#580 - Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine

  • Hans, wir werden hier nicht auf einen Nenner kommen. Du lässt es so klingen, als ob alles einigermaßen rechtmäßig und ordentlich sich bezüglich der "Revolution" ereignet habe.

    Ich bin aber davon überzeugt, dass es mal wieder ein Coup der USA war, mal wieder einer von vielen. Coups in fremden Ländern sind meines Wissens übrigens auch nicht legal und verletzten die Souveränität des jeweiligen Landes. Und wenn du damit kommst, dass es immer gleich Propaganda ist, wenn behauptet wird, dass die USA irgendwo einen Coup gemacht haben, dann bist wohl eher du der Propagandist und nicht ich.

    Bestreiten würde ich jedoch zwei Punkte nicht, und zwar, dass erstens bestimmt nicht wenige tatsächlich näher an die EU rücken wollten. Jedoch die Mehrheit des Landes wollte auch EU-Mitglied werden? Proteste gab es ja eigentlich nur wirklich in Kiew und auch nicht in der gesamten Stadt, was relativ zur nicht kleinen Bevölkerung von 40Mio nicht gerade viel ist. Überhaupt hätten sich viele solcher EU-willigen Ukrainer dann bestimmt auch nicht gedacht, dass es hier um entweder Russland oder EU und Nato geht, sondern dass man beides gleichzeitig bekommt.

    Zweitens bin ich auf jeden Fall dabei, wenn es um die Feststellung geht, dass die Souveränität der Ukraine verletzt wurde, jedoch aus meiner Sicht zuerst von den USA mit dem Coup. Aber aus deiner Sicht ist ja jeder, der das Wort "Coup" in Zusammenhang mit den USA nimmt, anscheinend ein Propagandist.

  • Es ist halt Kieg und Zeitenwende. Da darf man als Journalist halt nicht so fies hinter der Wahrheit her fragen, wenn es dem Feinde nützen könnte.


    Das ist ein bisschen wie mit Assange. Da muss der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat eben abwägen, ob seine geopolitische Staatsräson nicht wichtiger ist, als die Aufdeckung von Kriegsverbrechen, die seine Streitkräfte begangen haben. Die Friedensforschung hat das eingehend erforscht.


    Und wenn seine Exzellenz, der Botschafter der Freiheit es mit der Holocaustbeteiligung des nationalen Freiheitshelden nicht so genau nimmt, dann sollte verantwortungsbewusster Wertejournalismus sich im Dienste der liberalen Demokratie gefälligst ein bisschen zurück halten.


    A propos Journalismus und Seine Exzellenz...:


    wenn irgendjemand das was der botschafter da gesagt hat geschrieben hätte dann wäre er schnell als putin versteher abgewartsch worden

    Das hat allerdings diese Putinist*innen vom ehemaligen Zentralorgan der SED-Nachfolgeorganisation schon im März nicht davon abgehalten, dem Russen Munition für seinen ideologischen Vernichtungskrieg gegen die Verteidiger der freiheitlichen ukrainischen Kultur frei Haus zu liefern:

    Andrij Melnyk: Russenhasser als Diplomat getarnt

    (Neues Deutschland - 16.03.22)


    Auch eine obskure, linksrechtsradikale Querfrontpostille aus der Bankenmetropole hat sich dann im Mai scham- und verantwortungslos über seiner Exzellenz zweifelhafte Ansichten zur Historie der ethnischen Säuberungskultur in seiner Heimat ausgelassen, und Putin damit quasi direkt in die Hände gespielt:

    Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk unterstützt ultrarechtes Asow-Regiment

    (Frankfurter Rundschau - 11.05.22)


    Aber das hat natürlich die ganzen blau-gelb beflaggten twitterfanboys und -girls sowie das politische Bedienpersonal unseres tarngrünen Ministeriums für äußere Werte und Feminismus nicht im geringsten dazu veranlasst, sich mal etwas genauer damit zu beschäftigen.


    Schliesslich ist Krieg und Zeitenwende und Staatsräson.



  • Sie distanziert sich allerdings nur von der Sache mit den Polen und entschuldigt sich beim loyalsten aller osteuropäischen US-Stellvertreterstaaten und dem Haupt-Transitland für den Waffennachschub natürlich umgehend für den diesbezüglichen Fauxpas des Diplomaten.


    Das mit dem Holocaust lassen wir wie üblich unter den Tisch fallen.

  • Ich muss sagen, ich bin etwas überrascht, dass das so Wellen schlägt. Ich dachte die Relativierung von Bandera in der Ukraine wäre an bekanntes Phänomen, mit dem man sich eben aktuell arrangiert, und ich dachte, dass Melnyk das auch so sieht, wäre einer der Aspekte, die ihn zu einer kontroversen Figur machen.

  • Ich muss sagen, ich bin etwas überrascht, dass das so Wellen schlägt. Ich dachte die Relativierung von Bandera in der Ukraine wäre an bekanntes Phänomen, mit dem man sich eben aktuell arrangiert, und ich dachte, dass Melnyk das auch so sieht, wäre einer der Aspekte, die ihn zu einer kontroversen Figur machen.

    Twitterwellen. Wir sehen uns nächste Woche, wo Melnyk dann wieder bei Maischberger sitzt, man das vielleicht einmal beiläufig anspricht, und dann ist es auch schon wieder vergessen. Mich freut es für Tilos publicity, aber ansonsten ist doch wirklich völlig unerheblich in der Gesamtbetrachtung der Diskussionen, die eigentlich geführt werden sollten. Da hat sich ein untragbarer Diplomat, dessen Untragbarkeit bereits hinlänglich bekannt war, untragbar geäußert. An welchen ehemaligen World-Leader erinnert uns diese Methode? Und wird das an Konservativen (Euphemismus) wie Melnyk hängen bleiben? Mitnichten.

  • Der Maidan hatte seinen Ursprung darin, dass Janukowitsch als Präsident sich im Dezember 2013 weigerte, das von seinen eigenen Regierung(!) ausgehandelte Eu- Ukraine Abkommen zu unterzeichnen. diese Weigerung erfolgte auf Druck Putins.


    Na, das ist aber eine einseitige Zusammenfassung. Die Russen wollten in dem konkreten Fall die negativen Folgen für ihren Handel und die damals noch deutlich stärkere Verflechtung ihrer Industrie inklusive des Militärisch-Industriellen Komplex mit vorallem dem Osten der Ukraine abwenden und haben dafür Druckmittel, aber auch Lockmittel, eingesetzt, aber das war sicherlich nicht der einzige Faktor für die Entscheidung:


    https://www.reuters.com/articl…ort-idUSBRE9BI0DZ20131219


    Zitat

    Public and private arm-twisting by Putin, including threats to Ukraine’s economy and Yanukovich’s political future, played a significant part. But the unwillingness of the EU and International Monetary Fund to be flexible in their demands of Ukraine also had an effect, making them less attractive partners


    Ausgehandelt heißt zum Beispiel nicht, dass die ukrainische Regierung auch bekommen habt, was sie wollten



    Die Ukraine war ein von Russland alimentiertes Land und die EU wollte da nicht nur mit den üblichen Schockreformen rangehen, sondern sah auch nicht ein, die dann wegfallende Alimentierung aufzufangen. Damit hatte sie dem russischen Druck zugearbeitet.


    Und da haben wir noch nicht mal über die größere geostrategische Auseinandersetzung zwischen Russland und USA im Hintergrund gesprochen.

  • Ich dachte die Relativierung von Bandera in der Ukraine wäre an bekanntes Phänomen, mit dem man sich eben aktuell arrangiert,

    Das ist jedenfalls auch nach Tilos Scoop mit diesem Interview nach wie vor die transatlantische Linie:



    Melnyk selbst zieht ja nun auch den "Trumpf", dass gerade Deutsche mit ihrer mörderischen Vergangenheit in der Ukraine doch gefälligst kine moralischen Urteile über ukrainische Freiheitskämpfer zu fällen hätten.



    Und der liberale twitter-mob findet, dass sei ja vielleicht alles nicht so ganz ideal gelaufen damals, aber jetzt sei doch nun wirklich nicht die Zeit um solche alten Geschichte zwischen Polen und Ukrainern wieder aufzuwärmen. Das könne man dann ja nach dem Ende des Krieges unter Freunden klären. Igor Levitt, der das als Jude natürlich verständlicherweise persönlich nimmt, aber zuvor auch nie besonders kritisch gegenüber dem Nationalkult um Bandera in Erschienung getreten ist bildet da (bislang) wohl eher die Ausnahme.


    Und dann kommt natürlich auch gleich der Angriff auf den Interviewer und sein zweifelhaftes Verhältnis zum Apartheidstaat zur liberalen Demokratie Israel:



    Dass das Ukrainische Außenministerium zwar sehr schnell reagiert, dabei aber den ganzen Antisemitismus komplett ausgeblendet hat, war eigentlich ein schlauer Schachzug, weil jetzt alle Medien natürlich irgendwas von "Ukrainische Regierung distanziert sich von Äußerungen des Botschafters" Titeln können, aber dann im Artikel das Heikle Thema Holocaust nicht erwähnen, oder zumindest nicht zum Gegenstand der Distanzierung machen müssen. so wie zum Beispiel hier im Tagesspiegel.


    Auch der DLF hält sich eher knapp und spricht vom "Partisanenführer" Bandera, dessen Organisation Massaker "angelastet" würden, beschränkt sich aber bei der Konkretisierung darauf, dass denselben "auch zehntausende polnische Zivilisten zum Opfer gefallen" seien.


    Der SPON ist da schon etwas schärfer im Ton und spricht auch durchaus an, dass Tilo Melnyk mit Belegen über die Beteiligung am Holocaust konfrontiert hat - allerdings wird das so formuliert, dass es sich bei den Vorwürfen gegen Bandera nur um "mutmaßliche" handele, und auch erwähnt, dass Bandera selbst - laut Melnyk - ja nie an Pogromen beteiligt war. (Ich nehme an, auch Hitler hat selbst nicht eigenhändig Juden ermordet...)


    Ich glaube das wird sich nach der anfänglichen #Empörung schnell im Sand verlaufen und Melnyk wird bald wieder zu gewohnter Form auflaufen.

  • Wisst ihr noch, wie empört man im MSM war, dass in den sozialen Netzwerken Leute rumgelaufen sind, die an die Flacherde aka "der Mond ist aus Käse" geglaubt haben? Schlimm. Sogar eigene Echokammern haben die ausgebildet. Schlimm.

  • Nachtrag, ich habe nicht richtig gelesen. Du schreibst Pogrom, nicht Programm. Banderas Programm war, die Juden und Bolschewiken zu beseitigen.

    Sein Programm war in dem Wiki Artikel nicht aufgeführt. Deswegen konnte ich mich dazu nicht äußern.

  • Twitterwellen.

    Nach dem was ich jetzt so gesehen habe geht diese Welle weit über Twitter hinaus, Tagesschau, Spiegel, Zeit usw, überall kann man etwas dazu lesen.

    Ich dachte die Relativierung von Bandera in der Ukraine wäre an bekanntes Phänomen...

    Also wie man aktuell lesen kann scheint das vorallem im Westen der Ukraine so zu sein, im Osten sieht man das wohl etwas kritischer, daher kann man wohl nicht pauschal von "der Ukraine" sprechen.


  • Bandera ist ein Antisemit gewesen und seine Bewegung an der Ermordung hunderttausender beteiligt. Wegen seiner Kooperation mit dem BND ist dies juristisch nicht weiter verfolgt worden (Melnyks Behauptung: Unschuldig, weil nicht verurteilt).


    Bandera ist ein Antisemit gewesen und seine Bewegung an der Ermordung hunderttausender beteiligt. Wegen seiner Kooperation mit dem BND ist dies juristisch nicht weiter verfolgt worden (Melnyks Behauptung: Unschuldig, weil nicht verurteilt).


    Bandera ist ein Antisemit gewesen und seine Bewegung an der Ermordung hunderttausender beteiligt. Wegen seiner Kooperation mit dem BND ist dies juristisch nicht weiter verfolgt worden (Melnyks Behauptung: Unschuldig, weil nicht verurteilt).

  • [...] The topic of the collaboration of local inhabitants with the Nazis was for a long time a blind spot of the Soviet social sciences and military history. And now this topic is “unpleasant” for many Ukrainian scholars and political groups.


    In trying to create an ideal image of Ukrainian history, some Ukrainian mass-media have made the absurd claim that Jews provoked the Holocaust because of their participation in the Communist Party, and this gave Ukrainians the moral right to participate in the Holocaust.

    Such claims by “new Ukrainian historians” often recall the claims of Third Reich ideologists about the “guilt” of “Judeo-Bolshevism” as a cause of the war.

    For Ukrainians this is a reminder that history can repeat itself if we forget its lessons and that nationalism in Ukraine today is more dangerous than the Western world thinks.

    Some Ukrainian educators believe the Holocaust is not an appropriate topic for teaching because in a Holocaust course a professor would need to let Ukrainian students know that some Jews were betrayed to the Nazis by Ukrainian neighbors. In addition, the OUN and UPA took part in the annihilation of Jews in western Ukraine, and this knowledge can shock young Ukrainians.


    It is true: I noticed the horror on the faces of my university students as they heard, on our excursion to the Kharkiv Holocaust Museum, the details of Jewish deportations to ghettos and the reaction of local inhabitants; many young Ukrainians could not believe it and asked a guide several times: “Is it really true that local Ukrainians also participated in the annihilation of Jews?” hoping to receive a negative answer.

    No one wants to recognize such existential faults in his own nation, but modern Ukrainian democracy needs not only the creation of national myths about Ukraine’s “heroic history” but also the acceptance of responsibility for its shameful past.

    Creating the new Ukrainian state demands getting rid of all political lies about the past. I think that any lie related to the idea of the “nation” destroys the future and morality of that nation. The difficult road of repentance traveled by the German nation has helped to redeem it and consolidate it. Austria, France, and Germany have laws against Holocaust denial; I believe that in this regard Ukraine needs to appropriate the experience of its western neighbors. [...]

    _____________________________________________________

    Anatoly Podolsky: Collaboration in Ukraine during the Holocaust: Aspects of historiography and research, In: THE HOLOCAUST IN UKRAINE - New Sources and Perspectives, Center for advanced Holocaust studies, United States Holocaust Memorial Museum, 2013, s. 205 (-> PDF)

  • Dann solltest du den Versuch unterlassen, Tilos Quelle (müsste das jetzt nachhören. War wohl ein Dokument des jüdischen Zentralrats?) mittels Wikipedia zu widerlegen, wenn Wikipedia darauf gar nicht eingeht.

    Nö.

  • Statement of the Embassy of Israel in Berlin on the remarks of the Ukrainian Ambassador Andrij Melnyk:


    The statement made by the Ukrainian ambassador is a distortion of the historical facts, belittles the Holocaust and is an insult to those who are murdered by Bandera and his people. The ambassador’s statements are not only undermining the values we all cherish and believe in, but also undermines the courageous fight of the Ukrainian people, to live according to democratic values and peace.


    Stellungnahme der israelischen Botschaft in Berlin zu den Äußerungen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk:


    Die Aussagen des ukrainischen Botschafters sind eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden.

    Die Äußerungen des Botschafters untergraben nicht nur die Werte, die wir alle schätzen und an die wir glauben, sondern sie untergraben auch den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes, nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben.

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