#514 - Bénédicte Savoy über Kunst & Kolonialismus

  • Dienstagabend, ab 19 Uhr LIVE



    Zu Gast im Studio: Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Sie ist Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin sowie Professorin für die Kulturgeschichte des europäischen Kunsterbes des 18. bis 20. Jahrhunderts am Collège de France. Als Expertin für „Translokationen“ von Kunstwerken (einschließlich Kunstraub und Beutekunst) erarbeitete sie 2018 einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter für den französischen Staatspräsidenten


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    • Warum ist es überhaupt so wichtig für europäische Staaten heute noch Kunstobjekte aus ihren Kolonien auszustellen? Geht es da nur um Symbolik? Wiese wehren sich die Staaten, unrechtmäßig erworbene Kulturgüter nicht wieder an ihren Ursprung zu überführen?
    • Gibt es irgendeine Handhabe afrikanischer Staaten, damit sie ihre Kulturgüter wieder zurückerhalten? Ist das irgendwie rechtlich geregelt oder bewegt sich das lediglich im politischen Raum, d.h. die afrikanischen Staaten müssen mit Europa verhandeln und hoffen, dass es irgendwann zurückgegeben wird?
    • Da sie als Kritikerin des Humboldtforum gilt: Wie kann man Kulturgüter anderer Länder so darstellen, dass sie ihrem geschichtlichen Kontext gerecht werden? Gibt es positive Beispiele für solche Museen in Deutschland und/oder Europa?
    • Wie kann man dem Thema Kunstraub und Beutekunst mehr Aufmerksamkeit verschaffen? Hälst du es für richtig, dass man Museen, die solche Kunst ausstellen, nicht besuchen bzw. boykottieren sollte?
    • Gibt es heute noch Beutekunst aus den ehemaligen Kolonien Deutschlands, die sich heute noch in Privatbesitz befinden?
    • Kannst du den Fall des Schwabinger Kunstfund aus dem Jahr 2012 einordnen? Worum geht es in dem Fall und was für Werke waren dabei? War auch NS-Beutekunst darunter?
    • Hältst du es für gerechtfertigt, dass reiche Privatpersonen (z.B. bei Auktionen) Kunst kaufen, in ihren Privatbesitz nehmen und damit der breiten Öffentlichkeit den Zugang zu Kunstwerken oder Kulturgütern verwehren? Gibt es nicht soetwas wie ein berechtiges öffentliches Interesse (auch im Sinne der Bildung), dass Kunst für jeden zugänglich sein sollte?
    • Siehst du populäre Fernsehsendungen wie "Bares für Rares" kritisch, in denen es lediglich darum geht, Antiquitäten und Kunst einfach nur für Geld zu verhökern?
  • Sollten alle kolonialen Raubojekte zurückgegeben werden an die Ursprungsbevölkerung?


    Was hält sie von den post-colonial studies? (Westliche Kultur als eine Form von Imperialismus)


    Was hält sie von den Diskussionen über kulturelle Aneignung? (wie genau die frage formuliert ist, kannst du selbst bestimmen)

  • Sehr anregend. Ich denke "wir", also diejenigen im globalen Norden, woll(t)en uns nicht mit der imperialen Geschichte auseinandersetzen weil es eine imperiale Gegenwart gibt die höchst profitabel für uns ist, die nicht zu rechtfertigen ist.


    Mit den Bildern von Kindern wie Alan Kurdi die tod an unseren Küsten angespült werden wird der Widerspruch zwischen den humanistischen Werten denen wir uns z.B. in der Charta der Grundrechte der EU verschrieben haben und der imperialen Realität offenbar. Die imperiale Realität holt uns mit Gewalt ein, in Form von Flüchtlingsströmen, Pandemien, Kriegen und Umweltzerstörung. (Ja auch Pandemien, ich rate dazu sich z.B. mit der Geschichte der Malaria Epidemie zu beschäftigen die seit und durch die Kolonialisierung wütet.)


    10% der Weltbevölkerung, vor allem im globalen Norden, verbrauchen 80% der verfügbaren Ressourcen dieser Welt (Quelle WWF Living Planet Report 2016). An eine "Angleichung der Lebensumstände" ist so lange nicht zu denken, so lange die Angleichung nicht bei uns geschieht.


    Wir müssen lernen die imperiale Lebensweise als solche zu erkennen. Zu desem Prozess gehört auch die Rückgabe der geraubten Kulturgüter. Wenn wir die Verdrängung der imperialen vergangenheit nicht überwinden können wie sollen wir uns dann der imperialen Gegenwart stellen? Meiner Meinung nach ist diese Diskussion in ihrer Bedeutung deshalb kaum zu überschätzen.


    Weiterführende Links: Stefan Lessenich (Externalisierungsgesellschaft)

    Ulrich Brand (Imperiale Lebensweise)

  • Mal wieder ein paar Anmerkungen:


    Ich glaube der Begriff "Herkunftsgesellschaft" trägt dem Rechnung, dass die Völker, um die es geht, in der Kolonialzeit eben keine Nationalstaaten hatten. Im Detail kann das ja auch kompliziert sein. Man stelle sich zum Beispiel vor, Israel fordert Ausgrabungsstücke zurück, die in den 1920ern aus dem palästinensischen Boden geholt wurden.


    Bei einer Rückgabe im großen Umfang ist allerdings absehbar, dass in einigen Empfängerstaaten die Kulturinstitutionen zu schwach sind, um die Kulturgüter als Gemeingut zu verteidigen. Bei den berühmten Objekten ist das weniger wahrscheinlich, weil da mehr Aufmerksamkeit drauf liegt. Hier könnte eine Praxis der Registrierung von Objekten einen Beitrag zur Kontrolle leisten, man muss sich nur bewusst sein, dass man damit gleichzeitig einen Katalog für den Schwarzmarkt schafft.


    Das allgemeine Gegenargument, dass irgendwelche Besorgnis bezüglich des Verbleibs beim Eigentümer keinen begründeten Vorbehalt gegen die Ausübung seiner Rechte darstellt, ist natürlich stark, wenn man die Einschätzung über die Eigentumsverhältnisse teilt. Das tue ich prinzipiell nicht. Sagen wir für den Zweck dieses Kommentars ist der Eigentümer wenn die Menschheit. Es ist aus meiner Sicht also eher eine Frage der Obhut.


    Eine Rolle spielt dabei sicherlich welche Bedeutung bestimmte Kulturgüter für die Identität einer Gruppe haben. Jenseits der unmittelbaren kulturellen Einbettung von Objekten wird es bei allem, was weiter zurückreicht, sehr relativ. Um mal beim heimischen Beispiel zu bleiben, es gibt praktisch keine authentischen Linien der Verbindung zwischen dem deutschen Staatsvolk und den germanischen Stämmen, es ist dementsprechend nicht wirklich klar, warum irgendwelche germanischen Kulturgüter, die in Deutschland gefunden werden, mehr den Deutschen gehören sollen als anderen Völkern. Es gibt unterschiedliche Ansprüche, aber deren Wichtung ist nicht trivial.


    Innerhalb der derzeit noch legalen Besitzkategorien würde ich ein anderes Vorgehen bevorzugen, weil mir das Vorgeschlagene immer noch zu sehr auf eine Bittstellersituation und ein offenes Ende hinausläuft. Die ehemaligen Kolonialstaaten sollten mit Staaten, die von der kolonialen Herrschaft betroffene Völker repräsentieren, einen Prozess starten, wo alle Kulturgütertransfers aus dieser Zeit erfasst werden und dann die jeweils betroffenen Parteien, meistens Paare, gemeinsam über den Verbleib der jeweils betroffenen Objekte bestimmen. In diesem formalisierten, teilweise langwierigen aber in größeren Teilen finalen Prozess würde man Standards für den Umgang mit den Objekten erarbeiten und Verhandlungen über den Verbleib führen. Das - meine Vermutung - wenige, wo man sich am Ende nicht einig wird, bleibt dann eben in der Schwebe.


    Der große Wurf würde noch darüberhinaus gehen.


    Schließlich ich fand es witzig, dass Tilo und Hans offenbar beide eine Abneigung gegen das neue Berliner Museum mit der Schlossfassade haben. Da finde ich eine Komplettrekonstruktion wie die Frauenkirche schlimmer. Und eigentlich würde ein Gebäude mit äußerer Anmutung des Hohenzollernschlosses ein perfektes Museum des deutschen Kolonialismus abgeben.

  • Zitat

    Bei einer Rückgabe im großen Umfang ist allerdings absehbar, dass in einigen Empfängerstaaten die Kulturinstitutionen zu schwach sind, um die Kulturgüter als Gemeingut zu verteidigen.

    Gibt Fr. Savoy nicht genau auf die Frage eine Antwort in dem Interview? Also grad in Bezug auf den ersten Satz? Indem sie sagt, dass man die Kulturgegenstände zwar offiziell zurückgibt aber als Dauerleihgaben für die Museen behält. Eben genau aus diesem Grund? Oder verstehe ich dich einfach falsch?

  • Gibt Fr. Savoy nicht genau auf die Frage eine Antwort in dem Interview? Also grad in Bezug auf den ersten Satz? Indem sie sagt, dass man die Kulturgegenstände zwar offiziell zurückgibt aber als Dauerleihgaben für die Museen behält. Eben genau aus diesem Grund? Oder verstehe ich dich einfach falsch?


    Ich habe das mehr so verstanden, dass sie nicht glaubt, dass es zu einer umfangreichen Rückforderung kommen wird. Aber ich meine auch, sie sagt an einer Stelle, dass das nicht für alle Zeit gelten muss. Und generell, wenn man davon ausgeht, es gibt das Eigentumsrecht auf alle diese Objekte, dann ist das ja zumindestens denkbar, dass auch alles zurückgefordert wird. Und ohne Vorbehalte für die Rückgabe, läge es nicht bei den hiesigen Institutionen, ob die Objekte in eine Dauerleihgabe umgewandelt werden.

  • Bei einer Rückgabe im großen Umfang ist allerdings absehbar, dass in einigen Empfängerstaaten die Kulturinstitutionen zu schwach sind, um die Kulturgüter als Gemeingut zu verteidigen. Bei den berühmten Objekten ist das weniger wahrscheinlich, weil da mehr Aufmerksamkeit drauf liegt. [..]


    Schätze ich hatte recht und etwas unrecht.


    Aber wie ich auch sagte, unter der Prämisse, dass uns das alles nicht gehört, sondern jemand anderem, ist hier nichts übereilt, sondern die Rückgabe von allem, was wir noch haben, ist untereilt.

  • Nun, es stimmt natürlich, dass Nigeria sehr viele unterschiedliche Volksgruppen umfasst und im Prinzip als britischer Kolonialbesitz zusammengestückelt wurde. Insofern wenn die engere Herkunftsgesellschaft in diesem Fall die Edo sind und die Nachfahren der Herrscherfamilie des Königreichs Benin immer noch als Institution gelten, dann sind die Stücke ja vielleicht doch an der folgerichtigen Stelle angekommen, auch wenn wir uns diese Konsequenz nicht ausgemalt hatten.

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