#568 - Luisa Neubauer (Fridays For Future)

  • Dienstag, ab 20 Uhr, LIVE



    Zu Gast im Studio: Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer. In Deutschland ist sie eine der Hauptorganisatorinnen des von Greta Thunberg inspirierten Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“). Sie tritt für eine Klimapolitik ein, die mit dem Übereinkommen von Paris vereinbar ist und für einen Kohleausstieg Deutschlands bis 2030. Neubauer ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und Grüne Jugend und engagiert sich in verschiedenen Organisationen, bei denen sie sich unter anderem für Generationengerechtigkeit und gegen weltweite Armut einsetzt.


    Habt ihr Fragen an Luisa? Her damit in den Livechat oder vorab hier ins Forum!


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  • Ich bin selber Klimaaktivist*in bei Fridays For Future in einer Ortsgruppe und möchte an dieser Stelle mal auf unsere eigene Bewegung zu sprechen kommen:


    Wie kann es sein, dass sich eine Gruppe wie "BIPoCs For Future" überhaupt gründen muss, weil der Umgang mit Rassismus innerhalb der Bewegung so dermaßen schlecht ist? Warum werden in diesem Zug deren Forderungen ignoriert, bzw. die Verlesung der bei einer FFF Konferenz verhindert?


    Warum torpediert FFF Deutschland die internationalen Strukturen, indem es z.B. das internationale Statement zu israelischer Siedlungspolitik angreift? Warum nimmt sich FFF DE immer wieder Sonderrechte gegenüber den int. Strukturen raus, wie die nationale Nutzung eines eigenen #, bspw. #ReichtHaltNicht anstatt #PeopleNotProfit ?


    Wie kann es sein, dass Aktivist*innen, die auf Rassismus aufmerksam machen, wegen "Beleidigung" aus allen FFF DE Strukturen ausgeschlossen werden, während für Leute, die Täter*innen schützen, sich extrem unsensibel Verhalten, sich transfeindlich äußern/verhalten, krasse Lügen über ihre ehemalige OG auf Bundesebene verbreiten, nach kurzer Zeit wieder rehabilitiert werden sollen?

  • Hat die Klimabewegung (nicht nur Fridays for Future) ein Kompetenzproblem, was das Verständnis von Geld und fiskalpolitischer Zusammenhänge angeht?

    Dabei beziehe ich mich nicht nur auf Aussagen, wie "wir finanzieren Putins Krieg" von Luisa oder Volker Quaschning, sondern vielmehr darauf, dass FFF politisch fast ausschließlich in einem neoliberalen Geldverständnis argumentiert, wodurch sich Forderungen leicht wegargumentieren lassen.
    Wäre es nicht eigentlich die Chance für FFF durch ein moderneres Verständnis (MMT) diesen Rahmen aufzubrechen und sich somit eine ganz andere Position zu schaffen. Damit müsste man nicht mehr umweltschädliche Subventionen oder ähnliches gegen Klimainvestitionen aufwiegen, sondern könnte einfach Investitionen fordern.

  • …ohne zu fordern, dass umwelt-/klimaschädliche Subventionen beendet werden müssen? Warum sollte man das tun?

    Dass die umweltschädlichen Subventionen langfristig abgebaut werden müssen ist ja klar.
    Man nimmt sich ja leider nur den Argumentationsrahmen, wenn es heißt "dafür ist Geld da und dafür nicht". Das meinte ich mit Abwiegen. Der Staat kann aber einfach Geld für Klimainvestition ausgeben, unabhängig, ob es diese Subventionen gibt oder nicht (siehe zb 100Mrd Bundeswehr)

  • Der neue IPCC Bericht fordert neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren auch den unbedingten Einsatz von CCS (Carbon Capture and Storage) und um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten den Ausbau der Kernenergie um +100% der aktuellen Kapazität. Warum setzt sich Fridays4Future Deutschland nicht für den Erhalt der bestehenden KKW in Deutschland ein, wenn der Neubau anderswo viel CO2 und Ressourcenintensiver ist? Warum unterstützen F4F in Finnland, Polen, oder Frankreich die Kernenergie auf dieser wissenschaftlichen Grundlage, währen man in Deutschland auch von Luisa Neubauer andauernd "hört auf die Wissenschaft" erzählt bekommt, jedoch zur Kernenergie nur schweigen vernimmt?

  • ...währen man in Deutschland auch von Luisa Neubauer andauernd "hört auf die Wissenschaft" erzählt bekommt, jedoch zur Kernenergie nur schweigen vernimmt?

    Womit sie ja auch richtig liegt, Atomkraft ist dumm und nur was für ideologisch verblendete Menschen...

    "Atomkraft verschlimmert die Klimakrise!"

    Kann die Kernenergie uns dabei helfen, die Klimaziele zu erreichen? Der Herausgeber des World Nuclear Industry Status Report, Mycle Schneider, sagt nein und erklärt im DW-Interview die Gründe.

    ...wenn wir hier über Neubau von Stromerzeugungsanlagen reden, dann ist die Atomkraft schlicht ausgeschlossen. Nicht nur, weil sie heute die teuerste Form der Stromerzeugung ist, sondern vor allen Dingen, weil der Bau von Reaktoren sehr lange dauert. Das heißt: Jeder investierte Euro in neue Atomkraftwerke verschlimmert die Klimakrise, weil dieses Geld nicht für effizientere Klimaschutzoptionen zur Verfügung steht.

    ...

    ...und in DE wollen zumindest die Betreiber der AKW selber die restlichen 3 Kraftwerke nicht weiter betreiben, dafür ist es einfach zu spät, es bleiben nur noch ein paar Monate und es war lange genug geplant die Dinger abzuschalten, daher hat man keinen neuen Brennstoff bestellt und Sicherheitsprüfungen und Personal nicht entsprechend eingeplant.

    Und diese 3 AKW produzieren zusammen auch nur etwa 4GW...wir brauchen insgesamt aber eher 60-70GW im Sommer und so 70-80GW im Winter und mehr als die Hälfte davon kommt bereits aus EE Strom...und wenn die 3 unflexiblen AKW die dauernd in Grundlast laufen vom Netz sind wird das für die EE nur von Vorteil weil so große unflexible Grundlastkraftwerke nur das Netz verstopfen, die Kombination aus EE und AKW ist einfach total dumm, aber zum Glück sind wir die zumindest bei uns bald los.


    Und auch wirtschaftlich und umwelttechnisch gesehen sind Atomkraftwerke alles andere als sinnvoll...es sind bis heutzutage noch nichtmal die externen Kosten eingerechnet wie die Schäden durch die Verseuchung der Umwelt beim Bergbau und später am Ende der Kette die immer noch ungeklärte Endlagerung, würde man das alles mit einberechnen hätte man noch viel höhere Preise, ein AKW ist objektiv betrachtet wirtschaftlich totaler Unsinn und das wird höchstwahrscheinlich auch in Zukunft so bleiben, sagen zumindest auch die meisten Prognosen von halbwegs seriösen Wissenschaftlern.

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  • Warum setzt sich Fridays4Future Deutschland nicht für den Erhalt der bestehenden KKW in Deutschland ein[…]?

    Immer diese Phantomdebatte zum Erhalt der letzten deutschen KKW. Ich kann vom GKN Neckarwestheim 2 berichten, dass dieses Kraftwerk auf dem letzten Loch pfeift: Die Kühlrohre im Primärkreislauf sind korrodiert, ungefähr 300 Schadstellen wurden bei der letzten Revision fest gestellt. Nicht auszudenken, was passiert, wenn eines der Rohre, das weit über 100 Bar aushalten muss, abreißt - das reicht vom Freisetzen von Radioaktivität in die Umwelt bis zum Super-GAU. Dass es überhaupt noch läuft, ist der eigentliche Skandal. Die grüne Landesregierung duckt sich weg, sieht die Profite der hauseigenen EnBW gefährdet. Ein Eilantrag zur Stilllegung wird verschleppt - offensichtlich wird gefürchtet, dass den Klägern Recht gegeben werden könnte.


    Der Anteil der Stromerzeugung von Atomenergie ist lächerlich gering, aber er sorgt für jede Menge Probleme. Konservative Kräfte jazzen regelmäßig Diskussionen um die Windenergie hoch, weil sie es offensichtlich nicht ertragen, dass Energieformen, die sie früher ausgelacht haben(, genau wie die Leute, die ihren Einsatz schon vor 50 Jahren gefordert haben), heute als die wenigen seriösen Energiequellen übrig bleiben. Dort, wo Windräder stehen, ist vom Widerstand dagegen nicht mehr viel zu hören. (Ich wohne in eines der wenigen Orte in Baden-Württemberg, die eine Windkraftanlage auf ihrer Gemarkung stehen hat.) Dort wo AKWs stehen, steigt der Widerstand und bleibt, bis sie endlich abgeschaltet werden.

  • Es ist wirklich tragisch.


    Die Frau ist zweifelsohne sehr intelligent, charismatisch und organisatorisch begabt, aber sie kann trotzdem fast zweieinviertel Stunden lang über Gott und die Welt, und über die Bemühungen reden allerhand Ungerechtigkeiten innerhalb ihrer globalen Organisation zu beseitigen, ohne das böse K-Wort auch nur ein einziges mal in den Mund zu nehmen und anzuerkennen, dass der Grund für den Zwang zum quantitativen Wachstum - der außerhalb von Fridays for Future den Lauf der Welt bestimmt, und den sie ganz richtig als Ursache der drohenden Klimakatastrophe ausmacht - nicht allein die Gier böser (alter, weißer, männlicher) Menschen die Böses tun ist, sondern ein sich selbst immer weiter dynamisch voran treibendes kapitalistisches System, dessen Eigenlogik auch die klügste, grünste und sozialste Wirtschaftspolitik nicht davon abhalten wird, weiter Ressourcen zu verheizen, um seinen Profiteuren einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu verschaffen, so lange sie weiter daran festhält, dass privates Eigentum und "freier" Wettbewerb das Ende der Geschichte aller menschlichen Entwicklung sind.


    Und als sie dann (so ungefähr ab 2h13m) doch das K-Wort in den Mund nimmt, weil Tilo es ihr hinein gelegt hat, tut sie es sichtlich ungern, weil das ja irgendwelche Debatten aus dem 20. Jahrhundert sind, mit denen man gleich in irgendeiner Schublade landet, und findet es viel "spannender" unter "Systemwechsel" mehr so einen bunten Strauß an Optimierungen aller möglichen Teilsysteme zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu verstehen.


    Und so führt die junge Generation die selben uralten Diskurse aus der sozialdemokratischen Reformkiste des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, und kommt sich dabei vor, als wäre das eine ganz neue Idee, weil es ja schon wieder ganz neue Leute sind, die sie haben, und weil keine alten weißen männlichen Menschen mehr die Ansagen machen, sondern junge bunte weibliche.

  • Du meinst, weil sie dann nicht mehr zu netten Gesprächen mit PolitikerInnen einegeladen werden, die alles verstehen und trotzdem nichts ändern?

    Viel schlimmer, die Gemeinnützigkeit ist dann beim Teufel (zumindest fürs Finanzamt) und die Spendenquittungen sind nix mehr wert und man darf alles versteuern.

  • Du meinst, weil sie dann nicht mehr zu netten Gesprächen mit PolitikerInnen einegeladen werden, die alles verstehen und trotzdem nichts ändern?

    Der Klassiker. Hat man einmal ein Standing erreicht und damit auch etwas zu verlieren, macht man es sich schnell im Wertekanon gemütlich und hat sich irgendwann auch recht schnell selbst davon überzeugt, dass es ja vielversprechender sei, als Teil des Systems und mit der Reichweite, die einem großzügig genehmigt wird, Veränderungen der kleinen Schritte zu promoten.


    In diese Falle tappen gerade wieder sehr viele, wenn nicht alle. Irgendjemand hat sinngemäß mal formuliert, dass der Kapitalismus deshalb so erfolgreich ist, weil er sich Gegenströmungen ganz einfach einkauft bzw einverleibt. Tja.

  • Ich seh das strategisch. FFF gehört zum bürgerlichen Spektrum der Klimabewegungen mit denen die Politiker reden. Die ernsthaften Bewegungen sind aber Ende Gelände, Aufstand der letzten Generation, Sand im Getriebe und Extinction Rebellion, die im Hintergrund den größeren Druck ausüben. Aber in der Klimabewegung wird derzeit auch viel über neue Aktionsformen gesprochen und die Wirksamkeit von reinen Demonstrationen wird in Frage gestellt. Es wird Zeit, dass man sich davon verabschiedet. Scientists For Future machen auch zivilen Ungehorsam mittlerweile. Ich bin auch beim Aufbruch dabei und wir arbeiten an der Idee des politischen Streiks.

  • Ihr habt das Genuschel wirklich alle verstanden - vielleicht liegt's am Alter, aber die Hälfte is an mir vorbeigegangen.

    Mal ne Mark in Sprachschulung zu investieren könnte nicht schaden.


    Insgesamt aber (also dass, was ich verstanden habe) enttäuschend.

  • Mich würde mal ein Interview mit Luisa Neubauer interessieren, in der nicht ein einziges mal über die Klimakatastrophe geredet wird. Aber das war jetzt nicht als Auftrag an Dich gedacht, Tilo. Ich wollte es nur einfach einmal erwähnt haben, weil ich glaube, dass die Frau sehr viel facettenreicher ist, als wir in den Medien von ihr mitgeteilt bekommen. Trotzdem: Ich fand's gut, das Interview!


    Im Übrigen muss ich sie verteidigen: Alleine die konsequente Forderung nach Klimagerechtigkeit ist für unser Wirtschaftssystem derart radikal, dass Forderungen, das schuldige Kind beim Namen zu nennen, völlig überflüssig sind.

    Die Linke hat einen fetischistischen Hang zur Wahrheit. Das ist in mancherlei Hinsicht nützlich, aber manchmal auch einfach strategisch unklug( - und z.B. ein Grund, warum sich faschistische Narrative so viel einfacher verbreiten lassen). Warum also sollte man Begriffe wie "Kapitalismus" überhaupt erwähnen, wenn man genau weiß, dass bei dreiviertel der Normalbevölkerung im Moment des Erwähnens der Laden runter geht(, wohlwissend, dass die Gesamtbevölkerung für den Wandel gebraucht wird)? Ist es nicht 1000x klüger, den System-Change zu proklamieren und gemeinsam zu gestalten, als ihn wegen unpopulärer Begrifflichkeiten zu torpedieren? Die Leute, die Marx kennen (und schätzen), wissen, wie das Narrativ zu deuten ist. Muss wirklich der allerletzte BWLer auch in den Chor der Antikapitalisten einstimmen? Ich denke, es gibt wichtigeres.


    Maria Göpel hat sich übrigens ähnlich geäußert. Man sollte solche Strategien als legitim anerkennen und nicht aufgrund von Selbstbeweihräucherung ("Yeah, ich hab's schon immer gewusst!") auf eine bestimmte Nomenklatur pochen.

  • Die Linke hat einen fetischistischen Hang zur Wahrheit. Das ist in mancherlei Hinsicht nützlich, aber manchmal auch einfach strategisch unklug( - und z.B. ein Grund, warum sich faschistische Narrative so viel einfacher verbreiten lassen).

    Du meinst, wir sollten den Leuten lieber nicht die Wahrheit sagen?


    Nicht nur faschistische Narrative, lieber Mitsch, sondern auch allerhand andere Verschwörungsideologien und totalitäre Weltbilder verbreiten sich genau dann, wenn Systemkritik das schuldige Kind - nämlich das kapitalistische System - nicht beim Namen (des Systems) nennt, sondern ihm andere Namen gibt, wie zum Beispiel "gierige Milliardäre", "Boomer", "Ausländer" oder auch "alte weiße Männer", und es somit auf das böse Tun böser Menschen verkürzt.


    In dem Moment, wo das Problem nicht als systemisch - also als gesamtgesellschaftlich! - formuliert wird, macht man die Problembeschreibung anschlussfähig für alle möglichen Schuldzuweisungen an einzelne Personen oder Personengruppen - also an genau das, was rechte Demagogen schon immer getan haben, um die guten, moralisch reinen von den bösen moralisch verkommenen Menschen zu trennen, Letztere als zwar absolute, aber mit dem nötigen Willen und Heldenmut konkret zu bekämpfende Bedrohung darzustellen, und sich dann selbst als Speerspitze des aufrechten Kampfes gegen deren abgrundtiefe Schlechtigkeit hervor zu tun.


    Die Original-Nazis waren zum Beispiel Meister dieser "verkürzten Kapitalismuskritik". Sie nannten sich nicht National-"Sozialisten", weil sie für die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln oder für die Demokratisierung der Arbeit gewesen wären, sondern weil sie ausgebeuteten ArbeiterInnen weißmachen wollten, sie stünden stramm gegen das "raffende" Kapital, gegen die jüdische "Hochfinanz" - sprich: gegen böse ("Unter-")Menschen, die aus reiner Gier Böses taten und sich unrechtmäßig auf Kosten des deutschen Volkes bereicherten -, und versprachen, diesem Schändlichen Treiben ein Ende zu bereiten.


    Das "schaffende Kapital", die braven deutschen Unternehmer, die für ihre fleissige Arbeit für das Bruttovolksprodukt ihren gerechten Unternehmerlohn aus ihren Betrieben extrahierten, waren nicht nur kein Ziel der National-"sozialistischen" Revolutionäre, sondern sie wurden - sofern sie keine Juden oder anderweitig von den Nazis als "minderwertig" klassifizierte Menschen waren und sich Hitlers Gewaltherrschaft gegenüber fügsam zeigten - von ihnen hofiert und gegen Kommunisten und Sozialdemokraten in Stellung gebracht und verteidigt.

    Nicht radikale linke KapitalismuskritikerInnen haben den Nazis zum politischen Sieg verholfen. Es waren die bürgerliche Mitte und das deutsche Großkapital, die dafür sorgten, dass die bürgerlichen Parteien die NSDAP bei der Wahl des Regierungschefs unterstützen und so Hitlers Machtergreifung ermöglichten.


    Schliesslich wurden nicht wenige Vertreter des "Schaffenden" Kapitals zu wichtigen Säulen der Diktatur und ihrer kriegswichtigen Industrie. Die meisten der Konzerne die damals schon bestanden, mit den Nazis gemeinsame Sache machten, und von der Kriegswirtschaft und der Zwangsarbeit profitierten, bestehen noch heute, und die ErbInnen der damaligen Eigentümer gehören zu den reichsten Menschen in Deutschland.


    Heute funktioniert das natürlich nicht mehr so einfach. Es gibt in Deutschland keine auch nur ansatzweise gleichermaßen organisierte "Arbeiterklasse" wie in der Weimarer Republik. Es gibt auch keine kommunistische oder sozialistische Partei mehr, die eine nennenswerte Anzahl von Wählerstimmen für sich gewinnen könnte.

    Es gibt neoliberale Parteien und etwas weniger neoliberale Parteien - inklusive der sozialdemokratischen Partei - und es gibt eine "linke" Partei, die sich nicht entscheiden kann, ob sie lieber Wladimir Putin und sexistische, homophobe, rassistische alte Weiße Männer für alles verantwortlich machen, oder ob sie lieber moderate SozialdemokratInnen sein wollen, für die eine echte Systemkritik keinerlei Bedeutung mehr hat, weil sie sich längst mit der gefühlten Alternativlosigkeit des herrschenden kapitalistischen Systems arrangiert haben.

    Auch die AfD ist keine kapitalismuskritische Partei. Der "Flügel"-Führer Höcke ist bestenfalls ein National-"Sozialist". Seine unter Pseudonym veröffentlichten Artikel zur Kapitalismuskritik sind genauso verkürzt, wie die diesbezüglichen Thesen des Nazi-Führers Hitler.


    Den Unwillen der Bevölkerung, sich mit dem Kapitalismus als System zu beschäftigen als Grund dafür zu nennen warum, man heute das böse K-Wort nicht mehr laut sagt, ist bestenfalls ein Zirkelschluss, weil er nur dann eine valide Begründung ist, wenn man der Bevölkerung nicht mehr erklärt, was Systemkritik eigentlich ist, und was sie von Symptomkritik unterscheidet.


    Wenn Linke - und Leute die sich für Linke halten -, es nicht mehr für nötig befinden, den Menschen klar zu machen, wie systemische Zwänge funktionieren - wenn sie ihnen also nicht mehr erklären, dass es nicht die Schuld einzelner Individuen ist, dass sie in einer kapitalistischen Welt leben, in der Menschen ausgebeutet und das Klima zerstört werden, um den systemischen Zwang zum Geldwachstum zu bedienen - dann kann natürlich auch kein Bewusstsein mehr dafür entstehen, dass Kapitalismuskritik keine Schuld- sondern eine Systemfrage behandelt, und dann schrecken die Menschen vor der verkürzten Kapitalismuskritik zurück, weil sie sich davon entweder als moralisch Schuldige bezichtigt, oder zu machtlosen Opfern reduziert fühlen.


    Wenn man den selben Menschen - denen man diese Zusammenhänge nicht klar macht, weil man vor Begriffen zurück schreckt, die man nicht erklären will - dann den moralischen Zeigefinger vor die Nase hält und ihnen permanent einbläut, dass es die Aufgabe eines jeden Einzelnen von ihnen sei, eigenverantwortlich sein Leben zu ändern, um den Klimawandel aufzuhalten, dann bedient man nicht nur ein erzneoliberales Narrativ, sondern man treibt diese Menschen auch in die Arme genau jener DemagogInnen, die ihnen mit konspiratistischen bis faschistischen Narrativen eine einfache Erklärung für komplexe Probleme bieten und ihnen Halt in einer alternativen Gemeinschaft versprechen.


    Die nationale "Sozialistin" Marine Le Pen wäre nicht deshalb um ein Haar französische Präsidentin geworden, weil ihre WählerInnen allesamt in der Wolle gefärbte FaschistInnen sind, sondern weil ihr "liberaler" Konkurrent Emmanuel Macron versucht hat, einen ökologischen Wandel von Oben zu dekretieren, und das auf Kosten der arbeitenden Gesellschaft umsetzen wollte, um sich nicht mit den Leuten anzulegen, die ihn mit ihrem Kapital ins Amt gebracht haben.

    Daran sind aber nicht allein "die Kapitalisten" schuld - die sind in den Widersprüchen dieser systemischen "Logik" genauso gefangen, wie die ArbeiterInnen und Angestellten - und auch nicht die politische Klasse, die sie zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen in Regierungsämter bringt, sondern ein sozioökonomisches System, das sie dazu zwingt, aus Geld mehr Geld zu machen.


    Im Grunde ist es mir wurscht, ob man das böse Wort "Kapitalismus" dabei in den Mund nimmt. Luisa Neubauer könnte das auch anders benennen, wenn es ihr gar zu altmodisch ist. Meine Kritik an ihren Äußerungen ist nicht semantisch. Aber wenn man Greta Thunbergs Forderung nach einem "system change" darauf herunter reduziert, dass es lediglich einer Anpassung von Teilsystemen bedürfe, um den ganzen "Wert"-Schöpfungsapparat klimafreundlich und sozial nachhaltig zu machen, dann hat man eben den Kern des Problems nicht verstanden.


    So lange sich KritikerInnen der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse an dem alten sozialdemokratischen Irrglauben festklammern, man könne das kapitalistische System im Grunde weiter laufen lassen, ohne die Eigentumsverhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen, wenn man nur an den richtigen Stellschrauben drehte, um es in eine ökosoziale Marktwirtschaft zu verwandeln, weil man sich die Kernklientel eines gebildeten und "liberalen" gehobenen Bürgertums nicht mit altmodischer Kapitalismuskritik vergrätzen will, wird man keine nachhaltige Transformation zu einer ökologisch und sozial gerechte(re)n Gesellschaft erreichen - auch wenn man noch zehn Bücher von Maja Göpel liest - weil eine solche Transformation der Gesellschaft nicht funktionieren kann, wenn die Mehrheit der Gesellschaft weiterhin der Ansicht ist, dass nicht das System - dessen Teile wir alle sind - das Problem ist, sondern böse Menschen die Böses tun.

  • Man muss nicht lügen, um seine Inhalte an die Menschen zu bringen, man kann seine Wortwahl auch modifizieren. Oder man kann im richtigen Moment einfach mal die Klappe halten. Und wenn es darum geht, eine Gesellschaft zu überzeugen, die das Wort "Kapitalismus" als marxistischen Kampfbegriff ablehnt, dann benutze ich das Wort einfach nicht - eigentlich eine einfache Sache.


    Und dass Maria Göpel oder Luisa Neubauer moralisch und nicht systemisch argumentieren, kann man ihnen nur vorwerfen, wenn man ihnen nicht zuhört oder - jetzt bin _ich_ mal böse - beim Buzzword-Bingo auf seine Begriffe wartet, um die Message verstehen zu können.

  • Ich habe nicht behauptet, dass Marija Göpel moralisch argumentiere. Sie argumentiert im Grunde sozialdemokratisch, auch wenn sich das nicht nach SPD anhört, weil sie dafür modernere Begriffe verwendet, bzw. auch welche neu erfindet.


    Im Kern lehnt sie aber radikale Kapitalismuskritik genauso ab, wie Luisa Neubauer und begründet das analog damit, dass sie lieber über Stellschraubenmechanik im alten Apparat redet, als darüber wie man einen neuen Apparat konstruieren könnte.


    Moralisch argumentiert hingegen Neubauer, wenn sie zum Beispiel darauf abstellt, dass das Patriarchat und die "alten weißen Männer" im Grunde verantwortlich für den Klinawandel seien.


    Das ist an sich ja keine unberechtigte Feststellung, aber in Verbindung mit der Verweigerung einer systemischen Analyse läuft der Diskurs so immer darauf hinaus, dass zwischen guten (z.B. feministischen, jungen, bunten, Klimaaktivist*innen) und bösen (z.B. sexistischen, alten, weißen Männern) Menschen unterschieden wird und nicht z.B. zwischen einer demokratischen gemeinwirtschaftlichen oder einer autoritär geführten privatwirtschaftlichen Ökonomie.


    Das nützt letztendlich genau den alten sexistischen weißen Männern, gegen die sich Neubauer damit profiliert, weil sie dabei all jene Miglieder der Gesellschaft ausschließt und moralisch verurteilt, die nicht das Privileg hatten sich so einen modernen, aufgeklärten Blick anzueignen.


    Wenn sie Erfolg haben will, muss sie aber genau solche Menschen überzeugen, die nicht ohnehin schon die selbe Haltung haben. Ansonsten hilft sie nur jenen, die sich auf der selben "guten" Seite wähnen dabei, sich kollektiv moralisch überlegen zu fühlen, und treibt alle anderen den rechten Demagogen in die Arme, die Neubauer und fff als ökofaschistInnen und verwöhnte Großbürgerkinder darstellen, die dem "kleinen Mann" sein Schnitzel nicht gönnen und ihm sein Auto wegnehmen wollen.

  • Wenn sie Erfolg haben will, muss sie aber genau solche Menschen überzeugen, die nicht ohnehin schon die selbe Haltung haben. Ansonsten hilft sie nur jenen, die sich auf der selben "guten" Seite wähnen dabei, sich kollektiv moralisch überlegen zu fühlen, und treibt alle anderen den rechten Demagogen in die Arme, die Neubauer und fff als ökofaschistInnen und verwöhnte Großbürgerkinder darstellen, die dem "kleinen Mann" sein Schnitzel nicht gönnen und ihm sein Auto wegnehmen wollen.

    Wenn sie langfristig etwas bewegen wollen würde stimmt das, aber kurzfristig hat sie mit ihrer aktuellen Haltung natürlich mehr Erfolg. Vermutlich spielt da eine perspektivlosigkeit/Hoffnungslosigkeit mit rein überhaupt jemals das System auf den Kopf stellen zu können.

    Stellschraubenpolitik ist kurzfristig natürlich vielversprechender, vor allem für sie persönlich. Der Widerspruch einerseits in einer systemkomformen Partei wie den Grünen zu agieren und gleichzeitig eine revolutionäre Bewegung leiten zu wollen lässt sich glaube ich leider nicht auflösen.

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