Ein paar Aussagen von Putin selbst aus seinem Aufsatz veröffentlicht im Juli 21.
Im grunde sagt er nicht, dass es keine Ukraininer gibt, nur eben keine Ukraine.
Nein. Genau das sagt er darin überhaupt nicht.
Er lässt sich lang und breit darüber aus, dass er die Idee Lenins, die Ukraine und anderen "Volksrepubliken" als autonome Sowjetrepubliken anzuerkennen (um den damals schon vor allem in der Ostukraine weit verbreiteten Nationalismus zu befrieden) und ihnen somit zu ermöglichen, sich nach dem Ende der Sowjetunion für unabhängig zu erklären, für einen schweren Fehler hält.
Er begründet das damit, dass auf diese Weise Teile dessen, was er und viele andere russische Nationalisten für historisch russisches Territorium halten, samt der darauf befindlichen russischstämmigen Bevölkerungen vom heiligen Vaterland abgespalten und Teile anderer Nationen wurden.
Damit ist aber nicht die Westukraine gemeint, in der so gut wie gar keine "ethnischen" RussInnen leben, sondern genau die Gebiete der sogenannten "Volksrepubliken", deren Unabhängigkeit er damals am 21. Februar mit dieser schwülstigen Rede anerkannte, und die von der russischen Regierung jetzt unter dem Vorwand von Volksentscheiden zu Teilen Russlands erklärt wurden.
Seine ganze "Logik" beruht auf dieser "Spaltung" der Einheit dessen, was er in seiner jüngsten Rede zur Annektion von Luhansk, Donetsk, Cherson und Zaporischija als Teil einer angeblich tausendjährigen russischen Kulturgeschichte betrachtet, und die er als vom Westen und seinen Agenten in Kiew in ihrer Existenz bedroht behauptet. Das kann und soll man gerne alles völlig zu recht als Geschichtsverdrehung, Kulturchauvinismus, vielleicht sogar als Regional-Imperialismus, und sicher noch wegen vieler anderer schlimmer Sachen verurteilen.
Aber was man daraus nicht machen kann, ohne selbst Putins Aussagen in einer Art und Weise zu interpretieren, die ihnen irgendeine versteckte Bedeutung unterschieben, die sich nicht zweifelsfrei belegen lässt, ist ein hitleresker Herrenmenschen-Faschismus, der der heutigen Ukraine, oder ihrer Bevölkerung das komplette Existenzrecht abspricht. Das steht da einfach nicht drin, sondern es wird - gemäß der seit vielen Jahren durch massive Propaganda aufgebauten Erzählung von Putin als größenwahnsinnigem Superbösewicht mit Weltherrschaftsambitionen - in diesem Sinne interpretiert und dann massenhaft von völlig verblendeten Mediengestalten in Leitartikeln, Kommentaren, tweets und Talkshowauftritten unter's Volk gebracht - wo es sich dann offensichtlich auch in den Köpfen einiger Foristen hier festbetoniert hat.
Offensichtlich erkennt Putin die Grenzen der heutigen Ukraine nicht (mehr) an und versucht, sie völkerrechtswidrig und moralisch verurteilenswert mit Gewalt zu verschieben. Das ist nach sechs Monaten Eroberungskrieg nicht zu bestreiten. Wenn man daraus allerdings ableitet, dass er die gesamte Ukraine "vernichten", und ihr Staatsgebiet komplett dem russischen Zarenreich angliedern wolle, dann betreibt man die Arbeit von PropagandistInnen, denen es nicht darum geht, die ukrainische Bevölkerung vor weiterem Elend zu beschützen, sondern darum, die westliche Deutungshoheit und ihre eigene Interpretation der historischen und aktuellen Ereignisse in die Köpfe der westlichen Bevölkerungen zu hämmern. Und damit tut man dann genau das, was man Putin zu recht vorwirft.