Die große Transformation

  • Die Frage ist, ob sie nicht konzilliant genug waren, oder ob sie vielleicht mehr breite Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen hätten, wenn sie ganz klar formuliert hätten, dass die Reichsten Leute - denen auch die größten Konzerne gehören - die größten Umwelt- und Klimaschweine sind, und dazu erklärt hätten, warum das im Kapitalismus so ist, anstattt sich von der "links"-grün-liberalen Formel von der individuellen und moralischen Eigenverantwortung vereinnahmen zu lassen, die beim weniger "liberalen" Teil der Gesellschaft halt leider wie eine arrogante Bevormundung ankommt, und deshalb trotz aller Lippenbekenntnisse aus der politischen Klasse nie den nötigen Gesellschaftlichen Druck von unten aufbauen konnten, um einen echten "System Change" politisch denkbar zu machen.

    Bucky Fuller said: "Don't fight forces, use them!"

  • Es gab eben wirkliche Erfolge das Denken zu verändern. Vor allem marginalisierte Gruppen haben Erfolge erzielt und sich vom äusseren Rand in die Mitte der Gesellschaft bewegen können weil das Denken in der Mitte verändert wurde. Darauf glaube ich beruft sich diese Stratgie.


    Wenn es um Klimawandel / Transformation geht, fühlen sich aber die "Incumbents" weit mehr bedroht, weil sie wissen dass man das ernst nimmt es um ihre Privilegien, ihren Besitz und ihre Macht geht. Wie weit die dabei bereit sind zu gehen um das zu verteidigen sieht man an Trump und den Ereignissen um dem 6 Januar 21.


    Ich bin überfragt, wie der Krieg um die Bedeutungen in den Köpfen zu führen ist und will mir kein Urtel erlauben ob eher Ende Gelände oder Maja Göpel die richtige Vorgehensweise haben. Am besten ist es auf allen Fronten zu kämpfen und nicht gleich de Flanke aufzugeben die FFF/ Maja Göpel verteidigen wollen.

  • Ich bin überfragt, wie der Krieg um die Bedeutungen in den Köpfen zu führen ist und will mir kein Urtel erlauben ob eher Ende Gelände oder Maja Göpel die richtige Vorgehensweise haben. Am besten ist es auf allen Fronten zu kämpfen und nicht gleich de Flanke aufzugeben die FFF/ Maja Göpel verteidigen wollen.

    Aber was Silja Graupe neulich beim Jung&Naiv-LiveVor Ort-Event sagte ist ja nicht von der Hand zu weisen.


    Die "Erkenenntnistheoretische Gewalt" erstreckt sich ja nicht nur auf die Wirtschaftswissenschaft, sondern sie setzt sich direkt in die gehobene, bessergebildte bürgerliche Mitte - also auch in Funktionseliten, Lehrbeauftragte, höhere Angestellte, JournalistInnen, UnternehmerInnen etc. - fort, und formt von dort aus das gesellschaftliche Bewusstsein.


    Die eigentumslosen Massen sind - hier genau wie erst recht im Rest der Welt - doch gar nicht die Zielgruppe von Maja Göpel und leider auch größtenteils nicht die von FFF, Ende Gelände, oder der letzten Generation - auch wenn letztere natürlich durchaus radikal handelt. Die sind größtenteils gar nicht Teil der öffentlichen Debatte und entweder komplett abhängig davon, was ihnen von den Leitmedien als fertig ausgehandelte Realität™ vorgesetzt wird, oder sie wenden sich gänzlich von der Politik ab, bzw. "alternativen" Welterklärungen zu.


    Da kommen wir dann natürlich wieder bei der Frage an, wie, bzw. ob es einen linken Populismus bräuchte, der diese Elitendiskurse mit Kapitalismuskritik verbindet und sie dort hin trägt und verständlich machen kann, wo die Folgen des Klimawandels und der irgendwann erreichten grenzen des Wachstums ganz sicher als erstes und am härtesten zuschlagen werden.


    Aber ich glaube das wird nicht funktionieren, wenn die - rein aufgrund ihrer funktionell höher gestellten gesellschaftlichen Positionen wesentlich einflussreichere - gehobene bürgerliche Mitte sich weiter der Illusion hingeben kann, dass das System mit dem nötigen politischen Willen und der richtigen Technologie doch noch zum diversen, gendergerechten, und grünen Sozialkapitalismus reformierbar sei.


    Im Zweifel geschieht dann das, was sich eigentlich im Moment schon für den "heißen Herbst" andeutet: die Gesellschaft spaltet sich auf in einen Teil, der vielleicht auch nicht alles super findet, aber im Sinne der Staatsräson eben weiter daran festhält, die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten und Kritik nur - wie Marcel Fratzscher - schön zvilisiert innerhalb der bestehenden ideologischen und moralisch korrekten Grenzen zu tolerieren, und einen anderen, nicht mehr so konzilianten Teil, der von ersteren für potenziell gefährlich und extremistisch gehalten, und von ihnen im Einklang mit der politischen Führung bekämpft wird.


    Nicht dass ich da große Hoffnungen hätte, aber genau dazwischen müsste eigentlich eine Linke agieren, um zu verhindern, dass aus dieser Spaltung auf beiden Seiten autoritäre Gesinnungen wachsen, die jeweils den kapitalistischen Staat dazu bringen, bzw. übernehmen wollen, die Gegenseite notfalls mit Gewalt zur Räson zu bringen.

  • Daran knabbern doch alle die seit 150 Jahren im Fahrwasser von Marx unterwegs sind.


    Ideologie ist ein mächtiges Werkzeug und das Bürgertum glaubt selbst irrtümlich der Elite zugehörig zu sein, während diejenigen die die negativen Auswirkungen vor allem zu spüren bekommen entrechtet und demobilisiert durch die eigenen Lebensumstände sind, die es ihnen unmöglich machen sich politisch zu engagieren. Das ist eigentlich gut verstanden und schon immer so gewesen, dass politischer Aktivismus ein Privileg der bessergestellten und höher gebildeten ist.

  • Das ist eigentlich gut verstanden und schon immer so gewesen, dass politischer Aktivismus ein Privileg der bessergestellten und höher gebildeten ist.

    Ja sicher hat in vergangenen Arbeiterbewegungen auch nicht jeder Fließbandmalocher und jede Fabriknäherin Marx&Engels gesammelte Werke studiert, bevor sie für besser Arbeitsbedingungen und höhere Löhne demonstriert und gestreikt haben.


    Aber die bessergestellten und höher gebildeten Linken, die sich mit der Theorie beschäftigt haben, hatten damals halt noch nicht diese Scheu davor, sich mit dem ungewaschenen Pöbel gemein zu machen, sich nicht in ihren akademischen Bibliotheken und bildungsbürgerlichen Filterblasen eingemauert und hinter unverständlicher elaborierter Sprache verschanzt, und sich nicht gegenseitig der permanenten Gesinnungsprüfung unterzogen, während der rechte Rand die Agitation der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums übernimmt.

  • Herrmann ist jedoch pro Kapitalismus.

    Ich bin nahezu ebenso "pro-kapitalismus" wie Ulrike. Gerade dir sollte Dialektik ja möglich sein. Der Kapitalismus hat gegenüber dem Vorgängersystem Feudalismus sehr viel Verbesserung gebracht, unter anderem tatsächlich Wachstum. Es wäre gerade für Linke ein Fehler, das nicht anzuerkennen, das hat auch Marx getan.


    Ob man für oder gegen Kapitalismus ist hat aber nichts damit zu tun, dass wir in Zukunft keinen mehr haben werden können. Aber es gab in de Zeit des Kapitalismus Erfahrungen auf die wir aufbauen können und Elemente unseres momentanen Systems die wir erhalten müssen.

  • Ein Beispiel: Wir können und müssen eben bewusst entscheiden wo und wann wir Marktförmige Strukturen zulassen können. Das Problem des Kapitalismus ist nicht die Funktion des Marktes, es ist die Ausrichtung auf Kapitalakkumulation durch Ausbeutung von Mensch und Natur.


    Ich gehe z.B. lieber auf den Bauernmarkt um mir regionale Lebensmittel zu kaufen als mich einer Cooperative anzuschliessen und eine Gemüsekiste mit zufälligem Inhalt zu bekommen. So lange das für die beteiligten Erzeuger fair und für dir Umwelt nachhaltig ist, ist das das bessere System als die Kiste.


    Kaptalismus oder nicht setzt früher an als am Markt. Wer hat die Produktionsmittel, z.B. das Land. Soll das eine Cooperative sein oder eine Bank die mit Ackerland Bodenspekulation für ihre Shareholder betreiben soll? Wie ist die Organisatin der Produktion geregelt? Ist Gewinn oder Gemeinwohl das Ziel der Organisation?


    Wie ist die Verteilung geregelt? Gibt es Kapitalisten die über künstliche Verknappung und Monopole Gewinnmaximierung betreiben oder ist es auch hier eine Gemeinwohlgetriebene Cooperative (So wie die COOP in der Schweiz).


    Wenn demokratische Arbeitsbedingungen, nicht-kapitalistische Unternehmensformen wie Cooperativen, klare Regelungen durch Kommunen, Land und Staat für einen Markt sorgen der nicht der Kapitalakkumulation dient, wil es schlichtweg keine Kapitalisten gibt, dann ist "der Markt" eine sehr gute Form der selbstorganisation der Verteilung von Gütern. Der Markt kann ja durchaus einiges Regeln, wenn er selbst geregelt ist.


    Und ja, auch Konkurrenz ist dann durchaus etwas positives. Wenn es konkurierende Produzenten (z.B. Bäcker) gibt, und der eine bäckt einfach nicht so gute Brote, dann kann das schon sein, dass die Beschäftigten der Bäckerei dadurch Nachteile haben können. Why not.


    Es war ein Fehler des DDR Systems, dass man vollständig auf dieses Marktinstrument verzichtet hat. Kuba macht das inzwischen besser.

    Ich würde daher vielleicht auch mal nach Kuba schauen, wie dort die Rationierung und der Umgang mit Knappheit geregelt wird, und nicht nur auf die Planwirtschaft in England der 40er.

  • Ja sicher hat in vergangenen Arbeiterbewegungen auch nicht jeder Fließbandmalocher und jede Fabriknäherin Marx&Engels gesammelte Werke studiert, bevor sie für besser Arbeitsbedingungen und höhere Löhne demonstriert und gestreikt haben.


    Aber die bessergestellten und höher gebildeten Linken, die sich mit der Theorie beschäftigt haben, hatten damals halt noch nicht diese Scheu davor, sich mit dem ungewaschenen Pöbel gemein zu machen, sich nicht in ihren akademischen Bibliotheken und bildungsbürgerlichen Filterblasen eingemauert und hinter unverständlicher elaborierter Sprache verschanzt, und sich nicht gegenseitig der permanenten Gesinnungsprüfung unterzogen, während der rechte Rand die Agitation der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums übernimmt.

    Naja, da gab es schon immer das Lumpenproletariat, auf das man ziemlich verächtlich herabgeschaut hat.


    Zitat von wikipedia/Lumpenproletariat

    Politisch sind sie für Marx ohne (proletarisches) Klassenbewusstsein und deshalb sowie aufgrund ihrer Lebenslage oftmals unzuverlässig, passiv und reaktionär. Aus diesen Gründen schloss Marx sie als Bündnispartner aus und sah sie vielmehr als Gefahr für die Arbeiterbewegung.

  • Der Kapitalismus hat gegenüber dem Vorgängersystem Feudalismus sehr viel Verbesserung gebracht, unter anderem tatsächlich Wachstum. Es wäre gerade für Linke ein Fehler, das nicht anzuerkennen, das hat auch Marx getan.

    Wer sagt denn, dass die angeblichen Vorteile, die der Kapitalismus hat, nicht auch in einem anderen System hätten verwirklicht werden können? Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wurde mit Gewalt den Menschen auferlegt, andere alternative Systeme mit dem Militär ausgelöscht. Und jetzt versucht man uns, die gegen massive Widerstände und gegen die Logik des Kapitalismus erkämpften Errungenschaften als "Verbesserungen" gegenüber dem Feudalismus zu verkaufen. Wenn der Vergleich zum Feudalismus die einzige Legitimation des Kapitalismus ist, dann sind wir irgendwo in der Geschichte falsch abgebogen.


    Einige Entwicklungen, die der Kapitalismus gebracht hat, ist die gesellschaftliche Produktion. Im Mittelalter hat jeder sein eigenes Süppchen gekocht. Im Kapitalismus dagegen sind Unternehmen über Lieferkette u. a. miteinander verbunden, sind voneinander abhängig (dadurch aber auch krisenanfällig). Das könnte man ausnutzen, um eine kooperative Wirtschaft aufzubauen (was im mittelalter so nicht möglich war). Aber selbst das könnte es auch in einem anderen System geben, das sich anstatt des Kapitalismus hätte entwickeln können. Nie im Leben wirst du mich dazu kriegen können, etwas positives über den Kapitalismus zu sagen.

  • Gegenfrage: Wie sieht denn ein effektives "Gegensteuern" ohne einen massiven Ausbau der EE aus? Für Dich ist das vielleicht nur ein Puzzleteil von vielen, weil Du das Problem eher in der Kapitalakkumulation und der damit einhergehenden Verteilung an Besitztümern siehst mit all der damit einhergehenden Verschwendung...

    Nun, wer soll bestimmen wo Verschwendung anfängt? Ich glaube unser Problem sind nicht die privaten Swimmingpools, Privatjets, Privatsaunen oder Betonspekulationen. Es ist durch die Masse eher die Wassermelone, die Schokolade, das Rinderfilet oder das Glas Wein (u.v.m.) für den extrem breiten Teil der Bevölkerung, was noch immer mit fossilen Brennstoffträgern, Brandrodungen oder mit extremen Grundwassereinsatz organisiert wird. Man kann auch beim Strom aus der Steckdose oder der Wärme aus dem Heizungsrohr anfangen. Zumindest dafür müssen technische Lösungen unabhängig von jeder gesellschaftlichen Organisation gefunden werden. Gleichzeitig bilden diese technischen Lösungen, die wirklich eine Herausforderung sind, das Fundament für alles andere (Bedürfnis-Pyramide und so...)

    Konkret müssen wir uns also erstmal darüber unterhalten wie wir z.B. ein 500Seelen-Nest in Thüringen zukünftig klimaneutral mit Energie versorgen möchten oder eine Großstadt mit nachhaltigen Nahrungsmitteln. Das sind in der Tat technische und organisatorische Fragen, die auch ohne jede Verschwendung extrem schwer zu beantworten sind/wären. Wer soll das vor allem alles bauen? Nun ja, es liest sich halt immer so Elfenbeinturm-mäßig wenn Du im kompletten Besitz der Erkenntnis darüber referierst, dass es auf Technik gar nicht ankommt sondern aufs richtige Bewusstsein... was Du eigentlich jedem absprichst, der sich mit systemkonformen Lösungsansätzen auf technischer Ebene beschäftigt und es wagt an diese Ansätze zu glauben.

  • Ja, also Danton, wenn ich dich richtig verstehe ist das was der Club of Rome sagt eine Verschwörung bösartiger linker (wie mir) in ihrem Elfenbeinturm, die den Kapitalismus schlecht machen wollen.

    Diese fnsteren linken Gestalten wollen den braven Entrepreneuren nicht den Lohn für ihre heldenhaftn Bemühungen gönnen den Konsumhunger der breiten Bevölkerung zu bedienen, für was ja aber alle total dankbar sein müssten. Natürlich kann nur der Kapitalismus diesen Konsumhunger befriedigen für den der Kapitalismus gar nix kann.


    Dabei hat die unersättliche Gier der Konsumenten nach immer mehr (deiner Meinung nach) den Klimawandel verursacht.


    Zum glück aber werden dank der unsichtbare Hand des Marktes diese Entrepreneure für technologische Entwicklungen sorgen und uns so vor dem Klimawandel retten.


    Das lese ich daraus. Das ist ungefähr auch die Meinung von Friedrich Merz, schätze ich.


    Das ist eine Unterstellung?


    Ja aber dein Post unterstellt mir so einiges was man hier in diesem Thread sicher nicht findet.

    Ohne Erneuerbare, hä?

    Falsches Bewusstsein, ja Ok, aber nicht in der Frage die du beantwortest.

    Hier geht es um den Kollaps der auf den Overshoot zwingend folgen wird und damit das Ende des Kapitalismus das dem Ende des Wachsums folgt.

    Das das so ist scheint dir offenbar völlig fremd und unmöglich nur ansatzweise zu denken.

  • Naja, da gab es schon immer das Lumpenproletariat, auf das man ziemlich verächtlich herabgeschaut hat.

    Das meine ich aber nicht wenn ich "eigentumslose Massen" schreibe. Die polemische Formulierung "ungewaschener Pöbel" ist vielleicht irreführend, aber ich denke da nicht in erster Linie an Langzeitarbeitslose, die in dieser schönen Leistungsgesellschaft überhaupt keinen Anschluss mehr finden, sondern eher an sowas wie Hillary Clintons "basket of deplorables" - also eigentlich den Teil der Mittelschicht, der nicht zum Bildiungsbürgertum und den erweiterten Funktionseliten gehört.

    Bei uns im Land der DichterInnen und DenkerInnen wird das auch einfach unter "der Osten" oder "Sachsen" abgeheftet und sich dann nicht weiter damit beschäftigt (jedenfalls wenn man als Linke/r nicht selbst versucht im Osten Basisarbeit zu machen), weil da ja sowieso alle Querdenker sind und AfD wählen, oder weil sie verkalkte "Boomer" und Rentner sind, die in der SED-Diktatur kein demokratisches Bewusstein beigebracht bekommen haben.


    Das ist natürlich Quatsch und man findet auch im Westen jede Menge - auch durchaus junge Leute -, die mit Linken und Linksliberalen nichts zu tun haben wollen, oder sich gleich ganz aus der politischen Debatte verabschiedet haben. Genau genommen findet man sogar unter vielen jüngeren AkademikerInnen, die sich selbst als "links" bezeichnen eher wenige, die tatsächlich radikal kapitalismuskritisch sind. Die meisten sind halt irgendwie gegen Ungleichheit, verstehen aber nicht, wo die eigentlich herkommt, und reduzieren das Phänomen auf die anderen berüchtigten -ismen, die man dann den "deplorables" vorhalten, und ihnen die Schuld daran geben kann, dass die soziale Marktwirtschaft so unsozial ist.


    Eigentumslos - an Produktionsmitteln oder nennenswerten Kapitalanlagen - ist aber nicht nur das "neue" Lumpenproletariatprekariat der "working poor", die zwar auch hierzulande immer mehr werden, aber dabei trotzdem noch versuchen, ein halbwegs "bürgerliches" leben zu führen, und die man nicht mit den Massen an verelendetem, tatsächlich völlig verrohtem Industrieproletariat aus Marx' Zeiten vergleichen kann.

    Damit meine ich auch die vielen Beschäftigten im eher schlecht bezahlten Dienstleistungssektor - dem größten Segment des Arbeitsmarktes in mittlerweile allen Industrienationen. Und selbst die gut bezahlten FacharbeiterInnen, sowie nicht wenige IngenieurInnen und höhere Angestellte sind zwar finanziell noch halbwegs gut versorgt (so lange sie noch Lohnarbeitsplätze besetzen dürfen), und haben mitunter durchaus einen höheren Bildungsweg beschritten, aber sie gehören in der Regel nicht zum Bildungsbürgertum im Sinne einer ernsthaften Beschäftigung mit gesellschaftskritischer Theorie, und haben daher auch wenig bis gar kein Verständnis für Leute, die ihnen ihre bürgerliche Freiheit im Kapitalismus absprechen wollen.


    Der Punkt ist, dass die Klassengesellschaft - also der grundsätzliche Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit - heute genauso existiert wie vor 150 Jahren, dass aber das seitdem massiv angestiegene allgemeine Wohlstandsniveau (im globalen Norden!) ihren widersprüchlichen Charakter verschleiert, und die auch politisch von allen relevanten Parteien zum angestrebten Zustand erhobene Illusion einer "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" erzeugt, in der alle irgendwie "Mitte" sind, und Hand in Hand mit den ehrbaren Kaufleuten und kreativen Entrepreneuren des Kapitals an der Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstandes arbeiten.


    Der promovierte Akademiker, der bei irgendeinem Institut oder in der freien Wirtschaft festangestellt ein gutes Gehalt verdient, und gerade sein (realitv!) kleines Erbe von ein paar hunderttausend Euro in immobilienfonds angelegt, oder dämlicherweise auf Pump noch eine vermietete Eigentumswohnung als kapitalgedeckte Altersvorsorge gekauft hat, die er die nächsten zwanzig-dreißig Jahre lang mit Mieteinnahmen abbezahlen muss, hat plötzlich ein ganz anderes Verhältnis gegenüber linken MieteraktivistInnen und Enteignungsinitiativen. Der wird dann schnell sehr empfänglich für die ideologische Verklärung von profitablem Eigentum als bürgerliches Menschenrecht, und identifiziert sich mit den Interessen des großen Kapitals, das über seine lächerliche Klecker-Rendite nur müde lächeln kann.


    Das selbe gilt aber auch für das Gewerkschaftsmitglied bei der IG-Metall, dem der Betriebsrat des Exportunternehmens erklärt, dass man die Unternehmensführung nicht zu arg mit Lohnforderungen drangsalieren dürfe, weil die sonst den Standort dicht machen und seinen sicheren Arbeitsplatz vernichten könnte.

    Auch da haben Linke es schwer, das private Eigentum an den Produktionsmitteln als grundsätzliches Problem darzustellen, zumal das Arbeitgeberlager ja längst erkannt hat, dass man den abhängig Beschäftigten bei Zeiten - am besten schon in der Ausbildung - beibringen muss, dass der Vorstand ganz schwer unter der Last seiner Verantwortung zu tragen hat, und dass im Unternehmen doch alle am selben Strang ziehen und gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten sollten.

    Wenn da einer von der anarchistischen FAU vorbeikommt und irgendwas von Selbstorganisation erzählt, lachen die den aus, weil sie komplett verinnerlicht haben, dass nur was vorwärts geht, wenn einer das unternehmerische Risiko übernimmt, und ganz klare Ansagen macht, und weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass das einer freiwillig machen würde, ohne dafür einen Haufen "Unternehmerlohn" einzustreichen, oder dass ein geteiltes Risiko für ihre Arbeitsplätze eigentlich ein viel geringeres Risiko wäre.


    Am schlimmsten für die linke Sache sind aber womöglich die Massen junger Leute, die früher schon aus reiner Provokation gegenüber den restriktiven Elternhäusern eher nach links tendierten, und die heute komplett dem progressiven Neoliberalismus verfallen sind, und kein Problem damit haben, bei ihrem ersten Date mit der Wahlurne erzkapitalistische Parteien wie die fdP anzukreuzen, so lange sie nur divers und LGBTQ+-freundlich genug sind, weil die sich dafür einsetzen, dass auch junge Menschen am Kapitalmarkt ihr Glück finden und ihre Ersparnisse schon früh in Finanzprodukte investieren dürfen, damit das Profitieren nicht nur den alten weißen "Boomern" vorbehalten bleibt, die das Klima kaputt gemacht, und dafür auch noch das ganze Geld eingesackt haben.

    Oder man wählt eben grün, weil die noch diverser und noch mehr gegen Putin sind, weil sie schöne Sonnenblumen gegen den Klimawandel auf ihren Plakaten haben, und weil Onkel Robert so ein kumpeliger Typ, und Annalena Charlotte Alma so eine emanzipierte Powerfrau ist.


    Dabei ist es nicht so, dass man denen allen nicht erklären könnte, wo das eigentliche Problem liegt. Aber es erklärt ihnen halt keiner, wenn selbst die "radikalen" AktivistInnen der Klimabewegung und ihre wissenschaftlichen BeraterInnen von den Scientists for Future das böse K-Wort nicht in den Mund nehmen wollen, weil sie Angst davor haben, dann von der bürgerlichen Presse als gefährliche "ExtremistInnen" verschrien zu werden.


    Neulich war in Hamburg am Hafen Klimaaktion. Da haben sich tatsächlich radikale linke per öffentlichem Aufruf mit angeschlossen. Das Ergebnis war, dass am nächsten Tag zwar viel über Polizeigewalt und über dämliche PolizistInnen, die sich selbst mit Tränengas besprühten debattiert wurde, aber nicht über den Kapitalismus als Ursache des Klimwandels. in der BILD-Zeitung stand dann nur eine fettgedruckte Warnung davor, dass gefährliche Kommunisten =O die Klimabewegung unterwandert hätten.


    Davor sollte man aber als Linke einfach keine Angst mehr haben. Wenn man uns ohnehin schon beim kleinsten Widerstand "Extremisten" nennt, dann ist das halt so. Bernie Sanders hat damals im Wahlkampf 2016 auch irgendwann angefangen sich selbst "socialist" zu nennen. Nicht dass der moderat linke Sozialdemokrat tatsächlich Sozialist wäre, aber die politischen Gegner hätten ihn sowieso mit diesem Tabu-Wort als Bannfluch belegt, also hat er den Spieß einfach umgedreht, und das Wort positiv besetzt.

    Das muss man mit dem bösen K-Wort eben andersherum genauso machen. Wenn die Gegenseite auf radikale Kapitalismuskritik so viel empfindlicher reagiert als auf Symptomkritik wie Wachstumskritik, Ungleichheitskritik oder Klimawandelkritik, dann scheint sie ja nach wie vor ihre Berechtigung zu haben.

  • Bin da nicht unbedingt gegenteiiger Meinung, würde aber sagen, dass deine Darstellung mögicherweise ein wesentlich düstereres Bild malt als es in Wirklichkeit eigentlich ist. aber, dass wir hier in Deutschland die Ideologie weit mehr verinnerlicht haben als z.B. unsere französischen Nachbarn ist sicher klar. Ich hab ja eher Hoffnung, dass die Veränderungen in anderen Regionen der Welt, wie Südamerika, auch auf die Festungen des Kapitalismus überspringen wenn die Kacke am Dampfen ist.

  • Bin da nicht unbedingt gegenteiiger Meinung, würde aber sagen, dass deine Darstellung mögicherweise ein wesentlich düstereres Bild malt als es in Wirklichkeit eigentlich ist.

    Da wärst Du ja nicht der erste der mir das vorwirft. Aber ich warte immer noch auf die wissenschaftlichen Studien, die mich Lügen strafen.


    Es wäre ja absolut begrüßenswert, wenn ich das haltlos übertreiben, und es in Wahrheit viel weniger schlimm aussehen würde.

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