn er in Wahrheit doch ein "rad-lib" und Pro-Kapitalist ist, der nur so tut, als wäre er ein "rad-soc" und Anti-Kapitalist, der sich als ein "rad-lib" und Pro-Kapitalist ausgibt, damit lib-socs seine Bücher lesen und darüber ganz wuschig im Kopf werden und nicht mehr wissen, ob sie ihre Socken noch richtig herum an haben?

  • Identitätsschützende Denkfehler (myside bias) und Ideologie


    Die Frage warum global den Urachen der multiplen Krisen nicht begegnet wird ist zentral wenn man die zukünftige Entwicklung einschätzen will. Werden wir es schaffen rechtzeitig das Ruder rumzureissen oder nicht? Was hält uns eigentlich davon ab es zu tun? Ist es die Gier, sind es finstere Verschwörungen weniger superreicher Erzbösewichte? Meiner Ansicht nach ist die Erklärung einfach in unserer Psyche zu finden.


    Der Identitätsschützende Denkfehler, (engl. Myside Bias) ist eine spezielle Form des confirmation bias die, wie die Forschung zeigt, vor allem Eliten betrifft, also die bei Eliten weit häufiger zu Fehleinschätzungen und kognitiver Dissonanz führt als beim Rest der Bevölkerung.



    Was man hier in der Psychologie beobachten kann, ist die Macht der herrschenden Ideologie, also der Ideologie der herrschenden Eliten. Obwohl bei denen die diesen Denkfehlern aufsitzen, die Realität und die eigene Vorstellungen über die Welt, völlig ausenanderdriften, bleiben sie eher der Ideologie treu als sich mit der realen Welt auseinanderzusetzen.


    Die Wachstumsideologie hatte für einige Jahrzehnte eine Legitimation die man aus wissenschaftlicher Sicht zumindest Argumentieren konnte. Wachstum erzeugte bis in die frühen 80er in den meisten westlichen Ländern einen Wohlstandsgewinn in allen sozialen Schichten der Industrieländer. Ab der neoliberalen Wende der Reagan/Thatcher Ära endete diese Phase des Kapitalismus. Seit dem kommt Wachstum ausschliesslich einer kleinen Minderheit zu gute. Der Kern der Wachstumsideologie, der die Kapitalakkumulation weniger auf kosten vieler moralisch gerechtfertigt hat, ist seit dem wissenschaftlich nicht mehr haltbar.


    Ebenfalls in den 80ern wurde durch die Veröffentlichungen der Klimawissenschaftler klar, dass weiteres Wachstum auf dauer die biophysikalischen Grundlagen der Zivilisation zerstören würde und ein fortgesetztes Wachstum langfristig zum schaden aller Menschen sein wird. Fortgesetztes Wachstum, so ist klar, hat klare durch die Endlichkeit der Ressourcen vorgegebene Grenzen. Das Festhalten an Wachstum als ziel unsere Wirtschaftens ist nicht rational. Erkenntnisse die wir über die Reale Welt haben stehen im absoluten Widerspruch zu Wachstum als ziel des wirtschaftpolitischen Handelns, trotzdem halten vor allem unsere Eliten daran fest.


    Ideologie dient vor allem der moralische Rechtfertigung des eigenen Handelns und der Herrschaft. Die Erklärung, dass "Gier" oder bewusst antisoziales Verhalten von mächtigen Akteuren eine Transformation der Gesellschaft verhindert hat ist grundweg falsch.


    Der psychopathische Erzschurke der Bond-Filme ist die Ausnahme und bestmmt nicht in Gesamtheit das Verhalten der herrschenden Eliten. Jede Handlung erfordert bei nich krankhaft psychopathischen Menschen eine innere Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung ist es was die Ideologie bietet.


    Fällt die moralische Rechtfertigung weg erscheint das eigene Denken und Handeln in einem völlig neuem Licht. Das, was man früher getan hat, war nicht zum Nutzen sondern zum Schaden anderer, die eigenen Überzeugungen stellen sich als falsch feraus. Dieses Trauma will jeder Mensch unbedingt verhindern, auch wenn es dazu führt, dass man an einer Rechtfertigung festhält die der Realität widerspricht.


    Die Forschung über die myside Bias zeigt dass diese kognitive Dissonanz gerade bei den Eliten besonders ausgeprägt ist. Sie findet ungewollt statt. Die kognitive Dissonanz wird unbewusst vermieden. Die Verdrängungsmechanismen die unsere Psyche hat sind extrem stark.


    Bisher kann die Forschung keinen Weg aufzeigen wie man diese identitätsschützenden Denkfehler durchbrechen kann. Ich fürchte das dies erst ein sehr starkes kollektives Trauma geschehen wird.

  • Die Forschung über die myside Bias zeigt dass diese kognitive Dissonanz gerade bei den Eliten besonders ausgeprägt ist.

    Da würde ich noch hinzufügen, dass die herrschende Ideologie im freien Westen auch weite Teile der Mittelschicht und des subalternen Bildungsbürgertums für sich vereinnahmt hat, weil ein wichtiger Teil ihrer Selbstrechtfertigung darin besteht, den BürgerInnen der liberalen Demokratien einzureden, dass es auch ihre Aufgabe sei, sich politische Gedanken darüber zu machen, wie man die herrschenden Eliten zur besseren Herrschaft und Organisation des Gemeinwesens bringen kann, anstatt sich bewusst zu machen, dass sie dabei eigentlich nichts mitzureden haben.

  • Bei diesem Interview mit dem offensichtlich sehr gebildeten und intelligenten annonymen Autor des erfolgreichen "Doomberg" podcasts mit Nate Hagens sieht man meiner Meinung nach sehr deutlich wie mächtig die Vorstellung auch bei offensichlichen Vertretern der "kognitiven Elite" Verbreitet ist.


    In den Augen des Doomberg Vogel gibt es nur zwei wirtschaftsspolitische Alternativen.

    Wachstum durch Einsatz von immer mehr Öl oder Tod, Armut und Untergang der Gesellschaft wenn man das nicht tut.


    Ein Gesellschaft die in der Lage ist Vernünftig mit den verbliebenen Ressourcen umzugehen ist Undenkbar. Kaptalismus und Kapitalakkumulation auf Kosten der Natur ist Alternativlos.


    Die Auswirkungen eines Klimakollaps werden ausgeblendet und sind in den Augen des Doomberg Vogels nichts im Vergleich zu den Folgen des Endes des Kapitalismus. Dieser wird uns die technische Innovation (Atomkraft) bringen die das weiterbestehen des Kapitalismus (wenn auch nicht für Alle) sichert.


    Hier die ganze Domberg Horror Show :


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