Sarah Wagenknechts "Selbstgerechten"

  • Wüsste nicht, dass die Ergebnisse der Schiedskommissionen anderer Parteien veröffentlicht werden.

    Da werden oft auch sehr persönliche Dinge Gegenstand der Verhandlungen. Deshalb werden die Ergebnisse schon immer anonymisiert.

  • Sahra Wagenknecht: Zurück zum guten alten Kapitalismus

    Drei Kritikpunkte am gesellschaftlichen und ökonomischen Verständnis des Enfant terrible der Linkspartei. Wagenknecht bricht mit der marxistischen Kritik der Ökonomie.

    1. Eine Gesellschaft der Singularitäten

    [...]In diesem Konflikt zwischen neuer und alter Mittelklasse nimmt Wagenknecht Stellung zugunsten der alten Mittelklasse und implizit auch zugunsten der prekär lebenden und arbeitenden Unterschicht. Implizit deshalb, weil sie dem von ihr kreierten Linksliberalismus vorwirft, deren kulturelle Werte und materielle Interessen zu ignorieren. [...][Wagenknecht] verknüpft diese Parteinahme mit einer doppelten Kritik: Einmal an der Umweltbewegung und ihren Forderungen und zum zweiten an der Migration, die sie für sinkende Löhne und Wohnraumverknappung verantwortlich macht. Die These vom Lohndruck durch Migration ist aus empirischer Sicht falsch. Es kann gezeigt werden (siehe DIW-Wochenbericht 7-2020), dass das Fallen der Löhne der unteren Dezile im den Jahren 2000-2007 am stärksten war und auf die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder und die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften beziehungsweise den Rückgang der Tarifbindung zurückzuführen ist. Der Druck der EU-Arbeitsmigration beginnt erst 2011, als die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Folge der EU-Osterweiterung ausgelaufen waren. In dieser Zeit stabilisiert sich die Lohnentwicklung wieder und ab 2015 steigen in der Folge der Einführung des Mindestlohns auch die Löhne in den untersten Dezilen real.[...]

    Zur Preisentwicklung auf den Immobilienmärkten: Das ist ein komplexer Prozess, in dem die Migration nur ein Faktor unter anderen ist, wie beispielsweise zu wenig sozialer Wohnungsbau, Anlage von mobilem Kapital in diesen Märkten und die demografische Entwicklung allgemein. Überhaupt vernachlässigt Wagenknecht politisch-institutionelle Faktoren in diesen Prozessen.

    Es erinnert eher an Malthus‘ Populationstheorie oder das sogenannte eherne Lohngesetz, nach dem eine Zunahme der Arbeitsbevölkerung zu sinkenden Löhnen führt. Ihre Behauptung wird durch die sozialwissenschaftlichen Untersuchungen der Prozesse auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gestützt, weil in der Phase einer starken Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt auch die niedrigen Löhne wieder ansteigen.[...]

    2. Zurück zum Leistungseigentum?

    Wirtschaftspolitisch präsentiert Wagenknecht eine konservative Idee. Der Vorschlag eines „Leistungseigentums“ (S. 291) sieht vor, die Haftungsbeschränkungen im Unternehmensrecht einzuschränken beziehungsweise aufzuheben. Eigentümer und Investoren würden danach bei Konkursen mit ihrem persönlichen Eigentum haften. Diesen Vorschlag übernimmt sie von [des ersten cdU- Wirtschafsminister und späteren Bundeskanlzer Ludiwg Erhards Berater] Walter Eucken („Grundsätze der Wirtschaftspolitik“, 1952, S. 279ff.). Neben Eucken zitiert sie zustimmend Alexander Rüstow, einen eher sozialen Vertreter des deutschen Ordoliberalismus, der am Aufbau der [neoliberalen Keimzelle] Mont-Pelerin-Society beteiligt war (siehe Bernhard Walpen, „Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft“, 2004). Damit verklärt sie den deutschen Ordoliberalismus, der eng mit dem späteren Monetarismus und dessen konzeptiven Ideologen Milton Friedman zusammengearbeitet hatte. Ebenso wie mit Friedrich-August von Hayek, dem bekanntesten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, den sie einen „ultraliberalen Ökonomen“ nennt (S. 235).

    Ihre zentrale These lautet: „Der Kapitalismus funktioniert (…) am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial und Umweltstandards sorgen“ (S. 274). Um das wieder zu erreichen, beschreibt das „ordoliberale Modell einer Marktwirtschaft ohne Konzerne“ den „Weg einer möglichen Lösung“ (S. 264f.). Auf diesen Weg hat sie sich komplett von der Marxschen Werttheorie gelöst, wie ein Zitat auf S. 296 zeigt: Dort schreibt sie sie, dass sich nicht arbeitende Erben die „Arbeitsergebnisse anderer aneignen“ und ohne eigene Leistung ein luxuriöses Leben führen. Sie vertritt hier die ideologische Figur des auf eigene Arbeit gegründeten Eigentums, wie sie durch die einfache Warenzirkulation (siehe unten) geschaffen wird.

    Sie bezieht sich zwar auf Joseph Schumpeters Unterscheidung von innovativem Unternehmer und Kapitalgeber. Im Unterschied zu Schumpeter will sie durch diesen Gedanken des Leistungseigentums externe Kapitalgeber jedoch systematisch schlechter stellen. Ich halte von dieser Überlegung einer engen Verknüpfung von Risiko und Haftung – ein Basisdogma des Ordoliberalismus bei Staatsanleihen – wenig. Das führt in einer Phase stagnierender Produktivität und überbordender Liquidität zu einer schrumpfenden Sachkapitalbildung, weil zusätzliche Investitionen gebremst werden, und erhöht die Liquiditätspräferenz [-> Investitionszurückhaltung] der Kapitaleigner. Nach Keynes verfestigt dies ein Unterbeschäftigungs-Gleichgewicht.[...]

    Nach der Finanzmarktkrise beginnt 2009 mit der Durchsetzung des Fiskalpakts in Europa eine Phase ausgeprägter Austerität, mit der die europäischen Defizitländer zu Exportüberschüssen gezwungen werden sollen. Dieses Modell ist makroökonomisch hoch irrational. Wagenknecht schiebt die Verantwortung für diese Politik aber auf die EU. Sie will, ohne das explizit zu sagen, zurück in eine Neuauflage des Europäischen Währungssystems. Das ist insofern überraschend, weil sie 2018 in ihrem Beitrag für die Festschrift für ihren (keynesianisch orientierten) Doktorvater Fritz Helmedag von der TU Chemnitz (siehe Horst Gischer, Jochen Hartwig, Bedia Sahin (Hg.) Bewegungsgesetze des Kapitalismus, Marburg 2018), sowohl den deutschen Exportnationalismus, wie die politische Dominanz Deutschlands in der EU scharf kritisiert hatte.[Es aber jetzt nicht mehr tut]

    3. Der Abschied vom Marxismus

    Dass Wagenknecht inzwischen mit der marxistischen Ökonomiekritik gebrochen hat, zeigt ihre [1:1 genauso im konservativ-neoliberalen Lager vertretene] These von der Enteignung der Sparer durch die niedrigen oder sogar Nullzinsen. Sie rechnet die aus den Profiten und damit letztlich aus Mehrwert finanzierten Zinsen zum quasi natürlichen Eigentum der Sparer, die sie in der Mittelschicht sozial verortet. Das ist falsch. Die unteren vier Dezile – deren Interessen sie vertreten will – sparen per Saldo kaum. Die höchsten Sparquoten sehen wir in den obersten zwei Dezilen. Sie will auch von der Marxschen Ausbeutung der Lohnabhängigen durch das Kapital in der Form der unentgeltlichen Aneignung der Mehrarbeit und damit des Mehrwerts nichts mehr wissen. Die Aneignung der Arbeitsergebnisse anderer verbindet Wagenknecht allein mit den nicht-arbeitenden Erben großer Betriebs- und Finanzvermögen. Dahinter steht die Bewusstseinsform des auf eigene Arbeit gegründeten Eigentums (siehe oben) und damit das [bürgerliche] Basisdogma einer meritokratischen Gesellschaft. [...]


    Faktisch unterstützt sie mit dieser Kritik die wohlhabenden Haushalte, nicht die Superreichen. Diese will sie mit dem Leistungseigentum relativ schlechter stellen. Mit ihrem Furor gegen bestimmte Verrücktheiten im Repertoire der Identitätspolitik meint sie, die Interessen der prekarisierten Gruppen und des Facharbeitermilieus zu vertreten. Allerdings schließt sie Arbeitsmigranten von ihrer Fürsorge aus. Hier verstößt sie fundamental gegen den Gedanken der inneren Klasseneinheit aller Lohnabhängigen, den es herzustellen gelte. Es hat in den Gewerkschaften in den vergangenen 150 Jahren Versuche gegeben, die nationalen Arbeitsmärkte protektionistisch zu schützen, bis hin zu offenem Rassismus, wie zeitweise in der US-Gewerkschaften. In der sozialistisch inspirierten europäischen Gewerkschaftsbewegung hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die auf die Grenzenlosigkeit der Bewegungen des Kapitals und den politisch durchgesetzten Freihandel nicht erfolgreich mit einer Begrenzung der Mobilität der Arbeitskräfte reagiert werden kann und deshalb Migranten in die Gewerkschaften integriert werden müssen. Dieser Erkenntnis verweigert sich Wagenknecht.[...]

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    Michael Wendl: Sahra Wagenknecht: Zurück zum guten alten Kapitalismus, OXI Blog 27.04.2021


    (Unterstreichungen und rote Anmerkungen von mir)

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