historische Einordnung der heutigen Arbeitszeit ("Vollbeschäftigung")

  • Auch recht, wenn das eine reine l'art pour l'art Beschäftigung sein soll viel Spaß.


    Politisches "L'art pour l'art" ist, wenn man sich immer wieder über die selben Symptome im Kreis herum beschwert, weil man das halt so gelernt hat und sich darin selbst genügt, hundert Jahre alten sozialdemokratischen "Lösungen" hinterher zu lamentieren, die seit fünfzig Jahren nicht mehr funktionieren, dabei aber nie zu dem Schluss kommt, dass es vielleicht von Nöten wäre, das Problem an den Ursachen zu begreifen, damit eine echte Veränderung stattfinden und irgendwann mal etwas geschaffen werden kann, was sich nicht in den selben alten Konventionen immer wieder von neuem selbst reproduziert.


    Aber dafür müsste man sich ja - um Gotteswillen - mal selbst mit der langen Geschichte der Kapitalismuskritik beschäftigen, anstatt einfach nur jedesmal von neuem den KritikerInnen vorzuwerfen, dass ihre Beschäftigung damit sie aus dieser brav eingeübten bürgerlichen Realität™ heraus radikalisiert hat.

  • hmm..


    Wenn ich als Bauer mehr herstellen muss, als zur Befriedigung meiner Bedürfnisse notwendig, weil ich das Mehr an meinen örtlichen Lehnsherren abdrücken muss, wo unterscheidet sich das vom Mehrwert, den der Kapitalist von meiner Arbeit einstreicht?

    Ich glaube nicht so viel.


    Allerdings war zu der Zeit die Arbeit viel abwechslungsreicher als unserere heute. Die Menschen waren kaum spezialisiert. Ein Bauer oder Knecht musste alle Arbeiten ausführen, die auf dem Hof anfallen und konnte nicht immer schnell einen Handwerker rufen.

    Die hohe Belastung der Menschen beruht doch weniger auf der grossen Arbeitsgeschwindigkeit, sondern aus fehlenden Hilfmitteln. Also z.B. heben, schieben, Korn schneiden, Stroh bündeln mussten die Menschen selbst ohne Motoren oder Vorrichtungen. Ein Pflug wurde teilweise von Menschen gezogen, wenn es für ein Pferd finanziell nicht reichte usw. Das verschleisst natürlich die Gelenke, aber führt nicht zum Burnout.

    Dafür war aber, wie schon geschrieben, die Arbeitsgeschwindigkeit geringer und die Arbeit selbst abwechslungsreicher.

    Vielleicht war es ja sogar ganz angenehm nicht als seniler Greis dahinvegetieren zu müssen? Super gesundheitsversorgt, aber ohne klaren Verstand oder körperliche Möglichkeiten, wie heute.

  • Vielleicht war es ja sogar ganz angenehm nicht als seniler Greis dahinvegetieren zu müssen? Super gesundheitsversorgt, aber ohne klaren Verstand oder körperliche Möglichkeiten, wie heute.

    Euthanasie durch Arbeit.

    Na sauber, Aktion T4 meets Vernichtungslager.

    Der Meister aus Deutschland on speed...

  • Ich glaube nicht so viel.

    Also was ich gelesen habe, war das Verhältnis von Saat zu Ernte im Zeitraum des Mittelalters grob 1:3 Dabei eins für einen selbst, eins für den Herr und eins fürs Lager. Bei Naturkatastrophen wie Starkregen kam dann wohl gleich die Hungersnot.


    Heutzutage ist das Saat/Ernteverhältnis übrigens bei 1:20-30 (erfindung des kunstdüngers im 19. jahrhundert usw. hat dazu beigetragen).

  • Euthanasie durch Arbeit.

    Na sauber, Aktion T4 meets Vernichtungslager.

    Der Meister aus Deutschland on speed...

    Vernichtungslager sind erst in der Moderne entstanden. Hm, nach welchem Vorbild hat man wohl an die industrielle Vernichtung von Menschen gedacht? hm hm hm schwer zu raten.


    Und zu den sonstigen Trolleinwürfen: Man kann natürlich immer Menschen finden, die länger/härter/abhängiger arbeiten, auch heutzutage. Neben diesem whataboutism von marner ist aber die Auffassung, dass Menschen im Mittelalter von irgendwelchen "Warlords" bis aufs Blut ausgequetscht wurden und 24-Stunden extrem hart gearbeitet hätten, halt einfach nur bürgerlicher Bullshit, der nicht in den konkreten Quellen reflektiert ist und zu dem es in der Wissenschaft keinen Konsens gibt. Das hat nix mit Romantisierung zu tun, sondern mit wissenschaftlicher Forschung.


    Richtig lächerlich wird es dann, wenn man sich das 19. Jahrhundert anschaut, in dem 7 jährige 16 Stunden ununterbrochen in Minen oder Fabriken gearbeitet haben. Gleichzeitig haben wir in der Moderne die schlimmsten Kriege und Massenvernichtungen der Geschichte erlebt.


    Ich will nicht, dass wir zurück ins Mittelalter gehen, was offensichtlich nicht geht. Aber Menschen hatte über ihre Existenz auf dem Planet nicht immer die gleiche betriebswirtschaftliche und profitgetriebene Mentalität.





  • Hier nochmal ein Text zur sozialen Gliederung des Dorfes. Aus Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Band 2, Hans K. Schulz,

  • Ok der Begriff Genügsamkeit war vielleicht etwas übertrieben. Aber trotzdem ist er gut, um einen Punkt zu machen. Nämlich dass in der Vergangenheit Wachstum und Profitmaximierung nicht der dreh und angelpunkt der Gesellschaft war. Wenn das Dorf gut gelebt hat, dann war es halt so und so hat man es gelassen. Über Jahrhunderte die gleichen Verhältnisse. Und niemanden hat es interessiert, dass es keinen Fortschritt gab. Man hat einfach gelebt. Klar gab es Machtstreben von Fürsten oder Rittern oder was, aber das war nicht dem Ziel bloßer Profitmaximierung unterworfen.


    Ab der Industriellen Revolution hat sich ja dann eine Gruppe entwickelt, die man das Bürgertum nennt. Und das waren Händler, Kaufleute usw. die eine modernere Mentalität hatten, bei der Gewinnmaximierung und Wachstum eine Rolle gespielt haben. Und das Bürgertum war es ja, dass den mittelalterlichen Adel mit seinen alten Werten "besiegt" hat und die bürgerliche Gesellschaft und Kapitalismus eingeführt hat. (grob dargestellt)

  • Euthanasie durch Arbeit.

    Na sauber, Aktion T4 meets Vernichtungslager.

    Der Meister aus Deutschland on speed...

    Ich habe nicht von Euthanasie gesprochen, sondern von der Lebenserwartung allgemein. Die kam wohl eher durch Ernährung, Gesundheitsversorgung und die Lebensumstände (Heizung im Winter, Hygiene, fehlende Impfmöglichkeit usw.) zustande.

    Landwirte oder Bauarbeiter arbeiten auch heute noch schwer körperlich und werden trotzdem älter als 35.

  • Guten Abend ihr Fleißigen,

    Ich wollte mich aus dem Debatten-Off nur kurz zurückmelden, da ich (wie es der Zufall manchmal eben will) heute einen Beitrag des Zündfunkgenerators mit dem Titel "Work hard? Warum Lohnarbeit nicht hält, was sie verspricht" gehört habe. Darin wird ab 14 Minuten und 22 Sekunden oder ab Zeile 224 im Sendungsmanuskript "Eine (sehr kurze) Geschichte der Arbeit" skizziert.


    Ich finde diese Erläuterung weder allzu beschönigend noch besonders gefärbt, zudem werden auch viele Forschende genannt, welche eine Basis liefern, um sich selbst mit den Inhalten (weiter) auseinander zu setzen. Was meint ihr?


    Da es mein erster Beitrag in diesen Forum war, muss ich gestehen, dass ich hinsichtlich eurer Lebendigkeit und Energie beinahe schockiert bin. Eine solche Diskussionskultur war mir bis dato unbekannt.


    Daher vielen Dank für die vielen Beiträge (ich bin noch fleißig am Nachlesen)!


    Macht weiter so :thumbup:


    Gyro

  • Danke nicht schlecht. Werde später mal was dazu schreiben.

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