Cold War Reloaded - Der neue Ost-West Konflikt

  • Zur Feier des morgigen Tages, an dem vor 20 Jahren eine von den USA geführte Koalition der Willigen dem irakischen Staat die Freiheit brachte, indem sie in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren der Besatzung ein paar hunderttausend seiner StaatsbürgerInnen tötete.

    Die Angst der Medien vor der Wahrheit

    Die Parallelen zwischen Ukraine- und Irakkrieg sind frappierend. Zum 20. Jahrestag des US-Überfalls versuchen Journalisten daher, Brandmauern zu "Paria-Putin" zu errichten. Die Kriegserzählungen im Ideologie-Check.


    Vor fast exakt zwanzig Jahren, am 19. März 2003, verkündete der Präsident der Vereinigten Staaten George W. Bush der amerikanischen Nation in einer Fernsehansprache:

    "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in dieser Stunde befinden sich die amerikanischen Streitkräfte und die Koalitionstruppen in der Anfangsphase der militärischen Operationen zur Entwaffnung des Irak, zur Befreiung seines Volkes und zur Verteidigung der Welt vor großen Gefahren."

    "Militärische Operation", "Entwaffnung", "Befreiung", "Verteidigung": Es sind Worte, die an den russischen Präsidenten Wladimir Putin 19 Jahre später erinnern, als er die russische "Spezialoperation" in der Ukraine 2022 ankündigte.

    Eine Ähnlichkeit, die für westliche Journalisten unangenehm wirken muss. Die USA als Vorbild für die russische Aggression, den "Paria-Putin"? Schauen wir genauer hin. [...]


    Ach so. Wir sollen ja nicht immer nur so einseitig den amerikanischen Imperialismus kritisieren. Das wäre wirklich zu kurz gedacht, denn schliesslich haben die USA auch treue Verbündete, die sogar bei völkerrechtswidrigen Angriffskriegen mitmachen, obwohl sie öffentlich not convinced waren, dass die angegebenen Kriegsgründe wirklich ausreichen würden, um so einen mechanisierten Massemord vor dem demokratischen Souverän zu rechtfertigen.


  • Ahead of Xi-Putin meeting in Moscow, White House rejects cease-fire in Ukraine

    The Biden administration is raising alarm that Chinese President Xi Jinping is likely to call for a cease-fire between Russia and Ukraine, warning that support for such a move would play to the favor of Russian President Vladimir Putin.


    White House national security spokesperson John Kirby said Friday that an unconditional cease-fire halting Russia’s offensive in Ukraine would legitimize Moscow’s hold on an estimated 17 percent of Ukrainian territory that was taken by force.

    8)

    Unerhört. Ein bisschen klingt das ja so, als bestünde die Befürchtung, da könnte die Ukraine was allein entscheiden.

  • Ich meine, ist irgendwie die einzige Erklärung, warum einen der bloße Vorschlag eines Waffenstillstandes, den man nicht haben will, alarmieren sollte: Dass beide Seiten sich darauf einlassen könnten. Echt schräges Bild entsteht da, so als ob die Chinesen das einfach dekretieren könnten.


    Ehrlich gesagt für mich klingt es so, als ob die Ukrainer einen Waffenstillstand gebrauchen können. Aber die Angst ist vermutlich, dass man den Krieg danach nicht mehr wieder in Gang bekommt.

  • https://tass.com/russias-foreign-policy/1590691


    Zitat

    SIMFEROPOL, March 18. /TASS/. The Scythian Gold collection from Crimea remains in the Netherlands because the country has not decided yet where to send it amid Russia’s special military operation, Crimea’s Deputy Prime Minister and Permanent Representative to the Russian President Georgy Muradov said in an interview with TASS.

    Zitat

    The Scythian Gold collection of over 2,000 items was on display at the Allard Pierson Museum of the University of Amsterdam between February and August 2014. After the peninsula reunited with Russia in March 2014, uncertainty over the collection arose as both Russia and Ukraine claimed the exhibits. In this regard, the University of Amsterdam suspended the collection’s handover until either the dispute is legally resolved or the parties come to terms. In late October 2021, the Court of Appeal of Amsterdam ruled that the Scythian gold collection should be handed over to Ukraine. In January 2022, Russia filed an appeal against the decision with the Supreme Court of the Netherlands.


    Na, das ist doch eine goldene Gelegenheit: Einfach Putin einladen, persönlich in den Niederlanden vorzusprechen.

  • Abnutzungskrieg – und kein Frieden in Sicht

    Putin hoffte, die Ukraine in wenigen Tagen zu erobern – und hat das Land stattdessen in einen blutigen Abnutzungskrieg gezwungen, der schon über ein Jahr andauert. Selbst wenn der derzeitige Patt von einer Seite durchbrochen werden sollte, ist eine Lösung des Konflikts kaum greifbar.


    [...] Es ist nicht möglich, eine Position zum russischen Krieg in der Ukraine aus sozialistischen Grundprinzipien abzuleiten, auch nicht aus vermeintlichen »Antikriegs-« oder »antiimperialistischen« Überzeugungen. Jeder beteiligte Akteur behauptet, aus Abscheu vor militärischer Aggression zu handeln, und jeder Akteur hat sich in dem Konflikt in einer Weise engagiert, die weit über die Erfordernisse der unmittelbaren Selbstverteidigung hinausgeht. Jeder Akteur handelt im Namen der Prävention, und jeder Akteur verfolgt das Ziel, die politischen Grenzen in einer Weise neu zu ziehen, die den Wünschen der einen oder anderen Bevölkerungsgruppe zuwiderläuft.

    Die Schlussfolgerung daraus ist aber nicht, dass wir alle den Krieg ignorieren, die Hände in den Schoß legen und beide Seiten gleichermaßen verurteilen sollten. Wenn es jemals einen selbstgewählten Krieg gab, dann ist Putins massive Invasion der Ukraine mit Sicherheit ein solcher. Putin trägt die Verantwortung für alle katastrophalen Folgen, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Russland und die ganze Welt.[...]

    Die Tragödie des Kriegs ist es, dass die zerstörten und verlorenen Leben selten etwas mit den Interessen auf höchster Ebene zu tun haben. Für alle Menschen in der Ost- und Südukraine – außer vielleicht die Ältesten unter ihnen mit Weltkriegserfahrung – ist der andauernde Konflikt die größte Katastrophe aller Zeiten, egal welcher politischen Gruppierung sie angehören. Für alle anderen auf der Welt, vom tunesischen Obstverkäufer bis hin zur taiwanesischen Fabrikarbeiterin, hat er einschneidende und unvorhergesehene Veränderungen mit sich gebracht. Der 24. Februar 2022 war im wahrsten Sinne des Wortes ein historischer Wendepunkt.[...]

    Der Autor, ein Historiker für russische Geschichte an der Georgetown University in Washington D.C., legt sich gleich zu Beginn darauf fest, die alleinige Veratwortung für den Krieg und seine fürchterlichen Folgen dem Kreml-Herrscher zuzuschreiben, und dem kollektiven Westen dabei eher eine Nebenrolle zuzusprechen. Im folgenden analysiert er dann allerdigs die Zustände sowohl in Russland als auch in der Ukraine durchaus kritisch:


    [...] In den nicht besetzten Regionen der Ukraine hat der Krieg zwei starke Strömungen ausgelöst, die vor dem Hintergrund des kriegsbedingten Kollapses und dem Wiederaufbau das nächste Jahrzehnt der ukrainischen Geschichte bestimmen werden. Die erste ist eine Zunahme des sozialen Verantwortungsbewusstseins, der gegenseitigen Hilfe, des kollektiven Engagements und eines staatsbürgerlichen Stolzes, der im postsowjetischen Raum ohnegleichen ist. Die zweite ist das Bestreben der Staatsführung und des Kapitals, diese Energie in die Schaffung einer »europäischen« Ukraine zu kanalisieren, die dann angeblich von der Korruption befreit wäre – aber ebenso auch von den Institutionen des Wohlfahrtsstaats der Sowjet-Ära. Beschränkungen des Kapitalverkehrs und Einschränkungen bei der Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter würden damit ebenso fallen. Im Moment sind sich beide Strömungen in dem gemeinsamen Ziel einig, dass ein militärischer Sieg errungen werden muss, der die Grenzen der Ukraine von 1991 wiederherstellt. Wenn das Kriegsgeschehen aber zunehmend ins Stocken gerät, werden die Widersprüche zwischen den beiden Strömungen immer deutlicher zutage treten.[...]

    Selenskyjs Partei hat Gesetze durchgedrückt, die das Recht auf Tarifverhandlungen und andere Schutzmechanismen für Arbeiterinnen und Arbeiter faktisch abgeschafft haben. Sie hat außerdem Rentenreformen eingeführt, die als »Entkommunisierung« beziehungsweise »Entsowjetisierung« des bestehenden Sozialsystems angepriesen werden, in Wirklichkeit aber vor allem auf radikale Kürzungen hinauslaufen. Diese Initiativen wurden lange vor der russischen Invasion ausgearbeitet, doch der kriegsbedingte Ausnahmezustand hat der Partei bei der Umsetzung ihrer Vorhaben erheblich weitergeholfen. Eine derart arbeiterfeindliche Haltung hat sogar die normalerweise recht gemäßigte Internationale Arbeitsorganisation (ILO) auf den Plan gerufen. Anstelle von Arbeitsrechten und sozialer Absicherung fördern Selenskyj und sein Umfeld »Smartphone-Gerichte« (ein Joint Venture mit Amazon) und andere Private-Public-Partnerships. In ihrer Vorstellung soll die Nachkriegs-Ukraine zu einer gigantischen Sonderwirtschaftszone am Rande Europas werden, in der ein schwacher Arbeitsschutz und der Wegfall von Zollschranken Anreize für Investitionen multinationaler Konzerne aus Europa schaffen.

    Gegen diese Agenda gibt es keine ernstzunehmende parlamentarische Opposition mehr, unter anderem, weil alle Parteien der politischen Linken aufgrund von (weitgehend unbewiesenen) Unterstellungen der Kollaboration mit Russland verboten worden sind. Selenskyj konnte sich eine überwältigende Mehrheit für seine Reformen sichern, weil Abgeordnete dieser Parteien zwar im Parlament verbleiben, nun aber besonders starkem politischem Druck ausgesetzt sind. [...]

    Interessant ist, dass er es so darstellt, als seien die zwei "Strömungen" die er in der Ukraine beobachtet - also auf der einen Seite ein verstärktes Gefühl der Zusammegehörigkeit und des "sozialen Verantwortungsbewusstseins", und auf der anderen eine eher neoliberale bis marktradikale Haltung, die das Land zum Investitionsobjekt für das westliche Großkapital umbauen wolle - zwei in etwa gleichstarke Bewegungen, die beide momentan durch das gemeisame Ziel zusammen gehalten würden, die Ukraine in ihren ursprüglichen Grenzen beim Erhalt der Unabhänigkeit nach dem kalten Krieg wieder herzustellen. Dabei gibt er durchaus zu bedenken, dass die letztere der beiden Strömungen, also die neolibrale, derzeit in Gestalt der Regierung Selenskyj die absolute Macht über den ukrainischen Staat ausübt und sich jeder ernsthaften Opposition weitgehend entledigt hat.


    Was im Artikel leider nicht so ganz klar wird ist der Umstand, dass Selenskyj und seine ultra-neoliberale Regierungstruppe kurz vor dem russischen Angriffskrieg trotz des hervorragenden Wahlergebisses von 2019 mittlerweile ziemlich unbeliebt bei der ukrainischen Bevölkerung geworden waren, und dass sie jetzt die Rolle des Staatsführers als Held der Freiheit und der staatlichen Souveränität gegen den russischen Aggressor gnadenlos dazu nutzen können, gemeinsam mit neoliberalen westlichen Institutionen wie dem IMF, der Weltbak und der EU ihr antisolziales Reformprogramm im Sinne westlicher Investoren durchzuziehen, gerade weil sie den nationalen Zusammenhalt und die territoriale Integrität des ukraiische Staatsgebiet in den Grezen von 1991 als hehrstes aller nationalen Ziele verklären, dem sich alle anderen politischen Forderungen und Uneinigkeiten unterzuordnen haben, und damit natürlich angesichts der Bedrohung durch die russischen Angriffe (und in deren politischem Windschatten) jetzt solch hohe Zustimmugswerte erringen konnten.


    Dass man genau diese offenkundige Instrumentalisierung einer - auch schon vor dem russischen Angriff und auch bereits vor dem Maidan-Putsch der Revolution der Würde, der Krim-Annexion und dem Bürgerkrieg im Donbass ab 2014 - massiv propagadistisch vorangetriebenen nationalistischen Haltung zur Legitimation des eigenen autokratischen Führugsstils auf ukrainischer Seite sehr wohl aufgrund "sozialistischer Grundprizipien" verurteilen kann, ohne sich deswegen gleich zum Büttel des russischen Aggressors zu machen, kommt dem linken Autor, der den links-sozialdemokratischen Democratic Socialists of America nahesteht, offenbar nicht in den Sinn, obwohl er die Auswirkungen dieser Art von "liberaler Demokratie" auf die arbeitende Bevölkerung und die linke Opposition in der Ukraine im Folgenden durchaus treffend schildert, und anschliessend völlig zurecht auf der russischen Seite scharf kritisiert, dass Putin und die russische Elite (mit umgekehrtem Vorzeichen) etwas ganz ähnliches versuchen, indem sie ihren anti-liberalen Kurs gegen den dekadenten, verschwulten und vergenderten Westen, dem sich die russische Großkultur nun in einem existenziellen Kampf um ihre eigenen Werte entgegen stellen müsse, als Legitimation ihrer Kriegsherrschaft anführen, sie aber im Gegensatz zur ukrainische Führung nicht allzu überzeugend unter das gemeine russische Volk bringen können.


    Insgesamt bietet der Artikel viele interessante Einblicke, die man sonst in deutschsprachigen Medien so nicht bekommt. Allerdings belegt der Autor seine Schlussfolgerugen leider nicht mit allzu vielen Quellen und der Leser muss sich als Nachweis der "Wahrhaftigkeit" seiner Analyse größteteteils damit begnügen, dass er Historiker an einer renommierten Universität ist.

  • Erklärung, um Tatsachen zu erklären. Aha.

    Ja. Ich meine manche Tatsachen, wie bspw. dass die Erde eine Kugel ist, brauchen Erklärungen die erklären warum das so ist. Das gilt auch für die Tatsache, dass Putin eine Invasion der Ukraine gestartet hat. Du siehst das anders?

    Verstehe jetzt nicht ganz den Punkt, außer im Fall von Donetsk, wo es nur knapp die Hälfte war, hatte Russland zu Zeitpunkt der Annexion den Großteil der jeweiligen Oblasten auch kontrolliert. Und warum sollte man warten?

    Zum Beispiel, weil absehbar war, dass man Teile Chersons wieder verlieren wird und damit dann mehr Gesichtsverlust erleidet als lediglich bei einem taktischen Rückzug.


    Der Hauptnachteil ist, dass man sich politisch auf ein Ziel festlegt, das laut dir gar nicht das eigentliche Ziel ist. Warum sich auf einen ganz bestimmten Landgewinn politisch festlegen, und damit die eigenen taktischen Möglichkeiten reduzieren? Man will doch die eigenen Kräfte auf das Hauptziel fokussieren, und legt sich dann nicht selber auf irgendeinen Landgewinn fest.


    Aber schön...

    Also Putins Idee ist nicht "Mehr Land = mehr Macht" sondern "Mehr Land = mehr Sicherheit"?

  • Ja. Ich meine manche Tatsachen, wie bspw. dass die Erde eine Kugel ist, brauchen Erklärungen die erklären warum das so ist. Das gilt auch für die Tatsache, dass Putin eine Invasion der Ukraine gestartet hat. Du siehst das anders?


    Sie ist keine Kugel, aber ich hatte schon verstanden, was du sagen willst. War etwas holperig formuliert. Mit Rasiermessern sollte man sowieso vorsichtig sein, dieses spezifische kann man meines Erachtens direkt wieder weglegen, wenn es um Weltgeschichte geht, ein maximal komplexes Phänomen.


    Wie erkläre ich einfach, dass Putin eine Invasion der Ukraine begonnen hat: Er hat sich anhand der Umstände dazu entschieden. Alternative Erklärungen: Eine Fraktion innerhalb des russischen Machtgefüges hat ihn dazu gezwungen. Die US-Amerikaner haben ihn mit geschickt platzierter Desinformation dahin manipuliert. Xi hat angerufen und gesagt, wenn du es nicht machst, bist du ein feiges Hühnchen. Also meinethalben bei so einer Auswahl ist Ockham dann nützlich.


    Wenn man dagegen nach dem warum fragt, ist das keine Tatsache mehr. Es sei denn, man würde die Gesamtheit des Geschehens, die zu diesem Punkt geführt hat, als einzelne Tatsache ansehen. Diese volle Erklärung ist sowieso nicht zugänglich, deshalb sind historische Erklärungen für Entscheidungen meistens eine Auflistung von möglichen Faktoren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass einige davon, weil sie irgendwie einfacher sind, bevorzugt werden sollten.


    Schließlich ist Tatsachen ein interessantes Stichwort. Es gibt eine nicht überschaubare Zahl von frei zugänglichen Tatsachen, die irgendeine Relevanz für diesen Konflikt haben, die weder dir noch mir bewusst sind. Viele Erklärungen fallen auseinander, weil man eine weitere Tatsache hinzufügt. Man kann natürlich hoffen, dass man genug weiß, um die favorisierte Erklärung abzusichern, aber garantiert ist das nicht. Leute, die sich für Geopolitik nicht besonders interessieren, aber die internen russischen Verhältnisse näher kennen, bieten oft eine Erklärung an, die sich allein auf Putins Reaktion auf die innenpolitische Lage stützt. Die stellt dann vielleicht auch keinen kausalen Zusammenhang her, also nicht er hat die Invasion begonnen, um das Territorium zu annektieren, sondern erst das eine und dann das andere, jeweils um die aktuelle Innenlage zu beeinflussen. Das ist im Fall der USA nicht der schlechteste Ansatz, wenn auch da nicht ausreichend, aber bei Russland greift er meines Erachtens deutlich zu kurz.


    Zum Beispiel, weil absehbar war, dass man Teile Chersons wieder verlieren wird und damit dann mehr Gesichtsverlust erleidet als lediglich bei einem taktischen Rückzug.


    Der Hauptnachteil ist, dass man sich politisch auf ein Ziel festlegt, das laut dir gar nicht das eigentliche Ziel ist. Warum sich auf einen ganz bestimmten Landgewinn politisch festlegen, und damit die eigenen taktischen Möglichkeiten reduzieren? Man will doch die eigenen Kräfte auf das Hauptziel fokussieren, und legt sich dann nicht selber auf irgendeinen Landgewinn fest.


    Ich vermute, es ist umgekehrt, man hatte sich schon entschieden diesen Teil von Cherson aufzugeben oder das zumindestens ernsthaft als Notwendigkeit gesehen und hat ihn deshalb annektiert, um den Anspruch darauf zu markieren und nach innen, auch der lokalen Bevölkerung, zu signalisieren, dass das nicht als permanenter Rückzug zu verstehen ist. Die Annexion selbst ist Teil der eskalativen Logik, wir haben vor den Konsequenzen gewarnt, wenn die ukrainische Regierung nicht zu einer Einigung mit uns kommt, nun hier ist die nächste Konsequenz. Das spricht auch nicht wirklich gegen die Hauptziele, weil das wie gesagt eine andere Form ihrer Umsetzung ist und der Rückzug erklärtermaßen nur temporär.


    Ob das am Ende alles zusammenkommt, hängt im Wesentlichen davon ab, wie der Krieg ausgeht. Und entgegen der gelegentlichen Zuschreibungen unserer Propaganda, hatte ich nie den Eindruck, dass es an Zuversicht gemangelt hat. Deswegen war ja auch eine der ersten Erklärungen dafür, dass Putin ein falsches Lagebild von seinem Zirkel bekommt, weil die sich fürchten, ihm die Wahrheit zu sagen. Das habe ich jetzt schon ziemlich lange nicht mehr gehört.


    Also Putins Idee ist nicht "Mehr Land = mehr Macht" sondern "Mehr Land = mehr Sicherheit"?


    Ich habe in diesem Krieg nie etwas anderes als einen Rote-Linien-Krieg gesehen. Im Endeffekt reagiert die russische Regierung auf die Überschreitung einer vorher angekündigten roten Linie. Konzeptuell steht dahinter die Verteidigung von Russlands Status als Großmacht oder, wenn man es nicht so sehen will, des Anspruchs auf diesen Status.


    Wie schön öfter ausgeführt, dass hier eine wahrgenommene historische Ungerechtigkeit, dass Noworossija (hauptsächlich) der Ukraine zugeschlagen wurde, mitkorrigiert wird, würde ich als weiteres Motiv nicht mal in Abrede stellen. Aber ich halte es für nachgeordnet oder jedenfalls nicht für die Rechtfertigung auch vor sich selbst.


    Man muss natürlich nicht glauben, dass wenn der Westen bzw. vorallem die USA seine/ihre Ambitionen auf den postsowjetischen Raum vor zehn bis fünfzehn Jahren begrenzt hätte, diese Gebiete noch ukrainisch wären. Aber ich denke, da spricht einiges dafür unter anderem, dass es für die Russen der Weg des geringeren Widerstands gewesen wäre und wie man auch so gesehen hat durchaus profitabel ist.

  • Ich habe in diesem Krieg nie etwas anderes als einen Rote-Linien-Krieg gesehen. Im Endeffekt reagiert die russische Regierung auf die Überschreitung einer vorher angekündigten roten Linie. Konzeptuell steht dahinter die Verteidigung von Russlands Status als Großmacht oder, wenn man es nicht so sehen will, des Anspruchs auf diesen Status.

    Und zum Status als Großmacht, den sich die russische Elite selbst zuschreibt, gehört eben auch das setzen solcher roten Linien, die dann vom Westen nicht als solche akzeptiert, bzw. ernst genommen wurden, weil man hier der Ansicht war und ist, dass der Russischen Föderation gar kein Großmachtstatus zusteht.

  • Diese Gemeinplätze werden allerdings immer noch nicht hinterfragt.

    In dem Artikel wird einiges nicht hinterfragt, aber ich verstehe nicht wie Du immer noch an der These festhalten kannst, dass das nicht die Hoffnung Putins gewesen sei, als er den Krieg angefangen hat.


    Edit: Also "erobern" sicher nicht in dem Sinn, sie komplett militärisch zu besetzen, aber eben in Form eines Sturzes, bzw. einer Flucht der Regierung Selenskyj.

  • In dem Artikel wird einiges nicht hinterfragt, aber ich verstehe nicht wie Du immer noch an der These festhalten kannst, dass das nicht die Hoffnung Putins gewesen sei, als er den Krieg angefangen hat.


    Edit: Also "erobern" sicher nicht in dem Sinn, sie komplett militärisch zu besetzen, aber eben in Form eines Sturzes, bzw. einer Flucht der Regierung Selenskyj.


    Nun genau "erobern". Ich verstehe nicht, wie man anhand der eingesetzten Kräfte und dem Umfang der Operation daran glauben kann, dass das eine schnelle Eroberung des gesamten Landes sein sollte. Ich denke auch das Schicksal der ukrainischen Regierung war ihm völlig egal, wenn bestand die Hoffnung in schneller Kapitulation gegenüber den Forderungen, wer auch immer die für die Ukraine aussprechen konnte.


    Aus dem initialen Vorgehen kann man denke ich durchaus schließen, dass die Ukraine zu einer schnellen Kapitulation gezwungen werden sollte. Weiß aber nicht, ob es wirklich Anhaltspunkte gibt, dass das auf wenige Tage ausgelegt war oder sagen wir wenige Wochen. Andererseits waren die verfügbaren Kräfte genug, um bei Widerstand den Konflikt weiterzuführen. War das also der Plan oder Plan A mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber man hat es mal versucht, weil der potentielle Gewinn so groß ist. In dem Fall würde 'hoffen' das zwar richtig charakterisieren, kann durch die fehlende Kontingenz aber immer noch irreführen.


    Und wie schonmal gesagt spezifisch die drei Tage haben ihren Ursprung soweit ich weiß bei den US-Amerikanern:


    [...] Diese drei Tage, die die Russen angeblich für die Einnahme von Kiew vorgesehen hatten, kamen von Mark Milley (oder wenn man Fox News gar nichts glaubt, dann von Fox News, die waren wohl das Medium, das Milley diese Aussage zugeschrieben hat):


    https://www.foxnews.com/us/gen…to-invade-ukraine-sources

  • Und zum Status als Großmacht, den sich die russische Elite selbst zuschreibt, gehört eben auch das setzen solcher roten Linien, die dann vom Westen nicht als solche akzeptiert, bzw. ernst genommen wurden, weil man hier der Ansicht war und ist, dass der Russischen Föderation gar kein Großmachtstatus zusteht.


    Während der Westen feststellen musste, dass das im Rest der Welt durchaus anders gesehen wird. Sowohl die Legitimität der rote Linien als auch die Wahrnehmung als Großmacht. Weshalb die Selbstverständlichkeit mit der man die Weltwirtschaft in den Konflikt reingezogen hat, unerwartet kühl bis feindlich aufgenommen wurde.

  • War das also der Plan oder Plan A mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber man hat es mal versucht, weil der potentielle Gewinn so groß ist. In dem Fall würde 'hoffen' das zwar richtig charakterisieren, kann durch die fehlende Kontingenz aber immer noch irreführen.

    Ich denke das war Plan A, während man sicherstellte, dass Plan B - Einnahme und Annexion der Ostukrainischen Oblaste, mit ausreichend Personal - bereits vorbereitet war. Aber ich glaube, dass wir jetzt schon mindestens bei Plan C - Zermürbungskrieg gegen einen Zahlenmäßig unterlegenen, aber vom Westen technisch unterstützen Gegner - , oder bei Plan D - die Kosten für die Ukrainische Bevölkerung, den ukrainischen Staat und den Westen mit parallel zur Materialschlacht im Donbass ausgeführten Luftschlägen gegen die zivile Infrastruktur so hoch treiben, dass die Allianz irgendwann brüchig wird.

  • Das ist aktuell mal wieder ein Thema, da es zuletzt etwas größere Abstände zwischen Raketenangriffen gab:


    https://twitter.com/ukraine_map/status/1637159653288079362



    Ich habe das mal anhand der Erfolgsmeldungen der ukrainischen Luftabwehr nachvollzogen. R, G stehen jeweils für größere Raketen- oder Geran-Angriffe. Ein paar kleinere (gemessen an den behaupteten Abschüssen) gerade von den Drohnen gab es immer mal wieder dazwischen:



    R - Raketenangriffe (31.12., 14.1., 26.1., 10.2., 16.2., 9.3.)

    G - Geranangriffe (1.1., 2.1., 10.2., 27.2., 6.3., 17-18.3.)


    Der längere Abstand von zwei Wochen um den Jahrestag der russischen Intervention herum, hat wohl Hoffnungen geweckt. Mir scheint allerdings sie könnten den Raketenangriff, der dem etwa zweiwöchentlichen Abstand folgend in die erste Woche gefallen wäre, genau deshalb eine Woche vorgezogen haben. Auch die Unsicherheit bezüglich Transnistrien könnte ein Abwarten bedingt haben. Während des Besuchs von Xi nächste Woche gibt es vielleicht auch keinen solchen Angriff.


    Die behauptete Zahl von eingesetzten Raketen hat die ukrainische Luftabwehr nicht auf ihren Grafiken nur die Abschüsse, die entsprechen also nicht immer der gleichen behaupteten Erfolgsquote, aber was solls:


    Abschuss Raketen Abschuss Drohne Geran
    31.12.
    12 0
    1.1. 0 45
    2.1. 1 39
    14.1. 25 0
    26.1. 47 0
    10.2. 61 25
    16.2.
    16 0
    27.2. 0 11
    6.3. 0 13
    9.3. 34 4
    17-18.3. 0 11
  • [...] oder bei Plan D - die Kosten für die Ukrainische Bevölkerung, den ukrainischen Staat und den Westen mit parallel zur Materialschlacht im Donbass ausgeführten Luftschlägen gegen die zivile Infrastruktur so hoch treiben, dass die Allianz irgendwann brüchig wird.


    Das ist allerdings auch ein Gemeinplatz, den ich nicht für gesichert halte. Es ist möglich, dass die Angriffe auf die Energieversorgung einzig oder primär dieses Ziel verfolgen. Aber ich denke eher ein militärisches Ziel steht im Vordergrund, nämlich die Beweglichkeit ukrainischer Truppen und ihre Versorgung durch Ausschaltung des elektrischen Zugverkehrs zu verringern.


    Die ersten Angriffe dieser Art kamen ja unmittelbar nach der Charkow-Offensive. Der russische Rückzug resultierte vermutlich aus zu wenigen Leuten, die sie in der Region hatten, aber auf der Gegenseite durch schnelle Massierung von ukrainischen Truppen für die Offensive auf dem Schienenweg.


    https://maps.mapaction.org/dat…1d-4196-8f21-58cd3fed37ff


    ma016-v02-map-of-railways-ukraine-300dpi.jpg


    Ich denke ohne Kontrolle über Nordwest- und West-Donetsk sind die Verbindungswege aus dem Süden über den Donbass nach Charkow komplizierter. Angenommen woanders im Operationsgebiet wären die Kräfte dafür verfügbar gewesen, konnte man beim Aufmarsch der Ukrainer vielleicht nicht schnell genug nachziehen. Wahrscheinlich ändert sich das auch erst, wenn die Verteidigungslinie mit Bachmut in der Mitte der Länge nach überwunden wurde, denn die verläuft entlang einer Nord-Süd-Schienenverbindung.


    Jedenfalls erinnere ich mich, dass es zumindestens das Gerücht gab, dass die Russen durch den verursachten Stromausfall liegengebliebene Züge mit Truppen im Transit angegriffen haben. In jedem Fall gab es auch mal Bilder eines angegriffenen Zuges. Ein paar Wochen später haben sie dann den Anschlag auf die Kertsch-Brücke als Anlass für stetige Angriffe verwendet und das war glaube ich durchaus entscheidend dabei die ukrainischen offensiven Möglichkeiten, die durch das weite Zurückfallen entstanden waren, zu kontern, ohne dass man sofort eine sehr große Zahl von Soldaten zusätzlich für die Operation abstellen musste, weil die Zuführung von Soldaten und Material dadurch langsamer wurde. (Die Einschränkung des Straßentransports hatte man ja schon recht früh im Krieg soweit möglich durch die Zerstörung großer Treibstoffdepots umgesetzt.)


    Also kurz: Ich vermute, wenn eher Teil von Plan C. Denn die Ukrainer möglichst breit in den Nachteil zu setzen an Positionen, die sie aus ihrer Sicht verteidigen müssen, ist das Vorgehen im Zermürbungskrieg und soll die eigenen Verluste begrenzt halten.

  • Ist das jetzt sein neues Ding? Auf ehemaligem ukrainischen Gebiet mit dem Auto rumfahren?


    https://twitter.com/HannaLiuba…tatus/1637363715145080832



    Gibt natürlich Zweifel, dass das wirklich Putin ist.

  • Das ist doch mal eine Ansage:


    https://dorzeczy.pl/opinie/418…basador-rp-odpowiada.html


    Zitat

    "Nie będziemy mieli wyboru". Ambasador RP we Francji o wejściu Polski do wojny


    Jeśli Ukraina nie obroni swojej niepodległości, nie będziemy mieli innego wyjścia, jak przystąpić do wojny – stwierdził Jan Emeryk Rościszewski, ambasador RP we Francji.


    Kontrowersyjne słowa dyplomaty padły we francuskiej telewizji LCI. – Jeśli Ukraina nie obroni swojej niepodległości, nie będziemy mieli wyboru, nie będziemy mieli innego wyjścia, jak przystąpić do wojny – powiedział Rościszewski.


    Via Google Translate:


    Zitat

    "Wir werden keine Wahl haben." Polnischer Botschafter in Frankreich zum Kriegseintritt Polens


    Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht verteidigt, haben wir keine andere Wahl, als uns dem Krieg anzuschließen, sagte Jan Emeryk Rościszewski, der polnische Botschafter in Frankreich.


    Die umstrittenen Worte des Diplomaten wurden im französischen LCI-Fernsehen übertragen. – Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht verteidigt, haben wir keine andere Wahl, wir werden keine andere Wahl haben, als uns dem Krieg anzuschließen – sagte Rościszewski.


    Jeweils Google Translate:


    https://twitter.com/LCI/status/1637186608876093443



    Zitat

    Migs liefert an die Ukraine: „Polen versucht, der gute Anwalt der Ukraine zu sein. Es muss alle Möglichkeiten erhalten, sich zu verteidigen“, sagt Jan Emeryk Rościszewski, polnischer Botschafter in Frankreich


    https://twitter.com/LCI/status/1637187448072552449



    Zitat

    „Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht verteidigt, haben wir keine andere Wahl, wir werden gezwungen sein, in den Konflikt einzutreten“, sagt Jan Emeryk Rościszewski, polnischer Botschafter in Frankreich


    https://twitter.com/LCI/status/1637188520442748935



    Zitat

    "Berlin macht sich Illusionen und bildet sich vielleicht ein, dass dieser Konflikt anders ausgehen könnte", bedauert Jan Emeryk Rościszewski, polnischer Botschafter in Frankreich.


    Im Kontext der anderen beiden Aussagen, klingt es allerdings eher so, als würde er die Lieferung von Kampfflugzeugen mit einem argumentativen Standard verteidigen.


    (Verstehe übrigens nicht so ganz, warum das noch als Kontroverse gesehen wird, im Kontext von dem, was alles mittlerweile geliefert wird. Das Brisante bezüglich der Flugzeuge war doch sonst eigentlich nur die Idee, dass sie von Flugplätzen außerhalb der Ukraine operieren dürfen. Und das ist ja wohl nicht der Fall.)

  • Ist das jetzt so ein Ding, es tatsächlich als nichtukrainisch zu betrachten?


    Also wo du fragst, da ich keinen gegenläufigen Trend sehe, gehe ich tatsächlich davon aus, das Gebiet ist verloren. Die Krim (wo er vorher rumgefahren ist) ist für mich ehemaliges ukrainisches Gebiet. Für dich nicht?

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