Afghanistan

  • Korrigiert mich, wenn ich mit ein paar Punkten hier falsch liege. Ich finde es jedenfalls zu einfach, wenn die seit 20 Jahren verzerrte und mangelhafte Berichterstattung sich jetzt potenziert.


    Ich hatte hier schonmal irgendwo gesagt, dass ich keine so großen Unterschiede zwischen beiden Gruppen sehe. Ich finde, da gibt es sogar einige sehr augenfällige Gemeinsamkeiten, die natürlich kein Zufall sind.

    • Taliban und ISIS rekrutierten sich beide vorallem aus einer islamistisch indoktrinierten Kriegsgeneration verstärkt mit ausländischen Mudschahidin. Im Irak war es der zweite Golfkrieg, das Sanktionsregime der 1990er, was ähnlich schlimm war, und dann der dritte Golfkrieg und die Phase sektierischer Gewalt.
    • Beide sind von äußeren Mächten gegen den Einfluss ihrer Konkurrenten mit aufgebaut worden. Von den USA gegen die Sowjetunion, mit Unterstützung durch Pakistan. Die pakistanischen Madrasas, von denen die Taliban ihren Namen beziehen, wurden hauptsächlich aus dem Ausland, viele von Saudi-Arabien finanziert. (Wobei die spezifische islamische Ideologie der Taliban denke ich lokalere Wurzeln hat.) Bei ISIS sind es Saudi-Arabien und die Golfstaaten, die, oder jedenfalls Kräfte innerhalb, die ursprünglichen Finanziers der Bewegung waren, gegen die USA, aber dann auch gegen die syrische Armee und den iranischen Einfluss im Irak. Die Unterstützung der Türkei kam denke ich etwas später hinzu.
    • Die ähnliche Struktur als Netzwerk mit Führungsfiguren, die sich eher verdeckt bewegen, aber die kommt wohl durch die Aufstellung als Partisanen und Miliz, die sehr verwundbar durch die Lufthoheit der Gegenseite ist. Das ist bei Hamas und Hisbollah auch nicht anders.
    • So wie die Taliban für Pakistan ein Problem darstellen - trotz einer gewissen Unterstützung, die sie dort immer noch erfahren - gab es auch den Moment, als die Saudis sich anfingen sorgen zu machen und ihre Grenze zum Irak befestigt haben, damit es nicht zu einem Übergriff wie in Syrien kommt. Das grenzübergreifende Operieren ist auch insofern eine Gemeinsamkeit, weil sich beide Gruppen schlicht nicht als (nationale) Bewegungen innerhalb eines Staates verstehen. - Andererseits hatte ISIS wirklich sein irakisch-syrisches Territorium als ein Gebiet beherrscht, während die Taliban von Afghanistan und Pakistan denke ich schon deutlicher getrennt sind.

    Klar, man vergleicht hier auch unterschiedliche Phasen der Bewegungen. Die Taliban haben sich in den letzten zwanzig Jahren natürlich verändert, aber ihre Herrschaft in den 1990ern in Afghanistan hatte schon einige Ähnlichkeiten zur Herrschaft von ISIS.


    Der Hauptunterschied ist aus meiner Sicht, dass ISIS Terror und vorallem die mediale Inszenierung von Terror viel stärker zum Mittel der Kriegsführung und Rekrutierung und dann Herrschaft gemacht hat, auch um eine anfangs eher geringe militärische Stärke zu kompensieren. Der Konflikt im Irak/Syrien spielte sich zudem in einem engeren und urbaneren Raum ab als in Afghanistan.


    Insofern weiß ich gar nicht, ob ich die größere ideologische Verhaftung bei ISIS sehen würde. Zum Beispiel die Zerstörung der buddhistischen Kunstwerke durch die Taliban war vermutlich stärker rein ideologisch begründet. Bei ISIS war die Zerstörung irakischen und zum Teil syrischen Kulturerbes mehr inszenierter Terror, hat aber genauso den im Hintergrund noch viel breiter stattfindenden Verkauf von Antiken auf den internationalen Schwarzmarkt verdeckt, der neben dem Ölschmuggel eine wichtige Einnahmequelle war.


    Schließlich gibt es hier vielleicht einen größeren Kontrast zwischen der im Vergleich doch wesentlich säkularisierteren irakischen Gesellschaft und der fundamentalistischen Gegenpositionierung von ISIS gegenüber der Unterscheidung zwischen Afghanen, die sich zu den Taliban bekennen oder nicht. Die paschtunische Variante von fundamentalem Islam mag gelegentlich in unseren Augen sogar besser darstehen als die sonstige Stammeskultur. Das plakative Beispiel ist natürlich Batscha Basi, also eine besonders in Teilen von Afghanistan noch kuturell akzeptierte Form der Prostitution männlicher Minderjähriger, oft als Form von Sklaverei, die unter den Taliban komplett verboten war, und nach dem Ende ihrer Herrschaft wieder aufleben konnte.


    Tatsächlich würde ich aber sagen, trotz des gemeinsamen Rückgriffs auf islamischen Fundamentalismus, war ISIS insgesamt die modernere Bewegung.

  • Die röttgenschen Terroristen und Bürgerkrieger wollen zurück an die Uni ...



  • https://twitter.com/senrickscott/status/1427294742824591363


    Ich meine, klar der übliche Wettstreit zwischen republikanischen Politikern mit den dümmsten Sprüchen die Basis für sich zu begeistern. Aber, man könnte es auch so lesen, dass ein US-Präsident, der freiwillig das Militär aus einem ehrlich befreiten Land zurückzieht, offensichtlich irre sein muss.

  • In the 20 years since September 11, 2001, the United States has spent more than $2 trillion on the war in Afghanistan. That’s $300 million dollars per day, every day, for two decades. Or $50,000 for each of Afghanistan's 40 million people.


    50.000 am Tag? Dann wären alle Afghanen ja mittlerweile Millionäre, wenn man ihnen das Geld ausgezahlt hätte : )



    Im Irak wird mittlerweile jeder Versorgungskonvoi und jede Patrouillenfahrt angegriffen. Ich tippe mal Irak kommt als nächstes und danach kann man die Handvoll GIs an den syrischen Ölquellen auch nicht mehr halten.

  • Man bekommt den Eindruck, dass die Kriegsverlierer im Ausland mehr unter dem Machtwechsel leiden, als das afghanische Volk.

    jain , siehe den cnn beitrag den ich verlinkt habe. für frauen, die jetzt wieder burka tragen müssen, nicht mehr arbeiten/studieren/an die schule gehen dürfen ist das ne vollkatastrophe. du hast aber natürlich einen punkt, nämlich dass die taliban da jetzt nicht mordend durch die straßen ziehen und rache üben und kein interesse an blutigen bildern haben. bleibt dann noch die frage, wieso sich leute am flughafen in kabul außen ans flugzeug hängen und in den sicheren tod stürzen. ist deren angst unbegründet oder gerechtfertigt? von hier schwer zu beurteilen.

  • Schaut aber nicht zwingend so aus, wenn sie ohne Burka auf der Straße demonstrieren, ihnen offiziell das Recht zu arbeiten usw. zugesichert wird und man von Amnestien redet. Außerdem werden Positionen mit Leuten besetzt, die sie zuvor schon ausübten. Schon klar, da wird jetzt Propaganda gemacht, aber ich traue der Darstellung von CNN & Co. genauso wenig, wie den Taliban, was das betrifft.


    Gleichzeitig hat man mit China, Iran Russland usw. auch direkt potenzielle Partner für den Ausbau des Staatswesens. Und 20 Jahre westliche Besatzung sind dann u.U. doch nicht so spurlos an der Bevölkerung vorbeigegangen.

  • Burka ist vom Tisch ...


    On Tuesday, two days after seizing the capital Kabul to complete their takeover of the country, a Taliban spokesman told Sky News women can continue to be educated up to university level and will not have to wear a burka - full face and body covering - but will have to wear a hijab (headscarf).


    Das wäre dann mittelfristig optisch eher ein iranisches Strassenbild.




  • In the 20 years since September 11, 2001, the United States has spent more than $2 trillion on the war in Afghanistan. That’s $300 million dollars per day, every day, for two decades. Or $50,000 for each of Afghanistan's 40 million people.


    50.000 am Tag? Dann wären alle Afghanen ja mittlerweile Millionäre, wenn man ihnen das Geld ausgezahlt hätte : )


    300 Millionen USD pro Tag auf 40 Millionen Afghanen verteilt? Das sind nur 7.50 pro Person.

  • Hier ist auch nochmal Lt Col Davis, der bereits 2011, also noch vor den Afghanistan Papers, als whistleblower reports verfasst hat, nachdem er über 15.000 km durch Afghanistan reiste, um sämtliche Militärbasen zu besuchen und Soldaten zu interviewen.


    Sein Fazit war schon damals sehr eindeutig: Sofort raus hier. Ungewinnbar. Die afghanische Armee ist unfähig alleine zu bestehen.



  • Etwa 6666 Tage mal 7.50 USD. Gib es mal ein. Das Ergebnis wird dich nicht überraschen.


    Das ist doch alles Teufelszeug ... Zahlen scheinen mir sehr dubios und undurchsichtig zu sein : )


    Insgesamt in den 20 Jahren. Aber ja, trotzdem verdammt viel Asche.


    Man möchte eigentlich denken "es war einfach so sinnlos, Afghanistan hat die USA nicht angegriffen und die Taliban wollten Bin Laden ausliefern" ...


    Aber die Interessenlage eines Militärisch-Industriellen-Komplexes ist es ja nicht sparsam mit Kriegswaffen umzugehen - also für den Steuerzahler und Zuschauer scheint es sinnlos, für die Konzerne nicht.

  • Ich bin ja mal gespannt was die geballte Kompetenz des Auswärtigen Ausschusses, in Person Nobbi "Die US-Botschaft ist mein zweites Zuhause" Röttgen, wohl zu seinen prophezeiten Bürgerkriegs und Terrorvisionen sagt?


    Immer gut wenn "Experten" so offensichtlich daneben liegen, dann kann man öfters mal anzweifeln was die so sagen...




    Talibansprecher: "Wir wollen keine inneren und keine äusseren Feinde"


    Auch DAS noch!?



  • Der Tagesspiegel hat sich jetzt auch mal irgendeinen transatlantischen Experten gegriffen, und ihm ein paar Fragen gestellt.

    Wer sind Afghanistans neue Herrscher? „Die Taliban haben dazugelernt“

    Die Taliban haben in Afghanistan wieder das Sagen: Experte Peter Neumann über islamistische Pragmatiker, ideologische Hardliner und Trugbilder des Westens.

    Wie hält es die Bevölkerung mit den Islamisten?

    Da haben wir uns ebenfalls etwas vorgemacht und nur auf Kabul geschaut. Dort leben fünf Millionen Menschen, aber das sind vor allem die Progressiven, die von den Taliban genug haben und gerne für den Westen arbeiten. Von denen haben wir unsere Informationen bezogen und nicht verstanden, dass 70-80 Prozent der Afghanen unter völlig anderen, aus unserer Sicht rückständigeren Bedingungen auf dem Land leben. Gerade dort sind die Taliban stark vertreten. Und viele Leute sympathisieren religiös, kulturell, politisch und sozial mit den Islamisten.

    Der Artikel ist eigentlich für die Tonne, aber in dieser letzte Antwort steckt eigentlich das ganze Dilemma der westlichen Wertegemeinschaft und ihres Wertejournalismus.


    Erinnert irgendwie an die ganzen US-Korrespondenten, die damals aus allen Wolken fielen, als die Amis tatsächlich den schrecklichen Unhold Trump wählten, und nicht - wie die ganzen liberalen, gebildetet Freunde und GesprächspartnerInnen der Medienleute es ihnen prophezeit hatten - die kultivierte Wertepolitikerin Clinton.

  • Die PR ist auf jeden Fall besser als bei der letzten Machtübernahme.


    China scheint da die beratende Souffleuse zu sein : ) Oder einfach eigener Erkenntnisgewinn?


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