Die große Transformation

  • So wie z. B. die ganzen IPCC Berichte? Sie verharmlosen die Klimakrise? Wissenschaft funktioniert eigentlich genau im Gegenteil. Thesen müssen widerlegt werden. Also konträr zum "herrschenden Epistem".

    Der Teil der IPCC Berichte der von Ökonomen stammt ist höchst fragwürdig, meiner Meinung nach völlig unwissenschaftlich und extrem verharmlosend.


  • Ist ja super, das hat aber weder den CO2 Ausstoß noch den Bedarf an fossilen gesenkt.

    Es ist in der Tat super, denn mal abgesehen davon das es schon sehr stumpf ist zu behaupten die bisher installierten 1000GW EE hätten nichts eingespart (obwohl damit der Anstieg vom CO2 durchaus bereits etwas verringert wurde, der Wert wäre sonst noch höher)...du ignorierst noch immer die globale Entwicklung der Wachstumskurve von PV und Windkraft, vermutlich weil aus deutscher/europäischer Perspektive tatsächlich - und auch irgendwie rein subjektiv nachvollziehbar - der Eindruck entsteht das sich kaum was tut (weil hier alles blockiert und abgewürgt wird), aber diese ganze Entwicklung steht global gesehen noch ziemlich am Anfang und legt in großen Teilen der Welt gerade erst richtig zu...was auch einfach daran liegt das es in großen Teilen der Welt erst seit relativ kurzer Zeit keine billigere Energie mehr gibt als die aus Wind und Sonne...und große Teile der Welt haben noch einen riesigen Energiebedarf den sie lieber direkt mit günstigen EE decken werden, anstatt teuren, dreckigen fossilen Brennstoffen...daher wird die Nachfrage ziemlich sicher noch stärker ansteigen...und das ist auch gut so, ich freue mich wenn alle Erwartungen übertroffen werden (wie z.B. die letzten Jahre die EE Prognosen der IEA etc die schon mehrmals nachweislich zu niedrig waren und von der Realität deutlich übertroffen wurden).

    Der Zeitpunkt ab dem der CO2 Ausstoß im globalen Maßstab durch die EE gestoppt oder sogar gesenkt wird ist durch zu viele unbekannte Faktoren natürlich schwer vorherzusehen, dürfte aber bei der aktuellen Entwicklung frühestens irgendwann Ende dieses Jahrzehnts bis Anfang des nächsten Jahrzehnts eintreffen.

    Frage was sagst du denn zu der Begründung von Ulrike Herrmann warum die Zahlen unbrauchbar sind in dem Video oben?

    Dass eben die Berechnungen der Machbarkeit einer Dekarbonisierung den Umbau auf eine Stromwirtschaft nicht mit einbeziehen? Das ist deiner meinung nach wieder ein Argument von "rechten" auf dem Ulrike Herrman da aufsitzt?

    Wie schon gesagt, Ulrike Herrmann benutzt soweit ich das sehe falsche oder veraltete Zahlen...die Frage ist, wo hat sie die Zahlen denn eigentlich alle her, auf wen oder was bezieht sie sich da...gibt es da eine Quellenangabe um zu überprüfen wie zuverlässig die Quelle ist? Oder hast du das einfach so übernommen und hoffst darauf das Ulrike Herrmann keine Fehler gemacht hat?

    Dein Argument ist immer "Deine Quellen sind Scheiße nur meine sind gut". Ich bin ja übezeugt dass z.B. die Zahlen des Fraunhofer Instituts für die Verrausssetzungen die sie machen richtig sind. aber es sind eben Vorraussetzungen die gemacht werden die nicht ausreichen um die Transition zu schaffen.

    Du verwechselst da was, es geht hier nicht um irgendwelche Quellen die erst noch überprüft werden müssen, die bestehenden Daten zur Entwicklung der EE aus der näheren Vergangenheit bis in die Gegenwart sind nichts wo man sich eine Quelle aussuchen kann, diese Daten sind unabhängig von der Quelle eigentlich immer die gleichen und daher ziemlich sicher eine objektiv bestehende Tatsache.

    Und meine Argumente basieren - nur weil ich es öfter mache - auch nicht nur auf denen von Fraunhofer&Co (wobei die eigentlichen Quellen von Fraunhofer auch EEX und die Bundesnetzagentur etc sind, bitte bedenken).

    Man sieht übrigens wie gesagt z.B. am PV Zubau und der Erhöhung der Zubaugeschwindigkeit was da für eine Entwicklung vor sich geht...

    ...

    Noch vor der Veröffentlichung des „Global Market Outlooks“ im Mai wurde die magische Terawattmarke durchbrochen. Bis daraus zwei Terawatt werden, müssten wir nur bis zum Jahresende 2025 warten, wie es weiter heißt. Zehn Jahre hat es für das erste Terawatt gedauert. Gerade einmal 3,5 wird es für das zweite brauchen. Es gibt allerdings auch noch viel aufzuholen.

    ...

    ...nur leider bisher eher ohne Deutschland bwz Europa, aber das ist wie schon öfter gesagt kein technisches Problem sondern eins der Politik/Wirtschaft/Gesellschaft was wir dringend lösen müssen.

  • Der Teil der IPCC Berichte der von Ökonomen stammt ist höchst fragwürdig, meiner Meinung nach völlig unwissenschaftlich und extrem verharmlosend.

    Du hast nicht differenziert zwischen Wissenschaft allgemein und Wirtschaftswissenschaften. Bei Wirtschaftswissenschaften stimme ich dir natürlich zu. Aber warum das bei denen so ist, das ist ne andere Geschichte, die man hier auch ausbreiten könnte.

  • Das wissenschaftliche Ideal ist eigentlich inhärent anti-autoritär. Demokratie funktioniert ja ähnlich wie Wissenschaft. Die Herrschaft, die keine Legitimation schafft, wird falsifiziert durch Abwahl, bis die nächste Herrschaft Legitimation schafft. Kann sie es nicht, wird sie wieder durch Abwahl falsifiziert usw. Immer bis die Herrschaft mit genug Legitimität erreicht ist, die aber immer wieder abgewählt werden kann.

    (wobei wissenschaft natürlich nicht demokratisch ist, weil sie empirische ergebnisse und vorhersagbarkeit erreichen will)

  • …und abhängig ist von Drittmitteln.

    Das ist eine andere Frage und hängt von der Politik ab. In der Nachkriegszeit war das Hoheitsgebiet des Staates. Wobei es immer auch bissl kommerziell war.

  • […]

    (wobei wissenschaft natürlich nicht demokratisch ist, weil sie empirische ergebnisse und vorhersagbarkeit erreichen will)

    Ja, so erzählt man den Erstis vom Hayek-Popper-Clan, die sich überlegt hatten, nix beweisen zu müssen für ihre neoliberale Agenda, denn es würde ja genügen den "wissenschaftlichen Sozialismus" qua Stalin zu falsifizieren.
    Deshalb funktioniert "Wissenschaft" heute wie facebook: Was viele likes und quotes bekommt sei 'wahr'.
    Bei Zweifel also z.B Silja Graupe fragen, aber dem IPCC trotzdem vertrauen …

  • Man sieht übrigens wie gesagt z.B. am PV Zubau und der Erhöhung der Zubaugeschwindigkeit was da für eine Entwicklung vor sich geht...

    Und was ich noch ergänzen will, man sieht auch an ständigen Prognose-Korrekturen von Organisationen wie der Internationalen Energie Agentur das die EE und vorallem die PV bei weitem unterschätzt werden...dieses Diagramm ist btw wahrscheinlich auch schon wieder zu alt und müsste nach oben korrigiert werden, zeigt aber das Problem...in der Realität hat der Zubau der PV die besten Erwartungen immer übertroffen...

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  • Ja, so erzählt man den Erstis vom Hayek-Popper-Clan, die sich überlegt hatten, nix beweisen zu müssen für ihre neoliberale Agenda, denn es würde ja genügen den "wissenschaftlichen Sozialismus" qua Stalin zu falsifizieren.
    Deshalb funktioniert "Wissenschaft" heute wie facebook: Was viele likes und quotes bekommt sei 'wahr'.
    Bei Zweifel also z.B Silja Graupe fragen, aber dem IPCC trotzdem vertrauen …

    Der Vergleich von Demokratie und Falsifikation kommt von Karl Popper. Und der ist ja auch korrekt. Popper hat sich später von den Neoliberalen distanziert.


    Deshalb funktioniert "Wissenschaft" heute wie facebook: Was viele likes und quotes bekommt sei 'wahr'.


    Es gibt Leute, die so ähnliche Ideen haben. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

  • A propos Klassenkampf und "Psychologisierung"...


    [...] Arbeiter*innen wird durch die schulische und die berufliche Qualifikation, durch die körperliche Aktivität, durch die Ausbildung, durch die Höhe der Einkommen, die Enge der Wohnung und minderwertige Konsumgüter, durch den geringen Zugang zu Wissen, zu politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, durch ein spezifisches Kulturangebot, durch erwartbar höheres Krankheitsrisiko und geringere Lebenserwartung ein Verhältnis zu sich, eine eigene Sicht der Dinge, eine körperliche Haltung vermittelt. Sie erlangen eine Klassenidentität, die mehr oder weniger ihr gesamtes Leben bestimmt, weil sie als »strukturierende Struktur« (Bourdieu) wirkt, also dazu beiträgt, die sozialen Situationen zu suchen und zu bevorzugen, die wiederum die klassenspezifische Identität bestätigen.


    Aber nicht allein die Tatsache, dass ihr Arbeitsvermögen für besondere Arbeiten formiert wird, ist ein Problem. Denn die einzelnen Individuen finden die gesellschaftliche Arbeitsteilung vor und können sich nur einfügen. An der Gestaltung der organischen Arbeitsteilung und der Zusammensetzung der einzelnen Funktionen und damit am konkreten Gebrauch ihres Arbeitsvermögens sind sie nicht beteiligt.

    Mehr noch, die Formierung des Arbeitsvermögens wird zum Schicksal für die Individuen, da die Einzelnen von dieser Identität im Durchschnitt der Klasse nicht mehr loskommen. Denn die gesellschaftliche Arbeitsteilung und die konkrete Zusammensetzung der jeweiligen arbeitsteiligen Funktionen unterliegen der Entscheidungsgewalt der Kapitaleigentümer.


    Für die abhängigen Individuen bedeutet dies, dass nicht nur ihr Arbeitsvermögen konkret nach dem Willen der Kapitaleigner geformt wird, sondern sie sich davon auch kaum ablösen können. Nur mit großen Anstrengungen könnten sie ihre Lebensweise und ihre Arbeitskompetenzen ändern.

    Doch zur Existenz als Lohnarbeitende gehört ja gerade, dass sie die dafür erforderlichen materiellen Ressourcen nicht haben – also die Wunschvorstellung, den Willen, die Zeit und den Zugang zu Erfahrung und Wissen, um andere Praktiken zu erlernen. Selbst wenn ihnen das gelingen sollte, bedeutet dies nicht, dass sie im Durchschnitt die Lebensweise selbst ändern können. Vielmehr bleiben sie aller Wahrscheinlichkeit nach abhängig für Lohn Arbeitende und insofern der Lohnform unterworfen. [...]


    Die bürgerliche Klasse [hier korrekt auf die Bourgeoisie/das Großkapital angewendet, und nicht wie von fanatischen roten Affen polemisch verzerrt auf die ganze "(ver)bürgerlich(t)e" Mittelschicht]ist deswegen bemüht, im Verhältnis zu den Ungewissheiten, die ihre von Konkurrenz und Kämpfen bestimmten sozialen Verhältnisse mit sich bringen, sich vermittels einer Vielzahl von spezialisierten Intellektuellen in einer unendlichen Zahl von Diskursen ihr eigenes Handeln zu erklären und es ausarbeiten zu lassen: Verbindende Klassenpolitik Beobachtung der Konkurrenz, Kontrolle der Massen, Gestaltung der eigenen Lebensweise.


    Die Subalternen [die arbeitende Bevölkerung/Arbeiterklasse/Mittelschicht] werden von einem riesigen kulturindustriellen, zivilgesellschaftlichen Apparat mit seinen Intellektuellen in Schulen und Fortbildungseinrichtungen, Kirchen, Parteien, Vereinen und Gesellschaften, Verlagen, Zeitungen, Zeitschriften, Kino, Radio und Fernsehen, Stiftungen, Think-Tanks erfasst und beherrscht. Diese überwachen die Arbeiter*innen feingliedrig, reden auf sie ein, setzen ihnen tausend Vorstellungen über sich und die Welt ›in den Kopf‹, erziehen sie, tragen zur Organisation ihres Alltags bei oder entmutigen sie.

    Auf diese Weise fügt sich das Denken und Handeln der Subalternen den berechenbaren Wahrscheinlichkeiten; sie bleiben [als gesellschaftliche Kraft/Klasse] uneinheitlich, ihnen werden die Ziele genommen, so dass sie sich selbst und anderen nicht zutrauen, den gesellschaftlichen Produktionsapparat demokratisch zu verwalten und nach den Prinzipien der freien, von ihnen selbst zu gestaltenden Kooperation zu transformieren.


    Bürgerliche Intellektuelle organisieren den passiven und aktiven Konsens der Subalternen und damit ihre Lebensorientierungen und Identität, während diese weder ihr eigenes Denken auf ein anspruchsvolles gesamtgesellschaftliches Niveau fortentwickeln, noch sich organisch mit denen verbinden, die die kritische Tradition verkörpern (eher sind sie mit den Namen und dem Leben von Talkshowmastern, Fußballspielern, Rennfahrern, Schlagersänger*innen und Schauspielern vertraut als mit denen, die in den letzten Jahrzehnten für ihre Emanzipation eingetreten sind).


    Wenn es Einzelne oder Gruppen der Subalternen gibt, die wiederum auch diesen Erziehungsprozess zurückweisen oder den ihnen zugemuteten Konsens bestreiten und für andere Lebensweisen eintreten, wird Gewalt aufgeboten. Diese umfasst ein breites Spektrum. Zunächst einmal die verschiedenen formellen Polizeien, Geheimdienste, Gerichtsinstanzen und Gefängnisse, Psychiatrie, Sozialverwaltung und umfassende Stäbe zur Analyse und Beratung; die Gewalt der Korruption und des Betrugs; die Gewalt von kriminellen Banden, religiös-fundamentalistischen Gruppen oder rechten Organisationen.


    [...] Die ideologischen Staatsapparate organisieren unterschiedliche Repräsentationen dieses imaginären Verhältnisses zu den materiellen Verhältnissen, unter denen das Individuum lebt.

    Mit der Konstitution eines Subjekts geht eine identitätsbildende Unterwerfung unter ein großes Subjekt einher: Gott, schöne Kunst, Gerechtigkeit, Ordnung.

    Die Identität des Subjekts wird als freiwilliges Verhältnis gelebt. Das Individuum geht dem durch die Staatsapparate erfolgenden ideologischen Anrufungsmechanismus der Subjektivierung Althussers Überlegung zufolge nicht voraus – es ist das Ergebnis des Subjekteffekts: »Die Individuen sind immer schon Subjekte. Also sind die Individuen ›abstrakt‹ in Bezug auf die Subjekte, die sie immer schon sind.« (Althusser 1977, 144)

    Er erläutert dies mit der Individualisierung, die durch familiäre Namensgebung erfolgt. Dies könnte noch vertieft werden, denn über die Namen wachen staatliche Behörden, die Individuen erhalten eine Identitätskarte und eine individualisierende Sozialversicherungs- oder allgemeine Identitätsnummer. Die Familiengeschichte bestimmt den Individualisierungsprozess des Subjekts durch zahlreiche Erzählungen und Fotografien aus dem Familienalbum.


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    Die staatliche Anrufungspraxis hat eine doppelte Wirkung: In einem einzigen Vorgang trennt sie die Individuen und individualisiert sie, atomisiert sie und greift mittels besonderer politischer Technologien auf ihre Körper zu (vgl. Poulantzas 1978, 55ff .). Gleichzeitig totalisiert und homogenisiert sie die Individuen als »Volk-Nation«, also als Angehörige eines Staates, einer Nation, eines Wohnorts, eines Berufs, einer Familie, eines Sportvereins und erzeugt damit spezifische Identitäten, die sich dadurch auszeichnen, dass sich die Individuen nicht auf der Grundlage ihrer materiellen Existenz als Mitglieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeiter*in und somit als der Zusammenhang konstituieren, der das gemeinsame Leben erzeugt und reproduziert.

    Indem der Staat individualisiert und gleichzeitig totalisiert, erzeugt oder verstärkt er spezifische Vergesellschaftungsmuster, während er andere Praktiken der Vergesellschaftung benachteiligt oder verhindert. So werden kleinfamiliäre Wohnformen oder eheliche Beziehungspraktiken durch eine Vielzahl von Gesetzen und politisch-ökonomische Regularien reproduziert.


    In ähnlicher Weise kann gesagt werden, dass die Art und Weise, wie die schulische und berufliche Qualifikation organisiert, wie Selbstverwaltung von Arbeitsprozessen verhindert, das Wissen um Genossenschaften und Selbstverwaltung nicht in staatlichen Einrichtungen gelehrt und nicht weitervermittelt wird, wie große, global operierende Unternehmen durch eine Vielzahl von Wettbewerbsfaktoren begünstigt werden, dazu beiträgt, die Existenz der Arbeiter*innen als Klasse nicht nur zu beschönigen oder zu leugnen, sondern ganz reale Efekte der Desartikulation der Klasse hervorbringt und die Individuen durch staatliche Menschenverwaltung zu spezifischen Gruppen zusammenfasst, sie kontrolliert und führt.

    Die Praxis der Herrschaft besteht demnach nicht nur in der Spaltung, sondern auch in der Art der staatlichen Zusammenfassung der Individuen, der Erzeugung von positiven Identitäten, Differenzierungslinien und Spaltungen.


    Mit der doppelten staatlichen Unterwerfung kommt es zu einer doppelten falschen Versöhnung:

    a) Individuen (miss)verstehen das Verhältnis, unter dem sie leben, als Ergebnis ihres Willens und ihrer Freiheit.

    b) Die Individuen deuten ihre vielfältigen Praktiken nicht als Praktiken einer Klasse, sondern in anderen Kollektivausdrücken.

    Angehörige(r) einer Klasse zu sein bedeutet, die Gesellschaft nach Begriffen der Ausbeutung und Herrschaft , des Klassenkampfs und der Spaltung zu begreifen. Dies stellt immer auch eine Kränkung für die Individuen dar, da sie sich eingestehen müssen, abhängig und weisungsgebunden und unfrei zu leben.

    Eine solche Einsicht ist folgenreich, weil sie beinhaltet, für Freiheit und für Verhältnisse einzutreten, unter denen jene Formen von Ausbeutung und Herrschaft nicht mehr möglich sind.

    In ähnlicher Weise verweigern sich Menschen auch der Einsicht, aufgrund einer Identität als Frau oder wegen ihrer Hautfarbe benachteiligt oder unterdrückt zu werden. Sie leben im Widerspruch, dass sie unter bürgerlichen Bedingungen frei, gleich und souverän und gleichzeitig machtunterworfen und abhängig sind. Die Freiheit, die sie genießen, ist deutlich geringer als diejenige anderer, die über Produktionsmittel verfügen und sich damit auch den gesellschaftlichen Reichtum aneignen können oder die Definitionsgewalt über die Normen und die Formen der Normalität innehaben.[...]


    ›Klasse‹ und Klassenpolitik sind kein Nostalgieprojekt, es geht nicht um die Rückbesinnung auf einen harten Kern einer gleichbleibend existierenden Arbeiterklasse, cis-männlich-weiß autoverliebt. Die Klasse ist ein Prozess, sie ändert sich ständig und nimmt neue Formen an, in manchen Phasen erscheint es so, als gäbe es sie nicht, weil sie aus dem Koordinatensystem der herrschenden Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft herausfällt. Doch die Praktiken des Klassenkampfs bringen sie zurück.

    In der Summe der angedeuteten Prozesse setzt sich heute die Arbeiter*innenklasse neu zusammen: Sozial-räumlich wird sie durch die Politik der Unternehmen und der Staaten vielfach neu gegliedert, ihre Lebenslagen gehen weit auseinander, einige Kategorien sind hochqualifiziert bis hin zur akademischen Ausbildung (oftmals ohne entsprechende berufliche Funktionen und Einkommen), andere haben ihre Lebensgrundlage in modernsten technologischen und globalen Entwicklungen, wieder andere erfüllen die Funktion einfacher Handarbeit.

    Erhebliche Anteile der Arbeiter*innenklasse sind migrantisch und verstehen sich bislang nur partiell als der deutschen Gesellschaft und ihren Konfliktlinien zugehörig. Es kann jeweils mehrere Jahre dauern, bis sich dies ändert, und insofern erzeugen die fortgesetzten Migrationsprozesse ständig neue Ungleichzeitigkeiten (vgl. Demirović 2018).


    Offensichtlich fehlen bislang die organischen [auch aus der Arbeiterklasse hervor gegangenen] Intellektuellen, die diese sehr heterogenen Praktiken miteinander verbinden. Patrick Eiden-Offe (2018, 28) hat, wie oben erwähnt, unter Bezug auf Marx daran erinnert, dass das Proletariat in der Zeit des Vormärz als »buntscheckig-heterogen« begriffen wurde, und schlägt vor, in der heutigen Situation diese Bedeutungsschicht des Begriffs wieder aufzunehmen.

    »Neue Klassenpolitik« stellt sich meines Erachtens gerade dieser Herausforderung (vgl. Candeias 2017): nachdem über Jahrzehnte hinweg die Arbeiter*innen sich selbst nicht oder nur unzulänglich repräsentieren konnten, dazu beizutragen, dass dies wieder möglich ist.

    Dabei geht es nicht um die Wiederherstellung eines überholten Proletkults, eines Kerns, einer Einheitlichkeit, sondern um das verbindende Bewusstsein, dass die Zumutung jener Identität – also ›Klasse‹ sein zu müssen und ein fremdbestimmtes Schicksal immer noch zu erfahren – ein Ende finden muss. Das Buntscheckige ist noch nicht, es muss erst freigesetzt werden. Dieses Ziel nennen wir Sozialismus, einen neuen Sozialismus.

    ____________________________________________________

    A. Demirović: Kein Wesenskern – nirgendwo. Klassen und Identität, in: M. Candeias (Hg.): Klassentheorie. Vom Making und Remaking, Hamburg 2021, s. 495 ff. (->PDF über RLS)

  • ...nur leider bisher eher ohne Deutschland bwz Europa, aber das ist wie schon öfter gesagt kein technisches Problem sondern eins der Politik/Wirtschaft/Gesellschaft was wir dringend lösen müssen.

    Nehmen wir mal an, es gäbe tatsächlich keine technischen Hindernisse, um die Dekarbonisierung zu erreichen - Wie stellst Du Dir diese politisch/ökonomisch/gesellschaftliche Lösung denn vor?


    Was muss geschehen, damit die Politik, die Wirtschaft, und die ganze Gesellschaft sich dafür entscheiden das jetzt endlich mal umzusetzen?


    Und wie sieht das in den anderen G7-Ländern aus - allen voran im größten Klimavernichterland USA? Wie muss sich so eine Gesellschaft, samt Politik und Wirtschaft, transformieren, damit sie die technischen Möglichkeiten auch entsprechend nutzt?

  • Degrowth heißt Verzicht =O - Das geht nicht!:cursing:


    Aber als Versuch zur Rettung des Profitwachstums Sparanreiz im real existierenden Kapitalismus geht das natürlich:

    Inflation: Zwei von drei Haushalten werden kaum über die Runden kommen

    Im Herbst könnte die Inflation in Deutschland zweistellig werden, was sie das letzte Mal vor 70 Jahren war. Um über die Runden zu kommen, müssen dann viele Haushalte ihre Rücklagen angreifen.

    ...also jedenfalls für den Teil der Gesellschaft, der sowieso schon nichts übrig hat, was er sparen könnte.

  • A propos Klassenkampf und "Psychologisierung"...

    Das ist natürlich ein sehr guter und wichtiger Text, (den hier wohl niemand Lesen wird ausser mir)


    Ich möchte aber dagegenhalten, dass ich die Hoffnung habe, dass es auch ohne eine Formierung eines Klassenbewusstseins eine Möglichkeit der Emanzpation gibt.


    Ich hoffe, dass eben die marxistische These, dass nur über ein Klassenbewusstsein ein Wandel möglich ist, sich als falsch herausstellt. Mit dem was Antonio Gramsci z.B. hier formuliert kann ich mich nicht abfinden:



    Als Foucault fan, sehe ich die Möglichkeit der Emanzipation des Subjekts auch ohne Klassenbewusstsein als Grundsätzlich möglich. Im "Streit" zwischen Foucault und seinem Lehrer Althusser würde ich mich eher Foucault anschliessen. Es ist dem Individuum gegeben sich von den Prägungen der Subjektivierung zu befreien.


    Der Machtbegriff ist essentiell in Foucaults überlegungen und wie Althusser sieht er natürlich das was oben beschrieben wird als die Grundsätzliche Form der Machtausübung:

    Zitat

    „Das Wort Subjekt hat zwei Bedeutungen. Es bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. In beiden Fällen suggeriert das Wort eine Form der Macht, die unterjocht und

    unterwirft.“ (M. Foucault)

    Diese Unterwerfung bezeichnet Foucault als die Objektivierung der Subjekte. Die Objektivierung nimmt dem Subjekt seine ihm eigene Individualität und unterwirft ihn einer reduktionistischen „Verdinglichung“.


    In Foucaults Denkweise steckt aber eine fundamentale Kritik am marxistischen Denken. Während also im klassischen Marxismus die Hegemonie das Subjekt formt, bilden laut Michel Foucault die Subjekte durch intersubjektive Machtbeziehungen eine Hegemonie aus. Ebenso formieren sich die Institutionen und Wissenssystem aus diesen Machtkonstellationen. Diese Institutionen nutzen Machttechniken und Strategien zur Disziplinierung des Subjektes, dass sich freiwillig und unbewusst der Macht unterwirft und/oder sie ausübt. Ein Austausch von Subjekten innerhalb der Institution, oder gar der Umsturz von Institutionen der Macht, führen daher nicht zu einer Überwindung einer Hegemonie. Die kommunistische Revolution führt daher nicht zur allgemeinen Befreiung des Subjektes aus dem Zwangssystem sondern Ersetzt es durch ein neues, dass dem alten sehr ähnlich sein muss und ähnliche Machttechniken nutzt. Folgerichtig sind es die intersubjektiven Machtbeziehungen, Strategien und Machttechniken die überwunden werden müssen, nicht die Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen oder einzelnen Subjekte.



    In Foucaults Text „Subjekt und Macht“ stehen daher die Bewegungen und der Widerstand in Machtsystemen im Mittelpunkt. Anhand seiner historischen Untersuchungen in der Medizin, der Psychiatrie, dem Feminismus und dem Gefängniswesen will Michel Foucault herausarbeiten wie Brüche in Machtsystemen entstehen. In all diesen Widerständen findet er Gemeinsamkeiten. Allen voran handelt es sich dabei nicht um Kämpfe gegen eine Autorität, gegen Gruppen, gegen Klassen oder gegen Eliten sondern „gegen eine bestimmte Machttechnik oder Machtform“ (M. Foucault).

    • Diese Bewegungen sind „transversal“, also nicht auf Nationen oder ökonomische Systeme beschränkt und sie richten sich gegen die Auswirkung der Macht, also in Michel Foucaults Verständnis gegen die Objektivierung des Subjekts.
    • Sie sind unmittelbar, richten sich also direkt an das Gegenüber imDiskurs und haben keine utopische Vorstellung einer neuen Gesellschaft zum Ziel;
    • Sie treten dafür ein „anders“ sein zu dürfen und wehren sich gegen die Ausgrenzung derer die „anders“ sind.
    • Sie wehren sich gegen etablierte Komplexe von Macht und Wissen (das Wissensregime) und die damit verbundenen Privilegien, Qualifikationen, Mysterien und jegliche Art der Vorstellung die man Menschen aufzwingen möchte.
    • Vor allem aber geht es laut Michel Foucault in diesen Kämpfen um die Frage „Wer sind wir?“. „Sie wenden sich gegen jene Abstraktionen und jene Gewalt, die der ökonomische und ideologische Staat ausübt, ohne zu wissen, wer wir als Individuum sind, wie auch gegen die wissenschaftliche und administrative Inquisition, die unsere Identität festlegt.“ (M. Foucault) )

    Michel Foucault hebt die Bedeutung dieser Kämpfe hervor, weil seiner Ansicht nach die „Objektivierung des Subjekts“ gegenüber der Ausbeutung und der autoritären Unterdrückung in den Machttechnologien der Neuzeit die entscheidende Rolle spielt. Der marxistische Klassenkampf ist für Foucault eher ein Atavismus, der auf den Widerstand gegen feudale Herrschaftssysteme aufsetzt.


    Zitat

    „Wir müssen nach neuen Formen der Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt“. ( M. Foucault)


    Das Ergebnis dieser Zurückweisung ist dann die Befreiung des Denkens, was die eigentliche Revolution darstellt:


  • Hier würde dann auch die Intersektionalität ansetzen. Die Objektivierung der Subjekte, die Rollenmodelle die uns aufzwingen "was wir sind", als Mann, als Frau, als Konsument, als Eltern, als Aktivist, als CEO, als Ministerpräsident etc. sind eng miteinander verworben. Das christlich patriarchalische Denksystem, der Rassismus, der Sexismus, etc, bilden zusammen die Säulen des Denksystems das den Kapitalismus aufrechterhält.


    Wenn ich z.B. meine Rolle als Mann nicht dadurch definiere eine Familie zu haben, einen BMW zu fahren, Fussball zu schauen, große Stücke Fleisch zu essen und Frauen als Sexobjekte wahrzunehmen, dann hat auch Werbeindustire und damit der Konsumzwang weniger Macht über mich, weil sie auf diesen Stereotypen Rollenbildern aufbauen.


    Die Machtwerkzeuge die unser Staat zur Disziplinierung der Subjekte einsetzt, insbesondere natürlich die Propaganda und die Medien, stützen sich ebenfalls auf diese stereotypischen Rollenbilder die sie selbst reproduzieren.


    Dass sich Milliardäre wie Charles Koch durch den Feminismus ebenso bedroht sehen wie durch die Umweltbewegung ist ein Beleg dafür, dass ihr Weltbild, und dadurch die Legitimation ihrer Macht, Privilegien und Eigentums dadurch in Frage gestellt werden.


    Black lives Matter ist z.B. natürlich daher im Kern antikapitalitischer Widerstand der in weiten Teilen ohne ein Klassenbewusstsein auskommt.

  • Die Objektivierung der Subjekte, die Rollenmodelle die uns aufzwingen "was wir sind", als Mann, als Frau, als Konsument, als Eltern, als Aktivist, als CEO, als Ministerpräsident etc. sind eng miteinander verworben. Das christlich patriarchalische Denksystem, der Rassismus, der Sexismus, etc, bilden zusammen die Säulen des Denksystems das den Kapitalismus aufrechterhält.


    Wenn ich z.B. meine Rolle als Mann nicht dadurch definiere eine Familie zu haben, einen BMW zu fahren, Fussball zu schauen, große Stücke Fleisch zu essen und Frauen als Sexobjekte wahrzunehmen, dann hat auch Werbeindustire und damit der Konsumzwang weniger Macht über mich, weil sie auf diesen Stereotypen Rollenbildern aufbauen.

    Also eigentlich sehe ich nicht, wie das Demirovic widerspricht, wenn er z.B. schreibt (ich hatte es auch mit zitiert):


    "›Klasse‹ und Klassenpolitik sind kein Nostalgieprojekt, es geht nicht um die Rückbesinnung auf einen harten Kern einer gleichbleibend existierenden Arbeiterklasse, cis-männlich-weiß autoverliebt. Die Klasse ist ein Prozess, sie ändert sich ständig und nimmt neue Formen an, in manchen Phasen erscheint es so, als gäbe es sie nicht, weil sie aus dem Koordinatensystem der herrschenden Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft herausfällt. Doch die Praktiken des Klassenkampfs bringen sie zurück.

    In der Summe der angedeuteten Prozesse setzt sich heute die Arbeiter*innenklasse neu zusammen: Sozial-räumlich wird sie durch die Politik der Unternehmen und der Staaten vielfach neu gegliedert, ihre Lebenslagen gehen weit auseinander, einige Kategorien sind hochqualifiziert bis hin zur akademischen Ausbildung (oftmals ohne entsprechende berufliche Funktionen und Einkommen), andere haben ihre Lebensgrundlage in modernsten technologischen und globalen Entwicklungen, wieder andere erfüllen die Funktion einfacher Handarbeit.

    Erhebliche Anteile der Arbeiter*innenklasse sind migrantisch und verstehen sich bislang nur partiell als der deutschen Gesellschaft und ihren Konfliktlinien zugehörig. Es kann jeweils mehrere Jahre dauern, bis sich dies ändert, und insofern erzeugen die fortgesetzten Migrationsprozesse ständig neue Ungleichzeitigkeiten (vgl. Demirović 2018).


    Offensichtlich fehlen bislang die organischen [auch aus der Arbeiterklasse hervor gegangenen] Intellektuellen, die diese sehr heterogenen Praktiken miteinander verbinden. Patrick Eiden-Offe (2018, 28) hat, wie oben erwähnt, unter Bezug auf Marx daran erinnert, dass das Proletariat in der Zeit des Vormärz als »buntscheckig-heterogen« begriffen wurde, und schlägt vor, in der heutigen Situation diese Bedeutungsschicht des Begriffs wieder aufzunehmen."


    Es geht ihm so wie ich das verstehe auch nicht um den "klassischen Marxismus". Marx selbst hat den -ismus um seine Person ja schon recht entschieden abgelehnt und man kann seine Ideologiekritik auch für richtig halten, ohne die - ohenhin nicht besonders umfänglich ausgeführte - Theorie von der "Diktatur des Proletariats" aus dem kommunistischen Manifest, oder von der unter klassischen Marxisten beliebten, angeblich historischen Notwendigkeit der proletarischen Revolution, als in Stein gemeisselte Handlungsanweisungen zu betrachten.


    Marx hätte heute vermutlich einiges davon ganz anders gesehen - zumal eine der wichtigsten Erkenntnisse des historischen Materialismus doch die ist, dass die Gesellschaft sich - auch im Kapitalismus - immer verändert und zusammen mit den Produktivkräften weiter entwickelt.


    Ich habe natürlich nicht genug Foucault gelesen, um ihn seriös kritisieren zu können, aber mein Problem mit der Kritik an den ideellen "Machtstrukuren" der Poststrukturalisten ist, dass sie sich so komplett von den materiellen Verhältnissen loslöst und so tut, als formten sich Identitäten oder Identitätszuschreibungen nur entlang Ideeller Vorgaben.

    Ich bin ja absolut dafür, dass die Menschen damit aufhören, sich von mächtigen Strukturen in Rollen drängen zu lassen und damit anfangen sich selbst davon zu emanzipieren. Der Sinn des "Klassenkampfes" ist es - jedenfalls meiner Ansicht nach - aber auch gar nicht, eine homogene Klasse mit homogenem "richtigem" Bewusstsein zu schaffen, die dann totalitär über sich selbst herrscht, sondern das "Klassenbewusstsein" bezieht sich eben genau auf die kollektive Erkenntnis des materiellen Widerspruches zwischen den Klassen der ArbeiterInnen und der KapitalistInnen, zwischen Eigentumslosen und EigentümerInnen und auf die Notwendigkeit seiner Auflösung durch die Aufhebung der Klassengesellschaft.


    Und diese gemeinsame Erkenntnis ist deshalb auch in der Postmoderne immer noch nötig, weil lauter für sich selbst von geistigen Machtstrukturen individuell befreiten Individuen sonst das gemeinsame Ziel fehlt, für das sie gemeinsam - trotz aller Diversität die sie als "buntscheckig-heterogener" Haufen sonst vielleicht haben mögen - solidarisch kämpfen können.

    Und das müssten sie tun, weil sie sonst der geballten, ganz konkreten, materiellen, ökonomischen und physischen Macht und (Staats-)Gewalt, über welche die andere Klasse verfügen kann, nichts entgegen zu setzen hat, wenn jede/r einzelne oder jede Kleinstgruppe für sich selbst versucht, sich davon zu emanzipieren.

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